7.


[69] Das Jahr nach Iffland's Gastspiele verwendete ich unter Fortsetzung meiner Selbststudien über die dramatischen Classiker und namentlich über Shakespeare insbesondere dazu, mich den Theaterkreisen selbst zu nähern. Durch die Familie Christ, wie sich der Leser erinnern wird, war ich bereits mit mehreren Mitgliedern des Dresdner Hofschauspieles bekannt geworden. Diese Bekanntschaft benützte ich nun dazu, nach und nach bis in das Allerheiligste zu dringen und Zutritt hinter den Coulissen zu erhalten. Ich mußte doch nothwendig kennen lernen, wie es auf der unbemalten Seite der Dekorationenwelt zuging? Die Sache war nicht leicht. Ich wollte nicht gern zudringlich sein, auch schlossen die bestehenden Hausgesetze alle Müßiggänger von dem Bühnenraume aus. Ich hatte mir dadurch in etwas geholfen, daß ich bald diesen, bald jenen nothwendig sprechen, heute dem X und morgen dem Y eine unverschiebbare Nachricht bringen mußte. Aber man kam bald hinter meine Kniffe. Ich versuchte es daher auf eine andere[69] Weise, wo ich meinen Zweck besser erreichte. Eine Anzahl junger Leute aus den achtbarsten Familien Leipzigs und von musikalischer Bildung hatten sich zusammengefunden in der Absicht, zur Verstärkung von Chören oder auch nur von Comparsen bei Aufzügen, Gefechten u. dgl. ihre Dienste dem Theater zur Verfügung zu stellen. Musikalisch war auch ich und so benützte ich meinen Tenor, um das Glück zu genießen, auf diese Art die heiligen Hallen zu betreten, als stummer Gast sogar vor das Publicum zu treten und meine Erfahrungen von der Mensur in den kriegerischen Operationen auf der Bühne zu verwerthen. Meine Schläger wurden förmlich im Theater deponirt. Ueberselig war ich, wenn ich in einem Chore mitwirken oder gar »Heil! Heil!« oder »Es lebe der König!« u. dgl. mit rufen durfte. Bald war ich mit dem ganzen Schauspielerpersonale vertraut und von Allen gern gesehen, als sie erfuhren, daß ich einer ihrer Recruten werden wollte.

So hatte ich denn gerade das hohe Glück erreicht und fing an hinter den Coulissen heimisch zu werden, als die Weltereignisse plötzlich auch dieser neuen Gunst der Verhältnisse ein Veto zurufen zu wollen schienen.

Frankreich hatte an Preußen den Krieg erklärt. Um den Feind vor der Zeit zu überraschen, verletzte Napoleon, wie es in ähnlichen Fällen die Gewohnheit des modernen Brennus war, die Neutralität des Ansbacher Gebietes und am 14. October 1806 sank bei Jena und Auerstädt das Reich Friedrich des Großen vor den französischen Waffen in Trümmer.

Unter diesen Verhältnissen schien es den sächsischen Hofschauspielern nicht gerathen, ihren Winteraufenthalt in nächster[70] Nähe so stürmischer Bewegungen zu nehmen. Sie blieben in Dresden und der Stadtrath von Leipzig wendete sich an den Herzog von Dessau mit dem Ersuchen, seine Schauspielgesellschaft für die Winterzeit an die Stadt Leipzig zu überlassen. Die fürstliche Casse mochte bei so schwerer Zeit nichts dagegen einzuwenden haben, daß so viele und bedeutende Kostgänger aus ihrem Futter kamen, und so trafen denn noch im October 1806 die Dessauer Hofschauspieler unter der Leitung ihres Directors Bossann in Leipzig ein.

Bossann brachte ein sehr tüchtiges, aber möglichst eingeschränktes Personal mit, so daß auch ihm das Anerbieten der Volontärs, für Chor und Comparserie Dienste zu leisten, nicht unwillkommen war.

