Tanz- und Ballfestlichkeiten.

[95] Viel häufiger ereignen sich im gesellschaftlichen Leben Tanz- und Ballsestlichken und das Verhalten hierbei sei in nachstehenden Zeilen erläutert.

Tanzen ist das Hauptvergnügen der Jugend; deshalb muß jeder Herr, jede Dame, beim Eintritt in die Gesellschaft diese Kunst erlernt haben. Vielfach hat der junge Mann die Einladung, die er erhält, seiner Eigenschaft als flotter Tänzer zu verdanken, und eine Enttäuschung, die er in dieser Hinsicht der Frau des Hauses dadurch bereiten würde, daß er sich vom Tanzen fernhielte, würde ihm sicher eine weitere Einladung nicht zuziehen. An und für sich verpflichtet ja schon die Annahme einer Einladung zum Tanzvergnügen, sich auch lebhaft am Tanzen zu beteiligen, und deshalb tut ein jeder besser daran, eine derartige Einladung lieber abzulehnen, wenn er nicht gewillt ist, den Erwartungen der Einladenden zu entsprechen. Ist gar ein Mangel an Tänzern vorhanden, so gibt es durchaus keine Entschuldigung für einen jungen Mann, sich vom Tanze in der Gesellschaft fernzuhalten, und doppelt unschicklich wäre es, wollte der Betreffende dann, wenn er endlich seiner Pflicht als Kavalier nachkommt, Unlust oder Widerwillen an den Tag legen.

Vielfach kann man heutzutage junge Leute von kaum fünfundzwanzig Jahren beobachten, wie sie eine Abneigung gegen den Tanz zur Schau tragen, weil sie sich für dieses Vergnügen bereits zu alt dünken. Höchstens daß sie hin und wieder einer bevorzugten Schönheit sich nahen, um ›huldvoll‹ einen Walzer, eine Polka zu erbitten. Solch ein Betragen ist durchaus verwerflich, weil es eine Beleidigung der übrigen anwesenden Damen in sich birgt; solcher Rücksichtslosigkeit gegenüber ist es seitens der aufgeforderten Damen[95] völlig am Platz, mit einem Korbe zu antworten. Wenigstens wird dadurch die betreffende Dame sich vor dem stillen Vorwurf ihrer Mitschwestern sichern.

Wir nannten bereits oben das Tanzen eine Kunst, und wie alle Künste muß auch diese erlernt werden. Wer also ein ungeschickter, unbehilflicher Tänzer ist, tut gut, einen besonderen Unterrichtskursus bei eineni Tanzlehrer durchzumachen und auf diesem Wege jene Sicherheit zu erlangen, deren jeder Tänzer bedarf, will er sich nicht später im Tanzsalon unangenehmen Erlebnissen aussetzen.

Wer zu einem Tanzvergnügen in der Familie erscheint, hat die Pflicht, mit der Herrin des Hauses wie mit deren Töchtern wenigstens einmal zu tanzen; andererseits ist es Pflicht des Hausherrn, – wenn seine Jahre es ihm verbieten, müsten seine Söhne ihn ver treten, sofern er deren hat – mit jeder anwesenden Dame, die überhaupt am Tanzen noch Vergnügen findet, wenigstens einmal zu tanzen. Das ist eine Höflichkeit, gegen die ein Verstoß nicht vorkommen sollte. – –

Die Aufforderung zum Tanz kann etwa mit folgenden Worten geschehen: »Darf ich mir erlauben, gnädige Frau (Fräulein X. oder gnädiges Fräulein) um den Walzer (Polka usw.) zu bitten?« Die Dame nimmt darauf mit einer leichten Neigung an, antwortet vielleicht auch noch etwa: »Mit Vergnügen!« und folgt dem Herrn, der ihr seinen Arm reicht, sofort, oder, wenn der Tanz, zu dem sie engagiert wurde, noch nicht an der Reihe sein sollte, reicht sie ihm ihre Tanzkarte, auf die der Herr seinen Namen schreibt.

Nur in Ausnahmefällen darf die Dame eine derartige Aufforderung ablehnen; wenn sie aber dazu dringende Veranlassung hat, so sei sie vorsichtig und hüte sich, den Tanz, den sie einem Herrn versagte, einem anderen, später kommenden zu gewähren. Das wäre eine Beleidigung gegen den Abgewiesenen und gar oft schon ist es auf Bällen usw. aus solchem Grunde zu argen Mißhelligkeiten gekommen.

