§ 119

[286] Doch meine Zuhörer haben nicht nur mit Worten in den ersten Jahren meines Predigtamtes, sondern auch in der Tat, und durch viele Wohltaten und Geschenke, die freilich einem angehenden neuen Prediger nicht unangenehm sind, ihre Liebe und Hochachtung, so sie gegen mich gehabt, vielfältig mal bezeuget. Ich weiß hier nicht, was ich tun, ob ich solche mit Namen nennen, weil die Menge derselben mich davon abzuhalten scheint, oder ob ich nur überhaupt solches gedenken und anführen soll. Bin ichs nicht wert gewesen, und haben sie an meiner Person gefehlet, so kann man wenigstens daraus doch so viel schließen, daß sie eine große Liebe zu Gott, und zu seinem Worte müssen gehabt, und nicht sowohl ihren Prediger, als Gott und ihren Heiland in demselben müssen geehret und geliebet haben. Und[286] warum sollt ich bei so gestalten Sachen nicht zum wenigsten einen und den andern aus denselben mit Namen nennen, welche vielleicht auch gegen andere Lehrer ihr ihnen zugetanes Herze nicht werden unbezeuget gelassen haben? Sie sind großen Teils schon entschlafen; und, wie man sonsten bei Gedächtnis- und Leichen-Predigten, so kann man ja wohl auch bei dergleichen Fällen, als dieser hier ist, die Guttätigkeit rühmen, welche sie gegen die Armen, und auch gegen die Diener Christi haben sehen lassen.

Wie ich kaum zu predigen angefangen hatte, so stellten sich dergleichen Wohltaten und Geschenke in nicht geringer Anzahl ein. Der sel. Herr Appellation-Rat Plaz verehrte mir 20 Rtlr. wie ich nur zu catechisiren angefangen hatte, und er mein Catechisiren sich gefallen ließ: und eben so viel, nachdem er mich das erste mal predigen gehöret hatte. Der sel. Herr Baumeister Kregel sendete mir 12 Rtl. zu, als zu einem Haus-Rate, als ich in die neue Wohnung gezogen war. Das andere Jahr hatte eine vornehme Assemblée beschlossen, conjunctis viribus, und mit vereinigten Kräften mir ein Present zu machen, unter welchen auch so gar der Herr Commendant im Schlosse, und Herr Thomas Fritsch, der berühmte Buchhändler, und etliche andere waren, welche Herr Hof-Rat Steger, der sich vor allen andern jederzeit als ein Vater gegen mich bezeuget, gar leicht zu einem solchen guten Entschluß gebracht hatte. Es wurde mir solches auch in kurzem eingehändiget, und machte beinahe 100 Rtlr. aus. Nicht lange hernach hatte ich 1713 die Ehre von einigen Vornehmen des Rats, zu Mittage überfallen zu werden, wie man zu reden pfleget, unter welchen auch war obgedachter Herr Hof-Rat Steger, als Vorsteher, der Herr Stadtrichter Götze, und Stadt-Richter Romanus, Herr Baumeister Wagner, und Herr Syndicus Job, der sel. Herr Küstner, und andere, auf die ich mich nicht mehr zu besinnen weiß. Ich schlief dazumal noch in geborgten Betten, und sehr elend, und kümmerlich; und siehe, weil sie davon benachrichtiget waren worden, so hatten sie meine Kammer, ohne mein Wissen, mit dem schönsten gebetteten Bette versehen. In diesem, oder in folgendem Jahre drauf, am heiligen Weihnachts-Abende bekam ich bei dunkeler Abends-Zeit ein gesiegelt Briefgen. Als ich es aufmachte, und bei der Dämmerung nicht mehr sehen konnte, fand ich 16 Stück Geld darinnen, welche ich vor Groschen hielt, und meinte, es müßte etwan ein armer Christ, und redlicher Zuhörer mir solche zugeschickt haben, in willens, auch mit diesem wenigen seine Liebe[287] mir zu bezeugen. In Wahrheit, wenn mir jemand drauf, etwan ein armer Mensch, wäre in Wurf gekommen, ich würde ihm solche ohne Bedenken, nach meinem Humeur [Stimmung] bei dergleichen Fällen gegeben haben. Ich würde ihm aber sehr viel gegeben haben; denn siehe, da das Licht in meine Stube kam, so waren die vermeinten Groschen lauter Dukaten. Ich vermutete, daß sie von der seligen Frau Richterin wären; die, da sie noch in glücklichem Zustande war, nicht nur gegen Prediger, sondern auch gegen viel tausend Arme jederzeit höchst guttätig sich erwiese. Wenn ich zusammen rechnen wollte, was mir dieselbe, wie auch ihre sel. Frau Mutter, die alte Bosin, samt ihrem Herr Sohne, ingleichen der sel. Herr Baumeister Daniel Winckler, die noch lebende Frau D. Sinnerin, und viel andere schier alle Jahre verehret; so würde eine solche Zahl heraus kommen, daß ich im Herzen mich grämen würde, daß ich sowohl in meinem Predigt-Amte, als nach der Zeit, mich nicht mehr solcher Wohltaten würdiger gemacht habe, als es wohl hätte sein sollen, und dabei dies zu meinen Troste denken, daß Gott nicht sowohl auf die undankbare und unwürdige Person, so diese Wohltaten empfangen, als auf das Herze derer, so sie gereichet, sehen, und sie davor wieder in Ewigkeit erquicken werde. Diejenigen hohen Gönner aber, die noch leben, und die auch noch jetzt zuweilen an mich auf gleiche Weise gedenken, und deren Gott nimmermehr vergessen wolle, trage ich Bedenken hier zu nennen, weil ich vermute, daß sie um derer willen, so eine ganz andere Neigung gegen mich, als sie, haben, gerne verborgen sein wollen.

