Lanze

[570] Lanze. Wie die Keule als älteste Schlagwaffe, so ist die Lanze als Stich- und Wurfwaffe bei allen alten Völkern bekannt. Aufgefundene Lanzenspitzen zeugen davon, dass schon die Pfahlbautenbewohner sich ihrer bedienten, und nach römischen Berichten war die germanische Lanze nicht ohne Grund gefürchtet. Der Schaft derselben bestand aus einer schweren Stange, an der vorn eine 1–11/2 Fuss lange, handbreite, zweischneidige Spitze von Eisen befestigt war. Neben diesem schweren Langspeer führten die Germanen mit ausserordentlicher Kraft und Sicherheit auch den Wurfspiess, der entweder von blosser Hand oder an Riemen geschleudert wurde.

Besondere Beachtung verdient der in den merowingischen Gräbern gefundene 4 Fuss lange Speer mit Widerhaken, der Angon, ahd. ango (Angel). Agathias beschreibt ihn folgendermassen: Die Angonen sind nicht ganz kurze, aber auch nicht sehr lange Speere, zum Wurf tauglich wie zum Kampf in der Nähe. Sie sind zum grössten Teil mit Eisen bedeckt, sodass vom Holze nur wenig und kaum so viel, als für das untere Beschläge hinreicht, zu sehen ist. An dem oberen Teile des Speeres ragen jedoch auf beiden Seiten gekrümmte Spitzen vor, welche hakenförmig zurück- und abwärtsgebogen sind. Im Kampf wirft der fränkische Krieger den Angon, der, sobald er den Körper trifft, überaus tief eindringt und vom Verwundeten nicht herausgezogen werden kann, der Widerhaken wegen, welche furchtbare und tödliche Sehmerzen verursachen. Sieht dieses der Franke, so springt er hinzu, drückt durch einen Tritt auf den Speer mit der[570] Last seines Körpers den Schild des Gegners herab und tötet den nun unbedeckten mit der Axt oder einem andern Speer. – Dieser Speer wird Brynthavar (Panzerbrecher) genannt. Mit dem Schaft schiessen gehört zu den Fechtübungen der Jugend, Speer- und Steinwerfen zu den heldenhaften Kraftübungen.

Die deutsche Bezeichnung der Waffe ist Ger und Speer, ahd. gêr, agls. , nord. geir; ahd. sper, sperilîn, agls. sper, engl. spear. Weniger gebräuchlich ist Spiess, ahd. speoz, spioz, nord. spiot, agls. spietu. Gleichbedeutend ist Lanze, it. lancia, sp. lanza. Speer und Lanze verdrängen bei den Kunstdichtern das Wort ger, das mehr in den Heldensagen beibehalten wird. Die beiden Teile des Speeres heissen überall Schaft und Spitze. Der Schaft ist aus Eschen-, Hartriegel- oder Eibenholz gemacht, nach verschiedenen Dichtern auch aus Horn, Rohr, oder Elfenbein. Oft war der Schaft bemalt, oft rauh, unentrindet (unbesniten und unbeschaben). Der mit einer Spitze versehene Schaft war geschiftet. Die Spitze war entweder dolchartig spitz oder blattförmig, doch stets zweischneidig. Beim Kampfe zu Ross wurde der Speer nur als Stosswaffe gebraucht, doch liess sich der Ritter deren mehrere nachtragen. Für das Turnier benutzte man die Turnierlanze, welche statt der Spitze das gezackte Krönlein trug oder auch ganz stumpf war.

Im Lanzenkampfe genoss die französische Gendarmerie des besten Rufes; grosse Erfolge hat indessen auch sie nicht aufzuweisen. Die im 14. und 15. Jahrhundert bis 4 m langen Lanzen wurden vielmehr oft verhängnisvoll, falls der erste Angriff den Feind nicht in die Flucht schlug, denn im Gedränge fehlte es an dem nötigen Raum, sie zu handhaben. Es kam daher sehr viel darauf an, dass der Ritter nach dem ersten schock (Angriff) sich schnell zurückzog auf den freien Platz, wo er den allfällig zersplitterten Schaft gegen einen neuen vertauschte und dann den Anlauf erneute. Dieses Manöver war um so eher möglich, weil die Ritterschaft nur in einem Gliede attakierte; es hies »die kêre«, und daher findet man bei den alten Dichtern so oft statt des Rufes »Vorwärts!« den Kampfruf: » kêre kêr!«

Nicht immer führte übrigens der Ritter im Gefechte den schweren sogenannten Kürassspiess, die Gläfe; oft wählte er auch den leichten raisspiz (Reisespiess, Spiess der Reisigen, Reiterspiess), der minder lang und stark war und keine Brechscheibe (Einbuchtung, Griff) hatte.

Auch der Speer hatte seine symbolische Bedeutung. Ermangelt er der Spitze, so ist er ein Zeichen des Friedens. Speer und Schwert bedeuten in der älteren Zeit den Mannsstamm im Gegensatz zu Spindeln und Kunkel; daher den Ausdruck spermâge, germâge, swertmûge als Verwandtschaft v. Seite des Mannes, spillmâge, kunkelmâge von Seite des Weibes. Speer wie Stab und Fahne waren für Könige ein Symbol der Übergabe von Reich und Land: der Speer war das Symbol der Herrschaft, wie später das Schwert. Er diente auch, wie Hut und Pfeil, zur Ansage des Krieges bei den Römern, Schotten und Skandinaviern. Nach San Marte, Waffenkunde.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 570-571.
Lizenz:
Faksimiles:
570 | 571
Kategorien: