§ 127

[311] Mit diesem ist ganz nahe verwandt ein anderer Affect, der mich auch bisweilen überfallen, auch wohl mit jenem zu gleicher Zeit mich incommodiret. Nämlich es wurden um ein leichtes, und öfters, ehe ich mich es versahe, die Lebens-Geister im Haupte so flüchtig, daß die Gedanken wunderlich unter einander zu laufen anfiengen, und daß mir lauter toll Zeug einfiel,[311] und Bilder vorkamen, die ganz keine Connexion unter einander hatten. Mit einem Worte, es ward mir so übel und seltsam, daß ich mich kaum erhalten kunte, daß ich nicht lärmte, schrie, jauchzete, und andere unanständige Dinge vornahm. Es kann einem Menschen, der seines Verstandes soll beraubet werden, nicht anders sein, so daß ich solches Übel jederzeit vor eine Disposition dazu angesehen, und mich nicht einen Schritt weit vom Delirio geachtet habe; wiewohl Gott noch allemal aus Gnaden solches abgewendet und verhütet. Ich kann nicht beschreiben, wie angst mir oft worden, wenn ich des Abends im Bette gern einschlafen wollen, und es im Haupte dermaßen zu stürmen, und unter einander zu gehen angefangen. Ach Gott! hilf mir, schrie ich oft, und errette mich. Wenn ich aber nur ein oder zwei Stunden bis um 10 Uhr, oder 1 Uhr hinbrachte, daß die Speise ein wenig mehr verzehret und verdauet war worden, und um die Gegend des Milzes es sich öffnete, allwo ich alsdenn einen dolorem gravativum [drückenden Schmerz] verspürte, so ließ das Übel ein wenig, ja öfters völlig nach. Schlief ich aber in noch währendem übeln Zustande ein, so traumte mir so gar zuweilen, als ob ich unter Menschen ohne den rechten Gebrauch meines Verstandes mich befände, und von ihnen verhöhnet würde. Es ist auch was Seltsames, daß ich, wie oben schon angemerket [S. 194f., 277], in meinem Leben keinen närrischen Menschen, der des Verstandes beraubet, ohne Übelkeit und Ängstlichkeit sehen kann. Ich zittere und bebe, worüber starke Leute lachen, und ihren Spott haben. Das Bild eines törichten Menschen, oder auch nur eines Patienten, der im Fieber raset, und seltsame Dinge redet, drücket sich so tief in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht heraus bringen kann, und immer eodem modo, und auf gleiche Weise agiren will.

Da mich dergleichen flüchtige Gedanken in meinem Leben das erstemal überfielen, und ich erschreckliche Suiten [Folgen] besorgte, so war meine Furcht und der Kummer, wer mich zu sich nehmen und verpflegen würde, ungemein groß. Jetzt aber, da ich ziemlich weiß, wo dergleichen Zufälle herkommen, und Gott noch immer gnädiglich durchgeholfen hat, wird meine Furcht durch das Vertrauen zu Gott um ein großes geschwächet, wiewohl ich doch allemal lieber große Schmerzen des Leibes, als diese Plage ausstehen wollte. Die schlaflosen Nächte, und die warmen Wasser-Tränke in allzu großem Maße, insonderheit wenn sie zu schwach gemacht sind, erregen mir leicht diesen Zufall, wenn ich mich nicht genug in acht nehme. Dannenhero so[312] oft ich ihn von ferne ankommen merke, so setze ich die Wasser-Tränke ein, und das anderemal aus, damit das Blut dicker werde, trinke ein starkes Bier, oder auch wohl ein Glas Wein, das den Kopf stärker macht, oder nehme eine Motion vor, welche mir ziemlichen Schweiß heraus treibet, wodurch eine Heiterkeit im Haupte verursachet wird. Ist das vielleicht auch nur eine Einbildung, möchte ich hier billig diejenigen fragen, die mich vor der Welt zum Narren gemacht, indem sie vorgeben wollen, als ob ich mir nur einbildete, krank zu sein? Sind die obangeführten Übel auch nur Einbildung, oder sind es Krankheiten, davon auch die Medici in ihren Schriften zu sagen wissen? Ist noch niemand seines Verstandes beraubet worden? Und sollten wohl andere Signa und Merkmale vorhergehen bei denen, über welche Gott eine solche schwere Plage verhänget, als diejenige, die ich jetzt nur angeführet, ob sie wohl von den wenigsten mag erkannt, und als ein Vorbote gemerket werden.

