Feuerwaffen

[202] Feuerwaffen. Ihre Anwendung entwickelt sich aus den im Orient seit uralter Zeit bekannten Kriegsfeuern. Explodierende Gemenge, aus Salpeter, Schwefel und einem dritten Stoffe, Pech, Harz, Öl oder Holzkohle, sind in den Ländern, in welchen der Salpeter häufiger vorkommt, in Indien, Ägypten und China, zuerst zu Hause gewesen. Mit solchen explosiven Mischungen spielte man zuerst, dann verwertete man sie im Kriege, zuletzt führte die Erkennung der ballistischen Kräfte, welche die bei der Explosion entwickelten Gase besitzen, zur Feuerwaffe. Die Kenntnis der explosiven Stoffe und Mischungen wurde im Orient namentlich in den Priesterschaften geheim gehalten und benutzt, um der Menge handgreiflich zu imponieren. In theokratischen Despotien, unter Leitung der Priester, wurde auch die Pyrotechnik zuerst in den Dienst des Krieges gezogen. Aus dem Orient kam die Anwendung des Kriegsfeuers in die westlichen Länder, und die Römer verstanden sich schon zur Zeit der Republik auf das Schleudern brennender Substanzen zu Anzündung belagerter Städte. Ein weiterer Fortschritt lag in der Herstellung von Mischungen, die sich von selbst, d.h. bei der Berührung mit der Luft oder dem Wasser entzündeten. Solche hiessen in der Folge griechisches Feuer, das im 4. Jahrh. nach Christus bereits bekannt gewesen sein soll; der Name stammt erst aus der Zeit der Kreuzzüge. Im 7. Jahrh. wurde das griechische Feuer mit Erfolg gegen die arabische Flotte angewandt, welche Konstantinopel belagerte, es brannte auch im Wasser und flammte nicht bloss, wie das gewöhnliche Feuer, aufwärts, sondern auch horizontal und abwärts. In Konstantinopel[202] wurden auch schon im 10. Jahrh. Feuerrohre angewendet, welche mit langsam brennendem Ausstossatze gefüllt waren und einen Feuerstrom sprühten; sie waren von weicheren Stoffen, von Bambus oder Leder, von Metall, Kupfer oder Eisen. Auch Feuerlanzen mit solchem Feuer werden erwähnt. Dadurch ferner, dass man den in den Rohren festgestampften Satz nicht mehr an der glatten Oberfläche entzündete, sondern die explosible Masse durchbohrte und einen Zündfaden einführte, bekam das Feuerrohr eine »Seele« und erhielt man die erste Rakete, unsern »Schwärmer«, den man wiederum in den Händen ägyptischer, indischer und griechischer Magier und Hierophanten findet. Auch dieses Kriegsfeuer wurde im 4. Jahrh. dem Kriege dienstbar gemacht; das Rezept, das für dieses aus Schwefel, Kohle und Salpeter zusammengesetzte Kriegsfeuer erhalten ist (ein Teil Schwefel, zwei Teile Weidenkohle und sechs Teile Salpeter) ergiebt unser Schiesspulver. Was diesem Pulver aber noch mangelte, war vorzüglich die Körnung.

Parallel mit der Entwickelung der Feuerwerkerei bei den Griechen und Römern geht diejenige bei den Arabern; doch scheint bei ihnen der Salpeter erst im 13. Jahrh. in Gebrauch gekommen zu sein, worauf bald verschiedene Kriegswaffen, mit explosiblen Stoffen versehen, erfunden oder schon vorhandene nachgeahmt wurden: Glasbälle, Feuerlanzen, Armbrustpfeile, Wurfspiesse, Streitkolben, Morgensterne; als eigentliche Feuerwaffe wird die Madfaa, ein gestielter hölzerner Handmörser erwähnt; aus ihm schoss man zuerst Bolzen oder Kugeln. Ausserdem berichten arabische Schriftsteller von ausgehöhlten Feuerrohren.

In Westeuropa entwickelte sich teils aus der schon vorhandenen Erfahrung des Orients, die namentlich von den italienischen Republiken ausgenutzt wurde, teils durch Entwickelung der naturwissenschaftlichen Forschung, besonders auf dem Boden Deutschlands und Englands, die Feuerwaffe. Albertus Magnus, Predigermönch (starb 1280 zu Köln), kannte das Schiesspulver; ebenso sein Zeitgenosse, der englische Minorit Roger Bacon. In Norddeutschland und Flandern war der Hauptsitz des Feuerwerkwesens; dort entwickelte sich auch allein ein besonderer Ausdruck für Pulver, Kraut. Auch die Metallindustrie war dort rege, und es ist möglich, dass die Beherrschung des byzantinischen Reiches durch den Grafen von Flandern von 1204 bis 1261 Einfluss auf diese Kunst ausübte. Anfänglich wurden auch auf diesem Boden Feuerlanzen, Raketen, Feuerrohre angewendet; vermittelst des letztgenannten warf man schwere Pfeile, Zündsätze, Feuertöpfe und Kugeln zuerst aus Blei, später aus Stein oder Gusseisen. Dass die Rakete lange Zeit im Vorsprunge war, ersieht man daraus, dass das Wort Seele, welches ursprünglich nur die Durchbohrung der Raketenachse bedeuten konnte, lediglich analog auf das feststehende Feuerrohr Anwendung fand. Ursprünglich hiess die Rakete sowohl Kanone, von canna = Röhre, mittellat. cannonus = grosses Rohr, als Bombarde, vom lat. bombus = das Summen, daher bomba = summendes Geschoss; bombus ardens = Geschütz, als Scopetto, vom mittellat. sclopus = Schlag und Schuss, daraus ital. schioppo, scoppio = Knall, schiopetto, scopietto = Feuerwaffe; franz. escopette = Stutzbüchse. Welchen Einfluss Berthold Schwarz auf die Herstellung oder Anwendung der Feuerrohre ausübte, ist unbekannt; dass er aber allgemein als Erfinder des Schiesspulvers gepriesen wird, deutet darauf hin, dass man die Anwendung eigentlichen Geschützes Deutschland zuschrieb. Das älteste urkundliche[203] Datum aber, welches bezüglich des Gebrauches von Feuerrohren überhaupt erhalten ist, findet sich in den Genter Annalen zum Jahr 1313: »Jtem, in dit jare was aldereerst ghevonden in Deutschland het gebruuk der bussen (büchsen) van einem mueninck.« Bestimmte Erwähnungen für den Gebrauch der Feuerwaffen finden sich: für Metz 1324, Florenz 1326, Cividale 1331, Alicante 1331; Este 1334, Rouen 1338, Cambray 1339, Tarifa 1344, Mainz 1345. Toulouse 1345, der Engländer bei Crecy 1346 etc. Zu derselben Zeit, wie die Feuerwaffen, kommt der Ausdruck Artillerie auf, siehe diesen Artikel und Handfeuerwaffen. Nach Jähns.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 202-204.
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