6.


[288] Ich mußte zum großen Erstaunen der Breslauer Theaterdirection die Thatsache dieses ämtlichen Reiseverbotes bekannt geben, um dadurch mein Nichterscheinen vor dem Verdachte eines Wortbruches zu schützen.

Stöger, Director des städtischen Theaters in Graz, hatte mich aufgefordert, zum Gastspiele nach Graz zu kommen und ein Lohnkutscher brachte mich in drei Tagen von Wien dahin! Drei Tage von Wien nach Graz! Was sagt wohl die Generation der Eisenbahnzeit dazu?

Ich kann dem Aufenthalte in der »ville des grâces sur les bords de l'amour«, wie das Calembourg jenes entzückten Franzosen lautet, nicht genug danken. Die balsamischen Lüfte in diesem großen Garten, der sich Steiermark nennt, hauchten Frieden in meine stürmische Brust und ließen mich die Widerwärtigkeiten des verflossenen Theaterjahres fast ganz vergessen. Das Grazer Publicum mit seiner Liebens würdigkeit trug nicht wenig dazu bei, diese Stimmung zu befestigen, ich gewann dort neue Freunde, ich lernte Prokesch-Osten, Doctor Pachler kennen und diese Tage wurden mir so unvergeßlich, daß sie in jeden späteren Besuch an der Mur freundlich hinüberleuchteten.

Das Grazer Theater nahm damals einen sehr her vorragenden Platz unter den österreichischen Provinzbühnen ein.[288]

Stöger, eine intelligente Natur, ein Mann, mit dem Wesen der Bühnenwelt innig vertraut, vereinigte unter seinem Commandostabe eine Anzahl sehr tüchtiger Schauspieler und Sänger. Hier fand ich bei meinen mehrmaligen Gastspielen die Damen Herbst, Liebich, Berwison, Caroline Müller, Neumann (Lukas), Dunst, so wie die Herren Nestroy, Posinger, Bergmann, Rettich und Pöck als Anfänger.

Stöger machte mit meinen Gastrollen sehr gute Einnahmen und speculirte auf die größte für meine Beneficevorstellung. Ich mußte seinem Verlangen nachgeben und sang zum letzten Male den Don Juan. Die Mühe, die es mich kostete, meine Gesangstimme binnen wenigen Tagen wieder dergestalt in die Gewalt zu bekommen, um mit Ehren bestehen zu können, hat mich jedoch zu dem Entschlusse gebracht, die Gesangswelt für immer zu meiden, um so mehr als ich bemerkte, welche Anstrengung es kostete, mein Sprachorgan wieder in statum quo ante zu versetzen, als ich zwei Tage später den Wallenstein zu spielen hatte. Meine Ansicht mag Gegner finden, aber ich behaupte, so lange bis ich von Männern der Wissenschaft ad absurdum geführt werde, daß sich Sprach-und Singorgan feindlich gegenüberstehen. Die Ausbildung des einen ist auch der Untergang des anderen. Der Schauspieler mag von einer früher besessenen Singstimme so viel conserviren, um ein Liedchen oder ein Couplet recht artig vorzutragen, aber eine operistische Leistung nach den heutigen Anforderungen kann er nicht liefern.

Man sehe nur den bedeutenden Gesangskünstlern zu, mit welcher Sorgfalt sie sich lange vor einer größeren Vorstellung[289] vor dem Sprechen hüten, wie sie dem Rezitiren der Prosa zu Gunsten der Gesangsstellen ausweichen, um die Stimmritze nicht zu irritiren. Viele werden einwenden, daß die Erscheinung nur darin liege, weil der Sänger das Sprachorgan und der Schauspieler die Singstimme über seinem eigentlichen Berufe vernachlässige. Nein, es liegt nach meiner Meinung einzig in dem contradictorischen Principe der Tonbildung.

Selbst in den früheren Zeiten des deutschen Theaters, wo auch große Opern zur Hälfte aus Dialog bestanden, wo also die Sänger gewohnt waren und auch noch verstanden, Prosa zu sprechen, zu einer Zeit, wo Schauspieler in der Oper und Sänger im Schauspiele gegenseitig mitwirken mußten, excellirten Schauspieler durch dünne Singstimmen und Sänger durch kraftlose und umflorte Sprachorgane. Ausnahmen hat es vielleicht gegeben, aber die Regel spricht für mich.

