Pflichten der Kinder gegen die Eltern.

[293] Die Ehre, die du deinen Eltern nach dem vierten Gebote schuldig bist, begreift drei Stücke. Zum ersten willigen und bereiten Gehorsam und Lust zu allen Dingen, die die Eltern begehren und wollen. Und darfst da nicht erst brummen und murren, so du ihren Willen thust, sondern freundlich und gerne alles thun. Und soll dieser Gehorsam nicht in den Kinderjahren[293] sein, sondern auch wo du schon groß und erwachsen wärest. Fragst du aber: wie wenn sie wider Gottes Gebot etwas wollen, soll ich gehorchen? Nein da sollst du sprechen: wir haben einen Gott, der ist mehr, als du. Zum andern sollst du auch Ehrerbietung vor sie haben, nicht allein von außen in Worten, sondern auch von innen, daß du sie groß achtest in deinem Herzen. Möchte einer fragen: ob man auch arme verachtete, kranke ungestaltete Eltern groß achten solle. Denn daran ärgern sich viele, daß sie sich ihrer Eltern schämen, und thut ihnen wehe, daß sie nicht von reichen, gewaltigen Eltern geboren sind. Wohlan diese sollen gedenken: »hat sich Gott nicht geschämet, daß er mir einen solchen Menschen zum Vater hat geben wollen, warum wollte ich mich denn sein schämen? Hat es den Höchsten so gefallen, daß er in ihm wirken, und mich durch ihn hat schaffen wollen, warum sollte es denn mir misfallen? Darum will ich die Werkstatt meines Gottes ehren«. Also siehest du, fließt die Ehrerbietung nicht aus den Eltern, sondern aus Gott in die Eltern, wenn ich sie[294] als die Werkstatt Gottes ansehe. Wer wollte eines Fürsten Werkhaus verachten? Welch Werk eines Meisters hasset seine Werkstatt, in welcher es gemacht ist. Also auch die Kinder ihre Eltern. Und niemand ist hier ausgenommen, den Eltern solche Ehre zu leisten, er sei so hohen Standes er immer wolle. Wie auch Salomo that 1 Kön. 2, 19. »Er stund auf, gieng seiner Mutter entgegen und betete sie an«. Und solche Ehre soll man den Eltern nicht allein mit Hauptneigen, Hutabziehen, wiewohl dasselbe jetzt auch seltsam ist, geschehen, sondern von ganzem Herzen. Denn Gott spricht nicht: deine Hand, Mund, Zunge, Knie soll Vater und Mutter ehren, sondern: du, das heißet mit deinem ganzen Wesen. Darum sollst du auch gegen keinen Menschen von deinen Eltern böses reden, oder über sie lachen und spotten, welche Sünde schändlicher Natur ist. Lies nur darüber, was Sirach 3, 1–15. spricht. Er hat wohl recht, wenn er saget: Den Vater ehren, ist deine eigene Ehre, und deine Mutter verachten deine eigene Schande. Zum dritten sollen Kinder auch ihren Eltern beispringen und helfen[295] in der Noth, wo sie es bedürfen; auch sie ernähren, wo sie alt und kraftlos sind. Denn wer ein solches Herz nicht hat zu seinen Eltern, der soll wissen, daß er dies Gebot nicht hält. Und sage nur, treibt dich denn nicht dein dankbares Herz an, deinen Eltern das zu thun, was sie dir gethan haben. Ach wie viele Noth, Jammer und Elend haben sie mit dir gehabt, und du wolltest sie nicht auch im Alter pflegen und warten, und lieber selbst nicht essen und trinken, auf daß du nur ihnen gebest, was sie brauchen. Wo du das nicht thätest, siehe so trift dich der Fluch und wärest werth, daß deine Kinder es eben so mit dir machten, und dich im Alter verderben ließen. Denn wie du es machst mit deinen Eltern, so kannst du hoffen, daß es dir wieder gebe. Es giebt wohl wunderliche und grillichte Eltern, aber sie haben dir doch gutes gethan, und darum mußt du Geduld haben, und dich ja nicht an ihnen versündigen. Denn das ist Gott wohlgefällig, und er hat deswegen einen besondern Segen auf dieß Gebot gelegt, damit er anzeigen wollte, wie sehr es halten sollen.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 293-296.
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