Und wenn sie auch gefühlet, erkannt, und vor solche Zeichen und Vorboten von denen angesehen wird, bei welchen sie sich spüren lassen; so sind dergleichen Leute vollends noch darinnen unglücklich, daß sie ihre Not ohne die größte Gefahr weder einem Medico, noch einem andern erzählen können; sonst würde solchem Übel öfters durch Medicamenta können vorgebeuget werden. Wenn ich einen fiebrichen Magen habe, und will einem erzählen, wie mir ist, und ihm eine rechte lebendige Vorstellung machen, so wird die Anwandlung des Fiebers nur noch größer. Von dieser Dispositione delirii kann ich jetzt hier noch schreiben; aber bei dem Übel, welches ich oben erzählet, nämlich bei den Spasmis und innerlichen Convulsionibus, hätte ich damals, als ich es mit meiner eigenen Feder aufschrieb, bald die Feder hinwerfen müssen, weil ich, indem ich eine deutliche Beschreibung davon machen wollte, mir die Sache gar zu lebhaft imaginirte, so daß ich daraus schließen kunte, daß bei mir die Disposition zu diesem Malo noch größer, als zu jenem sein müsse; wiewohl auch desselben Ausbruch jederzeit Gott noch abgewendet, wofür ich ihn in Ewigkeit loben, und preisen will. Es kam einst ein armes Weib zu mir, und brachte eine Wachs-Kerze, und ich weiß nicht mehr, was vor andere Kleinigkeiten, welche sie zum Geschenke unserer Peters-Kirchen bestimmet hatte. Ich wies dieselbe zu dem Herrn Vorsteher, oder zum Küster. Indem aber fieng sie ihre Not und seltsame Zufälle [Zustände] an, mir zu klagen; sie hatte aber kaum zu reden angefangen, so fieng sie an in der Rede zu stocken, und sich seltsam zu bezeigen, daß ich[313] nicht wußte, was ihr begegnen würde. Ich merkte gleich, daß sie mit eben dergleichen Übeln und Anwandlungen behaftet sein müßte, welches ich aus allen Umständen, und aus dem wenigen, was sie vorbrachte, schließen konnte, fiel ihr in die Rede, und sagte, daß ich schon wüßte, was ihr fehlte, und daß ich von dergleichen auch zu sagen wüßte; tröstete sie so gut ich konnte, mit dem Troste, womit ich mich oft getröstet hatte, oder von Gott war getröstet worden.

Ein curieuser Casus begegnete mir auch mit dem Herrn D. Stahl, der ehemals hier in Leipzig lebte, und ein bekannter Practicus war. Er besuchte um eben diese Zeit einen Studiosum, der bei [seit] vielen Jahren her mein guter Freund gewesen, und bei dem ich mich zu derselben Zeit eben auch befand. Nachdem er mit dem Patienten fertig war, und ihm die Arznei, so er brauchen sollte, vorgeschrieben; so dachte ich bei dieser guten Gelegenheit ihm ein wenig auch mein Anliegen, und meine Zufälle zu beschreiben, um zu hören, was er dazu sagen, und was er etwan vor ein Haus-Mittel darzu vorschlagen würde. Ich machte ihm eine Erzählung beinahe auf die Weise, wie das vorige Weib, so daß ich mich unmöglich deutlich, so wohl was die innerlichen Convulsionen, als den seltsamen Lauf der Lebens-Geister im Haupte anbetraf, expliciren, und ihm eine lebendige Vorstellung davon machen konnte. Er hatte aber aus den wenigen Worten, so ich machte, kaum gemerket, was mir fehlte; so fieng er an seltsam sich zu gebärden, zitterte, und stockte gleichfalls in der Rede, und da er kaum etliche abgebrochene, und unförmliche Worte statt einer Antwort mir gegeben hatte, so nahm er schnell und in dem Augenblick Abschied, und eilte so geschwind davon, daß wir uns alle über ihn verwundern mußten. Ich schloß gleich, daß er mit eben diesem Übel behaftet sein müsse; wie er denn auch hernach in einem von diesen zweien Übeln, so viel ich weiß, gestorben.


