Rechte Art zu beten.

[345] Es ist gut, daß man des Morgens lasse das Gebet das erste, und des Abends das letzte Werk sein, und hüte sich mit Fleiß vor dem betrüglichen Gedanken, daß man zuvor dies[345] oder das fertigen wolle. Denn durch solche Gedanken kömmt man vom Gebet in die Geschäfte, die halten und umfangen einen, daß aus dem Gebete nichts wird. Und wiewohl etliche Werke vorfallen können, die so gut wie das Gebet sind, sonderlich, wenn sie die Noth fordert, wie das Sprüchwort lautet: wer treulich arbeitet, der betet zweifältig. Denn ein gläubiger Mensch fürchtet und ehret Gott bei seiner Arbeit, denket an seine Gebote, damit er niemand unrecht thun, stehlen oder veruntreuen wolle. Und solche Gedanken machen ohne Zweifel aus seinem Werke ein Gebet und rechtes Lobopfer Gottes. Von diesem stetigen Gebete saget Christus: man soll beten ohne Unterlaß. Denn man soll ohne Unterlaß sich vor Sünden und Unrecht hüten, welches nicht kann geschehen, wo man Gott nicht fürchtet, wie Ps. 1. sagt: wohl dem, der Tag und Nacht denkt an Gottes Gebote. Wenn nun das Herz durch solch mündlich Gespräch erwärmt und zu sich selbst kommen ist, so bete ein Vater Unser. Aber du sollst wissen, daß ich nicht gerade diese Worte will im Gebete gesprochen haben. Denn[346] da würde doch zuletzt ein Geplapper und eitel Gewäsch herauskommen, wie die Mönche zu beten pflegen. Sondern das Herz muß selbst gereizt werden, Gedanken beim Vater Unser zu fassen. Solche Gedanken aber kann das Herz, wenn es recht zum Beten lustig ist, wohl mit vielen andern Worten, auch wohl mit wenigern oder mehr aussprechen. Und ich auch mich an solche Worte und Sylben nicht binde, sondern heute so, morgen anders die Worte setze, darnach ich warme und lustig bin. Darum liegt die größte Macht daran; daß sich da Herz zum Gebete ledig und lustig macht, wie auch geschrieben steht: bereite dein Herz vor dem Gebete, auf daß du Gott nicht versuchest. Was ist es anders, denn Gott versuchen, wenn das Maul plappert und das Herz anderswo zerstreut ist? Wie jener betete: Gott neige dich zu mir! Knecht hast du ausgespannt? Herr eile mir zu helfen! Magd, gehe und milk die Kühe u.s.w. Welcher Gebete ich mein Tage im Papstthume viel gehört habe und sind noch heut zu Tage viele Gebete der Art. Damit wird Gottes nur gespottet, und es wäre besser,[347] sie spielten dafür, wenn sie ja nichts bessers thun können oder wollen. Ich habe selbst sonst so gebetet, leider! daß der Psalm oder die Zeit aus war, ehe ich gewahr ward, ob ich angefangen oder im Mittel wäre. Und ob sie wohl nicht alle so herausfahren und etwas anderes dabei sprechen, so thun sie doch im Herzen mit den Gedanken also, werfen das hunderte ins tausende, und wenns aus ist, wissen sie nicht, was sie gemacht haben. Sie fangen an: Lobet den Herrn! flugs sind sie im Schlaraffenland, daß ichs dafür halte, es sollte kein lächerlicher Gauckelspiel sein, denn die Gedanken, so ein kaltes unandächtiges Herz unter einander treibt. Aber nun sehe ich wohl, Gott Lob! daß das nicht fein Gebet ist, so einer vergißt, was er geredet hat. Wer mancherlei denkt, denkt nichts. So macht man es auch mit dem Vater Unser. Fürwahr es findet sich, daß es der rechte Meister gestellet und gelehrt hat. Und ist Jammer über Jammer, daß solches Gebet soll also ohne alle Andacht zuplappert werden in aller Welt. Viele beten des Jahres etliche tausend Vater Unser, und wenn sie tausend[348] Jahre also sollten beten, so hätten sie doch nicht einen Buchstaben oder Titel davon geschmeckt oder recht gebetet. Das Vater Unser ist der größte Märtyrer so wohl als der Name und Wort Gottes auf Erden, denn jederman plagt und misbraucht es. Wenig tröstet es und machen davon rechten Brauch. Darum meine ich, daß man lieber vor Tische, des Morgens und Abends gar nicht beten soll, oder mit Verstande und aus dem Herzen und im Herzen.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 345-349.
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