Schwatzhaftigkeit, Klätscherei.

[111] Seid schnell zu hören, aber langsam zu reden, spricht der Apostel, und das ist gar schön und recht gesagt, und wider die, die da immer schnell plappern und sich selbst zum Gelächter machen. Vor der Zunge muß man sich hüten, als vor seinem größten Feinde, denn wiewohl sie klein ist in ihrem Wesen, so ist sie doch überaus groß und schadhaftig in ihrer Kraft. Es ist nichts, das die Gewissen mehr verletzet, denn die Zunge. Unser geliebter Herr drohet uns Matth. 12, 36. daß wir von einem jeglichen unnützen Worte Rechenschaft geben müssen. Das ist ein hartes aber sehr nöthiges Wort wider das schwatzhafte und plauderhafte Wesen. Das haben auch die heidnischen Weltweisen erkannt, daß dem Menschen zwei Augen und eine Zunge gegeben ist, dazu sind zwei Ohren, offen und[111] von aussen in die Weite gekrümmet und gebogen, daß sie gar leichte hören und die Rede in sich schöpfen. Allein die Zunge ist nicht allein verschlossen und verborgen, sondern auch mit einer beinernen Mauer, den Zähnen, umgeben, daß sie sich fein stille und ruhig halte. Wir haben fünf Sinne, und doch können diese nicht so viel eintragen als die Zunge wieder austrägt, denn sie plaudert oft nach Gutdünken, nach Argwohn, nach Meinung und Wahn unnütze Träume oder ander erdichtetes Ding, das nie gewesen ist noch jemals sein wird. – Willst du mit einem gewissen Zeichen einen eiteln und unnützen Menschen erkennen, so siehe, ob er geschwätzig ist. Und wiederum erkennest du einen tapfern rechtschafnen Menschen bei dem Zeichen, so einer ist von wenig Worten aber von vielen Werken, denn solche ernsthaftige Menschen verdreußt es, unnützes Zeug zu plappern und reden gar nicht, sie werden denn aus Gehorsam und Pflicht gezwungen, daß sie reden müssen. Denn es stehet geschrieben, Sprüchw. 10, 19. in vielen Reden wird die Sünde nicht mangeln. Man lieset, daß ein weiser Mann einmal sollte[112] das beste Fleisch kaufen, da kaufte er Zungen. Wiederum, da er sollte das ärgste Fleisch kaufen, kaufte er auch Zungen. Dadurch er zu erkennen gab, daß man könne mit der Zunge viel gutes ausrichten, aber auch sehr viel böses anstiften. Die Zunge macht den Menschen so sündig, daß ihm Gott und Menschen feind sein müssen. Denn wir sehen, daß ein schwätziger Mensch so unwerth und verworfen ist, wenn er schon sonst schön wäre am ganzen Leibe, geschickt und reich, doch hat man einen Abscheu vor ihm; denn wer ist gerne um die schwätzigen und klapprigen Menschen, der nicht einen Greuel an ihnen hätte, und spräche: ei wie wäschig ist er! Jacobus spricht auch: die Zunge ist ein unruhiges Uebel, voll tödtlichen Giftes. Es wäre ein geringes, wenn sie allein unruhig wäre, welches an sich selbst böse ist. Dazu ist sie ach voll tödtlichen Giftes. Es ist nicht auszusprechen, wie viel sie Schaden thun kann. Das siehest du an den Ohrenbläsern, wie tief ihr Gift hineindringt, daß die, welche sie wider einander vergiftet haben, oft schwerlich ihr Lebelang mögen versöhnet werden, ja oft sterben[113] sie, ehe sie sich versöhnen wollen. Nein, sondern so wie wir überhaupt das viele Reden zähmen und bändigen müssen, so müssen wir es thun am allermeisten, wenn es schadhaft für andere werden kann. Wie man ein Exempel lieset von einem klugen Knechte, der von seinem Herrn ausgeschickt ward zu einem andern, daß er ihn sollte heißen aus dem Hauße ziehen. Und als er zu ihm kam, sagte er, sein Herr hätte ihn lassen grüßen. Und da er wieder zu seinem Herrn kam, sagte er, daß jener wollte aus dem Hause ziehen, und gieng also ab und zu, daß der fromme Knecht zwischen den beiden Friede machte, und alle ihre Worte zum Besten wendete. Und das war hübsch und fein! Ist es aber, daß einer das Böse unter zweien von einem zum andern trägt, oder bringet einem etwas zu Ohren, gleich als wäre er desselbigen Freund und des andern Feind; so ist dieser ein zweyzüngiger Ohrenbläser und Stifter der Zwietracht. Da giebt es aber Leute, die nichts auf dem Herzen behalten können, sondern alles, was sie wissen, das muß zum Munde heraus, und wenn sie lieber noch einmal so viel einbüßen[114] und verlieren sollten. Sie sind wie alte Fässer, die kein Wasser halten, und tragen alles hin und her, was sie hier sehen und hören, das sagen sie dort, und was sie dort vernehmen, das plappern sie hier. So geht es hin ihr Lebelang und wissen weiter nichts vorzunehmen, gleich als ob sie dazu berufen wären.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 111-115.
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