27. Brief.

[181] Wenn ich Dich, lieber Neffe, in meinem letztern Briefe von Dingen unterhalten habe, die zum Theil große Kleinigkeiten sind, ob sie es gleich für Viele nicht sind, so werde ich Dir heute von einem desto wichtigern Gegenstande etwas sagen. Es ist das Spiel, nämlich das Kartenspiel, welches unsere Gesellschaften fast ausschließlich beschäftigt. Es bleibt immer eine[181] armselige, geistlose Beschäftigung: dieß fühlen und gestehen die gescheidtsten Leute; und wenn man es blos in der Rücksicht entschuldiget und vertheidiget, daß es die Konversation alsdann sehr vortheilhaft unterbricht, wenn diese anfängt, langweilig zu werden, oder zur Verleumdung und Medisance herabzusinken, so ist dieß ein sehr schlechtes Kompliment, welches man den Gesellschaften macht.

Es ist mir daher außerordentlich angenehm, daß Du keine Neigung zum Kartenspiel hast und demselben die Conversation vorziehest. Diese edlere Neigung wird Dich vor der Spielsucht und allen jenen fürchterlichen und niedrigen Leidenschaften schützen, die sie zu begleiten pflegen.

Da bey den Hazardspielen, zum Beyspiel, dem Faro, Vingt et un, Trente et quarante, Quinze etc. der Gewinn und Verlust blos vom Ungefähr abhängen und weil man setzen kann, so viel man will, gar nicht zu berechnen sind, so setzen diese Spiele die jungen Leute jederzeit in heftige Bewegungen, reizen sie zu den niedrigsten Leidenschaften, machen sie spiellustig, [182] habsüchtig, ziehen sie von ihren Geschäften, von ihrer ordentlichen Lebensart ab hin zur Lüderlichkeit, zur Geld- und Zeitverschwendung, zum Durchwachen ganzer Nächte, machen sie stumpf und gefühllos gegen alle andere edlere Vergnügungen und verderben sie so an Leib und Seele. Sie sind daher auch in allen wohl regierten Staaten verboten, werden nie in guten Gesellschaften gespielt, sondern in geheimen Winkeln, die man dem Auge der Obrigkeit zu verbergen sucht. Wehe dem Jünglinge, der diese Winkel besucht! Er wird unfehlbar betrogen, lernt selbst betrügen und sein Verderben ist unvermeidlich. Halte daher, lieber Wilhelm, unverbrüchlich das heilige Versprechen, das. Du Deinem würdigen Vater gegeben hast, nie eine Karte bey den Hazardspielen anzurühren. Es kann nie ein Fall eintreten, wo Dich die Pflicht der Höflichkeit nöthigen sollte, dieses Versprechen zu brechen.

Uebrigens ist es eine große Thorheit, Hazardspiele zu spielen. Wenn der Reiche gewinnt, was kann es ihm für Vergnügen machen, daß er Aermern Summen abgenommen hat? Verliert er, so entgehen ihm die Summen, welche er [183] zum Wohlthun, zur Unterstützung der Armuth anwandte, oder anwenden sollte. Spielt der Mittlere, der gerade soviel hat als er braucht, so bringt ihn der Verlust in Unordnung und der Gewinn, der immer seltner ist, als jener, macht ihn nicht glücklicher und wohlhabender. Wenn der Arme spielt, so gränzt dieß an Wahnsinn; er will sich blos noch durch dieses unsichere Mittel retten, und stürzt sich gemeiniglich vollends ganz in den Abgrund des Verderbens hinab.

Die Commerzspiele haben in so ferne einen Vorzug vor den Hazardspielen, daß Geschicklichkeit, Nachdenken, Beurtheilungskraft dazu erfordert wird, sie zu spielen, und daß sie unschädlicher sind, weil Gewinn und Verlust berechnet werden kann, solange sie ihrem Ursprunge und ihrer Bestimmung gemäß gespielt werden. Wenn man aber dabey wettet, wie es oft zu geschehen pflegt, oder wenn man das Ombre spielt, wie es oft unter Herren gespielt wird, so arten sie in Hazardspiele aus und sind nicht besser als diese.

