Minotavrvs

[1642] MINOTAVRVS, i, Gr. Μινώταυρος, ου, ( Tab. VI.) der Pasiphae, einer Gemahlinn des vorhergehenden Minos, Sohn, den sie mit einem schönen Ochsen, welchen Neptun aus dem Meere hervor steigen ließ, als ihm Minos ein Opfer brachte, Apollod. l. III. c. 1. §. 3. 4. oder dieser sonst unter seiner Heerde hatte, und als den schönsten unter allen nicht gern opfern wollte, Diod. Sic. l. IV. c. 79. p. 193. oder aber vielmehr entweder mit einem Heerführer, oder einem Secretär des Minos, der Taurus hieß, zeugete. Serv. ad Virg. Aen. VI. v. 24. Er wurde Minotaurus genannt, weil er zwar für des Minos Sohn angegeben wurde, in der That aber des Taurus Sohn war. Er war übrigens nach einigen der obern Hälftenach zwar ein Mensch, der untern aber nach ein Ochs; Ovid. Epist Ariadnes ad Thes. v. 102. & Diod. Sic. l. c. So wird er vielfältig auf Münzen und Gemmen abgebildet. Begeri Thes. Brand. T. I. p. 377. Maffei gem. ant. P. III. tav. 31. p. 42. Nach andern war er völlig ein Mensch, außer, daß er nur einen Ochsenkopf hatte. Apollod. l. c. §. 4. So sieht man ihn auch auf den herkulanischen Gemälden T. I. tav. 5. und auf einer Vase beym [1642] Winkelmann Monum. antichi 100. p. 130. vorgestellet. Er war dabey so grimmig, daß ihn Minos in den Labyrinth einsperren mußte, welchen er für ihn durch den Dädalus hatte erbauen lassen, Hygin. Fab. 40. & Diod. Sic. l. c. in welchem ihm denn die sieben Knaben und sieben Mägdchen, welche die Athenienser dem Minos zum Tribute geben mußten, überliefert, und von ihm gefressen wurden, bis ihn Theseus glücklich erlegete. Hygin. Fab. 42. & Plutarch. in Thes. c. 22. Es scheint aber eben nicht unwahrscheinlich zu seyn, daß solcher Minotaurus nichts, als ein Officier des Minos, und insonderheit ein Feind der Athenienser gewesen, der sie auch gezwungen, daß sie besagte Kinder zu gesetzter Zeit zu Sclaven übersenden müssen. Weil nun von ihnen keines wieder nach Athen kam, so glaubete man, daß er sie fräße. Voss. Theol. gent. l. I. c. 14. & Banier Entret. XV. ou P. II p. 120. Noch andere wollen, es habe sich Pasiphae bey einer Krankheit ihres Gemahls, da er ihr nicht beywohnen können, in einen wohlgestalten Jüngling, Namens Taurus, der bey dem Minos in Diensten stund, verliebet und einen Sohn mit ihm gezeuget. Da nun Minos wohl schließen können, daß solcher nicht von ihm sey: so habe er ihn doch nicht wollen hinrichten lassen, sondern ihn den Hirten auf dem Gebirge zugeschickt. Diese erzogen ihn nun zwar: allein, er wollte ihnen bey reifern Jahren nicht unterthänig seyn, sondern wurde zu einem wilden und unbändigen Buben. Minos wollte ihn also wieder zu sich holen lassen, und befahl seinen Unterthanen, sie sollten ihn gebunden bringen, wenn er nicht willig mitgehen wollte. So bald dieses der Jüngling erfuhr, so floh er weiter ins Gebirge, und suchete seinen Unterhalt mit Rauben und Stehlen. Da nun Minos einen andern und stärkern Haufen ausschickete, so machete er sich eine tiefe Grube, oder verwahrete sich dergestalt mit Gräben, daß ihm nicht beyzukommen war, woraus denn das Gedicht von seinem Aufenthalte [1643] im Labyrinthe entstanden. Es ließ ihn also Minos nicht allein daselbst, sondern wenn er einen hatte, den er gern gestrafet wissen wollte, so schickete er ihm solchen zu. Dieß geschah auch mit dem Theseus, den er als seinen Feind gefangen bekommen hatte. Ariadne aber hatte zuvor ein gutes Schwert für denselben dahin bringen lassen, womit er denn den Minotaurus glücklich erlegete. Palæph. de Incred. c. 2. Sonst wird die Geschichte seiner Einsperrung in das Labyrinth und seiner Erlegung noch auf eine ganz andere Art erzählet. Nach dem Tode des Minos nämlich soll dieser Minotaurus zur Regierung gekommen seyn. Weil es sich die Großen des Landes aber für eine Schande hielten, einen König zu haben, der aus einem Ehebruche erzeuget worden, so beriefen sie den Theseus mit dem Versprechen, daß sie ihm die Insel Kreta nebst der Ariadne übergeben, und den Minotaurus in die Hände liefern wollten. Theseus nahm das Anerbiethen an, und schiffete hinüber. Bey seiner Ankunft nahm der kretische Feldherr mit seinen Völkern die Flucht vor ihm, und verließ den Minotaurus zu Gortyna. Dieser merkete die Verrätherey und flüchtete sich nach einem Orte, welcher das Labyrinth hieß. Daselbst versteckete er sich in einer Höhle, welche endlich jemand dem Theseus verrieth, der ihn denn darinnen umbrachte. Cedren. Histor. comp. T. I. p. 122. Sieh Ariadne, Pasiphaë und Theseus.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1642-1644.
Lizenz:
Faksimiles:
1642 | 1643 | 1644