Kalw's Stiftung.

[192] Unter den sonderbaren Stiftungen, zu welchen Aberglaube und Bizarrerie im Mittelalter so manchen verleitete, zeichnet sich eine aus, die Anshelm Graf von Kalw, zu einem immerwährenden Andenken, oder auch als Sühnopfer für etwanige Vergehungen, im dreizehnten Jahrhunderte errichtete, und die in einem jährlichen Gastmale bestand. Sie bezeichnet den Geist des Zeitalters zu deutlich, als daß sie nicht hier eine Stelle verdienen sollte.

An dem Wurmlinger Berge zwischen Rotenburg und Tübingen stand ein altes Kloster, [192] dessen Bewohner Percipienten und Executoren der Stiftung waren. Der Wardian dieses Klosters mußte nun, vermöge des Stiftungsbriefes, allemal Montags nach dem Feste aller Seelen, von einigen Klosterbrüdern begleitet, den benachbarten Wurmlinger Berg besteigen. An dem Thore des Klosterkirchhofes, der auf dem Berge lag, fand er dann allemal einen Wagen klein gespaltenes Holz, einen Sack guter Kohlen, ein Fuder Heu und auf diesem eine kastanienbraune Gans vor, welches alles von den Unterthanen des Grafen, auf dessen Güter die Stiftung vermuthlich angewiesen war, herbeigeschaft wurde. Die Gans bekam der Bauer, welcher das Heu gefahren hatte, von den Klosterleuten bei der Uebergabe der Naturalien zum Geschenk. Ueberdieß wurden eine dreijährige fette Kuh, drei gemästete Schweine, nämlich ein junges Spanferkel, ein einjähriges und ein zweijähriges, herbeigeschaft. Diese Thiere mußten vorher von einem Fleischer untersucht und ihre Güte erwiesen werden. Ferner dreierlei Bier, jähriges, zweijähriges und dreijähriges. Weil aber dergleichen Bier seltner war, [193] als Wein, so wurde die Stiftung mit allerseits Interessenten Zufriedenheit dahin abgeändert, daß man statt des Biers dreierlei Wein, nämlich rothen, alten blanken und jungen blanken Wein nahm. Ebenfalls mußte dreierlei Brod vorhanden seyn, Semmel, Weizen- und Roggenbrod.

Hierauf mußten alle Personen, die dabei interessirt waren, sogar der Koch und Fleischer, einen Eid schwören, daß sie nicht das geringste von allen diesen Dingen zu einem andern Gebrauche verwenden wollten, als den der Stiftungsbrief vorschrieb.

Einige Tage nachher ging die Schmauserei selbst an, wobei alle Gäste, wozu unter andern auch die Tübingische und Rothenburgische Geistlichkeit gehörte, bei Strafe eines Viertel Dünkels, in Trauerkleidern auf dem Berge erscheinen mußten. Jeder Geistliche durfte seinen Küster mitbringen, auch konnte ein Klosterherr, der von rechtswegen Theilnehmer an dem Gastmale war, jeden wohlgekleideten Mann, der ihm unterweges begegnete, [194] zu Gaste laden. Jedem, der zu Pferde kam, wurde ein neues hölzernes Gefäß, in welchem ein Viertel Hafer für das Pferd befindlich war, und ein neuer Strick, den Gaul anzubinden, gereicht, und jeder durfte dieses Präsent als ein Andenken an den Schmaus und an den Verstorbenen mit nach Hause nehmen.

Sobald alles beisammen war, mußten sämmtliche Geistliche ihre Füße entblößen, die Kapuzen über die Köpfe ziehen, und sich zu dem Grabe des Stifters verfügen. Hier wurde nun Gottesdienst gehalten, Messe gelesen, und der Name des Stifters, seiner Gattinn und Kinder laut proclamirt. Doch verordnete der Stiftungsbrief ausdrücklich, daß bei diesen religiösen Handlungen sich ja keiner von Traurigkeit sollte übernehmen lassen; vielmehr sollte der Wardian, oder sonst jemand, dann und wann in die Küche gucken, und zusehen, ob dort alles gut von Statten gehe und das Essen bald fertig sey.