Anno 1714

Diese Dinge, die ich bisher erzählet, begegneten mir, so ich mich noch recht besinne, schier auf eine Zeit, oder kurz auf einander; und, damit ja alle solche Versuchungen bei mir, wo nicht auf den höchsten, doch auf einen hohen Grad getrieben würden, so wäre mein eigener Famulus, den ich stets um mich hatte, und den ich stets brauchen mußte, bald durch einen gewissen Zufall und Umgang mit einem Fanatico seines Verstandes beraubet[314] worden, welches mir auf einige Tage schreckliche Not verursachte, weil ich nicht wußte, wie er zu solchem Übel käme. Es fieng derselbe an 1714 zu Anfang des Sommers ganz seltsam und tiefsinnig auszusehen: redete wunderbare Dinge, in welche ich mich nicht finden kunte. Er gab vor, es sollte in kurzem eine Zeit kommen, da sollte ich durch ihn noch zu einem reichen Manne in der Welt werden. Er tat, und studirte nichts mehr, die Bücher ließ er liegen, gieng alle Tage aus, und kam des Abends wieder: vorgebende, er brauche nun kein Studirens mehr. In der Nacht hatte er keine Ruhe, und redete viel Dinge im Traum die ich nicht verstund, als der ich ihn wegen meiner Einsamkeit ordentlicher Weise [normalerweise] bei mir in der Kammer schlafen ließ. Und ob er gleich kein Bier mehr trinken wollte, sondern bloßes Brunn-Wasser trank, so sahe sein Urin doch aus, wie Blut; so daß ich eine excessive Hitze im Haupt, und große Gemüts-Krankheit bei ihm vermutete. Mein Gesinde, und die Haus-Purschen merkten solche große Veränderungen auch an ihm. Wem war bänger, als mir, als der ich, wie schon gedacht, dergleichen Leute in meinem Leben nicht vertragen können? Ich kann kaum beschreiben, was die Woche von 8. bis 9. [Sonntag nach] Trinitatis vor eine Angst-volle Woche vor mich gewesen. Bei den vielen guten Büchern hatte er auch allerhand fanatische Bücher gelesen, und ich hatte ihm wohl solches öfters, aber doch nach meinem damaligen Erachten, nicht mit genugsamen Nachdrucke widerraten, machte mir also ein Gewissen drüber, und sahe mich jetzt als eine Ursache mit an, dessen, was ihm zugestoßen. Ich fieng meine Predigt auf den 9. Trinitatis schon am Dienstage an zu elaboriren [auszuarbeiten]; denn ich wußte nicht, ob ich in den letzten Tagen darauf zu studiren geschickt sein würde. Und ich wäre es auch nicht gewesen. Denn am Sonnabend begehrte er, ich sollte ihm erlauben, nach Halle zu reisen. Die Motion würde ihm gesund sein. Die Ursache ließ sich hören; aber welch eine Not, ehe ich zum Entschluß kommen kunte, einen Menschen, der dem Delirio nahe zu sein schiene, alleine reisen zu lassen. Doch da er vorgab, er hätte schon einen guten Freund, der mit ihm Compagnie machen würde, so ließ ich mirs gefallen. Ich schaffte unterdessen sein Bette, und Bücher, so er in meiner Stube und Kammer hatte, in eine andere Stube, damit, wenn er wieder käme, ich ihn nicht mehr auf dem Halse, noch in der Nacht mehr um mich hätte. Ich wurde genötiget, Merseburger Bier zu trinken, mir den Magen, und das Haupt zu stärken, damit ich das Übel ertragen könnte. Es kam[315] kein Schlaf dieselbe Nacht in meine Augen, und sollte doch Sonntags drauf frühe predigen. So fertig ich auch die Predigt auswendig gelernet, und so viel Materie ich auch von den Reden der Ungerechten concipiret