Gerichtshof der Liebe.

[147] Diese Anstalt gehört in die abentheuerlichen Ritterzeiten des Mittelalters, wo sie im zwölften Jahrhundert im südlichen Frankreich, im ehemaligen Provence und Languedoc, entstand, bis ins funfzehnte fortdauerte, und noch im sechszehnten Nachahmer und Verehrer fand. Da unter den Rittern und ihren Damen häufig verliebte Zwiste ausbrachen, und unauflösliche Fragen über wahre Galanterie vorfielen; so dachte man darauf, wie man durch Errichtung eines höchsten Tribunals, dessen Entscheidungen in Sachen der Liebe volle Rechtskraft haben sollten, diesem Uebel abhelfen könnte. Mannhafte Ritter und andre angesehene Männer, für welche eine lange Erfahrung in dieser delicaten Materie sprach, wurden [147] als Richter angestellt, und ihren richterlichen Aussprüchen, welche man nach Art der Parlaments-Decrete Arrets d'Amour nannte, ward ohne Murren Gehorsam geleistet. Man sammelte diese Aussprüche, und einige berühmte Rechtsgelehrte bereicherten sie mit ansehnlichen lateinischen Commentaren. Die bekannte Isabelle von Baiern, Gemahlinn des französischen Königs, Karls des sechsten, errichtete im Jahre 1380 unter dem Namen einer Cour d'Amour eine ähnliche Anstalt, wobei alle Hofchargen nachgeäfft und mit Männern des ersten Ranges besetzt wurden. Die ewig wiederholten Erzählungen von den Qualen und Seeligkeiten der Liebe machten auch hier den Hauptgegenstand der Unterhaltungen aus, und wurden mit einem lächerlichen Ernst als Sachen der größten Wichtigkeit behandelt.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 147-148.
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