Gottesgericht[153] 1 (Rea und Ramsey).

Ein Gottesgericht im siebenzehnten Jahrhundert ist eine Sonderbarkeit; aber unter den Widersprüchen, die in der Welt herrschen, ist es einer der seltsamsten, daß die philosophischste Nation das letzte Beispiel des barbarischen Vorurtheils gegeben hat.

Mylord Rea und David Ramsey, zwei Schottländer, trafen sich in Deutschland bei der Armee des Marquis von Hamilton, dem Karl I. die englischen Hülfstruppen anvertrauet hatte, welche er dem Könige von Schweden [153] zuschickte. Hier, behauptetete Rea, habe Ramsey ihn bereden wollen, an einem Vorhaben, die Schotten zu empören, um Hamilton zum Könige auszurufen, Antheil zu nehmen; er habe sogar die Gesundheit des künftigen Monarchen, unter dem Namen Jakob's VIII., ausgebracht. Bei seiner Zurückkunft in London gab Rea die Reden Ramsey's an; da sie aber ohne Zeugen gehalten waren, bat er, der edle Angeber, um Erlaubniß, den unedlen Ritter vor ein Ehrengericht zu laden, um seine Klage mit den Waffen in der Hand zu behaupten.

Die Bitte ward zugestanden, und ein Gericht ausgeschrieben, um den Prozeß (nach den Gesetzen der Waffen) zu entscheiden. Das Gericht bestand aus dem Großkonstabel, dem Kronmarschall, elf Pairs und einem Ritter.

Der Lord Marschall eröffnete es mit einer Rede, um zu beweisen: daß diese Procedur des Rittergerichts dem strengen Rechte eben so gemäß sey, als die irgend eines andern Gerichtshofes des [154] Reichs. Nach ihm stellte ein Doktor des Rechts eine gelehrte Untersuchung über das Alter, die Gerichtsbarkeit und die Nothwendigkeit des Rittergerichts an, besonders im Falle eines Landesverraths, wenn sonst die Wahrheit nicht an den Tag gebracht werden könne.

Man erröthet mit Recht eben so sehr über den Mißbrauch, den die Menschen von ihren Kenntnissen und ihrem Verstande machen, als über die Ehrerbietigkeit, wie die Formen behandelt werden, die nur der Unsinn an die Hand geben kann. In ganz England fand sich keiner, der über diesen Gerichtshof lachte. Fast alle hielten ihn für ehrwürdig.

Die Parteien wurden in die innern Schranken des Gerichts gerufen, und ihre gegenseitigen Bitten vorgetragen. Man las das Cartel des Anklägers. Es lautete folgendermaßen:


»Im Namen Gottes2, Amen! Vor [155] Euch, erlauchte Herren, klage ich, Lord Rea, dich an, und fordre dich David Ramsey, Esquire, als den, der die vorgedachten Reden im Mai und Junius 1630 gegen mich gehalten hat. Und wenn du sie läugnest, sage und behaupte ich, daß du, Ramsey, ein Verräther seyest, und offenbar lügst. Und wenn die That nicht anders bewiesen werden kann, erkläre ich mich bereit mit der Hülfe Gottes, meine Anklage und die Anforderung, die ich an dich thue, Leib gegen Leib, nach den Gesetzen und Gebräuchen der Waffen, in einem Zweikampfe, in Gegenwart unsers gnädigsten Herrn, des Königs, zu rechtfertigen und zu beweisen.«


Nach geschehener Verlesung warf der Ankläger in die Mitte des Gerichts einen rothen Handschuh, zum Zeichen der Befehdung. Der Angeklagte antwortete:


»Im Namen Gottes, Amen! Und ich, David Ramsey, Ritter, Vertheidiger, ich sage und behaupte, daß alles, was in der [156] benannten Anklage und Ausforderung enthalten ist, falsch und boshafter Weise gegen mich und gegen die Wahrheit erdichtet und geschmiedet sey. Und in so ferne du, Donald Lord Rea, es behauptest, sage und erkläre ich, daß du gröblich lügst, daß du ein unverschämter Verläumder bist, daß du verdienst, als ein Verfälscher und Verräther bestraft zu werden. Auch erkläre ich mich bereit, mit Hülfe Gottes, das, was ich zu meiner Vertheidigung vorgebracht habe, Leib gegen Leib, nach den Gesetzen und Gebräuchen der Waffen in einem Zweikampfe, vor unserm gnädigsten Herrn, dem Könige, zu beweisen und zu rechtfertigen, indem ich das Gericht unterthänig bitte, und eifrigst wünsche, daß der Ort und der Tag zum Zweikampfe ohne Verzug bestimmt werden möge.«


Nach dieser Antwort warf der Angeklagte einen weißen Handschuh in die Mitte des Gerichtshofes, zum Zeichen des Kampfes.

Ein Waffenkönig nahm die beiden Handschuhe auf, und überlieferte sie in die Hände des Constabels, [157] der sie dem Protokollhalter des Hofes zur Verwahrung gab.