Die allmälige Umwandlung der Prosa zum Recitativ in älteren Opern hat nebst der Absicht, ein Tonwerk musikalisch zu vervollständigen und nebst einem Bequemlichkeitsgrunde der Sänger unstreitig auch den Grund, die Singstimme durch den Vortrag des Dialogs nicht zu ermüden und zu verstimmen.

Umgekehrt ist es beim Schauspieler derselbe Fall, besonders bei dem Schauspieler im tragischen Fache, der die Aufgabe hat, nicht nur durch Maske, Mienen und Geberden, sondern hauptsächlich durch das Sprachorgan die gewaltigsten Leidenschaften auszudrücken.[290]

Ich habe soeben unter den Gesammterfordernissen für eine Darstellung der Maske erwähnt. Ein wichtiger Theil derselben besteht gewiß in der jeweiligen Bekleidung des Schauspielers. Das Kleid bezeichnet Zeitalter, Land, Nation, Sitten, Gewohnheiten und sonstige Eigenthümlichkeiten des darzustellenden Charakters.

Der Fürst in einem beschmutzten, groben oder schadhaften Kleide macht einen falschen Eindruck. Shylok in einem christlichen Priesterkleide ist undenkbar.

Es gibt aber gewisse Rollen, über deren Drapirung kein Einsichtsvoller in Zweifel sein kann und bei deren Costümirung nichtsdestoweniger die tüchtigsten Schauspieler, geistreiche Regisseure und Directoren und kenntnißreiche Costümezeichner absichtlich oder in Folge grundfalscher Anschauungen die gröbsten Mißgriffe begehen.

Eine dieser Rollen ist Shakespeare's Othello.

Fleck soll den Othello in moderner Generalsuniform gespielt haben. Mir sagt das zwar nicht zu, weil die Meerherrschaft und die staatliche Bedeutung Venedigs der Vergangenheit angehört und weil die Fantasie des Zuschauers viel thätiger ist, wenn das ganze schauerliche Nachtstück in eine barbarischere Zeit verlegt wird. Aber die Auffassung Fleck's konnte ihre Berechtigung haben.

Mit Rossini's Othello kam plötzlich in die Sängerwelt die Krankheit, den Othello in türkischer Tracht zu spielen und zu singen.

Der Turban, die weiten Beinkleider, der krumme Säbel, der Reiher mit brillantener Agraffe, womit Donzelli und Andere[291] funkelten und schimmerten, mußten den damaligen Costümedirector des Hofburgtheaters ganz verzaubert und verzückt haben, denn wer beschreibt meinen Schrecken, als ich um diese Zeit in Wien den Othello zum ersten Male spielen sollte und eine Costümezeichnung erhielt, die als Muster für das Aushängeschild eines Tabakladens ein wahrer Schatz gewesen wäre.

Nun aber nehme man das Buch zur Hand und verfolge den Gang der Handlung und Othello's Beziehungen zu den Ereignissen nach seiner Stellung und seinen eigenen Aeußerungen, sowie nach den Anschauungen seiner Umgebung.

Cypern, eine der wichtigsten Besitzungen der Venetianer, einer ihrer bedeutendsten Handelsplätze, ist von der eroberungsgierigen Schaar Solimans bedroht, dem gefürchteten und gehaßten Feinde der Christenheit. Die venetianische Staatsregierung sucht nach dem geeignetsten Feldherrn gegen die Ungläubigen und erkennt in Othello's kriegerischen Fähigkeiten die Gewähr des Sieges. Der Doge selbst sagt zu Othello: »Obgleich wir dort (in Cypern) einen Statthalter von anerkannter Tüchtigkeit haben, so verspricht sich doch die öffentliche Meinung von Euch mehr Sicherheit des Erfolges.«

Othello ist nicht nur ein gefeierter Feldherr und Soldat, sondern auch ein eifriger Christ und haßt Alles, was türkisch ist. Er selbst sagt im letzten Augenblick, indem er sich den Tod gibt:


»Und setzt hinzu, daß in Aleppo einst,

Allwo ein Türke einen Venetianer

Boshaftig schlug und unsern Staat beschimpfte,

Ich den beschnitt'nen Hund am Hals ergriff

Und so zu Boden stieß.«
[292]

Othello ist von afrikanischen Eltern gezeugt und geboren; aber ist denn jeder Mohr oder Neger ein Türke durch Geburt, Glauben, Erziehung und Gesinnung? Woher dann die unaufhörlichen Kriege zwischen den Türken in Egypten mit den eingeborenen Stämmen?

