Glückwunsch beim Niesen.

[148] Der Gebrauch, jemanden Glück zu wünschen, wenn er nieset, ist so alt, daß, schon zu Alexanders des Großen Zeit, Aristoteles seinen Ursprung[148] nicht angeben konnte. Er glaubte, den ersten Grund dazu in der religiösen Verehrung des Kopfs, als des vornehmsten Theils des menschlichen Körpers, zu finden, wo sich zuletzt die Ehrfurcht bis auf eine der Hauptwirkungen des Gehirns, das Niesen, ausgedehnt habe. Die Fabellehre half sich auf eine leichtere Art. Prometheus, sagte sie, als er den ersten Menschen schuf, fing einige Sonnenstralen in einer gläsernen Flasche auf, und hielt sie der Statue unter die Nase. Die Stralen drangen durch alle Fibern des Gehirns, verbreiteten sich durch alle Nerven und Adern des Körpers, und das erste Lebenszeichen, das die Statüe von sich gab, war, daß sie niesete. Voll Freude über den guten Erfolg, rief ihr Prometheus seinen Glückwunsch zu, und dies machte bei dem neuen Menschen einen so lebhaften Eindruck, daß, zum Gedächtniß dieser freudigen Begebenheit, sich die Gewohnheit auf alle seine Nachkommen fortpflanzte. Die Rabbinen behaupten eine andre Ueberlieferung. Nach dieser gab Gott gleich nach der Schöpfung das allgemeine Gesetz, daß der Mensch nur einmal [149] in sei nem Leben niesen, und in eben dem Augenblicke ohne weitre Krankheit des Todes seyn sollte. Es blieb auch die einzige bekannte Todesart bis auf Jacob's Zeiten. Allein dieser fromme Patriarch, der nicht so schnell und unvorbereitet die Welt zu verlassen wünschte, demüthigte sich vor Gott, und bat, ihn damit verschont zu lassen. Gott erhörte sein Gebet, er niesete, und starb nicht. Nothwendig mußte eine solche Abweichung, von dem seitherigen Gesetze, eine allgemeine Verwunderung hervorbringen, nichts war also natürlicher, als daß man in Zukunft, so oft jemand niesete, ihm zurief: Wohlbekomme es! – Das gewöhnliche Compliment der alten Griechen war: Lebe! oder Jupiter helf! Bei den Römern war es: salve! Sie beobachteten es nicht nur bloß gegen andre, sondern auch gegen sich selbst, wenn sie allein waren. So sagt ein altes Epigramm von der großen Nase eines gewissen Proclus, ihre Spitze liege so weit von seinen Ohren entfernt, daß er nicht einmal höre, wenn sie niese, um das Jupiter helf! zu sich sagen zu können.

[150] Die Quäker sind die einzigen unter allen bekannten Bewohnern der Erde, welche diese Gewohnheit nicht befolgen. Denn man findet diese Höflichkeitsbezeugung in allen Welttheilen, im äußersten Asien wie in Amerika, wo doch die Gewohnheiten der Römer und Griechen nicht hingedrungen sind. Wenn der König von Monomotapa niest, wird es sogleich in der ganzen Stadt durch gewisse Zeichen, oder Gebetformeln, die man laut ablieset, bekannt gemacht, und alles erschallt von dem Zurufe der Einwohner. Wenn der Cazike von Gnachuja niesete, sagt der Geschichtschreiber der spanischen Eroberung von Florida, neigten sich die Indianer vor ihm, streckten ihre Hände aus, und baten die Sonne, ihren Fürsten zu beschützen, ihn zu erleuchten, und jederzeit mit ihm zu seyn.

Bald mischten sich Aberglaube und Vorurtheil mit ein, und man schrieb dem Niesen gewisse Deutungen und Ahndungen zu. Wer des Morgens beim Aufstehen niesete, mußte sich den Tag über wohl in Acht nehmen. In den Stunden [151] von Mittag bis Mitternacht war es gut, in den übrigen aber unglücklich, zu niesen. Einer Dame zu sagen, »daß die Liebesgötter bei ihrer Geburt genieset hätten,« war eine feine Schmeichelei bei griechischen und römischen Dichtern. Als Penelope ihren dringenden Freiern den Korb gab, und die Götter um Ulysses's baldige Rückkehr bat, niesete Telemach so heftig, daß das ganze Gemach erschütterte, und Penelope und der ganze Hof die Erfüllung ihrer Wünsche nicht mehr fern glaubten.

Bei einer Anrede, die Xenophon an seine Armee hielt, niesete ein Soldat in dem Augenblicke, als er sie zu Fassung eines gefährlichen Entschlusses aufforderte. Das ganze Heer nahm dies für ein von den Göttern gegebenes Zeichen an, und Xenophon brachte Dankopfer. Noch jetzt pflegt der gemeine Mann »eine Sache beniesen« für ein gutes Zeichen zu halten. Vielleicht liegt der Grund der Begrüßungsmode in der Physik, deren Gesetze unwandelbar sind. Das Niesen ist eine gewisse Reinigung des Gehirns, und von jeher als ein Zeichen seiner natürlichen Wärme, [152] Kraft und guten Einrichtung, und in manchen Krankheiten als eine glückliche Crisis angesehen worden, und in dieser Rücksicht verdient das Niesen allerdings ein Compliment von den Umstehenden.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 148-153.
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