4.


[118] Ich war in einem heiteren und zufriedenen, ich möchte fast sagen patriarchalischen Familienkreise geboren und aufgewachsen; die Eindrücke dieser behaglichen Verhältnisse übten allmälig einen naturgemäßen Einfluß auf mein Gemüthund meine Phantasie, die rasche Dienerin desselben, wiegte sich frühzeitig in Träumen einer stillbeglückten Häuslichkeit, eines Eheglückes, wie ich es von meinen Eltern im Gedächtnisse trug. Kaum war daher der erste Sturm des Künstlerdranges etwas besänftigt und einer regelmäßigeren Thätigkeit gewichen, so begann ich auch die Leere zu empfinden, die mich umgab, wenn ich von den hellen Lampen in mein dunkles Stübchen trat. Nicht Mutter, nicht Geschwister umgaben mich wie sonst. Ich rief mit Grillparzer's Hero: »Allein, allein, allein!« Ich sehnte mich nach einem Herzen, das mir angehörte, dem ich mich rückhaltlos anvertrauen, dem ich mittheilen konnte, was mich beschäftigte, erfüllte, drückte oder erhob! Ich glaubte diese Hälfte meines Selbst gefunden zu haben und vermählte mich in den ersten Tagen des Jahres 1810 mit der Sängerin Josefine Kette.

Ein Schauspieler von heutzutage, der ein besonders hervorragendes Talent besitzt oder wenigstens ungewöhnliche Anerkennung findet, wird in unserer erwerblustigen Zeit den berechtigten Wunsch kaum unterdrücken können, seine kräftigen Jugendjahre nach Möglichkeit zu verwerthen und so lange es[118] geht, ein lucratives Wanderleben zu führen. Diese meiner Collegen mögen sich vor dem Abschlusse einer frühzeitigen Ehe bewahren, denn mit Weib und Kindern und mit den Sorgen auf dem Rücken, die ein Familienhaushalt im Gefolge hat, wandert es sich schlecht. Ich habe diese Erfahrung gemacht, denn obgleich ich in keinem Augenblicke meines Theaterlebens außer Brot war, so hat mich doch mein früher Hausstand in der ersten Zeit meiner Wanderjahre, wo es sich noch mehr um die nothwendigsten Existenzmittel handelt, unendlich gehemmt, und als ich unerwartet bald in günstigere Verhältnisse kam, hätte ich mir ohne diese frühzeitige Fessel ein nicht unbedeutendes Spargut für das Alter sammeln können.

Wenn dagegen der Schauspielerdrang nach ungebundenem Herumschweifen befriedigt ist und der unruhige Geist ausgetobt hat, dann fixire sich der Schauspieler, dann suche er eine Häuslichkeit, die er kaum entbehren kann. Letztere Ansicht war unbedingt ein Hauptmotiv bei dem ernsten Schritte, den ich gethan hatte. Ich lernte aus der Geschichte des Theaters so viele Schauspieler kennen, die nicht genug moralische Kraft besessen hatten, um den Lockungen und Stürmen eines regellosen Schauspielertreibens mit ruhigem Ernste Stand zu halten. Fortgetrieben von sittlicher Unordnung verfielen sie frühzeitig in ihrem Berufe, in ihrer Gesundheit, in ihren materiellen Verhältnissen und fanden elenden, ruhmlosen Untergang. Diesen Gefahren wollte ich durch eine streng geregelte Häuslichkeit ausweichen. Aber schon nach Jahresfrist machte ich die Erfahrung, daß meine pecuniäre Stellung[119] in Nürnberg diesen wachsenden Bedürfnissen nicht die genügende Rechnung tragen könne. Ich hatte die höchste, für die damaligen Theaterverhältnisse Nürnbergs denkbare Monatsgage von 66 fl. rheinisch und daher nicht die geringste Aussicht auf eine ausgiebige Verbesserung meiner Finanzen.

Mitten in diesen Betrachtungen überraschte mich ein Brief der Händel-Schütz, deren Gatte als Mitdirector an dem Theaterunternehmen zu Königsberg in Preußen betheiligt war. Die theilnehmende Freundin hatte den jugendlichen Collegen von 1808 nicht vergessen und übersendete mir einen für die damaligen Zeitverhältnisse ziemlich vortheilhaften Contract mit der Aufforderung, ihn anzunehmen und in Königsberg das Heldenfach auszufüllen.

Der Wunsch, in größere Theaterverhältnisse einzutreten, für meinen Familienstand aber beruhigendere Existenzmittel zu gewinnen, reiften meine Ueberlegungen zum Entschlusse. Ich reichte im Frühjahr 1811 bei der Direction des Nürnberger Theaters meine Kündigung, nicht ohne Beimischung von Wehmuth, ein und sendete den unterzeichneten Contract nach Königsberg.

So groß und innig meine Dankbarkeit gegen Nürnberg war, so wohlthuend war mir die Erfahrung, daß ich nicht nur in der Gunst und Achtung des Publicums, sondern auch in den Herzen der daselbst gewonnenen Bekannten und Freunde einen ehrenvollen Platz besaß und daß ich diese Theilnahme ungeschmälert mit mir hinwegtrug.

In demselben Monate, der mich vor vier Jahren hingeführt hatte, verließ ich Nürnberg und langte in Leipzig an,[120] um die Meinigen in die Arme zu schließen und ihnen meine Frau vorzustellen.

Der Wunsch meiner Mutter und meiner Geschwister, mich als Schauspieler kennen zu lernen, bestimmte mich, um ein Gastspiel anzusuchen und zu meiner Freude wurden mir drei Gastrollen bewilligt.

Welche Empfindungen erfüllten mich, als ich erfuhr, daß mir gestaltet sein werde, meine jungen Kräfte neben den bewährten Künstlern zu prüfen, deren eminenten Leistungen ich zum größten Theile den Enthusiasmus für meine Kunst und die Lehren zur Ausübung derselben verdankte.

Mortimer und Max Piccolomini waren meine ersten Rollen.

Damals bestand in Leipzig wie auch in Weimar die ästhetisch-feine Sitte, daß kein Schauspieler, der im Stücke gestorben war, nach der Vorstellung hervorgerufen wurde. Diese Auszeichnung, welche damals noch eine war, wurde überhaupt nur selten zu Theil, wie ich oben bei Iffland's Gastspiele in Leipzig erwähnt habe.

Als ich in das Theater kam, um meine letzte Rolle, den Hauptmann Klinker in Kotzebue's »Epigramm«, zu spielen, erzählten mir Bekannte, wie Leute aus dem Publicum geäußert hätten: »Heute mag er spielen, wie er will, heute wird er herausgerufen für seine beiden ersten Rollen.« Diese Aeußerung hatte für mich höheren Werth, als manches stürmische Beifallszeichen späterer Jahre.

Ich hatte nun mein erstes bedeutendes Gastspiel vor einem der kunstgebildetsten Zuschauerkreise abgehalten. Ich[121] hatte mit Ehren bestanden und meinem Schauspielernamen Achtung erworben. Meine Heimat hatte meinen Beruf anerkannt und ich kann sagen, daß mir mein Leipziger Gastspielerfolg wie ein Freibrief vorkam, der die Jahre des Lehrlings abschließt.

Nun erst vertraute ich meiner Kraft unbedingt und dieses Selbstbewußtsein nahm ich als ein unschätzbares Kleinod des Künstlers mit mir nach dem Norden.

Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 118-122.
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