29. Brief.

[193] Noch will ich Dir, lieber Wilhelm, einige Bemerkungen über ein wichtiges Verhältniß mittbeilen, in welchem Du Dich oft mit Andern befinden wirst. Es ist das Briefschreiben. Da ein Brief nichts anders ist, als eine schriftliche Unterredung mit einem Abwesenden, so hast Du dabey eben dasjenige zu beobachten, was Du bey einer mündlichen mit einem Gegenwärtigen beobachtest. Hier erscheinst Du mit einem gefälligen Anstande, trägst Deine Sache natürlich und kurz vor, mit einem guten, richtigen, deutlichen und edlen Ausdrucke. Eben dieß thust Du bey einem Briefe.

Was daher erstlich den Stil betrift, so muß er sich durch Deutlichkeit und Bestimmtheit, durcheine natürliche Leichtigkeit und Simplicität, durch Kürze und durch einen edeln Ausdruck auszeichnen, so wie bey der Konversation; nur muß hier mehr Anordnung und Zusammenhang der Ideen Statt haben. Eben so wie bey dieser, muß die Wahl der Worte und der Wendungen nach den Personen eingerichtet werden, an die man schreibt; anders schreibt man an [193] seinen Freund, anders an Höhere, anders an Niedere. Daß Du übrigens durchaus orthographisch und correct schreiben wirst, dieß brauche ich nicht zu erinnern, da Du über die Fehler hierin weg bist und weißt, daß man heutzutage sie keinem Menschen, der nur einige Bildung haben will, zu verzeihen pflegt.

Was das Aeußere des Briefes betrift, so erfordert der Anstand Schönheit und Reinlichkeit des Papiers, eine vollkommen leserliche, wo nicht schöne, doch durchaus sich gleiche, wohl in die Augen fallende Schrift, doch ohne jene schreibemeisterschen Zierathen, die eben so unnütze sind, als die Verbrämungen auf einem Kleide. Nur sauber und nett muß alles seyn. Ein ausgestrichenes oder radirtes Wort, eine mit schlechter Dinte beschriebene oder mit Sande bestreute Seite, ein Dintenfleck, eine krumme Zeile, ein unleserliches oder abgekürztes Wort, alles dieß macht einen eben so widrigen Eindruck, als ein gefliktes oder schmutziges Kleid oder sonst ein Uebelstand im Aeußern der Person, mit dem man erscheint, und kann nicht anders, als eben so, wie dieses, mißfallen. Um alle diese Fehler zu vermeiden, und zugleich Deinen Stil so zu berichtigen, daß Du kein Wort niederschreibst, was Dich nachher gereuen könnte, rathe ich Dir, zumal bey wichtigern Briefen, Dir vorher ein Concept zu entwerfen, es [194] genau zu übersehen und zu verbessern, und dann den Brief davon abzuschreiben.

In der sogenannten Courtoisie und Titulatur richtest Du Dich nach der hergebrachten Gewohnheit. Es kommt uns so wenig zu, Jemanden einen eingeführten Titel zu versagen, als eine jede andere conventionelle Sitte aufzuheben. Freunde, die auf einem familiären Tone mit einander stehen, erlassen sich mit Rechte alle Titulaturen; aber gegen keinen Andern, mit dem dieser Ton nicht Statt haben kann, darf man sie weglassen; gegen Höhere nur dann, wenn sie es ausdrücklich befehlen.

Jeden Brief, in welchem Du nie das Datum vergessen wirst, schlage einfach, ohne Künsteley, in ein Konvert zusammen, welches jederzeit mit Siegellack, nie mit Oblate, zu siegeln ist. Jeden Brief schicke lieber durch die Post, als durch Gelegenheiten, bey denen sie oft verloren gehen oder doch zu späte abgegeben werden.

Alle erhaltene Briefe verschließe sorgfältig, bis Du sie beantwortet hast. Einen jeden, den Du beantwortest, lege vor Dich, damit Du keinen einzigen Punkt übersiehest und weglässest, wie es immer denen gehet, welche die Briefe aus dem Kopfe beantworten. Die beantworteten und zum Aufbewahren nicht bestimmten vertilge bald, damit sie nie in [195] unrechte Hände kommen. Es ist hieraus mancher Verdruß und manches Unglück entstanden. –


** den 24. Dec. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 193-196.
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