Die Vorlesung des Testaments machte den Beschluß von den trockenen Solennitäten, und nun lud der Abt sämmtliche Anwesende nochmals [195] feierlich zum Schmause ein. Unterdessen, heißt es in der Urkunde, daß sich die Geistlichen becomplimentiren und um den Vorrang streiten würden, sollte der Wardian das Fell der geschlachteten Kuh auf den Kirchhof ausbreiten, um welches sich dann die Aussätzigen (deren es damals noch von den Kreuzzügen her in Deutschland gab), die von dem Feste profitiren wollten, lagerten. Sodann ging er wieder zu den vornehmern Gästen, höhlte eine Semmel aus, und präsentirte sie jedem Anwesenden zu einer Collecte für die Armen, welche draussen auf der Kuhhaut speisten. Nunmehr wurden die dreierlei Arten von Brod und Wein nebst den gebratenen Schweinsköpfen aufgetragen. Was von dieser Tracht übrig blieb, erhielten die Mitesser auf dem Kirchhofe. – Jetzt kam frisches Brod, Wein und Gänseklein (klee), alsdann gesottene Hühner, Rindfleisch, Fische und Braten. Alles was von diesen Gerichten übrig blieb, wurde ebenfalls unter die auswärtigen Gäste vertheilt. Hierauf erschienen gesottene Fische in einer Gewürzbrüh mit zweierlei Brod, nämlich Semmel und Weizenbrod, aber dreierlei Wein.

[196] Nach diesem Gange wurde abermals frisches Brod und Wein, und für je zwei und zwei Gäste eine gebratene Gans aufgetragen. Dieses Gerichte war das sonderbarste; denn in jeder gebratenen Gans steckte ein gebratenes junges Huhn, und in diesem wieder eine Bratwurst. Man sieht, wie sehr auf die heilige dreifache Zahl Rücksicht genommen wurde. Von diesem starken Gerichte erhielten besonders die dii minorum gentium, die Kirchner, Meßdiener und dergleichen, nach Belieben ihrer Vorgesetzten: die Ueberbleibsel aber kamen an die Armen. Zuletzt erschien der Nach tisch, Käse, Kuchen, Trauben, Nüsse, Aepfel und Birnen. Außer dem Antheile, den die Armen hiervon bekamen, erhielten sie noch überdies eine Suppe, Fleisch, eine Pfefferbrühe und jeder einen Becher Wein.

Die Schmauserei mußte ziemlich bis an den Abend dauern, weil in dem Stiftungsbriefe keines Abendessens für die Gäste gedacht wird, dahingegen derselbe ausdrücklich verordnet, daß das Gesinde des Abends Fleisch mit einer Brühe und [197] jeder überdieß noch zehn Schillinge erhalten sollte.

Nach geendigter Mahlzeit wurde ein feierliches Gericht über die Frage gehalten, ob auch alles nach dem Willen des Stifters veranstaltet gewesen sey? wobei jeder das Recht hatte, seine Anmerkungen zu machen. Gemeiniglich aber kamen dergleichen nicht vor, weil eines Theils der Appetit der Gastgeber selbst dabei interessirt war, daß nichts fehlte, andern Theils die Höflichkeit der Gäste kleine Mängel gern übersah. Wenn niemand aufstand, der etwas zu rügen hatte, sprach der Dechant den Abt und das ganze Convent durch ein feierliches Urthel von aller Klage los. Die nochmalige Vorlesung der Stiftungsurkunde beschloß das Fest.

Sobald, heißt es darin, selbige in einem wesentlichen Theile verletzt würde, sollte sie eo ipso cassirt seyn, und alle darauf angewiesenen Fonds dem der Zeit lebenden ältesten Grafen von Kalw heim fallen. Die hierbei ebenfalls ausdrücklich vorgeschriebene[198] Ceremonie war eben so sonderbar, als die ganze Anstalt. Der Graf sollte nämlich, wenn er sie einzuziehen gedächte, zu Pferde an den Wurmlinger Berg kommen, sich in den Steigbügeln in die Höhe richten, und einen Goldgülden mit aller Macht über den Thurm der Klosterkirche hinschleudern.

Diese seltsame Stiftung erhielt sich auch wirklich bis gegen das Jahr 1530, wo die allgemeine Revolution in Kirchensachen ihr und andern ähnlilichen Instituten ein Ende machte. Noch in neuern Zeiten haben sich Attestate vorgefunden, welche die für die Aufrechthaltung der Fundation besorgten Capitularen sich von ihren Gästen ausstellen ließen, und welche bescheinigen, daß der Willensmeinung des Stifters in allen Puncten nachgegangen worden sey.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 192-199.
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