Othello ist ein eingebürgerter Venetianer, ein Patriot, der soeben gegen den Feind des Vaterlandes zu Felde zieht, der die Venetianer als rühmliches Beispiel den Ottomanen gegenüberstellt.


»Sind wir denn Türken jetzt und thun uns selbst,

Woran die Ottomanen Gott verhindert?«


Wie ist es daher nur denkbar, daß ein Mann von solcher Denkungsart sich in seiner Kleidung und in seinen Sitten den Feinden des Vaterlandes und des christlichen Glaubens in jenem Zeitalterder Glaubensverfolgung und der Inquisition auch nur einigermaßen nähern sollte?

Was würde man von einem deutschen General, von einem Erzherzoge Carl oder Blücher gesagt und gedacht haben, der die Schlachten von Aspern und Katzbach in französischer Marschallsuniform geschlagen hätte?

Othello konnte einen ähnlichen Verstoß um so weniger begehen, da der Haß der Venetianer gegen die Türken zur Zeit der Handlung (englische Ausleger verweisen auf das Jahr 1570) so hoch gestiegen und eine so allgemeine Stimmung war, daß Shakespeare den Jago unumwunden sagen läßt: »Nein, das ist wahr, oder ich will ein Türke sein.«

Welcher Mann von Einsicht und Gesinnung würde bei solcher Stimmung gerade die Tracht zu der seinigen machen,[293] welche die auszeichnende der Feinde jenes Volkes ist, für das er sicht? Uebrigens ist es wohl eine gewöhnliche Erscheinung, daß jeder Fremde, der sich in einem anderen Lande eingebürgert und zu den höchsten Posten aufgeschwungen hat, schon aus politischen Gründen Alles anwendet, um nicht mehr für einen Fremden zu gelten und diesen Rücksichten vor allen Dingen das geringe Opfer einer ausländischen Tracht bringt, die ihm leicht entbehrlich ist und dem Auge des Volkes nur den Fremdling zeigen würde.

Und wie kommt Othello überhaupt zu einem türkischen oder orientalischen Costüme? Er ist kein Sohn einer türkischen Provinz, sein Geburtsland (Jago nennt es im vierten Acte gegen Roderigo das Mohrenland) ist das Innere von Afrika, was aus seiner Biographie, die er im ersten Acte vor dem Senate erzählt, deutlich hervorgeht; die Tracht der Schwarzen im Innern von Afrika ist aber keineswegs die türkische, sie ist demnach selbst der Sitte in Othello's Geburtslande nicht angemessen und eine bloße Liebhaberei für dieselbe läßt sich aus den oben angeführten Gründen gar nicht als möglich denken.

Shakespeare erwähnt sogar des Helmes, denn Othello sagt im ersten Acte: »So nehm' ein Weib zum Kessel meinen Helm,« und dachte dabei gewiß nur an den abendländischen Ritterhelm seiner Zeit. Auch ist Othello schwerlich der Mann, einen phantastischen Anzug zu tragen. Die Würde seines Amtes, sein Alter (»Weil ich in meinen Jahren schon bergunter steige«, Act 3) und sein Charakter widersprechen dieser Ansicht geradezu.

Was allenfalls dem Maler, dessen Hauptzweck jederzeit[294] das Bild ist, bei der Wahl seiner Costüme gestattet ist, kann dem Bühnendarsteller nicht immer erlaubt sein.

Kleidet man die Officiere, der historischen Wahrheit entgegen, gleichartig, so ist wohl dies schon eine mehr als genügende Concession an die Ansicht des großen Publicums, welches gewohnt ist, Officiere in Uniform zu erblicken und zu denken. Die Widersprüche in Othello's türkischem Costüme gehen aber aus dem Texte des Trauerspiels hervor und müssen selbst einem mit der Geschichte nicht Vertrauten in die Augen springen.

