Pvdicitia

[2121] PVDICITIA, æ, Schamhaftigkeit, oder besser Keuschheit, war eine Göttinn der Römer, welche sie in die patricische und plebejische unterschieden. Jene hatte ihren Tempel auf dem Ochsenmarkte, und diese eine Kapelle in der langen Straße. Es wurde solche durch folgende Begebenheit erbauet und dieser Unterschied veranlasset. Als sich Virginia, des Aulus Tochter, aus einem Patriciengeschlechte, mit dem Plebejer, Volumnius, verheurathet hatte, so hielt sich ihre Schwester für; verunehret dadurch, und wollte, nebst den andern Patricierinnen, sie nicht mit in den Tempel lassen. Dieß brachte Virginien auf, und sie errichtete der plebejischen Pudicitia in ihrem Hause einen Altar, forderte die plebejischen Matronen dahin, und ermahnete sie, darauf sehen, daß solcher Altar von keuscheren Frauen, als der Patricierinnen ihrer, bedienet würde; und, wie zwischen den Männern beyder Orden eine Nacheiferung in der Tapferkeit wäre, so möchten sie dergleichen auch unter ihnen in der Keuschheit seyn lassen. Es durfte aber auf keinem von beyden Altären eine andere Frau [2121] opfern, als deren Keuschheit bekannt war, und die nur einen Mann gehabt hatte. Allein, wie endlich solche Tugend unter den Römerinnen vergieng, so verlor sich auch die Verehrung solcher Göttinn. Livius l. X. c. 23. Indessen durfte ehemals ihre Bildsäule keine Frau nur anrühren, welche zween Männer gehabt hatte. Festus l. XIV. p. 393. Die aber mit einem zufrieden gewesen, wurde mit einer besondern Krone der Keuschheit beehret. Valer. Max. l. II. c. 1. §. 3. Man bildete diese Göttinn auf Münzen als eine geschleyerte Frau in einer Matronenkleidung, welche mit der rechten Hand den Schleyer entweder vor das Gesicht zu ziehen oder auch davon weg zu nehmen scheint. Zuweilen ist es nur, als wenn sie bloß die Hand oder den Zeigefinger gegen das Gesicht erhübe. Sie sitzt gemeiniglich auf einem Throne. Agostin. Dialog. II. p. 77. Dabey hat sie oft einen unbeschlagenen Spieß oder Zepter in dem linken Arme liegen, wie auf einer Münze der Herennia Etruscilla; Corrar. num. ær. max. mod. t. 62. der Marcia Otacilla u.a. Croyac. Reg. & Imp. num. t. 58. Auf einigen steht sie, wie auf der Plotina ihrer, wo sie den Schleyer, der ihr wie eine Schärpe um den Leib geht, mit beyden Händen fasset und über den Kopf zu ziehen scheint. Tristan comment. histor. p. 335. Man will sie auch auf einem geschnittenen Steine finden, wo ein bekleidetes Frauenzimmer auf einem Felsen sitzt, und das Gewand oder die Palla, die ihr von der Schulter herabgefallen ist, mit der rechten Hand gegen das Gesicht zu erhebt. Vor ihr steht eine nackende Mannsperson mit einem krummen Stabe in dem linken Arme, welche mit der Rechten eine Person mit einem Thyrsusstabe abwehrt, die sie an die Ohren fasset. Zwischen beyden liegt ein umgestürztes Gefäß. Maffei gem. ant. P. III. t. 65. p. 115. Eben aus dieser Gesellschaft aber hat man gemuthmaßet, daß die erste wohl nicht die Pudicitia seyn könne. Montf. Ant. expl. T. I. P. II. p. 359. Auf einer halb erhabenen Arbeit [2122] soll sie die Person mit Flügeln seyn, welche mit niedergeschlagenem Gesichte und einer Gebärdung voller Abscheu, hurtig von einer andern nur halb bekleideten wegflieht, welche ihr einen Korb mit Früchten, worunter auch ein Phallus ist, gebracht zu haben scheint, und sie jetzt bey ihrem Gewande oder Schleyer zurück halten will. Winkelm. Mon. ant. n. 26. p. 32.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2121-2123.
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