Der Oberkonstabel befahl hierauf, daß der Kläger und der Angeklagte verhaftet werden sollten. Für beide traten Bürgen auf, einer für Lord Rea, zwei für David Ramsey. Sie erboten sich, mit ihrer Person dafür zu haften, daß die beiden Kämpfer sich zu Gericht stellen, und sich nicht eher schlagen sollten, als der Gerichtshof sie dazu bevollmächtigen würde. Sonderbare Bürgschaft; als ob durchaus sich einer schlagen müssen, selbst wenn die eigentlichen Streiter ausgeblieben wären!

Nun schritt man zum rechtlichen Verfahren. So seltsam mischte man alles durcheinander, daß nie nach einem festen Grundsatze gehandelt wurde. Rea wollte nicht weniger als sechszehn Rechtsbeistände, die er aus Grafen, Vicomten, Baronen, Pairssöhnen, Rittern und Doctoren wählte. Ramsay, immer weit einfacher, als sein Gegner, begnügte sich mit Einem Rechtsfreunde, dem Doktor Eden.

[158] Man hörte Zeugen über Reden ab, die unter vier Augen vorgefallen waren. Das war die Form, an der hing man. Man sagte, um sie zu entschuldigen, daß die Aussagen Umstände angeben könnten, welche die angeblichen Reden mehr oder weniger glaubwürdig machten.

Mehrere Tage gingen mit diesen Proceduren hin. Einer der Doktoren hielt auf's neue eine Rede, die ernsthaft zu dem Schlusse führte, daß ein Zweikampf die Ungewißheit heben und die Wahrheit entdecken könne. Der Oberkonstabel nahm die hingeworfenen Handschuhe, steckte die Fehde in den einen, die Antwort in den andern, hielt jenen in der rechten, diesen in der linken Hand, legte sie hierauf bei einander, bog sie zusammen, und sprach so, feierlich, folgendes Urtheil.


»Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, der heiligen und anbetungswürdigen Dreieinigkeit, die da eins ist, und des einigen Gottes und Richters des Kampfes. Wir, die wir hier seine [159] Stellvertreter sind, unter dem ganz vortrefflichen Fürsten in Jesus Christus, unserm gnädigsten Herrn, dem Könige, der uns hiezu befehliget hat, Wir lassen euch, Donald Lord Rea, Befehder, und euch, David Ramsay, Ritter, Befehdeten, zum Zweikampfe zu, über die Klage, so wie auch über die Antwort, so wie sie in diesen Schriften enthalten sind, und wir bestimmen auch hiezu den zwölften Tag des nächstkommenden Monats, zwischen Sonne und Sonne auf dem Felde Tüttlefield in Gegenwart unsers gnädigsten Herrn, des Königs, damit jeder von euch nach allen seinen Kräften seine Sache behaupte.«


So ungedacht konnten die Menschen entscheiden, die sich berufen glaubten, über Menschen zu urtheilen, oder gar zu herrschen. Wie tief kann die Menschheit in ihren edelsten Kräften sinken!

Dem Lord Rea ward bis zum Tage des Zweikampfs die Westseite der Stadt, und Ramsay [160] die Ostseite angewiesen. Das Gericht bestimmte den Ort, und die Anzahl, Größe oder Maaß der Waffen, die aus einem langen und kurzen Degen, einer Lanze und einem Dolch bestanden.

Man beschied die Parteien an einem Tage vor dem Kampfe, um zu hören, ob sie noch etwas vorzubringen hätten. Lord Rea bat um Erlaubniß, auf dem Kampfplatze ein verschlossenes Zelt zu haben, daselbst trinken, essen, und alle seine Bedürfnisse befriedigen zu können; er verlangte außerdem Nägel, Hammer, Eisendrath, Pfriemen und Meißel, Rathgeber mit ihrem Rathe, einen Schneider mit Nähnadeln, einen Waffenschmidt mit Werkzeuge, einen Wundarzt mit Salben. Auch wollte er auf dem Kampfplatze seine Waffen versuchen, anlegen, ablegen, und andre Vertheidigungswaffen zu Hülfe nehmen können, und, wenn er unterliegen sollte, in geheiligter Erde begraben werden. Ferner bat er, den Kampfplatz den Tag vor dem Kampfe untersuchen zu können. Seine Anträge waren ohne Ende. Ramsay faßte sich kürzer: er forderte einen Raufdegen, [161] einen Dolch und um Beschleunigung des Tages zum Zweikampfe.

So weit war das barbarische Possenspiel gediehen; schon war die allgemeine Neugierde rege; der Pöbel, der seinen Genuß nicht auf der Waage des Guten und Schönen abwiegt, lief dem Reize der Neuheit zu, und vergaß die Barbarei über dem Ungewöhnlichen. Zum Glück ward alles zum Blendwerke. Der König setzte erst den Tag des Kampfes einen Monat weiter hinaus, und untersagte ihn hierauf gänzlich, nahm seinen Auftrag zurück, und ließ das Rittergericht auseinander gehen. Die beiden Kämpfer wurden in den Tower gebracht, und nicht eher entlassen, als bis sie versprochen hatten, nichts gegen einander zu unternehmen. Hamilton und Ramsay erhielten ihre Würde wieder, Rea verlor seine Stelle in der Armee.

Fußnoten

1 Des Grafen von Tolendal Essai sur la vie de T. Wentworth, comte de Strafford. London 1765.


2 Welche Blasphemie gegen die Quelle der Wahrheit und der Vernunft!


Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806.
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