Der Anblick des Türken in Othello müßte sogar dazu beitragen, die tiefe Neigung Desdemona's minder glaubwürdig erscheinen zu lassen. »Ich sah sein Antlitz nur in seiner Seele,« sagt sie vor dem Senate. Anders dürfte die strengkatholische Venetianerin empfinden, wenn Othello, nebst der verschiedenen Gesichtsfarbe, in seinem Aeußern absichtlich von allen anderen vor ihr erscheinenden Männern unterschieden wäre und mit seiner feindlichen Abkunft prunkte?

Schon Lange hatte in ganz richtiger Erkenntniß bei seiner Darstellung Othello's auf dem Hofburgtheater das türkische Costüme nicht gewählt. Es war daher die projectirte türkische Behandlung Othello's von Seite der Garderobe-Vorstehung nicht nur der bereits eingeführten Gewohnheit entgegen, sie mußte mir um so auffallender sein, als ein öffentliches Blatt nicht lange vorher den beliebten Sänger Forti für die Wahl des türkischen Costüms zu Rossini's »Othello« so bitter getadelt hatte, daß der Künstler diesen Uebelstand bei seinen späteren Darstellungen abschaffte.[295]

Nur nach vielem Hin- und Widerreden und nach mehreren schriftlichen Vorstellungen gelang es mir, der Beschneidung als Othello zu entgehen und für meine Darstellungen das Costüme des 16. Jahrhunderts zu retten, wobei nur darauf Rücksicht genommen wurde, jene Farbenzusammenstellung zu wählen, welche die Gesichtsmaske am deutlichsten hervorhob.

Die Differenz zwischen der Direction und mir hatte sich endlich ganz ausgeglichen. Es trat nach und nach das frühere Verhältniß wieder ein, aber unerschütterlich verfolgte Schreyvogl seinen Plan, mich neben den gesetzten Helden in die Heldenväter und andere Väterrollen hinüberzuführen. Regulus, Borotin, Daniel im »Erbvertrag«, Odoardo Galotti, Marcino in Collin's »Bianca della Porta«, Rupert in Kleist's »Familie Schroffenstein« und Andere fallen in diese Zeit. Auch im Conversationsstücke und im bürgerlichen Drama wurde meine Beschäftigung bedeutender und endlich hatte es Schreyvogl keinen Hehl, daß ich bestimmt sei, der Nachfolger Koch's im Fache der zärtlichen Väter zu werden.

In dieser Periode des Ueberganges tauchte plötzlich eine markvolle Gestalt in der Literatur auf, die mich gleich bei der ersten Erscheinung so fesselte, daß ich alle meine Kräfte an deren Incarnirung setzte.

»König Ottokar's Glück und Ende« war im Jahre 1824 von Grillparzer vollendet worden, nach meiner Meinung das bedeutendste Werk des Dichters. Die ersten drei Acte sind wahrhaft ein Blatt österreichischer und deutscher Reichsgeschichte in poetischer Form und was hätten die beiden letzten Acte werden können ohne den geistlähmenden Zwang der damaligen[296] politischen Verhältnisse. Es ist ja bekannt, daß Grillparzer die beiden letzten Arie zweimal ändern mußte, weil die Censur, dieser kinderfressende Kronos, immer wieder begehrte, daß Rudolf von Habsburg auf Kosten des Helden in den Vordergrund gestellt werde. Schade, daß Grillparzer sein ursprüngliches Manuscript, wenn er es noch besitzt, seither nicht veröffentlicht hat.

Durch die Amtshandlungen und Mißhandlungen der Censur, die mit ihren ommissis ommittendis und deletis delendis gar nicht fertig werden konnte, wurde die Aufführung bis zum Februar 1825 hinausgeschoben und mußte nunmehr ungewöhnlich beschleunigt werden, weil Grillparzer, auf die Darstellung bereits verzichtend, mittlerweile die Drucklegung hatte beginnen lassen und das Theater an der Wien nur auf das Erscheinen des Buches wartete, um das Stück fast gleichzeitig mit Moriz Rott in der Titelrolle einzustudieren.