Was kümmerten mich nun die blutigen Welthändel und ob Preußen unterlag oder Frankreich? Ich durfte wieder hinter den Coulissen schwelgen, mochte nun vor den Thoren geschehen was wollte!

Bald wurde ich mit den Mitgliedern der Bossann'schen Gesellschaft näher bekannt, besonders fühlte ich mich gleich an den ersten Abenden von dem Charakterdarsteller Herzberg angezogen. Dieser malerische Kopf mit dem weichen, glänzend schwarzen Haare, mit dem scharfgeschnittenen und doch so edlen Profile, mit dem glühenden und doch so klaren, seelenvollen Auge! Welch' geistiger Ausdruck im Gespräche, das zwischen Riesenphantasien und Kindertändeleien in ewiger Sprunghaftigkeit wechselte. Geist und Sinn wurden gleich stark von dieser seltenen Erscheinung gefesselt. Herzberg bemerkte bald den Eindruck, den er auf mein ganzes Wesen ausübte und wie sehr ich[71] wünschte, mit ihm in nähere Beziehungen zu treten. Als er erfuhr, daß auch ich entschlossen sei, mich der Bühne zu widmen, rief er aus: »Ein neuer Braten für Mephistopheles! Bruderherz, bei der Schwefelbande ist es ein elend und erbärmlich Leben!« aber er ergänzte zugleich: »Und dennoch möcht' ich's für kein anderes geben!«

Ich ersuchte ihn, mir mit Rath beizustehen.

»Rath!« meinte er. »Ich bin ja selbst ein junger Lasse, der noch Rath braucht. Aber wir wollen die Sache untersuchen. Besuche mich, junges Opferlamm.«

Mehr wollte ich nicht. Gleich am anderen Morgen suchte ich ihn in seiner Studentenwirthschaft auf, die er gemeinschaftlich mit dem jugendlichen Liebhaber Wessel mit aller jener genialen künstlerischen Unordnung betrieb, welche bei ihm sprichwörtlich geworden ist. Außer seinem Lager und seinem Koffer war Alles so ziemlich für überflüssigen Tand erklärt.

Nach wenigen Wochen waren wir befreundet und ich erfuhr im Austausche gegenseitiger rückhaltloser Mittheilungen, daß Herzberg nur sein Theatername sei und daß er Ludwig Devrient heiße.

»Meine Familie will von den Komödianten nichts wissen. Ich hätte sollen den Bedienten abgeben oder Schnüre drehen. Aber siehst du, alter Schwede, das ging nicht und darum ging ich –«

»Durch?« sagte ich.

»Durch!« wiederholte er.

Aus Devrient's Munde erfuhr ich nun, wie es ihm anfangs auf der Bühne habe gar nicht glücken wollen und wie[72] er in Liebhaberrollen so manche unglückliche Experimente gemacht habe, bis es ihm gelungen sei, als Paolo Manfrone in Kotzebue's »Bayard« eine glänzende Auszeichnung und dadurch mit einem Schlage sein gegenwärtiges Fach zu erobern.

»Siehst du, mein Junge, da fühle ich mich zu Hause. Die Liebe auf dem Theater überlasse ich andern Leuten.«

Ich meinte, das Schwerste sei eben, das richtige Fach als Schauspieler zu finden.

»Das findet sich. Fange mit dem an, wozu dich Naturell und Neigung treiben, und dann probiere Alles. Triffst du's nicht, so wirst du ausgelacht und weißt, woran du bist. So ist mir's gegangen.«

Ich eröffnete ihm, daß mich meine Neigung zu dem Heldensache ziehe.