Doch dieses, was ich bisher erzählet, und was bald zu Anfange meines Predigt-Amts mit Geschenken vor Vergnügen von meinen Zuhörern mir gemachet worden, ist nichts zu rechnen gegen das, was sie Anno 1720 in diesem Stücke an mir getan haben. Ich hatte dazumal meine erste Postille, Quellen des gottlosen Lebens genannt, in Druck gegeben, und solche meinen Zuhörern dediciret. Da vermutete ich nun zwar, daß etwan von einem und dem andern, der bisher sich liebreich gegen mich erzeiget, etwas vor die Ehre, so ich ihm mit der Dedication getan, und vor das Exemplar, mit welchem ich ihn beschenket, einlaufen möchte. Allein, gleichwie ich etliche hundert Exemplaria unter meine Zuhörer verteilet hatte: so war schier kein einziger unter denselben, er mochte reich, oder arm sein, der nicht durch ein Gegen-Geschenke seine Freude über das ihm Zugesendete gegen mich bezeuget hätte. Ich hatte beinahe ein halbes Jahr und wohl drüber, mit nichts zu tun, als mit Geschenke annehmen; so daß[288] ich bei dieser seltsamen Begebenheit öfters nicht wußte, ob ich wachte, oder träumete. In Breslau Anno 1705, hatte ich schon etwas dergleichen wohl erfahren; aber das kam mit diesem in gar keine Vergleichung. Ich hatte meine Postille vor mein eigen Geld drucken lassen, so daß ich aus gewissen Ursachen mein eigener Verleger sein mußte; und siehe, es waren kaum etliche Wochen hingegangen, so war schon so viel an Geschenken eingelaufen, als mich mein Buch zu drucken gekostet hatte.