Unverhältnißmäßig kurz war daher die Frist für mich, um mit dieser bedeutenden Aufgabe fertig zu werden, wie ich sie mir gedacht hatte.

Ottokar ist das Kind einer barbarischen und stürmisch bewegten Zeit. Das Heldengeschlecht der Hohenstaufen, erschöpft von hundertjährigem Kampfe gegen die Intriguen der Päpste, der Italiener und der deutschen Fürsten, ringt in fruchtlosen Kriegen um einen rühmlichen Untergang. Wer soll ihnen folgen? Das große Interregnum beginnt. Keiner findet sich, dem man die Kraft zutraute, dem Reiche aufzuhelfen und wenn er sich fände, so läßt ihn die Eifersucht der Fürsten nicht aufkommen.[297] Die Ohnmacht der Deutschen erreicht den schimpflichsten Grad.

Da tritt Ottokar hervor. Er besiegt die heidnischen Preußen, er überwindet Ungarn. Er ist der größte Krieger, er fühlt sich den größten Mann seiner Zeit.

Der klägliche Zustand Deutschlands gibt plötzlich dem kleinen Böhmerfürsten ein übermäßiges Gewicht und Ansehen. Von diesen, für ihn glücklichen Verhältnissen begünstigt, fürchtet er keinen Feind mehr, aber man soll ihn fürchten. Im Bewußtsein seiner Kraft setzt er jedem Widerstande finstern Trotz und vernichtenden Zorn entgegen.


»In alle Fernen trug ich Böhmens Namen,

Aus allen Fernen tönt er laut zurück.«


Aber im barbarischen Sinne seiner Zeit will er Herr sein. Die angeheirateten Lande, welche ihm Margaretha von Oesterreich zugebracht hat, hält er mit seiner Hand.


»Sie sollen sich nur rühren, wenn sie's wagen.«


Mit despotischer Willkür verstößt er seine kinderlose Gattin, um sich durch eine staatskluge Verbindung mit Ungarn zugleich die Hoffnung auf einen Erben seiner Macht zu eröffnen; mit übermüthiger Geringschätzung behandelt er die Landstände Oesterreichs, Steiermarks, Kärntens, Krains, ja selbst die Abgeordneten des deutschen Reiches, welche ihn fragen, ob er geneigt sein würde, die Kaiserkrone anzunehmen, wenn die Wahl auf ihn fiele. Die gefürchteten Tartaren schicken eine huldigende Gesandtschaft, Ungarn bittet um seine Freundschaft und führt ihm die reizende Kunigunde von Massovien[298] als Braut zu, Europa und Asien beugen sich vor dem böhmischen Löwen und im Vollgefühle seiner Macht ruft er aus:


»Nun, Erde, steh' mir fest,

Du hast noch keinen Größeren getragen.«


Aber er mißversteht die Weltlage, weil er sich überschätzt. Die Kleinheit Anderer erscheint ihm als eigene Größe und er begeht den gewöhnlichen Fehler glücklicher Herrscher: er achtet seine Gegner zu gering und die eigene Verstocktheit, der finstere Trotz des Slaven lassen kein freies Urtheil zu. Dem verblendeten Hochmuthe naht bereits der schreckliche Fall. Die racheschnaubenden Rosenberge zernagen die Grundvesten seines Hauses, die beleidigten Stände des deutschen Reiches demüthigen den stolzen Böhmen durch die Erwählung Rudolfs von Habsburg und die österreichischen Erblande fallen von ihm ab.

Wüthender Trotz ist seine Erwiederung; Merenberg, der den Hauptstreich geführt hat, die Liechtensteine und andere Standesherrn verhaftet er als Geißeln und mit einem sieggewohnten Heere stellt er sich dem neuen Kaiser an der Donau entgegen. Aber der Mann, der nur ein Recht anerkennt, das seinige, muß schnell erfahren, daß eine moralische Gewalt über ihm steht. Die politische Niederlage, gegenüber dem deutschen Kaiser, kann er nur in die ohnmächtige Phrase kleiden:


