Vorwort zur dritten und vierten Auflage.

Mir ist die einem Autor jüdischer Geschichte seltene und schmeichelhafte Freude geworden, die dritte und vierte Auflage des gegenwärtigen Bandes veranstalten zu können. Es wäre aber töricht von mir, von dieser dem Leser gleichgültigen Tatsache zu sprechen wenn ich mich nicht genötigt sähe, Rechenschaft von der dem Umfange und Inhalte nach bedeutenden Veränderung desselben abzulegen. Innerhalb der 15 Jahre seit dem Erscheinen der zweiten Auflage ist nämlich gerade der Zeitraum der judäischen Geschichte, welchen dieser Band umfaßt, Gegenstand eingehendster Behandlung geworden. Es ist den Forschern zum Bewußtsein gekommen, daß diese Zeit grundlegend für die ganze Folgezeit geworden ist und Anregung für noch zukünftige Gestaltungen enthält. Ein ganz neues Gebiet wurde innerhalb derselben abgesteckt, das unter verschiedenen Titeln figuriert und am bündigsten die neutestamentliche Zeitgeschichte benannt wurde. Angeregt durch Renans ebenso glänzenden wie hohlen Roman: »histoire des origines du christianisme« sind gründlichere Historiker auf die allerdings nicht fern liegende Tatsache geführt worden, die daher nicht hätte übersehen werden sollen, daß das Christentum nicht fertig und elternlos als Fleisch gewordener Logos in die Weltgeschichte eingegriffen hat, sondern daß es, als Produkt tiefer Bewegungen in der judäischen Geschichte dieses Zeitraums, mit der Kraft und Schwäche desselben behaftet ist. Um die Genesis des Christentums tiefer und wahrer als bis dahin zu begreifen, haben die Historiker die Quellen und das ganze einschlägige judäische Literaturgebiet von neuem mit kritischem Auge durchforscht. Selbst die bis dahin beiseite gelassenen »alten Rabbinen« oder die talmudische [5] Literatur wurde in den Kreis der Untersuchung gezogen. Die Geschichte dieses Zeitraums ist infolgedessen in ein neues Stadium getreten. Auch die Hilfswissenschaften: die Chronologie, die Geographie und Archäologie von Palästina und die Numismatik, wurden zu diesem Zwecke um vieles schärfer und bestimmter behandelt, um feste Grundlagen für die geschichtlichen Vorgänge zu gewinnen.

Mir lag daher die Pflicht ob, bei der Ausarbeitung der neuen Auflage diese seit den sechziger Jahren vielfach angewachsene und weitschichtige Literatur zu berücksichtigen, die sichern Resultate aufzunehmen, das kritisch Unhaltbare abzuweisen und, wenn es von autoritativen Forschern vertreten wird, meine Darstellung diesen gegenüber zu rechtfertigen. Mir selbst haben sich bei erneuter Durchforschung der Quellen neue Tatsachen ergeben. Diese Momente zusammen haben die bedeutende Veränderung dieser Auflagen veranlaßt. Der Umfang dieses Bandes ist dadurch stärker geworden, und um ihn nicht gar zu voluminös anschwellen zu lassen, ist er in der vierten Auflage in zwei Hälften geteilt worden.

Die vierte Auflage ist auch gegen die dritte vielfach vermehrt und verbessert. Außer den neugewonnenen Tatsachen, die in dem Text eingewebt sind, enthält diese Auflage in den Noten eine Reihe von Abhandlungen für Fachmänner, welche in den drei älteren Ausgaben fehlen. Als Ergänzung zur Entstehung der Septuaginta ist hinzugefügt die Abfassungszeit des Pseudo-Aristeas. – In der Entwickelungsgeschichte der judäisch-hellenistischen Literatur ist die Chronologie der zwei hellenistischen Schriftsteller Eupolemos und Demetrios näher präzisiert und die Untersuchung über die Genesiszeit des vierten Makkabäerbuches und des Pseudo-Aristobulos hinzugefügt. – Dann die judäischen Ethnarchen oder Arabarchen in Alexandrien. – Die Note über die judäischen Gesandtschaften nach Rom ist durch die Beleuchtung und chronologische Präzisierung der Urkunden von Cäsar und anderen römischen Machthabern vermehrt. – Ferner die Untersuchung über das Sendschreiben der Palästinienser an die ägyptisch judäischen Gemeinden im zweiten Makkabäerbuch. – Ferner Untersuchung über die Zeit, in welcher die Bergfeuer zum Zwecke der Festesankündigung aufgehoben wurden. – Der Polemos des Barus und die sich daran knüpfenden Fakta. – Die Aufeinanderfolge der Wahlhohenpriester und der römischen Prokuratoren[6] in Judäa. – Die Abfassungszeit der Evangelien. – Chronologische Untersuchung über die Vorgänge unter Caligula, die Judäer betreffend. – Erweiterung Jerusalems durch die Entstehung der Vorstadt Bezetha und über die Lage von Bethanien und Beth-Phage. – Zusammenhang der Bekehrung des Apostels Paulus mit der Bekehrung der Königin Helena zum Judentum. – Eine eigentümliche Volkszählung vor dem Ausbruch des Krieges gegen die Römer. – Der erste Schritt zu diesem Kriege und endlich eine ausführliche Untersuchung über die judäischen Münzen.


Breslau, im Juni 1888.

Der Verfasser.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1905, Band 3.1, S. 5-7.
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