Ich schätzte es zu Anfange meines Predigt-Amts schon hoch genug, daß mich Gott kurz vor demselben 1710 und 1711 aus einer so merkwürdigen Krankheit erlöset, und vom Tode errettet, und mir zum wenigsten in so weit zu meiner vorigen Gesundheit wieder geholfen hatte, daß, ob ich schon noch schwächlich und kränklich, ich doch mein Amt zu verwalten hinlängliche Kräfte hatte. Gott aber tat noch mehr, als ich gewünschet, und erquickte mich noch dazu mit so vielen Geschenken, und andern leiblichen Wohltaten, die er mir durch die Hand meiner Zuhörer zufließen ließ. Das war das drittemal in meinem Leben, daß mich Gott nach der Anfechtung getröstet, und nachdem er mich sehr erniedriget und gedemütiget, wiederum zu Ehren gesetzt, und aufgerichtet: nämlich Anno 1695 ebenfalls in meiner Vater-Stadt, nach der Anno 1704 allhier überwundenen schweren Versuchung, und jetzt in den ersten Jahren meines Amtes, nach ausgestandener Krankheit, und Todes-Not. Wie das erstemal Gott in meiner Seele mich mit ungemeiner geistlichen Freude, Jauchzen und Frohlocken erquicket; so haben mich die beiden andern male die Leute vor Liebe, und unverdienter Hochachtung gleichsam auf den Händen getragen, und mit Worten und in der Tat ihre ungewöhnlich große Zuneigung mir zu erkennen gegeben. Daß auch die letzten Erquickungen, welche mir Anno 1720 als ich meine Postille unter die Zuhörer ausgeteilet, Gott wiederfahren lassen, auf solche Anfechtungen gefolget, die noch größer, als die vorhergehenden gewesen, und welche in die 5 Jahre von 1715 bis bald 1720 gedauert, wird aus dem zu erhellen sein, was ich besser unten hiervon melden und erzählen werde.

Doch unser Gott ist sehr weislich und wundersam in seinen Wohltaten, mit welchen er uns seine Vater-Liebe erkennen läßt: er giebt uns selten eben diejenigen Dinge, die wir gerne wollten, sondern hält dieselben zurücke, uns in der Verleugnung zu üben, und überschüttet uns hingegen mit solchen, die eben nicht dasjenige sind, so wir unter den irdischen Gütern am meisten hochschätzen, und lieben, damit wir uns an Gottes Gnade alleine,[289] und an unserer zukünftigen ewigen Glückseligkeit sollen genügen lassen, und dieselbe allen andern Dingen vorziehen, auch denen, deren wir in diesem Leben ermangeln müssen. Ein Kranker, der gerne gesund sein möchte, wird sein Geld und Gut und alle seine Ehre mit geringen, und vielleicht mit verächtlichen Augen ansehen, und gerne einen großen Abbruch derselben leiden, daferne er seiner Gesundheit ein größeres Maß hinzusetzen könnte. Das bedachte Herr N. nicht. Denn als, wie oben gemeldet, Anno 1713 einige Vornehme des Rats mich überfielen und tractirten, so fragte er mich einst in Beisein etlicher anderer, nachdem man bereits von Tische aufgestanden: Was ich denn nun dächte, da ich so große Ehre und Applausum noch beständig vor andern Predigern allen in Leipzig hätte, ob denn dieses nicht mein ganzes Herze mit Vergnügen und Freude erfüllte? Vielleicht tat er solches nur mich zu versuchen, um zu hören, was ich darauf antworten würde. Ich antwortete ihm aber kurz, und sprach: Wenn einer nicht recht gesund ist, so deucht einen alles geringe in der Welt, was andern hoch deucht; und so viel Vergnügen dasselbe auch endlich noch macht, so wird man dessen doch nicht recht froh, wo man das nicht dabei hat, so einem fehlet. Die Ehre, setzte ich auch hinzu, ist niemals mein Haupt-Teil und bonum gewesen, so ich in der Welt gesuchet. Ich fragte ihn wiederum: Wenn einer höchst durstig wäre, und vom Durst so gepeiniget würde, daß er schmachten möchte, ob ihm wohl die Ehre, oder Reichtum ein großer Trost sein, und seinen Durst löschen würde? Er würde alle seine Ehre und Reichtum vor eine Kanne Bier, oder Wasser geben, und noch weniger würden ihn andere Dinge dargegen soulagiren, wenn er vollends dabei so ohnmächtig wäre, daß er nicht mehr trinken könnte; gesetzt, daß er sich unter lauter eingeschenkten Bier- und Wein-Gläsern befände. Ich dachte: Sapienti sat [für einen Wissenden genügts], und ließ mich unbekümmert, ob er gewußt, wohin ich zielete; denn unser Discours ward durch andere, so dazu kamen, unterbrochen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 286-290.
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