»Der Menschen Schlechtheit ekelt tief mich an.«


Unbesiegt muß er sich dem Sieger unterwerfen. Er muß öffentlich huldigen. Das Gefühl dieser Schmach, die Verachtung seines Volkes, der Hohn seines ehebrecherischen Weibes[299] weckt Groll und blinde tyrannische Wuth. Er sucht nach einem Opfer und Merenberg muß sterben. Er bricht den Frieden mit dem Reiche. Im wilden Verzweiflungskampfe verläßt sich der Trotzige zum letzten Male auf seine ehemals gefürchteten Waffen. Aber er ist im Innern bereits gerichtet. Verspätete fruchtlose Reue wirft ihn an der Leiche seiner verstoßenen Gattin Margaretha nieder. Er hat keinen Glauben mehr an sich selbst und, müdgehetzt an Geist und Körper, verlassen und verrathen, sinkt der Riese unter eines Knaben Streichen.

Der Erfolg dieser Tragödie war nach damaligem Maßstabe für Dichter und Darsteller ein ganz außerordentlicher. Die patriotischen Demonstrationen gingen mit den Ovationen für den Sänger Oesterreichs Hand in Hand.

Ottokar setzte sich mit jeder Vorstellung fester in der Gunst der Wiener, bis ihn plötzlich für eine Reihe von Jahren ein einflußreicher Mann unterdrückte, der durch das rauhe Bild Ottokar's und durch dessen unglückliches Ende sein böhmisches Adelsblut verletzt fühlte.

Auffallend ist die Erscheinung, wie zahlreich bisweilen in verhältnißmäßig kurzen Zeitperioden sich künstlerische Persönlichkeiten von epochemachender Bedeutung zusammendrängen. Ein Decennium beschenkte Wien mit einer Reihe der glänzendsten weiblichen Talente: Sophie Schröder, Sophie Müller, Wilhelmine Schröder-Devrient und als diese an Dresden verloren ging, taucht Henriette Sonntag auf. Was kann ich über sie sagen, vor deren jugendlichem Genius sich der Erdtheil beugte von der Donau bis zum baltischen Meere,[300] von der Seine bis zur Moskowa? die noch an der Schwelle zum Matronenthum im Stande war, einen zweiten Welttheil durch ihre Kunst in freudiges Erstaunen und durch ihren Tod in aufrichtige Betrübniß zu versetzen? Wer, der sie gehört hat, kann diese Rosine, Agathe, Euryanthe, Gräfin Almaviva, Gräfin im »Schnee,« diese Prinzessin in »Johann von Paris« vergessen? Die sittliche Reinheit ihrer Kunstschöpfungen war der Abglanz ihres Privatlebens. Selten ist eine Künstlerin von den angesehensten Persönlichkeiten so in Liebe umschwärmt worden, wie Henriette Sonntag. Fürsten haben ihr gehuldigt und um ihre Gunst geworben; aber sie hatte nur zwei innige Verbindungen: erst mit ihrer herrlichen Kunst und später mit dem Mann ihrer Liebe, mit dem freigewählten Gatten, dem sie ihre glänzende Laufbahn zum Opfer brachte.

Es gehört zu meinen angenehmsten Erinnerungen, mit der schlichten und doch so geistvollen Künstlerin im freundschaftlichen Verkehre gestanden zu haben. Sie war in meiner Familie wie zu Hause, stundenlang konnte sie den fröhlichen Spielen der Kinder zusehen und noch in späteren Jahren konnte die Gräfin Rossi nur unter erneuertem Lachen der Scene gedenken, wie sie sich eine Puppenkomödie vorspielen und eines meiner Kinder eine gemalte Königin im Purpurmantel und Krone vor dem Spiegel die welterschütternde Betrachtung anstellen ließ: »Ach, wenn ich doch schon gewaschen und gekämmt wäre!«

Henriette Sonntag verläßt das trauernde Wien, um ihren Triumphzug durch Europa zu beginnen und schon das nächste Jahr führt ein kaum entwickeltes Mädchen auf die[301] Breter des Kärnthnerthortheaters, um einen ähnlichen Siegeslauf in der Schwesterkunst anzustellen.

