§ 120

[290] Das ist das Angenehme, was ich in meinem Predigt-Amte geschmecket und erfahren. Und wüßte ich hiervon weiter nichts anzuführen, ich müßte denn desjenigen Vorteils gedenken, den alle Prediger haben können, und worinnen sie, was die Glückseligkeit der Seelen anbelanget, vor ihren Zuhörern, insonderheit vor denen, die mit vielen weltlichen und irdischen Verrichtungen[290] überhäuft sind, einen großen Vorzug haben, nämlich daß, weil sie, wo nicht täglich, doch wöchentlich sehr oft mit Gottes Wort umgehen, und solches, wenn sie auf ihre Predigten studiren, genau betrachten, und den Nachdruck desselben erwägen müssen, sie vielfältigmal am ersten die Kraft des Wortes Gottes, so ihr Herze voll Freude und Liebe zu Gott macht, empfinden, und also diesen Freuden-Wein allemal erst kredenzen [probieren] können, ehe sie ihren Zuhörern davon zu trinken geben; welches mir auch öfters, und reichlich genug wiederfahren, so daß ich bei allem Unangenehmen, und Widerwärtigen, so mir bei meinem Amte zugestoßen, gleichwohl das Amt eines Predigers ein glückseliges Amt nennen müssen.

Und dieses Unangenehme und Widerwärtige ist dasjenige, von welchem ich jetzt in der Ordnung auch reden muß. Ich heiße unangenehm alles dasjenige, wodurch bei einem Lehrer und Prediger die Liebe, die Hochachtung und der Applausus, den er bei den Zuhörern hat, oder, so ja dieser nicht allemal aufhöret, wodurch die Erbauung bei den Zuhörern geschwächet und sehr gehindert wird. Ein Prediger ist wohl ein Mensch, und ist Sünden und Fehlern, wie andere Menschen, unterworfen. Und das wissen endlich wohl die Zuhörer alle; es ist aber besser, daß sie es nur wissen, und als eine bekannte Wahrheit nur glauben, (die sie auch herzlich gerne glauben,) als daß sie solches in der Tat erfahren und lernen, und solche Fehler, Schwachheiten, es seien Sachen, so die Religion, oder das Leben angehen, an einem Prediger mit ansehen, oder auch daß solche von ihm begangen worden, hören. Denn sobald dieses geschicht, fällt ein großer Teil, wo nicht von der Liebe und Hochachtung, weil er vielleicht wegen seiner Gaben doch gerne in seinen Predigten besuchet wird, doch von dem Glauben weg, nach welchem sie seinem Worte, und dem, was er saget, Beifall geben, und nach demselben ihr Leben einrichten sollen.

Solche Vergehen, Fehler, und Gebrechen der Prediger haben diese böse Würkung, so die Erbauung hindert, niemals mehr und eher, als wenn sie von andern ihres gleichen in ihren öffentlichen Predigten deshalben angestochen und angeklaget, oder gar wegen ihres Versehens vor ein ganzes Judicium und Gerichte gestellet, oder von hohen gerichtlichen Personen darüber zu Rede gesetzet werden. So lange der Prediger neu, von jedermann geliebet und geehret, und insonderheit von den Hohen hoch und wert gehalten, und nichts an seiner Lehre und Leben ausgesetzet wird, so wird mancher Gottloser, der ihn in seinen ungemeinen[291] Gaben höret, insonderheit wenn er so prediget, daß das Wort zu Herzen dringt, bei seinem sündigen Leben unruhig, ja leicht gar auf andere und bessere Gedanken gebracht; denn er siehet seinen Lehrer, als einen besonders von Gott gesandten, und dazu mit Gaben ausgerüsteten Lehrer an. Sobald aber ein Welt-Mensch höret, daß der Lehrer und Prediger es da und dort, in Sachen, die den Glauben, oder das Leben angehen, versehen, so daß er wohl gar deswegen vor geistlichen, oder weltlichen Gerichten zu Rede gesetzet, und ihm dieses und jenes scharf verwiesen wird, indem dergleichen selten verschwiegen bleibet, sondern bald kund wird; denn hat die Herrlichkeit ein Ende, dann bekommt der Gottlose wieder einen Trost bei seinem sündigen Leben: dann werden seine Bestrafungen [Tadel] nicht mehr mit solchem Glauben und Vertrauen angenommen, wie zuvor. Findet er sich schon noch manchmal durch das, was der Prediger lehret, getroffen: o, denkt er, hast du es da und dort schon versehen, und nicht geprediget, was recht gewesen; wer weiß, ob es mit dem, was du jetzund sagest, auch seine Richtigkeit habe? Zu ihm in die Kirche wird er wohl zur Not noch gerne gehen, weil es sich ihm wohl zuhöret; aber daß sein Wort noch die Kraft sollte haben, oder daß dessen Kraft nicht sollte um ein großes gehindert werden, wird ein jeder Verständiger, der die Herzen, und Naturen der Menschen kennt, nicht wohl leugnen. Und wollte ich einem jeden jungen Lehrer, der sein Amt anfängt, und mit Gaben ausgerüstet, und mit Nachdruck Gottes Wort zu predigen geschickt ist, raten, daß er ja in diesem Stücke sich vorsehe, und nicht etwan aus Begierde, durch allerhand neue, und ungewöhnliche Dinge seinen guten Credit und Applausum, den er bei den Zuhörern hat, zu erhalten, oder zu vermehren, Gelegenheit und Anlaß gebe, daß er vorgefordert, und wegen des, was er geprediget, zu Rede gesetzet werde.

