3.


[110] Die Ruhe meines ersten Theaterjahres sollte nicht lange dauern. Die schwankenden Verhältnisse des directorialen Triumvirats ließen sich nicht länger verbergen, und im Juni 1808 brach wegen Geldmangel und Gehaltsrückständen das Gebäude zusammen. Das Theater mußte geschlossen werden.

Um nicht in die äußerste Noth zu gerathen, kamen die Mitglieder um die Erlaubniß ein, so lange auf Theilung und für eigene Rechnung zu spielen, bis sich ein neues Directionsunternehmen gebildet haben würde.

Die behördliche Bewilligung erfolgte und die Gesellschaft wählte mich zum Regisseur![110] Darüber machte das schauspielerische Neun-Monatkind allerdings große Augen. Im nächsten Augenblicke aber drückte ich, wie Geßler von Tell sagt, die Augen zu und griff es herzhaft an. Die Collegen gaben mir ihre freie Zusage, meiner Leitung folgen zu wollen und so eröffnete ich nach kurzer Unterbrechung die Bühne mit einer Antrittsrede und Ziegler's »Fürstengröße«.

Der Bamberger Theaterdirector Kuno, der Verfasser des bekannten Schauspiels: »Die Räuber auf Maria Kulm,« kam auf die Nachricht von dem Scheitern der Nürnberger Direction sogleich herüber, um sich einige Mitglieder auszusuchen, und engagirte mich auf der Stelle für Bamberg. Ich unterschrieb den Contract mit der Bedingung, nicht eher einzutreffen, als bis das Schicksal meiner Collegen entschieden oder ich von ihnen selbst meiner Verbindlichkeit enthoben sein würde.

Mittlerweile hatte Reuter, der das Vertrauen des Publicums und der Behörde ungeschmälert besaß, durch seine angesehenen und einflußreichen Bekanntschaften eine Art von Actiengesellschaft in das Leben gerufen. Ein Capital von 20,000 fl.2 war auf diese Art gesammelt. Zu der Uebernahme des Actienrestes wurde dadurch aufgemuntert, daß den Abnehmern als theilweise Entschädigung Theaterbillets angeboten wurden.

Reuter übernahm unter diesen Verhältnissen die alleinige Direction und forderte mich auf, zu bleiben.

»Herzlich gern,« erwiederte ich, »aber ich habe Kuno's Contract schon unterschrieben.«[111]

»Wenn ich Ihnen nun den Contract wieder schaffe?«

»Dann bleibe ich bei Ihnen,« war meine Antwort.

Reuter fuhr fort: »Kuno hat gegen mich Verbindlichkeiten für manche Gefälligkeit. Ich eise Sie los.«

Nach acht Tagen hatte ich wirklich den Contract zurück. Nun aber stellte Reuter an mich die Forderung, die Regie fortzuführen. Ich deprecirte so viel als möglich, berief mich auf meine starke Beschäftigung als Schauspieler und verwies ihn an seinen bisherigen Mitdirector Braun, der als Schauspieler weit mehr Erfahrung und von den Nürnberger Verhältnissen weit mehr Kenntniß habe. Reuter aber eröffnete mir, man wünsche nicht, daß Braun an der Leitung des Theaters Antheil habe. Endlich bewog ich ihn zu dem Auskunftsmittel, an Braun die Regie der Oper und an mich die des Schauspieles zu übertragen. Darauf ging er ein. Als aber nach Jahresfrist der Directionsschiffbruch, den man Braun größtentheils zur Last legte, mit Gras überwachsen war, schob ich auch die Schauspielregie an Braun zurück, um mich ungestört mit meiner eigenen Ausbildung beschäftigen zu können.

Das Regiegeschäft nahm mich nämlich so sehr in Anspruch, daß ich kaum die physische Zeit hatte, meine umfangreichen Rollen zu memoriren. Ich verlor immer ein, zwei Tage mit den Excerpten aus den Souffleurbüchern, mit den Anordnungen für Garderobe und Decoratorium, und so kam einst der Fall vor, daß ich nach einer Vorstellung, wo ich in der Oper mitbeschäftigt gewesen war, für den nächsten Abend Kotzebue's »Benjovsky« annonciren mußte, mit der Titelrolle in der Tasche, von der ich noch keine Sylbe wußte. Nach dem[112] Theater ging ich nach Hause, ließ mir von meiner Wirthsfrau schwarzen Kaffee machen, nahm die Rolle zur Hand und als ich der Worte mächtig war und das Buch weglegte, schlug es an dem nächsten Kirchthurme 5 Uhr Morgens. Nun legte ich mich auf das Bett und um 9 Uhr stand ich auf der Probe. Nach der Probe repetirte ich wieder, nach dem Mittagessen ruhte ich und Abends spielte ich allerdings meinen Benjovsky, ohne daß mir ein Wort fehlte, was insofern bemerkenswerth ist, als gerade diese Rolle zum großen Theile aus Dialogen von ganz kurzen Wechselreden besteht.

