[229] Selig sind die Friedfertigen, dieser Spruch sollte an jeder Kammer und Stube, vornämlich an Gerichtsstuben angeschrieben stehen, damit die Leute sich fein daran erinnern und Zank und Streit vermeiden, auch wo sie ihn bei andern ausbrechen sehen, demselben auf alle Art zuvorkommen möchten. Denn das gehört dazu, wenn du friedferdig sein willst, daß du nicht nur allem Zank und Zwist mit deinem Nächsten selbst wehrest, sondern auch zwischen andern Friede zu machen suchest, wo sie in Hader und Zwietracht leben. Da mußt du hingehen, und von beiden Seiten das beste reden, und was du von einem gutes hörest, dem andern zubringen, das Böse aber verschweigen. Wahr ist es wohl, es fangen wohl andere mit uns an, und lassen uns keinen Frieden. Aber kannst du es, Lieber, so trage es ja mit Geduld, und lasse dich nicht die Hitze übereilen, daß du zankest und streitest.[229] Es sei auch, daß er dir deine Ehre schmälert, dich mit einem bösen Worte belegt, oder auch dich um einen Gülden bringt, lasse es fahren dahin, und thue, als hörtest du es nicht, oder als hättest du es nicht gehabt. Der andere will wohl stolz sein, je nun so lasse ihn gehen, und zanke dich nicht mit ihm, du wirst deswegen nicht um deinen guten Namen kommen. Der andere schimpft dich, so schimpfe doch ja nicht wieder, denn sei Schimpfwort wird nicht an dir haften. Und wo du wieder schimpfest und schmähest, so wird der Haß nur ärger und des Streitens wird kein Ende. Du mußt auch nur nicht alles für so böse annehmen, als es den Schein hat, und nicht allemal das ärgste denken. Es kann wohl sein, dein Nächster that es aus Scherz oder Nachläßigkeit und nicht aus Haß und Zorn. Aber da nehmen sie alles aufs ärgste, und so geht der Streit los. Und da will auch keiner einen Finger breit von seinem Rechte abgehen, sondern alles aufs schärfste durchsetzen. Höre, was geschrieben steht I Cor. 6, 7. Es ist ein Fehler unter euch, daß ihr mit einander rechtet. Warum lasset ihr[230] euch nicht lieber bevortheilen und nicht lieber Unrecht thun. Womit gesagt ist, daß ein Christ eher einen Schaden, ein kleines Unrecht ertragen soll, als daß er deswegen Streit anfangen soll. Und wer das nicht thut, der ist kein Christ. Ich wollte dir wohl rathen, daß, wo du deinen Nächsten in Zorn aufgebracht siehest, ihn lieber gehen liessest, aber nachher in sein Haus gehest, und freundlich mit ihm redest, und du kannst hoffen, daß du da vielmehr über ihn vermögen wirst, als in der Hitze. Und so du merkst, daß dein Herz lodern will, so springe nur gleich fort, und thue etwas anderes dazwischen. Darnach überlege, ob dein Nächster verdienet, daß du mit ihm zürnest. Das ist fürwahr ein treflicher Rath, daß du wartest, bis dein Blut sich gekühlet hat, denn in der Hitze thust du nichts als thörichte und schändliche Sachen. Aber da sind gottlose Leute, die noch dazu hetzen und sagen: das darfst du nicht leiden, deine Ehre ist dahin! Das sind aber rechte Kinder des Teufels, und sind ihm darin ähnlich, daß sie Zank und Verderben unter den Menschen stiften.


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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 229-231.
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