Ja, wenn es auch nun schon geschehen sollte, daß er wegen ein und anderer Dinge vernommen, oder ihm eines und das andere verwiesen würde, insonderheit von den Patronis [Patronatsherrn], so würde es ein neues Versehen sein, wenn er deshalben sich zu scharf verantworten [rechtfertigen], hartnäckig sich verteidigen, oder bald weit aussehende übele Deutungen deshalben machen wollte. Viel sind in diesem Stücke bald gar zu argdenklich, so daß sie meinen, weil es nicht ihre eigene Sache, sondern Gottes und der Kirchen-Sache anbetreffe, in welche man den weltlichen Arm keinen Eingriff müsse tun lassen, so könnten sie nicht darzu schweigen, noch gute Erinnerungen [Ermahnungen][292] von denen annehmen, an welche sie nicht vornehmlich gewiesen worden. Es mögen freilich wohl Örter da und dort in unserer Kirchen gefunden werden, da Philippi Melanchthonis Worte eintreffen, wenn er gesprochen: Im Pabsttum hatten wir Lehrer ein hölzernes Joch, nun aber haben wir an dessen Stelle ein eisernes bekommen; allein wir müssen solche Örter nicht bald mit dem Orte vergleichen, wo wir zu Lehrern gesetzt sind. Vielleicht ist zwischen dieser und jener Stadt ein großer Unterscheid; und haben diejenigen, die uns warnen, oder ermahnen, lange nicht diejenigen ungleichen Absichten, die wir ihnen zuschreiben, oder wir ziehen manches zu der innerlichen Regierung der Kirchen, was gar wohl noch mit zu der äußerlichen Gubernation derselben könnte gezogen werden. Und hat sich in diesem Stücke ein junger Lehrer gar nicht dran zu kehren, wenn ihn andere seines gleichen deswegen angehen, und ihm wohl gar eine Gewissens-Sache daraus machen wollen, wo er seinen, und ihren Rechten etwas vergeben, und zu allerhand Zunötigungen schweigen wolle. Denn was wird er vor Vorteil davon haben, wofern er hier nicht den gelindesten Weg gehen, und nicht lieber etwan leiden, und das Gotte befehlen wollte, was nach seinem Erachten mit den ersten Verfassungen der Kirche streiten sollte, als daß er difficil sein, und sich für dem Baume, der ihm Schatten giebt, nicht neigen wollte? Wirklich gar keinen, ja vielmehr wird er sich schaden, und so gar seiner Erbauung neue Hindernisse setzen. Wie viel haben auf solche Weise die Hochachtung ihrer Patronen verloren, so daß sie hernach sein Gottes-Haus selten, oder wohl gar nicht mehr besuchet, und dadurch einen großen Teil von gemeinen Zuhörern, welche sich nur allzuoft nach dem Exempel der Hohen richten, von ihm abgezogen. So viel ich mich auch selbst in diesem Stücke in acht genommen, insonderheit was das erste anbetrifft, so wünschte ich doch, daß ich darinnen noch sorgfältiger gewesen wäre, und mehr Vorsicht gebraucht hätte.