Wenn die Musik die Einleitung zu dem Tanze spielt, zu dem der Herr eine Dame früher bereits aufforderte, so hat der Herr sich seiner Dame zu nähern und sich dann vor ihr zu verneigen, worauf die Dame sich erhebt und ihren[96] linken Arm in den rechten ihres Begleiters legt. Man übersehe nicht, daß die Dame stets sich an der rechten Seite des Herrn befindet, sowohl beim Tanzen, wie während der Promenade durch den Saal,

Bei Rundtänzen darf der Herr die Dame nicht ganz umfassen; vielmehr hat er seine rechte Hand ungefähr in der Mitte auf den Rücken der Dame zu legen, und mit der linken leicht die rechte Hand der Tänzerin an den Fingerspitzen anzufassen. Den Blumenstrauß läßt die Dame auf ihrem Sitz zurück, weil er beim Tanzen hinderlich wäre. Daß niemand auf einem Balle ohne Handschuhe tanzen darf, ist dabei wohl selbstverständlich.

Die Dame legt während des Tanzes ihre linke Hand leicht auf die rechte Schulter ihres Tänzers; in dieser Hand hält sie den Fächer, wenn er nicht an einer vom Gürtel niederfallenden Kette befestigt sein sollte. Jungen Damen sei besonderer Zurückhaltung beim Gebrauche des Fächers empfohlen; er ist nur da, um sich Kühlung damit zu verschaffen, und es ist unpassend, wenn junge Damen hinter dem Fächer mit ihrem Tänzer kichern und lachen.

Bei größeren Bällen tanzen die Teilnehmer abteilungsweise, das heißt, es stellen sich die Paare in einer einzigen Reihe auf und der Tanzordner zählt so viel Paare ab, als in dem Saale bequem tanzen können. Auf ein gegebenes Zeichen hören die Tanzenden sofort auf und schließen sich der dastehenden Reihe an, um dort zu warten, bis die Reihe wieder an sie kommt. Aus der Reihe heraus zu tanzen, ist ungehörig.

Nach beendetem Tanz führt der Herr die Dame am Arme wieder auf ihren Platz zurück und verabschiedet sich dort von ihr mit einer tiefen Verbeugung, die von der Dame leicht erwidert wird; während die Dame sich wieder auf ihren Sitz niederläßt, entfernt sich der Herr.

Paare, die bereits länger mit einander bekannt sind, machen auch öfters eine Promenade durch den Saal, um sich abzukühlen; es ist aber jungen Mädchen nur gestattet, am Arme von Herren so umherzuspazieren, welche ihren Eltern bereits vorgestellt wurden. Es sei hierbei den jungen Herren die peinlichste Vorsicht angeraten, denn die Erregung des Augenblicks könnte leicht zu einem Sichgehenlassen verlocken,[97] das ihnen leicht Unannehmlichkeiten zuziehen kann. Der Herr hüte sich, den Facher, den Strauß, überhaupt die Dame zu berühren und in seiner Unterhaltung befleißige er sich strengster Zurückhaltung; je zurückhaltender und vornehmer er sich der Dame gegenüber benimmt, desto mehr gewinnt er in ihrer Achtung.

In der guten Gesellschaft ist es Sitte, daß der Herr beim Auffordern den Hut in der Hand behält.

Hat eine Dame das Mißgeschick, zu einem Tanze keine Aufforderung erhalten zu haben, so zeige sie äußerlich vollkommene Ruhe, so peinlich es ihr auch sein muß, nur als Zuschauerin dasitzen zu müssen. Bei einem Familienballe ist es in solchem Falle, sofern noch einer der tanzfähigen Herren nicht aufgefordert haben sollte, Pflicht der Hausfrau, den Säumigen auf die Vernachlässigte aufmerksam zu machen, doch so, daß letztere nichts davon merkt. Der also Aufgeforderte hat sich dann zu beeilen, die sitzen gebliebene Dame sofort zu holen, ohne das geringste Mißvergnügen zu zeigen.

Bereits an einer früheren Stelle haben wir hervorgehoben, welche Wichtigkeit das ›Vorstellen‹ im gesellschaftlichen Leben hat, und es ist erforderlich, daß der Herr, der eine Dame zum Tanz auffordert, sich ihr vorher vorstellen läßt. Ein Herr, der dies unterläßt, mag sich nicht wundern, wenn die Dame ihn abweist; immerhin, wir wissen, daß in gewissen Gegenden es auch in dieser Beziehung nicht allzustreng genommen wird.

