§ 123

[304] Mehr Ursache unter das Unangenehme und Widerwärtige, so mir im Amte begegnet, habe ich zu rechnen sowohl die kränklichen Leibes-Zufälle, als auch hernach die schweren Gemüts- und Seelen-Leiden, so mich betroffen, und mir zugestoßen; welche öfters nicht wenig mich im Studiren, und Præmeditiren auf die Predigten gehindert, folgentlich auch den vielen Zulauf des Volkes nach und nach einiger maßen gemindert. Wie ich schon gedacht, so war ich noch nicht völlig von derjenigen Krankheit, so ich eben beschrieben, restituiret, als ich ins Amt kam. Der Kopf war schwach zum Denken, die Hand matt zum Schreiben, und die Füße ungeschickt zum Gehen. Zufälliger Weise, und wider mein Vermuten wurde ich davon in kurzem großen Teils befreiet. Ich merkte, daß, wenn ich geprediget, und im Predigen, sonderlich Nachmittage und Sommers-Zeit, ziemlich geschwitzet hatte, mir die Beine davon munter, und zum Gehen hurtiger gemacht worden, da ich mich sonst allezeit vor dem vielen[304] Schwitzen, als vor etwas, das meinem Leibe schaden würde, gefürchtet hatte. Da ich einmal hinter dies Geheimnis kommen war, so hatte ich so wenig Eckel vor dem Schwitzen, daß ich vielmehr mit Fleiß solches zu würken, und zu verursachen suchte. Ich nahm mit Freuden Vesper-Predigten über mich, so oft ich es mit gutem Fug tun konnte, und predigte mit Fleiß 6 bis 7 Viertel-Stunden, so unangenehm es auch einigen wenigen Zuhörern sein mochte, um desto besser zu schwitzen, und dadurch mein scorbutisches dickes Geblüte zu verdünnen. Eine Weile stund ich in einem großen Irrtum, als ob ein Glas Wein, das ich vor diesem sehr selten getrunken, mich stärken, und meine Leibes-Kräfte vermehren sollte, gieng deshalben öfters zu Gaste, wenn ich eingeladen wurde, und trug kein Bedenken eine und die andere Gesundheit [Prost] in einem Glase Wein Bescheid zu tun [erwidern], befand aber nach der Zeit, daß der Wein meiner Natur gar nicht zuträglich, und daß ein Trunk Bier, insonderheit nach der Predigt, und bei, und nach der Mahlzeit mir mehr Kräfte, als ein Glas Wein gäbe; ob ich wohl nicht leugne, daß man auf eine kurze Zeit den Leib, und sonderlich die Lunge, so man zum Reden braucht, durch einen Trunk Wein ganz ungemein stärken könne. Dannenhero ich auch, so oft ich in der Vesper geprediget, aus Not, nicht aus Wollust, zwei oder aufs höchste drei Gläser Wein getrunken, weil sonst bei Unterlassung desselben, wenn ich nur eine halbe Stunde geprediget, die Kraft zu schreien mich schon zu verlassen, und die Brust und Lunge wehe zu tun, anfiengen. Und weil dieses gar bald einigen von meinen übel-gesinnten Zuhörern kund wurde, so schrieben sie meine Einfälle und Meditationes dem Glase Weine zu, das ich vor der Predigt trank, welches hingegen andere wohl-gesinnte einer höhern Kraft, oder auch einer fleißigen Præmeditation [Vorbereitung] auf die Predigt zuschrieben.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 304-305.
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