Scholastik

[900] Scholastik, von scholasticus, d.h. Lehrer an einer Kloster- oder Stiftsschule, heisst die ausgebildete theologische Wissenschaft des Mittelalters. Die karolingische Periode, welcher eine innere notwendige Trennung und Unvereinbarkeit des natürlichen Lebens und der Religion noch fremd war, begnügte sich in ihren theologischen Arbeiten an der Reproduktion des von den Kirchenvätern her überlieferten theologischen Materials. Erst im 11. Jahrhundert, als sich der innere Kern des Mittelalters zu seinen charakteristischen Formen entwickelte, wozu namentlich die gänzliche Trennung des natürlichen und des religiösen Lebens gehörte, entwickelte sich die bloss dem Mittelalter eigene scholastische Arbeit; sie hängt zusammen mit den Klosterreformationen und den Neugründungen der Cistercienser-, Cluniacenser- und Bettelorden und mit der Ausbildung der höfischen Bildung, insofern als die gänzliche Trennung der ritterlichen Bildung und Bildungsbedürfnisse von derjenigen der Kirche diese letztere dem natürlichen Leben entfremden half und sie einem einseitigen Bücher- und Verstandesleben überantwortete, das jedoch so wenig als sein Gegenpart, das Rittertum, romantischer Züge entbehrte. Die Thatsache, dass die ganze europäische Welt, sofern sie sich überhaupt um höhere wissenschaftliche Bildung bemühte, der Scholastik angehört und dass wirklich originelle Meister in ihr auftraten, lässt erkennen, dass sie eine notwendige Frucht der europäischen mittelalterlichen Entwickelung gewesen sein muss; sie war die letzte Frucht; ihr namentlich galt der[900] Kampf der humanistischen Denkart, mit der das Mittelalter aufhört und eine neue Zeit heranbricht. Zu unterscheiden ist übrigens von vornherein die Scholastik im engeren Sinne und die scholastische Methode des Mittelalters, die sich nicht allein auf Theologie und Philosophie, sondern auf das ganze Gebiet der Wissenschaften erstreckte; in Humanistenkreisen pflegte man die Schuollerer von Paris und die Juristen von Bononi (Bologna) als eine gemeine Erscheinung anzusehen. Man unterscheidet drei Perioden der Scholastik. In der ersten Periode begnügten sich die Theologen mit einer bloss dialektischen Bearbeitung des augustinisch-kirchlichen Lehrbegriffes. Anselm von Canterbury, gest. 1109, suchte vor allem doch den Glauben von allen philosophischen Untersuchungen ungefährdet zu bewahren, und als Roscellinus, Kanonikus zu Compiegne, durch kühne Behauptungen über die Trinitätslehre denselben zu bedrohen schien, bekämpfte ihn Anselmus und nötigte ihn zum Widerrufe. Die mit diesem Streite verwickelte philosophische Streitfrage über die Bedeutung der Universalien gab den Parteinamen der Realisten und Nominalisten ihren Ursprung; der Nominalismus erklärte die allgemeinen Begriffe für blosse Abstraktionen des Verstandes aus den gegebenen Gegenständen; der Realismus erklärte die allgemeinen Begriffe für das Ursprüngliche im göttlichen und menschlichen Geiste. Seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts wurde Paris der Hauptsitz der scholastischen Theologie; während nämlich bis dahin in den Schulen nur das Trivium und das Quadrivium gelehrt waren, traten jetzt hier zuerst Lehrer für; die Philosophie und Theologie auf. Nächst Paris erhielt Oxford für die scholastische Theologie am meisten Bedeutung. In Paris hatte zuerst Abälard, gest. 1108, das meiste Ansehen; gegen ihn traten Bernhard von Clairvaux und Norbert auf, welche jede Abweichung von der überlieferten Auffassungsweise missbilligten und Abälard eine Verurteilung durch den Papst zuzogen. Seitdem fingen die Theologen an, ihre dialektischen Erörterungen durch Authentizitäten der heiligen Schrift und der Väter zu sichern; dies that namentlich der Jahrhunderte hindurch gelesene Magister sententiarum Petrus Lombardus.

Die zweite Periode der Scholastik wird dadurch eingeleitet, dass man auf den maurischen Schulen in Spanien die Schriften des Aristoteles kennen lernte. Aus dem Arabischen, bald darauf auch aus der griechischen Ursprache wurden jene nun für das Abendland ins Lateinische übersetzt und namentlich von den Dominikanern und Franziskanern zur Erweisung der christlichen Wahrheiten benutzt. In diese Periode gehören der Franziskaner Alexander von Hales, Doctor irrefragabilis, gest. 1245; der Dominikaner Albertus Magnus, gest. 1280; und dessen Schüler Thomas von Aquino, Doctor angelicus, gest. 1274 Im Gegensatz zu diesem hob der Franziskaner Bonaventura, Doctor seraphicus, gest. 1274, die Mystik wieder hervor; demselben Orden gehört der Doctor subtilis Johannes Duns Scotus an, gest. 1308, den die Franziskaner dem Thomas gegenüberzustellen pflegten Die Polemik der beiden Orden und ihrer theologischen Vertreter, der Thomisten und Scotisten, füllt die dritte Periode der Scholastik, die sich nun in unfruchtbarer Polemik über das Mass der Freiheit, der Genugthuung Christi und über die unbefleckte Empfängnis Mariä gefielen. Als der Humanismus auftrat, war die Scholastik schon am Untergehen.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 900-901.
Lizenz:
Faksimiles:
900 | 901
Kategorien: