§ 122

[300] Am wenigsten haben meinen Applausum und Erbauung die, so meines gleichen, gehindert, ja ihnen mehr, als mir selbst durch ihr Predigen wider mich geschadet. Ich will es gern als eine überbliebene Schwachheit bei einigen Lehrern ansehen, wenn es ihnen so schwer wird, des andern seinen Applausum zu vertragen; so daß sie auch ihren Unwillen deshalben in öffentlichen Predigten nicht bergen können, sondern des andern seine Liebe und Hochachtung auf allerhand Art und Weise zu schwächen suchen. Ich vor mich habe zwar niemals dieses begreifen können, indem ichs wenig geachtet, insonderheit nach der Zeit, wenn andere mehrern Zulauf des Volks, als ich, hatten; ja ich bin vielmals froh gewesen, wenn diejenigen in geringer Anzahl zu mir in die Kirche kamen, vor denen ich mich gar sonderlich in allen Worten in acht nehmen mußte. Sollte man denn den armen Leuten nicht die Freiheit zu urteilen lassen, welcher Prediger vor andern von ihnen gehöret zu werden meritire, und welcher sich vor ihren Zustand am besten schicke? Wünschen wir mit aufrichtigem Herzen, daß die Sünder mögen bekehret, und die Bekehrten im Guten mögen gestärket werden; was liegt uns denn dran, ob solcher Endzweck durch uns, oder durch andere, und öfters nach unserer Meinung, durch geringere Prediger, als wir selbst sind, erhalten werde? Man weiß ja wohl, daß öfters auch die größten Sünder durch Predigten eines geringen, und niedrigen[300] Lehrers von ihren Sünden sind abgezogen, und auf bessere Gedanken gebracht worden. Doch gleichwie die Menschen nicht alle einerlei Humeurs [Charakters] und Temperaments sind, folgentlich der eine wider diesen, der andere wider einen andern noch nicht völlig getöteten Affect zu streiten und zu kämpfen hat: so will ich deswegen andere in diesem Stücke nicht zur Ungebühr richten; indem die Ehre und Hochachtung anderer Menschen niemals sonderlich von mir in der Welt geachtet worden, so viel auch natürlicher Eckel vor des andern Verachtung gegen mich bei mir zu finden gewesen. Mich hat es vielmehr recht herzlich gejammert, wenn in Compagnien und Gastmahlen, zu denen ich in den ersten Jahren meines Predigt-Amtes öfters eingeladen wurde, diejenigen höhnisch verlacht, und durchgezogen worden, die meinen Zulauf nicht vertragen kunten, und deshalben mich so gar in ihren Predigten öfters anstachen, und herunter, und geringe zu machen, und dadurch meinen Applausum zu schwächen suchten. Denn es ist nicht zu sagen, wie viel solches den Glauben ihrer Zuhörer schwächt, und denselben zum Irreligionismo, wozu insonderheit die Hohen, und Vornehmen geneigt sind, den Weg bahnet, wenn sie merken, daß die Lehrer nicht, was Christi ist, sondern nur ihre eigene Ehre suchen, im Laster des Hochmuts, und Ehrgeizes selbst noch stecken, und Kraft dieser herrschenden Sünde anderer Leute Ehre nicht vertragen können.