Denn bei aller meiner Furcht, die ich gehabt, etwas zu versehen, und zu begehen, was vor die Richter gehöret, und bei aller Mühe, so ich mir deshalben gegeben, so habe ich doch diesem Übel nicht ganz entgehen können, von welchem ich oben gesagt, daß eines Lehrers Credit bei den Zuhörern dadurch nicht wenig gemindert werde. Ich hatte kaum das erste Examen in der Peters-Kirche, und die Eingangs- und Anzugs-Rede gehalten, die auch gedruckt zu lesen, so wurde ich deswegen zu dem Herrn D. Dornfeld gefordert, und von ihm sehr harte angelassen. Man[293] hatte ihm fälschlich beigebracht, als ob ich bei dem Pulte das gewöhnliche Vater Unser, so man vor dem Anfange eines Examinis allhier vorzulesen pfleget, samt dem Stücke des Catechismi Lutheri, welches erkläret wird, nicht wie gebräuchlich, sondern paraphrasiret gelesen hätte; da ich es doch nur auf solche Weise in die Anzugs-Rede gebracht, und den Schluß derselben damit gemacht hatte. Da aber bei den ersten Fragen des Catechismi der Anfang gemacht werden mußte, deren 9 in der Zahl sind, ehe das erste Gebot in der Ordnung zu erklären folget, und gar nicht zu vermuten war, daß ich in dem ersten Examine bis zu der zehenden Frage kommen würde, so kunt ich freilich nicht das erste Gebot den Zuhörern vorlesen, als ob dasselbe sollte erkläret werden, sondern ließ es diesesmal bloß nach gehaltener Rede bei der ersten, und andern [zweiten] Frage bewenden. Doch ich kunte dem Herrn D. Dornfeld diese Dinge nicht verständlich genug zu meiner Entschuldigung vortragen, sondern mußte nur alles über mich ergehen lassen. Er hätte nur warten dürfen, ob ich in folgenden Examinibus die gewöhnliche Ceremonie mit Verlesung der Stücke aus dem Catechismo Lutheri, und mit ordentlicher Betung des Vater Unsers würde beobachtet haben.


Anno 1713

Noch viel einen härtern Stand hatte ich das folgende Jahr drauf Anno 1713, da ich auf Begehren der Patronorum in Pfingst-Feiertagen an statt des lateinischen Liedes: Spiritus Sancti gratia, zu Anfange, und zu Ende des Gottesdienstes das Lied: Zeuch ein zu deinen Toren, das erstemal in Leipzig singen ließ. Weil ich aber wohl wußte, unter was vor Schutz ich dazumal stunde, so hatte ich mehr Herze mich zu verantworten [rechtfertigen], als das erstemal, und mich aus einer Maxime, und aus gewissen Absichten böser und ungedultiger anzustellen, als ich im Herzen war, damit ich ins künftige dergleichen Überfälle nicht zu besorgen hätte, worinnen mich auch meine Gedanken nicht betrogen hatten. Man hatte mir vor diesem in der philosophischen Morale beigebracht, daß einige Gemüter von einem gewissen Temperamente, welche die Ruhe über alles lieben, und nicht gerne incommodiret sein wollen, einen andern zu incommodiren am allermeisten sich abhalten lassen, wofern derselbe ganz anders mit ihnen umgehet, als diejenigen, die aus Kleinmütigkeit sich allzu sehr bücken, und submittiren [unterwerfen],[294] und ihren Mund nicht auftun, gleich einem Lamme, das auf die Schlacht-Bank geführet wird [Jes. 53,7]. Ich sagte dazumal unter an dern: Haben die, so das Jus Patronatus [Patronatsrecht] haben, nicht Macht, neue Lieder in eine Kirche einzuführen, so sind in vielen Orten die Lehrer selbst Ursache, daß ihnen dadurch Eingriff geschehe. Denn da jetzt so gar in Dresden selbst die schönsten Lieder, welche Gerhardum, und andere unverdächtige Lehrer zu Urhebern haben, eingeführet, und von unsern Appellation-Räten, und andern Vornehmen des Rats, wenn sie in Dresden sind, mit Vergnügen angehöret, und mit gesungen werden; was ist es Wunder, wenn sie hier dergleichen zu haben wünschen, und nun selbst mit Force darzu zu gelangen suchen, da ihr Begehren zeither vergebens gewesen, und sie, wenn sie dergleichen fast bittend an die Hand gegeben, und vorgeschlagen, nicht gehöret worden? Nehmen sie mirs nicht übel, fuhr ich fort, wenn ich an ihrer Magn. Stelle wäre, und in dem Orte, da ich Aufsicht auf die Kirche hätte, eine ganz ungedultige Begierde bei den Obern merkte, neue Lieder in den Kirchen nebst den alten zu singen, ob ich wohl die alten tausendmal lieber habe, als die neuen, ich wollte sie, um allen Verdrießlichkeiten vorzukommen, mit mehrern neuen Liedern, als Gott vor Zeiten die Kinder Israel mit Wachteln, überschütten [2. Mos. 16,13; Ps. 78,29].