Fanny Elßler! Henriette Sonntag! Welche war die Größere? Ich vermag es nicht zu entscheiden. Schlegel hat einst von der älteren Taglioni im Enthusiasmus gesagt: Sie tanzt Goethe. Fanny Elßler war die lebendig gewordene Plastik, die Wahrheit gewordene Grazie. Solche Schönheit, Anmuth und Sittlichkeit im Tanze habe ich nie wieder gesehen und keine Mimikerin hat mir nach ihr Eindruck gemacht. Ja, bei solcher Ausführung ist das Ballet eine Kunstdarstellung, aber mit der gewöhnlichen Hopferei laßt mich zufrieden. Wenn man von Fanny Elßler eine Esmeralda, Yelva, »des Malers Traumbild,« »die Braut des Banditen,« wenn man die Cachucha oder andere Nationaltänze gesehen hatte, so waren das wirklich Schauspiele, wobei man denken und empfinden konnte. Sie konnte Viertelstunden lange mimische Monologe halten und man konnte sagen, daß man jedes Wort verstanden habe. Fanny Elßler konnte zum Scherz im ersten besten Privatzimmer in Straßenkleidern tanzen und der künstlerische Eindruck war vorhanden. Zwei Momente aus Fanny Elßler's Laufbahn habe ich immer mit einer Art innerer Befriedigung erzählen hören. Als sie im Jahre 1831 im Berliner Opernhause auftrat, begrüßte sie – Todtenstille; da chassirt sie vom Hintergrund langsam bis an die Rampe und unter donnerndem Beifallssturme huldigt ihr das Publicum. Im Jahre 1847, also schon in reifern Jahren, gastirt sie in der Scala gleichzeitig mit Fanny Cerrito. Die politischen Demonstrationen waren bereits Tagesordnung. Man läßt die Deutsche[302] fallen und feiert die Cerrito in überschwänglicher Weise. Dessenungeachtet tritt Fanny Elßler am nächsten Abende wieder auf. Sie tanzt. Ein bacchantisches Beifallsklatschen erschüttert die Räume, das Publicum erhebt sich und bricht in den jauchzenden Zuruf aus: »Evviva la prima ballerina del mondo!«

Um das Jahr 1825 mag es gewesen sein, daß Eßlair ein Gastspiel im Theater an der Wien eröffnete, und daß ich den gefeierten Berufsgenossen kennen lernte, der mir einst in Nürnberg Platz gemacht hatte. Ich habe Eßlair im Jahre 1830 auch im Hofburgtheater gesehen, und beide Gastspiele zusammen haben mir ziemlich ein Gesammtbild seiner Darstellungskunst gegeben. Im bürgerlichen Schauspiele habe ich Leistungen von ihm gesehen, die mich mit großer Achtung erfüllten. Dallner in »Dienstpflicht«, Lieutenant Stern im »Spieler« wirkten durch große Einfachheit und Wahrheit. Hier stand der fertige, selbstbewußte Meister vor mir. Ueber seine tragischen Rollen enthalte ich mich jeder Beurtheilung. Nur so viel weiß ich, daß mich der Lear kalt abstieß und als er bei den Worten: »Jeder Zoll ein König,« den Stab mit der Hand nach Zollen eintheilte, bin ich erschrocken. Nicht viel besser ging es dem Publicum mit seinem Theseus. In der Antike schenkte er nämlich den Stellungen und Drapirungen eine besondere Aufmerksamkeit. Minutenlang beschäftigten sich seine Hände mit den Zipfeln der Toga oder des Palliums, um auf das Stichwort ein plastisches Bild zu präsentiren, das nicht selten der Wirkung entbehrte, weil man es von Weitem unheimlich kommen sah. Als er auf diese Weise im Theseus[303] die Vorbereitungen zu der Nachricht von Hippolyt's Tode getroffen hatte und nun auf das Stichwort unter dem Ausruf: »Ew'ge Götter!« mit verhülltem Haupte auf die Bank fiel, riefen hundert boshafte Stimmen: »Ui!« (O weh.)

In Eßlair wie in Lange war die Tragödie und namentlich die Antike, noch völlig nach dem Zeitalter Racine's und Corneille's vertreten. Es fällt mir aber nicht ein, diese Künstler deshalb zu richten. Ich gebe hier nur meine und des Publicums Eindrücke.


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 288-304.
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