Da hieß es nun bald anfangs von mir: die Leute wären nun lüstern, und liefen in solche Kirchen, wo die Lehrer ihre Predigten aus den engeländischen Theologis heraus schrieben. Wie falsch aber diese Beschuldigung sei, kann jeder sehen, wer meine in Druck gegebene Predigten lieset; allda wohl wenig, so den Engeländern abgeborget, zu finden ist; gesetzt, daß ich etwan auch einige von ihren Schriften gelesen hätte. Ein ander, der nicht mehr im Leben, ließ sich gar verlauten, man liefe nunmehro in die Kirche, wo Narrens-Possen, an statt Gottes Wort, geprediget würden; so nannte er die Acumina und Scharfsinnigkeiten, deren ich mich etwan zuweilen, wiewohl sparsam genug, zu bedienen pflegte; indem, weil er nicht viel Humaniora studiret, solche nicht anders zu nennen wußte, oder aus bösen Mute dieselben nicht anders nennen wollte; da er doch selbsten in seinen Predigten wohl eher aus dem Petronio die Historie von der Quartilla angeführet, die sich nicht mehr zu besinnen, noch einer Zeit ihres Lebens zu erinnern wußte, da sie noch eine reine Jungfrau gewesen. Weil neue Lieder in der Peters-Kirche gesungen[301] worden, so mußte ich auch deshalben sehr in andern Predigten herhalten, ob ich gleich bei Einführung derselben die wenigste Schuld hatte. Es hieß, die Leute würden in der Andacht gehindert, oder bekämen Gelegenheit, mit den Gedanken anders wo zu sein, weil ihnen das Lied unbekannt wäre, und sie das Lied nicht mit singen könnten; und was der elenden Gründe mehr waren, welche der gemeinste Mann gleich zu widerlegen fähig war, und also seinen Lehrer zu verachten anfieng, daß er nicht bessere Gründe, und Ursachen anzuführen wußte. Ist das nicht ein Lärmen wegen der neuen Lieder, sprach einst ein Bürger auf dem Heim-Wege? es heißt, man könne nicht mit singen. Wie haben denn die Leute vor 50 und 60 Jahren getan, da die alten Lieder, die wir jetzt singen, auch noch neu waren? Zur selben Zeit nahmen die Leute noch nicht die Gesang-Bücher mit in die Kirche, jetzund aber ist selten einer, der nicht sein Gesang-Buch bei sich hat, und also ja wohl das Lied, so gesungen wird, aufschlagen kann.

Am allermeisten declamirte wider mich einer, so auch nicht mehr vorhanden, und der es doch am wenigsten wohl Ursache hatte. Ich war mit ihm noch vor Zeiten in Collegia gegangen, hatte unterschiedene mal in Leipzig, und auch zweimal pro loco disputiret, und war als Magister legens schon ziemlich bekannt worden; und doch hatte er das Herze, seine Zuhörer einst zu bereden, es wäre nicht ein Schatten der Gelehrsamkeit bei dem zu finden, dem sie anjetzo so häufig [massenweise] nachliefen. Es wäre eine Torheit, daß sie sprächen: der, und der wisse alles, was im menschlichen Herzen verborgen liege; er kenne die ganze Natur des Menschen; es wäre dies nichts weniger, als Gelehrsamkeit: es wäre nichts leichter, als dieses; denn es dürfte ein jeder nur auf sein eigen Herz, auf seine Gedanken, Neigungen, Urteile, und Schlüsse Achtung geben, so würde er alles das von sich selbst merken, und erkennen können, wovon man so viel Rühmens machte, ohne daß es ihm ein Prediger erst sagen dürfte. Der Kar-Freitag Anno 1715 war wohl ein unglücklicher Tag in diesem Stücke vor mich; denn außer dem, daß dazumal die 5 erbärmlichen Jahre meines Lebens angiengen, welche ich besser unten beschreiben werde, so hatte eben dieser nicht nur des Morgens früh in der Predigt heftig auf mich abermals losgezogen, sondern trug auch kein Bedenken, nachmals bei der Leiche in meiner Gegenwart mir zum Angehör solche stachlichte Reden zu führen, welche seinen Zorn und Neid wider mich sattsam anzeigten. Er redete von Mode-Predigten, und wie das blinde[302] Volk im Wählen nicht nur in Dresden, sondern auch in Leipzig so tumm und unbesonnen handele. Ein anderer, der neben ihm stund, schien ihm beizustimmen, und erläuterte das, was er sagte, als ein in der lateinischen Oratorie vortrefflich geübter Mann, mit einer Passage aus einem alten Autore, der gesprochen: daß wenn mancher auch nur ein Zwerg in der Erudition wäre, sich doch als ein Riese aufrichten, und darstellen wolle. Die Umstände waren so klar, daß ich mit Recht schließen konnte, daß vieles mir zum Angehör geredet sei; da ich sonst gerne zugebe, daß dazumal vielleicht in andern Kirchen die Zuhörer zu frühzeitig geargwohnet, und manches Wort des Predigers auslegen wollen, als ob es auf mich gemeinet sei, da es solches doch nicht gewesen. Zum wenigsten sollte man bei dergleichen Begebenheiten, wenn in Städten der eine Prediger einen großen Zulauf vor andern bekommt, aus Sorgfalt auch allen bösen Schein meiden, damit nicht den Zuhörern, wenn sie ihres Lehrers und Predigers Neid, und Schwäche in diesem Stücke sehen, oder zu sehen vermeinen, ein Anstoß in der Religion, und in der Erbauung gesetzet werde.