»An dieser Krankheit leiden wir Alle. Aber du scheinst mir fast darnach angethan. Du bist ein derber Kerl, hast ein ausdruckvolles, regelmäßiges Gesicht, und dein Organ scheint wohlklingend zu sein. Was meinst du, Wessel, wir müssen das näher prüfen.«

Devrient, Wessel und ich wurden nun ein unzertrennliches Kleeblatt von Dutzbrüdern. Bei jeder Witterung, denn es galt uns gleich, ob die Sonne schien oder Regen und Schnee uns in das Gesicht schlug, zogen wir nach Lehr's Garten, wo wir recht ungestört waren, und dort wurde declamirt und recitirt, wobei die Aufmerksamkeit der Freunde hauptsächlich auf die Prüfung der Fähigkeiten des neuen Candidaten für die »Bande« gerichtet war. Wir sprachen einzelne Scenen durch,[73] wobei die Heldenrolle immer auf mich fiel. Als wir einst die Scene zwischen Wallenstein und Wrangel durchgenommen hatten, wobei Devrient in unvergeßlicher Weise den Wrangel sprach, kam er auf den Gedanken, mich das nächste Mal die ganze Rolle des Wallenstein sprechen zu lassen.

Es geschah und als wir fertig waren, nahm mich Devrient beim Kopfe, gab mir einen herzhaften Kuß und sagte: »Junge, spiele du Helden auf meine Verantwortung. Spiele aber nicht zu lange Schiller und Liebhaber, sondern mache dich so früh als möglich an den Shakespeare. Da kannst du die Leidenschaften der Menschen am besten studieren und zur Ausführung hat dir die Natur das Mark des Geistes und Leibes gegeben. Auch findest du durch Shakespeare am besten den Uebergang zu älteren Charakteren bei kräftigen Jahren. Denn nichts ist für den Schauspieler gefährlicher als Liebhaber spielen, bis man nicht mehr kann und dann nichts Anderes kann.«

Devrient war auch in Leipzig nach wenigen Vorstellungen ein ausgemachter Liebling des Publicums geworden, das sich namentlich an seinen Hogarth'schen Darstellungen der bösen Väter und geprellten Vormünder in den Kotzebue'schen Almanach-Bluetten weidlich ergötzte.

Unter Devrient's und Wessel's Schutze wurden meine Comparsenleistungen immer umfangreicher; bei keinem Theaterscharmützel fehlte ich, und wenn ich in der Hitze des Gefechtes so tapfer zuschlug, daß die Harnische Beulen und die Kolleter Risse bekamen, so erschallte häufig Bossann's Jammerruf: »Männeken! Männeken! meine Rüstungen! meine Garderobe!«

Ich hatte Devrient auch in meiner Familie eingeführt,[74] wo er bald wie ein Kind des Hauses verkehrte. Die wesentlichsten Dienste leistete er mir bei meiner Mutter, indem er mein Talent außer Zweifel setzte, und dadurch ihre letzten Besorgnisse über die Wahl meines Berufes zerstreute.

Wie ein Traum von wenigen Stunden flogen mir in diesem neuen Freundschaftsverhältnisse die Wintermonate dahin, und als endlich die Osterwoche heran rückte, wollte ich es durchaus nicht glauben, daß Bossann mit der Gesellschaft schon wieder nach Dessau zurückkehren sollte. Der Umgang mit Devrient war mir dergestalt zum Bedürfnisse geworden, daß ich förmlich bei ihm einquartirt war. Ich überhörte ihn seine Rollen und er meinte selbst, er würde seinen Haussouffleur schwer vermissen. Der Gedanke des Scheidens wurde mir so schwer, daß ich die Nacht vor der Abreise bei Devrient blieb und auf seinem gepackten Koffer weit getrösteter schlief, als in meinem Bette. Bei der Abfahrt umarmte er mich mit den Worten: »Nicht wahr, mein Junge, wir bleiben die alten Schweden?« Und es war mir eine liebe Erinnerung an diese erste Zeit unserer Herzensfreundschaft, als er 22 Jahre später nach seinem Gastspiele in Wien unter seinen Namen in meinem Stammbuche mit schon zitternder Hand die Worte schrieb: »Siehst du, mein Junge, wir sind doch die alten Schweden geblieben.«

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 69-75.
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