Eine noch gewagtere Gedächtnißprobe mußte ich am Neujahrstage 1810 liefern. Der damalige Kronprinz von Baiern (der noch lebende greise König Ludwig von Baiern) war in den letzten Decembertagen des Jahres 1809 nach Nürnberg gekommen und man veranstaltete ihm zu Ehren eine Reihe von Festlichkeiten. Das Theater sollte sein Scherflein beitragen durch Aufführung eines neuen Trauerspieles im französischen Alexandriner-Style, also traurig genug. »Omasis« hieß das Ding und behandelte den Gegenstand der Méhul'schen Oper: »Josef und seine Brüder.« Am 30. December erhielt ich die dickleibige Rolle des Stelzenhelden Omasis-Josef. Zugleich wurde mir angekündigt, daß der Vorstellung ein Festprolog vorausgehen sollte, den ich zu halten hätte und dessen Verfertigung dem Dr. Brey, einem sehr gebildeten Kunstfreunde, anvertraut war.

Nachdem ich den ganzen Sylvestertag vergebens auf die Zusendung des Prologes gewartet hatte, verfügte ich mich am Neujahrstage vor der Probe in der größten Ungeduld zum[113] Prologdichter und zeigte ihm an, daß ich seine Festrede nicht erhalten hätte.

»Eben bin ich an der Arbeit,« war seine naive Antwort.

»Aber lieber Herr Doctor, warum denn so spät?«

»Ja, mein Gott, wann hätte ich denn schreiben sollen? ich war bis gegen Morgen in einer lustigen Gesellschaft und bin erst aufgestanden.«

»Wann soll ich denn den Prolog lernen?« fragte ich ganz bestürzt.

»O, ich verlasse mich auf Ihr Gedächtniß,« sagte Dr. Brey und schien sehr aufgeräumt über den Einfall, mir diese Schmeichelei an den Kopf geworfen zu haben.

»Großen Dank,« erwiederte ich etwas unmuthig, »Sie muthen mir viel zu am Tage einer ersten Vorstellung. Bis wann soll ich denn Ihre Rede bekommen?«

»Bis drei Uhr,« war seine Antwort.

Aber es war drei Uhr und ich hatte meinen Prolog noch nicht. Eben war Secretär Wetzel bei mir zu Besuch, als gegen halb fünf Uhr Dr. Brey seine Arbeit schickte, mit solch genialen Hieroglyphen gemalt, daß selbst der schriftgeprüfte Wetzel sie kaum entziffern konnte, sich aber freundlichst anbot, in aller Eile die Rede in seine leserliche Handschrift zu übertragen. Zwei Verse mußten ausgelassen werden, weil das Papier geflossen und die Stelle schlechterdings nicht zu enträthseln war.

Während Wetzel copirte, warf ich mich in die Festkleider und zugleich mit meiner Toilette war auch er fertig. Ich las nun den Prolog einmal recht aufmerksam durch, sprach ihn dann ein paarmal meinem Freunde in der Noth nach und[114] ging dann quer über die Straße nach dem Theater. Dort rief ich den Souffleur und ließ mir die Rede dreimal souffliren. Nun aber ertönte auch schon die Intrade mit Trompeten und Pauken, der Vorhang flog in die Höhe und ich sprach den Prolog wirklich ohne Unfall. Dr. Brey kam auf die Bühne und bedankte sich bei mir mit der naiven Bemerkung: »Na, was habe ich denn gesagt?« Ich mußte ihm in's Gesicht lachen.

Im Frühjahr und Sommer machte das Nürnberger Theater häufig Ausflüge nach anderen Orten. Einer derselben nach Amberg ist mir dadurch erinnerlich, daß ich verspätet ankam und auf meinem Koffer sitzend den Grafen von Savern in Holbein's »Fridolin« für denselben Abend lernen mußte.