Mein Glücke war, daß ich zur selben Zeit in meinen Predigten nichts von meinen besondern Meinungen einfließen ließ, sondern unser Systema vortrug, so wie ich mich eidlich dazu verpflichtet hatte; oder, wenn ja schon einiger Verdacht diesfalls sich bei einem, oder dem andern befand, solches doch keine wichtige Religions-Punkte anbetraf. Denn wenn ich es vollends darinnen versehen hätte, so würde meiner auf andern Kanzeln übel sein gewartet [mitgespielt], und ich gar bald zum Ketzer sein gemachet worden. Ob nun schon dies in Predigten nicht geschahe, so wäre ich doch bald vor der Zeit der Lehre halben in Schriften, so andere wider mich heraus gegeben, in Verdacht gesetzet worden. Anno 1722 gab Herr D. Schoen unter dem Namen Christiani Irenici seinen Tractat wider P. Neumeistern heraus. Weil es ein erdichteter Name, wie jedweder bald sahe, so wollte einst ein Käufer, so ein Studiosus, bei dem Buchhändler, der den Tractat verleget hatte, ominiren, raten, und aus dem Stylo urteilen, als ob M. Bernd der Autor wäre, ohne Zweifel bei dem Buchhändler durch solch Raten, und Fragen hinter den rechten Autorem zu kommen. Der Buchhändler, dem mein Ansehen dazumal wohl bekannt war, nach der List, welche bei solchen Fällen den Buchhändlern nicht ungewöhnlich ist, machte Mine, als ob der Käufer den Autorem erraten, und getroffen hätte, und läßt ihn mit solchen Gedanken, und mit dergleichen[303] Mutmaßung von sich. Der Buchhändler hatte dadurch seinen Endzweck erreichet, und dem Buche Cours gemachet; denn in einem Augenblicke breitete sich das Gerichte [Gerücht] in der Stadt aus, als ob ich der Autor des Tractats wäre, so daß die Exemplaria häufig [massenweise] gekauft wurden. Da kamen nun bald schändliche Schriften unter allerhand erdichteten Namen wider mich heraus, in welchen ich als ein Verräter der Wahrheit unseres Glaubens tractiret, und von meinen Widersachern, die etwan 3 Jahre älter waren, im 47. Jahre meines Alters vor einen jungen Magistellum [Magisterchen] ausgeschrien, und sonst zur Ungebühr gehandelt wurde. Da aber in kurzem das ganze Geheimnis heraus kam, und ich insonderheit meinem Patron, und Kirchen-Vater zeigete, auf was vor Weise das Gerüchte entstanden, so wurde die Sache zum Gelächter, und konnten die Schmähungen wider mich meinem Credite nichts schaden, weil sie alle auf das Vorurteil gebauet waren, als ob ich der Christianus Irenicus wäre. Ich geschweige, daß auch diejenigen, so wider mich schrieben, die man auch wohl unter ihren verstellten Namen erkennen konnte, wegen ihres blinden, und, wo nicht blinden, doch unmäßigen Eifers, den sie in Verteidigung der Wahrheit, und in der Art und Weise ihrer Streit-Schriften, die eher Pasquillen, als theologischen Schriften ähnlich sahen, blicken ließen, bei den meisten Gelehrten und Vornehmen dieser Stadt in schlechtem Ansehen stunden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 300-304.
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