14.


[215] Noch während meines Aufenthaltes in Wien hatten die ersten Unterhandlungen wegen Abschluß eines dauernden Engagements zwischen mir und der Direction des Hofburgtheaters stattgefunden. Die endgiltige Entscheidung mußte jedoch dem Correspondenzwege aufbehalten bleiben, indem die Pflicht mich und meine Frau nach Breslau zurückrief.

Hier wurde kaum ruchbar, daß ich mit Wien in Unterhandlung stünde, so wurden auch schon Projecte entworfen, mich und meine Frau für Breslau zu erhalten. Die Kaufmannschaft trat zusammen und der Antrag wurde gestellt, mir und meiner Frau eine lebenslängliche Anstellung zu garantiren.

So schmeichelhaft der Antrag einer solchen Ausnahmsstellung für mich sein mußte, so habe ich doch schon oben einiger Veränderungen in den Breslauer Theaterverhältnissen erwähnt, die nicht im Stande waren, die Wagschale zwischen Wien und Breslau zu Gunsten des letzteren sinken zu machen.

Aber ein anderer Antrag wurde mir zu dieser Zeit gemacht, der allerdings geeignet war, mich schwankend zu machen.

Auch in Berlin empfand man das Bedürfniß eines jugendkräftigen Heldendarstellers, denn Beschort und Mattausch, die seit Fleck's Tode diese Lücke ausfüllten, begannen zu altern. Freund Devrient, der mich gern in der Nähe haben wollte, mochte das Seinige dazu beigetragen haben; genug, eine unendlich ehrenvolle Stellung am Berliner Hoftheater wurde mir angeboten.[215]

Für Wien sprach die Aufnahme meines Gastspieles, die Aussicht einer contractlichen Zukunft und angenehme Lebensverhältnisse; für Berlin, das doch auch Sicherheit gewährte, sprach der Beiname »Deutsch-Athen« und Freiheit für das dichterische Wort.

Was nun wählen? Süd oder Nord? Wo liegt der Weg zum Glücke? Welches von Beiden schließt den sicheren Hafen in sich, der mich nach den Stürmen der Wanderzeit aufnehmen wird? Süd oder Nord! Berlin und Wien drangen auf Entscheidung und ich dachte oft wie Mulei Hassan: »Ich muß einen Gelehrten fragen.«

Ich war nie abergläubisch, aber, wie alle Kinder der Phantasie, dem Eindrucke des Wunderbaren und Mystischen sehr zugänglich. Ich wollte den Wallenstein nicht vergebens gespielt haben; ich beschloß eine Frage an das Schicksal zu thun.

Meine Frau, eine durchaus nervöse Natur, von sehr reizbarem Organismus, unterlag als Mädchen und in den ersten Jahren unserer Ehe der pathologischen Erscheinung des magnetischen Schlafes. Wenn dieser Zustand eintrat, so wurde ihr Schlaf sehr tief und andauernd, und ich konnte sie nach erfolgter Berührung zum Sprechen bringen. Auf meine Fragen antwortete sie namentlich vor ihrer Verheiratung und während ihrer ersten Schwangerschaft ganz verständlich, wobei sie von sich selbst immer in der dritten Person sprach.

Ich weiß, daß viele meiner Leser bei dieser Stelle ungläubig lächeln werden, aber ich kann versichern, daß ich nur die lautere Wahrheit berichte.[216]

In dem Zustande magnetischen Schlafes sprach sie über Dinge, die ihr sonst fremd waren, mit vollständiger Kenntniß und Genauigkeit ab. Verhältnisse und Gegenstände, die ihrem Gedächtnisse in normalem Zustande entschwunden waren, traten während des magnetischen Schlafes deutlich zur mnemonischen Erscheinung.

So war ihr einst ein Brief von besonderer Wichtigkeit dergestalt abhanden gekommen, daß wir vergebens seine Spur verfolgt hatten. Als sie das nächste Mal in Schlaf sank, befragte ich sie darnach und sie bezeichnete die Stelle, wo sich der Brief befand, so genau, daß sie ihn nach dem Erwachen auf meine Aufforderung augenblicklich entdeckte.

Eine ehrerbietige Scheu, die mir diese Lage der Nervenkranken jedesmal einflößte, hielt mich immer ab, meine Einwirkung zu mißbrauchen. Ein einziges Mal legte ich ihr eine Frage vor, die einen übersinnlichen Gegenstand berührte. Sie erwiederte, daß sie wohl darauf zu antworten wisse, daß sie aber nicht darüber sprechen dürfe, und als ich in sie drang, bewegte sie halb den Mund und verstummte mit einer schmerzhaften Geberde.