Dieses Stück machte damals ganz außerordentliches Glück und es läßt sich nicht läugnen, daß Holbein sein Publicum kannte. Was er aus Schiller's Ballade machte, kann man ihm wohl verzeihen, da sich seine Mache von Schiller's Gedicht in der Form so völlig unterscheidet. Weit schwerer hat er sich an Kleist versündigt. Man denke nur an seine sogenannten Bearbeitungen des »Prinzen von Homburg« und des »Käthchen von Heilbronn«, die er als »Holbein's Theater, 1. Band« edirte.

Aerger ist wohl selten einem geistreichen Dichterwerke mitgespielt worden, als dem wenn auch hyperpoetischen »Käthchen« durch Holbein's materielle Bearbeitung, welche Romantik in Gespensterspuk und Ritterthum in Harnischrasseln verwandelte.[115]

Es ist überhaupt mit der sogenannten bühnengerechten Einrichtung bedeutender Dichterwerke eine heikle Sache und jedenfalls thun Leute, die sich dazu hergeben müssen, am klügsten, so wenig als möglich einzurichten und so viel als möglich der Eitelkeit zu entsagen, große Dichter mit eigenen Geistesblitzen zu verzieren. Nur was absolut unmöglich auf der Bühne ist, soll mit den zartesten Strichen beseitigt werden. Im Uebrigen muß sich das Werk selbst vertreten. Besser als durch einen geistreichen Poeten wird keines seiner Werke durch den Bearbeiter, oder dieser muß sich einer aufopfernden Mühe unterziehen, gleich dem verstorbenen Wiener Dramaturgen Josef Schreivogl, der Calderon's »Leben ein Traum« und »Arzt seiner Ehre« und Moreto's »Stolz durch Stolz« (Donna Diana) zu ganz neuen Dramen im modernen Style, aber auch zugleich in geistiger Beziehung die einzigen Muster dieser Art schuf.

Holbein lernte ich in Nürnberg kennen. Er fand daselbst als Schauspieler gar keine Geltung, ungeachtet einer Persönlichkeit, die mit Ausnahme der unteren Extremitäten schön zu nennen war.

Auch Ringelhardt, der seinen Vorsatz, nach Nürnberg zu kommen, ausgeführt hatte, vertauschte diesen Aufenthalt nach kurzer Zeit mit einem Engagement am Dresdner Hoftheater.

Im Sommer 1810 nahm das Nürnberger Theater seinen Sommeraufenthalt in Erlangen, wo die Universität ein lebhaft begeistertes Publicum lieferte und das Theater eine warme Gönnerin fand an der daselbst residirenden verwitweten[116] Markgräfin von Ansbach und Baireuth, einer hochbetagten Schwester Friedrich des Großen, dem sie wie aus den Augen geschnitten war. Diese kunstliebende Fürstin zog mitunter auch die bedeutenderen Mitglieder des Theaters in ihre Gesellschaft, die in jeder Beziehung ungemein anregend war.

Hier spielte ich zuerst den Otto von Wittelsbach, Dunois u.s.w. Letztere Rolle hatte für mich einen ganz besonderen Reiz: dieses übermüthige Wesen des in der Noth des Königthumes unentbehrlich gewordenen kühnen, aber herrischen Vasallen, diese selbstbewußte, thatkräftige Natur, dieser echt ritterliche Geist, dieser Zug von Schwärmerei, die an das Wunderbare glaubt, weil es zugleich mit der leidenschaftlichen Liebe für die Prophetin dieses Glaubens an ihn herantritt, fesselten meine Phantasie und erfüllten sie mit einem überwältigenden Bilde. Vaterland, Ehre und Liebe sind Dunois' Feldgeschrei und gipfeln in dem fast dithyrambisch auflodernden Aufrufe zu den Waffen, womit die Rolle abschließt. Keinen Augenblick darf der Darsteller vergessen, daß Dunois den Prinzen von Orleans seinen Vater nennt. Fürstliches Blut rollt in seinen Adern; er ist sich dessen bewußt. Der Adel in Erscheinung und Benehmen und eine himmelanstürmende innere Begeisterung müssen ihn vor der Gefahr bewahren, ein ungezogener Polterer und ein Prahler zu sein.

Der Aufenthalt in Erlangen ist mir auch noch dadurch besonders unvergeßlich, daß ich daselbst Hoffmann, den berühmten Verfasser der Phantasiestücke, kennen lernte und daß[117] wir Freunde wurden. Es war ein Finden und Verlieren. Ich verließ Erlangen und wir sahen uns nicht wieder.

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 110-118.
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