Da es in den besten Gesellschaften Sitte ist, [184] Commerzspiele zu spielen, so rathe ich Dir, wenigstens eins oder zwey solcher Spiele, die die gewöhnlichsten sind, als Whist und Trisette zulernen, damit Du in der Gesellschaft, in welche Du kommst, einen Platz, nach den Wünschen Anderer, ausfüllen kannst. Der Wirth macht Partien und rechnet auf Dich. Kannst Du gar kein Spiel, so kommt die Partie, die er Dir machte, nicht zu Stande, und er weiß nicht, was er mit Dir anfangen soll, zumal wenn er sich selbst zu einer Partie bestimmt hat. In diesem Falle würdest Du wohl thun, später in die Gesellschaft zu gehen.

Beym Spiel nun beobachte folgende Regeln.

Erstlich: Spiel gut. Da jeder Fehler, den Du aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit machst, dem einen oder dem andern Mitspieler Nachtheil bringt und Verdruß macht, so beleidigen alle solche Fehler die Höflichkeit. Das Spiel ist ein Kampf; je besser es gespielt wird, desto mehr Unterhaltung gibt es. Es gehört eine sehr niedrige Gewinnsucht dazu, des Ungeschickten Fehler gerne zu benutzen um ihm das Geld abzunehmen.

Zweitens: Spiele ruhig, gelassen, mit Anstand, mit einer gefälligen Haltung des Körpers, [185] ohne die Hände auf den Tisch zu schlagen und die Arme aufzulegen, ohne Zank, Tadel, Rechthaberey, ohne Klagen und Jammern und zornige Geberden über Verlust, ohne übermäßige und ausgelassene Freude über Gewinn, mit Gleichmüthigkeit, Fassung und kaltem Blute, nie mit ungesittetem Schreyen, störendem Geschwätze und lautem Gelächter.

Drittens: Spiele ehrlich und ohne Gewinnsucht. Sein Geld muß man vertheidigen und nicht verschenken: dieß wäre eine sehr beleidigende, übel angebrachte Uneigennützigkeit. Aber man darf auch nicht mit niedriger Gewinnsucht spielen, und wozu diese gemeiniglich verleitet, jene kleinen betrügerischen Mittel, als, die Karten Anderer ansehen und Ausforschen, sich verstellen, sich Winke geben etc. anwenden, um seinen Gewinn zu vermehren. Es gibt wohl Personen, sogar Damen, die gerne falsch spielen. Rüge den Betrug nicht auf der Stelle, aber suche in Zukunft die Partien mit solchen Personen auf eine gute Art abzulehnen, die Höflichkeit gebietet nicht, der Betrogne Anderer zu seyn.

[186] Endlich: Spiele nach Deinen Vermögens um ständen und jederzeit lieber niederes, als hohes Spiel, um nicht zuviel zu verlieren, und nicht zuviel zu gewinnen; beydes ist für Dich und Andere unangenehm. Der wohldenkende, edle Mann gewinnt weder gerne viel, noch verliert er gerne viel. Es ist besser, diejenige Gesellschaft, wo hohes Spiel gespielt wird, zu meiden, als sich zu ruiniren oder auch nur in Unordnung zu bringen Indeß was Du verloren hast, bezahle sogleich und bleibe nie etwas schuldig. Es soll hie und da Personen, sogar Damen geben, die ihren Verlust gerne schuldig bleiben. Mit solchen Personen vermeide das Spiel; es würde eine sehr lächerliche Höflichkeit seyn, ihnen auf so eine Art immer Geschenke zu machen.

Du siehest also, lieber Wilhelm, daß Du nur im Nothfalle spielen sollst. Tritt dieser nicht ein, so hast Du edlere, schönere Unterhaltungen, um Dir die Zeit mit Andern auf eine angenehme Art zu vertreiben. Mußt Du aber spielen, so beobachte jene Regeln aufs strengste; im Spiele lernt man eines Menschen Gesinnungen, [187] Neigungen und Charakter am meisten kennen. –


** den 30. Nov. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 181-188.
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