Der Schlaf war von sehr verschiedener Dauer. Eines Tages, wo sie im Theater beschäftigt sein sollte, fürchtete ich, daß sie die Vorstellung versäumen könnte und weckte sie gewaltsam. Das griff sie körperlich so an, daß sie Abends kaum ihre Rolle durchbringen konnte und einige Tage sehr leidend war. In ihrem nächsten Schlafe bezeichnete sie sodann auf meine Frage die Art und Weise selbst, wie ich sie in ähnlichen Fällen wecken sollte.[217]

In solchem Zustande hatte sie lange vorher eine schwere Krankheit verkündet, von welcher sie in Wien befallen und an den Rand des Grabes gebracht wurde. Auch sprach sie in ihrer ersten Schwangerschaft über eine krankhafte Körperbeschaffenheit, von der sie nachtheilige Folgen für das Sehvermögen des Kindes befürchtete.

Zschokke hat mit seinen »Verklärungen« und Kleist mit seinem »Käthchen von Heilbronn« an mir einen doppelt Gläubigen gefunden, seit ich die verwandte Erscheinung an einer so nahestehenden Persönlichkeit kennen gelernt hatte.

Ich hatte auch von so manchem ehrenhaften und glaubwürdigen Menschen über ähnliche Vorkommnisse und Eindrücke mit solcher Zuversichtlichkeit reden und urtheilen gehört, daß ich der Befürchtung einer Selbsttäuschung unmöglich Raum geben konnte.

Diese Erscheinung benützte ich nun, um einen Orakelspruch über den wichtigsten Schritt zu vernehmen, der über meine ganze Zukunft entscheiden sollte.

Als sie das nächste Mal in diesen todtenähnlichen Schlaf verfallen war, stellte ich ihr die Frage, ob ihre Ahnungen sich für Norden oder Süden, für Berlin oder Wien als Lebensziel aussprächen? Nach einer längeren Pause lispelte sie kaum hörbar: »Nach Süden, nach Wien!«

Ich beschloß diesem Ausspruche zu folgen. Ich trat mit der Direction des Wiener Hofburgtheaters in Schlußverhandlung; ich forderte eine erste Stellung und das kaiserliche Decret mit der lebenslänglichen Anstellung als wirklicher k. k. Hofschauspieler.[218]

Der Betrag von 3000 fl. CM., die höchste Summe, welche das Hoftheater nach 40jähriger Dienstleistung als Pension zugesteht, war damals ausnahmslos auch der höchste Activitätsgehalt. Niemand konnte mehr erhalten. Erst das Jahr 1848 mit seinen vielen Veränderungen und die mit der Geldentwerthung wachsenden Theuerungsverhältnisse Oesterreichs führten unter der Direction des Dr. Heinrich Laube das Zugeständniß herbei, die Einkaufspreise, resp. die Activitätsbezüge für das neu eintretende Personal nach den Zeitbedürfnissen zu erhöhen, während die Mitglieder, die ihr halbes Leben im Dienste des Institutes zugebracht hatten, nicht die geringste Aufbesserung erhielten.

Wenn von diesem Mißverhältnisse die Rede war, so wurde die Ansicht laut, daß die früheren Mitglieder in dieser Beziehung eben nicht zu so günstiger Zeit angestellt worden seien. Erst in jüngster Zeit hat man in Anerkennung dieser Ungleichheit und in einzelnen Fällen eine stillschweigende Entschädigung dadurch eintreten lassen, daß man einige ältere Mitglieder nicht normalmäßig pensionirte, sondern nur außer Beschäftigung setzte und sie in der Liste der activen Schauspieler beigesetzt ließ. Aber die Ungleichheit ist dadurch nicht behoben, denn es ist ein großer Unterschied, ob man mit erhöhter Gage lebt oder stirbt, und hätte ich im Jahre 1820, voraussehen können, daß ich meinen jüngeren Collegen an materiellen Vortheilen so unverhältnißmäßig würde nachstehen müssen, ich hätte mich wahrscheinlich anders entschieden.

Damals konnte man freilich diese Veränderungen nicht voraussetzen. Das geforderte Decret mit zehnjährigem Contracte,[219] erster Gage und Zusicherung des ersten Rollenfaches traf in Breslau ein. Ich war gebunden und ich habe es nicht zu bereuen.

Das letzte Jahr meines Breslauer Aufenthaltes ließ mich noch das Auftreten einer Persönlichkeit erleben, welche seither auf dem deutschen Theater große Popularität erlangt hat.

