Von Reden und Manieren.

Es gibt ein drolliges Geschichtchen von einer Landfrau, die gern vornehm tun wallte. Sie meinte, dazu gehöre auch ein recht kleiner, zugespitzter Mund. Als sie eines Sonntags zur Kirche gehen wollte, übte sie deshalb vor den Spiegel eine ganz kleine Mundstellung ein. Da kam die Köchin herein und fragte die Frau, was sie zum Mittag kochen sollte. Es sollte Bohnen geben. Weil die Frau aber das Mündchen bereits im kleinen Bündchen hatte, wollte sie ihn nicht wieder auseinander tun und antwortete der Köchin recht zierlich mit gespitztem Munde »Böhnkens«. Die Köchin konnte das gezierte Wort nicht verstehen und fragte drei- bis viermal um Auskunft, bis die Frau ärgerlich, mit weit geöffnetem Munde, schrie: »Bohnen, du dumme Liese! So, nun kann ich nicht zur Kirche gehen!«

Es gibt glücklicherweise nicht viele Landleute, die es dieser gezierten Frau nachmachen werden. Im Gegenteil. Leider sind die Reden auf dem Dorfe eher etwas zu grob und roh, als bittend und höflich, wenn man es auch meistens gar nicht böse meint. Manche Landmädchen, mancher junge Bursch, die als Schulkinder nette Manieren und höfliche Reden gelernt haben und übten, lassen ein freundliches »Bitte« oder »Danke schön« später fallen, sobald sie mit andern zusammen auf die Arbeit gehen. Das geschieht meistens nur darum, weil rohere Arbeitskameraden Witze über ihr höfliches Benehmen machen. Es ist aber Unrecht, daß sie sich ihrer Höflichkeit schämen. Der Gutsherrschaft, dem Herrn Lehrer und Pfarrer gegenüber werden sie sich nicht genieren, in dem höflichen Tone zu sprechen, den sie in der Schule lernten, wie er unter verständigen, gebildeten Leuten üblich ist. Darum sollten sie auch den Mut haben, unter ihren Arbeitsgenossen ruhige, höfliche Reden beizubehalten. Sie werden bald merken, daß rohere Genossen stille werden, wenn sie sich nicht beirren lassen.

Wieviele gegenseitige Hülfe hat man doch in der täglichen Arbeit nötig, und wieviel richtet zu solcher Hülfe ein freundliches, höfliches Wort aus. Dient das Mädchen nun mit einer älteren Magd, mit Knechten und Arbeitsleuten zusammen auf einem Hofe, so werden ihr kleine Gefälligkeiten und Hülfeleistungen nie versagt werden, wenn sie im freundlichen Ton darum bittet. Ebenso hört jeder, der einen Dienst leistete, nachher gern ein »Danke schön«. Wer das alles als selbstverständlich hinnimmt, oder sich eines freundlichen Dankes schämt, weil er meint, auf dem Dorfe käme es nicht so darauf an, der wird bald merken, daß man solche. Hülfeleistungen später nur zögernd und ungern tut, oder bald ganz unterläßt.

Aber auch höher gestellten Leuten gegenüber, z.B. der eigenen Dienstherrschaft oder gegen andere angesehene Leute im Dorfe, benehmen sich viele Mädchen und junge Burschen oft sonderbar. Ist ihnen eine Freundlichkeit oder ein Dienst von solchen Leuten erwiesen, ein Schreiben angefertigt, – besonders [13] in der Invaliden- und Unfallversicherung, die jedem einzelnen so zum Segen ist, gibt es so viele Schreiberei, die man selber nicht machen kann –, ist ihnen höherer Tagelohn ausgewirkt worden oder gar ein Geschenk dargereicht, so stehen sie in ihrer Verlegenheit oft recht ungeschickt da. Statt freundlich ein »ich danke auch schön für Ihre Mühe« zu sagen, schweigen sie oft völlig still und der Geber hält sie für undankbar. Solche Verlegenheit wird ein Mädchen, das sich schickt ich benehmen will, zu überwinden suchen, um sich für Freundlichkeiten dankbar zu bezeigen. Es soll aber gar nicht gesagt sein, daß junge Mädchen und junge Burschen allein solch Betragen haben. Man merkt es oft auch an älteren Leuten, die weniger mit Fremden zusammen kommen. Sie sind verlegen, und nur aus Verlegenheit wissen sie nicht recht zu sagen, was sich schickt. Daher hat es sich der Städter, der rascher mit dem Munde ist, angewöhnt, von dem »dummen und groben Bauern« zu sprechen. Das sollten wir uns auf dem Lande nicht gefallen lassen, sondern durch Höflichkeit zeigen, daß man auf dem Dorfe ebenso ein schickliches Benehmen haben kann, wie in der Stadt, wo man oft mit dem Munde höflich redet, und es mit dem Herzen gar nicht so meint. Um solche Höflichkeit aber sich anzugewöhnen, muß man schon früh als Kind damit beginnen. Wer denkt da nicht an die hübsche Geschichte im Schullesebuche: »Jockli, zieh das Käppli ab!«

Besonders kommt es darauf an, daß junge Leute den Alten gegenüber rechte Ehrerbietung und Schicklichkeit zeigen. Ob es eine vornehme alte Dame oder ein alter Armenhäusler ist, dem ein Mädchen oder ein junger Bursch einen Dienst erweisen kann, immer sollen sie mit freundlicher Hülfsbereitschaft gefällig sein. Das kann sich in vielen Kleinigkeiten äußern. Sieht man alte Leute z.B. auf eine Türe zugehen, die sich schwer öffnen läßt, so eilt man rasch voraus und hält sie solange in der Hand, bis die Alten hindurch gegangen sind. Mit herzlichem Dank wird es auch angenommen werden, wenn man alten Leuten rasch einen Sitz oder einen Stützpunkt für die Füße herbeiträgt, ihnen eine Last abnimmt, kurz in allem zeigt, wie im Alltagsleben das Wort der heiligen Schrift zu verstehen ist: »Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen und die Alten ehren!«

Quelle:
Bartz (Friedenau), Marie Luise: Willst genau du wissen, was sich schickt? Potsdam 1912, S. 13-14.
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