Jungen Mädchen gegenüber hat kein Herr das Recht, sich selbst vorzustellen; findet er niemand in der Gesellschaft, der dies übernehmen könnte, so mag er sich den Eltern der Dame vorstellen und diese bitten, ihn mit ihrer Tochter bekannt zu machen, da er diese um einen Tanz zu bitten beabsichtige. Ausnahmen können nur beim Gesellschafts- oder Gabentanz (früher ›Kotillon‹ genannt) vorkommen, wo der Zufall wohl ein Paar zusammenführen kann, das sich nicht kennt. In solchem Falle tanzt die Dame mit dem Herrn ohne weiteres die kurze Runde und dieser wird, nachdem er die Dame an ihren Platz zurückgeführt, sich ihr durch deren Tänzer vorstellen lassen, dem er nötigenfalls vorher seinen Namen genannt hat. Auch beim Reigentanz (Quadrille) stellen[98] sich die zu gemeinsamem Tanze zusammentretenden Paare, soweit sie nicht bereits miteinander bekannt sind, vor.

Äußert ein Herr gegen eine Dame, die er kennt, den Wunsch, durch sie eine ihrer Freundinnen vorgestellt zu werden, so kann die Dame wohl die Vermittlerin der neuen Bekanntschaft sein; umgekehrt darf aber eine Dame zu einem Herrn nie den Wunsch äußern, daß dieser ihr einen Herrn aus seiner Bekanntschaft vorstelle oder gar, daß sie den Wunsch hegt, ihm vorgestellt zu werden. –

Ein Herr, der mit einer Dame mehrmals tanzt, ist verpflichtet, sich ihren gerade anwesenden Angehörigen vorstellen zu lassen.

Jede Ballfestlichkeit steht unter Leitung von Tanzordnern, die indessen ein ebenso schwieriges, als in den meisten Fällen undankbares Amt übernommen haben. Trägt doch der Ballordner gewissermaßen die Verantwortung für alles, was auf dem Balle vorgeht, und aller Unmut, der sich aus Mißverständnis oder etwa vorhandener übler Laune äußert, ergießt sich meistens über den Tanzordner Hat er doch die Reihen abzuzählen und jeder Abteilung die Zeit zu bestimmen, wie lange sie tanzen soll. Sollen auf das gegebene Zeichen die Tanzenden innehalten, so gibt es gar zu häufig Widerspenstige, die sich widersetzen möchten – – und in solchem Falle ist es für den Tanzordner keine geringe Aufgabe, mit der nötigen Ruhe, aber doch entschieden seinen Anordnungen Geltung zu verschaffen. Ost auch versuchen Tanzlustige aus den hinteren Reihen heimlich oder offen herauszubrechen, ohne zu überlegen, daß sie dadurch den Raum verengen; auch auf solche Ungehorsame muß der Tanzordner ein wachsames Auge lenken, ebenso hat er die eingeschalteten Tänze, die verlangt werden, zu überwachen. Mit der Musik muß er sich darüber verständigt haben, daß sie namentlich bei Abteilungstänzen auf sein Zeichen sofort abbricht, und daß Verwirrungen vermieden werden. Alles in allem: für das Amt eines Ballordners sind reiche Erfahrungen in allen, auf einem Balle möglichen Ereignissen, notwendig, und wer sich nicht getraut, ein richtiger Überall und Nirgends zu sein, mag sich vor Übernahme dieses Amtes hüten. Gar oft hat es sich schon ereignet, daß Tanzordner sich mit ihren besten Freunden[99] erzürnten, und um jede Zwietracht von vornherein zu vermeiden, werden bei größeren Bällen oft Tanzlehrer von Beruf als Tanzordner angenommen, weil diese allen Teilnehmern gleich unparteiisch gegenüberstehen.

Wir sagten bereits, daß die Kunst des Tanzens beim Tanzlehrer erlernt werden muß, und es ist nicht unsere Sache, die einzelnen Tänze hier zu beschreiben, weil ja doch niemand infolge schriftlicher Anweisung einen Tanz erlernen kann. Eine Regel aber gilt bei allen Rundtänzen; man achte streng auf den Takt und das Tempo der Musik, vermeide aber ganz besonders das Durchjagen des Saales quer hindurch. Vielmehr sollten alle tanzenden Paare sich bemühen, einen einzigen großen, sich gleichmäßig fortbewegenden Kreis zu bilden, dessen Mittelpunkt der Tanzordner ist. Anderenfalls entsteht ein Gewühl, ein Tohuwabohu, das dem Auge des Zuschauers durchaus kein erfreuliches Bild darbietet.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 95-100.
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