Es war in einer Vorstellung von »Wallenstein's Tod« wo mir in einer Episode der Vortrag des Sprechers sehr angenehm auffiel. Ich äußerte: »Der junge Mann spricht sehr gut, man sollte ihn Größeres versuchen lassen. Wie heißt er denn?«

»Beckmann!«

Der Glückliche! Er hat gleich der Kammerjungfer der Stuart »das bessere Theil erwählt«. Er hat sich die Aufgabe gestellt, des Lebens Weh und Sorgen von der Stirne der Mitlebenden wegzuscherzen und in unseren Tagen, wo die Menschen, von der Hetzjagd nach materiellem Gewinne ermattet, in das Schauspielhaus eilen, nicht um zu denken, sondern um vom Denken auszuruhen, wo das Publicum schier grämlich d'reinschaut, wenn ihm ein erschütternder Eindruck zugemuthet wird, fängt der lachbedürftige Zuhörer die Perlen seiner sprudelnden Laune doppelt begierig auf, er macht die Leute lachen, er ist ihr Freund, ihr Liebling bis an's Ende!

Sieben Jahre des angenehmsten Künstlerlebens hatte mir Breslau gewährt. Ein Kreis auserwählter Geister, die mich an ihrer anregenden Gesellschaft theilnehmen ließen, hatte meine Anschauungen geläutert, mein Urtheil geschärft und die[220] Begriffe gefestigt, was eigentlich die Aufgabe des Schauspielers sei, wenn er den Namen »Künstler« verdienen will.

Der Schauspieler soll dem Worte des Dichters Ton und Ausdruck, seinen Gestalten Leben und Bewegung verleihen; er soll nach den Intentionen des Dichters Menschen schildern. Leben soll er darstellen, aber nur was wahr ist, das lebt. Ein Gebäude, dem die richtigen Verhältnisse mangeln, stürzt in sich zusammen; Berge sinken ein, wenn sie im Innern hohl sind, ein Körper, dessen Functionen von dem Naturgesetze abweichen, verfällt. Keinem Maler, keinem Baumeister wird es einfallen, ein Bauernhaus mit gothischen Bogenfenstern und spitzen Giebeln oder einen königlichen Palast mit Bauernfenstern oder Strohdach hinzustellen, denn es stimmt nicht, ist weder wahr noch schön. Eine Bühnendarstellung, die nicht auf der Harmonie aller Theile beruht und nicht im Verhältnisse zur Umgebung steht, bringt keinen oder einen falschen Eindruck hervor. Wahrheit ist die Losung auf der Bühne, Wahrheit und Schönheit.

Was ein geläuterter Verstand, ein gesundes Urtheil als wahr, was ein richtiges Gefühl als schön erkennt, das hat der Künstler nach seinen Kräften zum Ausdrucke zu bringen. Dem Charakter, den er darzustellen hat, muß seine Erscheinung in Maske, Ton und Geberde entsprechen. Wenn er diese Harmonie der Darstellung absichtlich opfert, um durch eine falsche Maske eine momentane Eitelkeit zu befriedigen, oder durch widersprechende Mienen, Geberden und Tone am unrechten Orte Gelächter und Beifallklatschen der Gallerien zu ertrotzen, so mag er mit diesen Gewürzen den eigenen und den Gaumen [221] oberflächlicher Zuschauer kitzeln, aber ein Künstler ist er nicht und der besonnene Theil des Publicums wird ihm im besten Falle Witz und Verstand, aber keinen Künstlergeist zuerkennen.

Solchen Schauspielern möchte ich immer zurufen wie Lorenzo dem Romeo: »O hüte dich, denn Solche sterben elend.« Sie kommen mir vor wie Trinker, die erst aus Durst und dann aus thierischer Begierde so lange poculiren, bis sie am Säuferwahnsinn enden. Manchmal haben solche leichtsinnige Schauspieler auf kurze Zeit eine recht glänzende Laufbahn, aber der redliche Künstler behält schließlich auch beim Publicum Recht, und wenn der gleißende Tagesheld längst »versunken und vergessen« ist, so genießt Jener ungeschmälert, die Liebe und Achtung seiner Zeitgenossen.

Mit schwerem Herzen riß ich mich aus meinen Verhältnissen in Breslau und namentlich von Schall und Mosewius los.

Am 5. Mai 1821, ungefähr um dieselbe Stunde, als der große Corse auf dem öden Felsen von St. Helena der Erde seine letzte Schuld bezahlte, fuhr ich mit meiner Familie aus Breslaus Thoren, um meiner neuen Heimat entgegenzugehen.

Hiermit schließen meine Wanderjahre ab. Die Sonne meines Künstlerlebens strebte dem Zenith entgegen und der freundliche Leser lasse sich nicht verdrießen, mir auch für den Mittag und Abend meiner Theaterlaufbahn seine geneigte Theilnahme zu schenken.[222]

Fußnoten

1 Die Mittheilung dieses alten Schriftstückes verdanke ich dem schätzenswerthen Werke: »Das Theater in Nürnberg, von 1612–1863, von Franz Eduard Hysel. – Nürnberg. 1863. Im Selbstverlage des Verfassers.«

Der Herausgeber.


2 Hysel: »Das Theater in Nürnberg.«


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866.
Lizenz:

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