Vorgesetzte und Untergebene.

[127] Zwischen Vorgesetzten und Untergebenen ist der Verkehr leider oft wenig erfreulich. Es gibt Menschen, die glauben, ihrer Würde etwas zu vergeben, wenn sie nicht Personen gegenüber, die im Range unter ihnen stehen, ein geringschätziges Wesen, das ihnen sonst nicht eigen ist, annehmen. Das aber muß die anderen verletzen, weil sie wissen, daß jedem, der an seinem Platze seine Schuldigkeit tut, auch die gebührende Achtung nicht versagt werden sollte. Infolge dieser Erkenntnis treten auch sie ihrem Vorgesetzten nur mit dem Wunsche entgegen, sobald wie möglich seinem Gesichtskreise wieder entweichen zu können, und mit der Zeit entwickelt sich zwischen Vorgesetzten und Untergebenen[127] ein beständiger, heimlicher Krieg. Der Vorgesetzte wird gegen seine Untergebenen immer schroffer; die letzteren aber, zu unmächtig, um etwas auszurichten, greifen zu allen Mitteln, die in ihrer Macht liegen, um ihrem Herrn das Leben zu erschweren.

Und doch ist es nicht so schwer, auch dieses Verhältnis zu einem auf gegenseitiger Achtung beruhenden zu gestalten, wenn man, zumal als Vorgesetzter, sich nur die Mühe geben wollte, die Charaktere, mit denen man zu tun hat, zu studieren und deren Verschiedenheit und Eigentümlichkeit nicht unberücksichtigt zu lassen. Es ist durchaus nicht notwendig, daß der Vorgesetzte seine Untergebenen behandle, wie seinesgleichen; aber man kann seine Befehle in einer höflichen und in einer schroffen Form erteilen. Die erstere eifert an, die letztere verbittert, das ist eine Tatsache, die man täglich schon im eigenen Haushalt, im Verkehr mit seinen Dienstboten beobachten kann. Mag also der Untergebene sein, was er will: Dienstbote, Lehrling, Geselle, Gehilfe, Beamter – stets wird er freudiger an seine Arbeit gehen, wenn er nicht mit jedem Auftrage oder Befehl seines Vorgesetzten an seine abhängige Stellung gemahnt wird. Ein höfliches: »Wollen Sie (dies oder jenes tun)« erreicht viel mehr, als ein barsches: ›Machen Sie (das und das)!‹ –

Ein Untergebener, der von seinem Vorgesetzten nie ein Zeichen von dessen Zufriedenheit mit seinen Leistungen erhält, der nie einen Beweis des sich entwickelnden Vertrauens sieht, wird sich auch nie zu seinem Vorgesetzten hingezogen fühlen; er wird seine Arbeit erledigen, aber ohne jede Freudigkeit, die nötig ist, soll in der Arbeit die schönste Befriedigung gefunden werden. Der Eifer wird schwinden, weil er ja aus Erfahrung weiß, daß sein Vorgesetzter mit ihm doch nie zufriedener wird, er mag sich die erdenklichste Mühe geben! –

Deshalb mag der Vorgesetzte sich nie zu erhaben dünken, um seinem Untergebenen, wenn er es verdient, die gebührende Anerkennung zu versagen. Jedes derartige Wort wird stets eine anregende Wirkung haben und den anderen zu neuen Anstrengungen, noch besseres zu leisten, veranlassen.[128]

Kaltes, schroffes Benehmen des Vorgesetzten hat maschinenmäßiges, widerwilliges Arbeiten zur Folge, und selbst eine Vernachlässigung der Pflichten würde sich der so behandelte Untergebene zuschulden kommen lassen, wenn der eigene Vorteil ihn nicht zwänge, wenigstens das Notwendigste zu tun. Dagegen er weckt freundliches, höfliches Entgegenkommen eines Vorgesetzten Gefühle der Zuneigung und Dankbarkeit; letzteres Gefühl veranlaßt den Untergebenen, seinen Vorgesetzten in jeder Weise zufrieden zu stellen und freudig und willig mit ihm zu wirken.

Den Untergebenen aber, die sich allzusehr ›von oben herab‹ behandelt fühlen, ist doppelte Höflichkeit gegen den Vorgesetzten dringend anzuempfehlen. Höflichkeit ist das anscheinend mildeste, aber schließlich das wirksamste Mittel, den anderen zu zwingen, auch seines falschen Betragens eingedenk zu werden und es zu ändern. Natürlich darf aber die Höflichkeit des Untergebenen nicht in – Kriecherei ausarten.

Daß im Verkehr zwischen Vorgesetzten und Untergebenen immer eine gewisse Förmlichkeit vorherrschen wird, ist nicht zu verwundern; trotzdem ist es ein um so rühmlicheres Zeugnis für den Charakter des Vorgesetzten, wenn er, trotzdem er jede Vertraulichkeit mit seinen Untergebenen vermeidet, von letzteren dennoch geliebt und verehrt wird, weil er stets höflich und gerecht ist und bei der Beurteilung der Leistungen auch hin und wieder ein Wort der Anerkennung hat. –

Gerechtigkeit besonders ist für das freudige Zusammenarbeiten des Vorgesetzten mit seinen Untergebenen von Wichtigkeit. Wer bei seinem Herrn keine un gerechten Bevorzugungen anderer zu erwarten oder bereits erlebt hat, wer da weiß, daß jener mild, aber durchaus nicht schwach ist, der wird sehr bald danach streben, sich seine stete Zufriedenheit zu erringen, weil darauf die eigene Stellung beruht. –

Gestaltet sich im Laufe der Zeit das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen freundschaftlicher, so wird letzterer dennoch gut tun, stets des Unterschiedes zwischen dienstlichem und Privatverkehr eingedenk zu bleiben. Im Dienst hört die Freundschaft auf, oder der Untergebene kommt bei seinen Arbeitsgenossen in den Verdacht, die[129] Freundschaft seines Vorgesetzten selbstsüchtig auszubeuten, indem er etwaige Aufbesserungen des Gehaltes, Belohnungen und dergleichen zunächst sich selbst auf Kosten der übrigen zuzuführen strebt. –

Werden die im vorstehenden für den Verkehr zwischen Vorgesetzten und Untergebenen erteilten Ratschläge befolgt, so kann es nicht ausbleiben, daß das gegenseitige Verhältnis beider Parteien dienstlich wie außerdienstlich angenehm wird, vom besten Einfluß auf die Personen selbst.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 127-130.
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