Anno 1714

Anno 1714 hatte ich Osterwalds Sources de la Corruption ins Teutsche übersetzt, und in Druck heraus gegeben, und in der Vorrede eines und das andere notiret, worinnen der Autor vor unserer Kirche als ein reformirter Theologus abgegangen. Ehe ich michs versahe, wurde ich vor Gerichte gefordert, und ich weiß bis diese Stunde nicht, was gewesen, was mir damals verwiesen, und ausgesetzet worden, so viel Aufsehen auch diese Vorforderung bei meinen Zuhörern machte. Der selige Herr Appelation-Rat Burg war damals Vice-Præes im Judicio, der zwar eines und das andere mir vorhielt, den ich aber, weil er Alters wegen nicht mehr vernehmlich redete, nicht verstehen kunte. Herr Olearius, als Assessor, erinnerte [tadelte], ich hätte die Noten und Anmerkungen überall mit und gleich unter den Text des Autoris setzen sollen, welches mir aber eine Sache von keiner großen Wichtigkeit zu sein schiene.
[295]

Anno 1722

Anno 1722 erklärte ich zur Vesper das 7. Kapitel der Sprüchwörter Salomonis; und auch in dieser Predigt hatte man eines und das andere auszusetzen gefunden, so daß man es vor nötig erachtet, mich deshalben darüber zu vernehmen, und mir eine Erinnerung [Rüge] zu geben. Die Ehebrecherin in obgedachtem Kapitel hatte ich zu einer Kaufmanns-Frau gemacht, welches auch kein Ausleger leicht leugnen wird. Ich predigte auf die bösen unbarmherzigen Haus-Väter, und Haus-Mütter, und insonderheit auf diejenigen Frauen, die auf eine unchristliche Weise, und gar nicht, wie der Apostel Paulus will, mit dem armen Gesinde umgehen [Philem. 1,10–20], sondern alle Monate eine andere Magd haben müssen. Ich hatte damit eine gewisse alte Kaufmanns-Frau, so nicht mehr im Leben, entrüstet, so daß sie mich bei einem, von meinen vornehmsten Gönnern angeklaget, welcher ihr auch Gehör gegeben, und deshalben mich drüber vernehmen lassen. Ich hatte das unselige Schlagen, und Balgen in Schenken und Wirts-Häusern bestraft [getadelt], und solches mit dem weisen Salomo dem hitzigen Getränke [Spr. 20,1], und insonderheit dem Merseburger-Bier, dessen Gebrauch damals anfieng sehr gemein zu werden, zugeschrieben; aber auch dieses war nicht recht. Ich achtete es eben so sehr nicht, ob ich wegen des, was ich geprediget, von diesem, oder jenem zur Rechenschaft gefordert wurde. Nur bekümmerte mich dieses, daß, da ich ohne dem schon ein furchtsames Tier war, dadurch noch immer mehr schüchtern gemacht wurde, so daß ich hernach bei jedwedem Gleichnisse, Exempel, Meditation, und was ich etwan in die Predigten einfließen lassen wollte, zu zittern anfieng, und solcher Gestalt manchmal wohl dasjenige wegließ, was doch wohl zu vieler Erbauung würde haben gereichen können. Es kam noch dazu, daß, wenn ich mich gegen dergleichen Vorhalten verantworten wollte, mein unvermutetes Erschrecken, und die furchtsamen Gebärden den Schein eines Zornes, und einer unwilligen Alteration bei mir hatten; wie solches bei vielen Leuten, die meines Temperaments, gar was Gewöhnliches, aber wie aller Zorn zu sein pfleget, sehr verhaßt ist, und einen gar schlecht recommendiret.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 290-296.
Lizenz:

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon