11. Sauls Niederlage am Gilboa und der Umfang der Eroberungen der Philister nach dieser Niederlage.

[399] Als Schauplatz der entscheidenden Schlacht, welche Saul das Leben gekostet hat, wird an einigen Stellen der Berg Gilboa genannt (I. Sam. 28, 4; 31, 1. 8; II. 21, 12; und auch im Trauerliede Davids um Sauls Tod, II. 1, 21: עבלגב ירה). An anderen Stellen wird dafür Jesreël angegeben (nicht bloß I. 29, 1 und 11, sondern auch II. 4, 4). Zwei verschiedene Relationen können es unmöglich sein, da in der zuletzt zitierten Stelle, die jedermann als ursprünglich anerkennt, es auch heißt, die Nachricht von Saul und Jonathan kam von Jesreël. Beide Ortsangaben lassen sich indes vereinigen. Von den Philistern ist angegeben, sie hätten ihr Lager in Sunem aufgestellt (I. 28, 4). Die Identität mit dem jetzigen, in einer fruchtbaren Gegend liegenden Dorfe Sulam am Südwestfuße des Bergrückens Ed-Duhy ist nicht ganz gesichert. [Vgl. Buhl a.a.O. S. 217, 274.] Denn Eusebius identifiziert es mit einem zu seiner Zeit noch vorhandenen Dorfe Sulam, 5 römische Meilen = 1 Meile südlich vom Thabor (Onomastic. ed. Lg. p. 294 [ed. Klostermann 158, 11]). Vom jetzigen Dorfe Sulam bis zum Thabor sind aber mehr als 11/2 geographische Meilen. Demgemäß muß Sunem nördlicher gelegen haben. Es heißt aber wieder, die Philister hätten in Aphek gelagert (das. 29, 1). Die Lage von Aphek ist zwar nicht bekannt, aber es muß in der Ebene Jesreël gelegen haben (I. Könige 20, 23; 26). Folglich ist bei der Angabe, daß die Schlacht in Jesreël stattgefunden, die Ebene Jesreël (לאערזי קמע) zu verstehen, auch schlechtweg קמעה, die Ebene, genannt (I. Sam. 31, 7). Von dem Lagerplatz Israels heißt es einmal, er wäre in Gilboa gewesen, und das andere Mal (29, 1) לאערזיב רשא ןיעב. Diese Angabe ist undeutlich, denn bei der Stadt Jesreël (Zerin) gibt es mehrere Quellen. Die griechische Übersetzung hat aber dafür die plausible Lesart[399] Ἀενδώρ = רוד ןיעב in Jesreël. Sie ist deswegen plausibel, weil Saul in einer Nacht die Zauberin von Endor aufgesucht und in derselben Nacht wieder ins Lager zurückgekehrt ist (28, 7-8. 25). Wäre sein Lager an einer Quelle bei Jesreël gewesen, so hätte er in einer Nacht nicht ohne Anstrengung die Hin- und Rückreise machen können. War das Lager aber bei Endor, so war es leicht, sich nach der Stadt zu begeben und zurückzukehren. In betreff der Lage von Endor widerspricht sich Eusebius zum Teil. Einmal gibt er an, es sei vier römische Meilen südlich vom Thabor entfernt und sei zu seiner Zeit ein großes Dorf gewesen (Onom. p. 226 [ed. Kl. 34, 8]), und das andere Mal, es liege bei Skythopolis (das. p. 259 [ed. Kl. 94, 22]). Das erstere ist wohl richtig, denn noch jetzt ist etwas über eine Stunde von Thabor ein Dorf Endur. Es war also nur 1/5 Meile von Sunem entfernt. Alle diese Städte, Sunem, Endor, Aphek, gehörten zur Ebene Jesreël. In dieser Ebene hat also die Schlacht stattgefunden, und zwar westlich vom Bergrücken Ed-Duhy (oder Moreh). Der Widerspruch, daß die Israeliten bei Gilboa gefallen sind, ist daher so auszugleichen: Entweder wurde der 1/2 Stunde vom Gilboaberg nördlich liegende Rücken Ed-Duhy noch unter Gilboa inbegriffen – und daher die Bezeichnung עבלגב ירה (im Trauerliede) Berge bei Gilboa – oder die Israeliten sind auf der Flucht von dem Schlachtfeld bei Aphek in Gilboa niedergemacht worden. Dafür scheint die Beschreibung (31, 1) zu sprechen: עבלגה רהב םיללח ולפיו לארשי ישנא וסניו, d.h. zuerst entflohen die Israeliten und dann fielen sie auf dem Gilboa. Der Widerspruch in den Angaben ist also nur Schein.

Wichtiger ist, zu konstatieren, welche Ausdehnung die Eroberung der Philister nach ihrem Siege genommen hat. In 31, 7 ist angegeben, daß die Israeliten קמעה רבעב und ןדריה רבעב infolge der Niederlage die Städte verlassen und daß die Philister sie besetzt haben. Das erstere bedeutet: in der Gegend der Jesreëlebene, und das zweite: in der diesseitigen Gegend des Jordans. Zur letzteren gehört Bet-Schean, dessen Einnahme besonders erwähnt ist mit der Bemerkung, daß die Philister die Gebeine Sauls und Jonathans an den Mauern dieser Stadt aufgehängt haben19.

Ob die Philister ihre Besetzung des Landes noch weiter ausgedehnt haben, als auf die Ebene Jesreël und die bewohnbare Gegend der Jordanebene, ist nicht angegeben. Aber aus der Erzählung (II. Sam. 4, 4), daß die Amme des Mephi-Boschet mit dem fünfjährigen Knaben entfloh, als die Nachricht von dem Unglück bei Gilboa einlief, folgt, daß die Philister auch weiter [400] südlich vordrangen. Mephi-Boschet und seine Amme waren wohl schwerlich auf dem Kampfplatz, sondern waren ohne Zweifel in Gibea zurückgeblieben. Von Gilboa oder Bet-Schean bis Gibea ist auch bei Eilmärschen eine Strecke von zwei Tagereisen. Die Philister müssen sich also Gibea genähert haben, so daß die Amme sich veranlaßt sah, so eilig zu entfliehen, daß sie das Kind fallen ließ. Es folgt auch daraus, daß Abner die Mannschaft nicht im benjaminitischen Gebiete, sondern jenseits des Jordans sammelte. Jenes muß also von den Philistern besetzt gewesen sein. In II. Sam. 2, 9 ist die allmähliche Zurückeroberung des Landes durch Abner geschildert: לעו םירפא לעו לאערזי לעו ירושאה לאו דעלגה לא והכילמיו הלכ לארשי לעו ןימינב. Zuerst machte Abner seinen Schützling Isch-Boschet zum König über Gilead, d.h. über den Stamm Gad, zu dessen Gebiet Machanaïm, der Sammelpunkt des Hauses Saul, gehört hat (vgl. folgende Note). Aus ירושא zu machen ירושג, ist Widersinn, da keines der beiden Geschur zu Israel gehört hat (vgl. Note 17). Man muß dafür lesen ישנמה, welches mehreremal für ישנמה טבש יצח gebraucht wird (Deuteron. 4, 43). [Köhler schlägt ungleich besser ירשאה [haasheri] (vgl. Richter 1, 32) vor.] Also auch die jenseitigen Manassiten haben Isch-Boschet anerkannt. לאערזי ist auch hier gebraucht für die ganze Ebene Jesreël, d.h. für die darin wohnenden Stämme, das diesseitige Manasse und Isachar. Dann Ephraim und Benjamin und ganz Israel, d.h. Dan, Zebulon, Ascher und Naphtali. Diese Zurückeroberung muß 41/2 Jahre gedauert haben, denn von der Zeit der Niederlage bei Gilboa bis zu Davids Herrschaft über Gesamtisrael, nach Isch-Boschets Tod, vergingen 61/2 Jahre, und von diesem heißt es, er habe nur zwei Jahre über Gesamtisrael regiert (das. 2, 10), folglich dauerte der Kampf um den Wiederbesitz des Landes 41/2 Jahre.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1908], Band 1, S. 399-401.
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