hatte, welche ich damals vorstellte, und die unter den 70 Predigten von mancherley Art gedruckt zu lesen, so machte doch die Furcht und Angst, mit welcher ich auf der Kanzel stund, daß ich alles geschwinde hinredete, und meine Predigt nicht viel über eine halbe Stunde währete, welches die allerkürzeste Predigt gewesen, so ich in meinem Amte gehalten. Nach einigen Tagen aber kam er zu meinem Glücke, und zu meiner Erlösung aus aller Not und Kummer von der Reise wieder: und da kam das ganze Geheimnis auch auf einmal heraus, welches er mir, ohne die geringsten Umstände zu verschweigen, entdeckte. Time, der Fanaticus, ein Schüler Zincks, und Gichtels, hatte bisher in dem Universitäts-Carcer nicht um der Religion, sondern um seines bösen Lebens willen gesessen. Mein Famulus geht durch den Zwinger spazieren, und läßt sich mit ihm durch das Fenster in einen Discours ein. Der Incarcerirte redet von lauter Unschuld, und tut so heilig, daß mein Famulus bewogen wird, ihn im Carcer zu besuchen, ohne mir das geringste davon zu sagen. Im Carcer macht Time ihm weis, er hätte den Lapidem [Stein der Weisen], und so bald er aus dem Gefängnis käme, wollte er nach Halle gehen: wenn er Lust hätte ihm Gesellschaft zu leisten, so wollten sie als Brüder zusammen leben, und sollte ihnen an nichts fehlen. Ja, was noch mehr zu merken, so giebt der Betrüger vor, er sei der Sohn Gottes, oder der Sohn Gottes werde in ihm nochmals die Menschen von allen Sünden und Aberglauben erlösen; und doch war mein Famulus so unvorsichtig, daß er von ganzem Herzen diese Dinge glaubte, und mit ihm nach Halle zog. In Halle aber merkte er mit mähligem, daß Time ein Narr, und verrückt im Kopfe, ja dabei ein böser Vogel, Schalk, und Betrüger sei. Nachdem sie im Wirts-Hause einige Tage gezecht, und der Wirt auf die Bezahlung dringet, ist weder Gold, noch Lapis [Stein der Weisen] bei diesem Goldmacher vorhanden; und muß mein Famulus meinen schönen blauen Mantel mit Golde bordiret, den ich ihm mit auf die Reise gegeben hatte, zum Pfande, und im Stiche lassen. Da giengen ihm nun freilich die Augen auf, so daß er sahe und erfuhr, was Time vor ein Kerl wäre. Ja sein Glaube, daß Time ein scheinheiliger Filou sei, wurde noch mehr bestärket. Da sie einst in Halle aus Curiosität zu einem von den Inspirirten giengen, welche dazumal Halle in Unruhe setzten, der gleich dazumal[316] Aussprache hatte, und von seinem Geiste getrieben redete. Ich habe dich verwirret, fieng der Inspirirte an, als er Timen kommen sahe, und ich will dich noch mehr verwirren. Time hatte sonsten viel von den Inspirirten gehalten, nun aber gab er sie vor Leute aus, so vom Teufel besessen; ohne Zweifel, weil sie ihm so schön die Wahrheit gesaget hatten. Wer war nun wohl froher, als ich, daß ich aus einer so großen Not und Anfechtung war befreiet worden? Doch so deutlich nun auch mein Famulus Timens Schalkheit gesehen, und erkannt hatte, so hatte er doch nach der Zeit eine Weile noch immer erbarmende Liebe vor ihn, so daß er ihm aus Commiseration [Mitleid] noch dann und wann ein Almosen schickte, weil er ganz verarmet war. Er war es aber kaum wert. Denn der törichte Kerl unterstund sich so gar zu prophezeien, es traf aber sehr schlecht ein, was er vorher sagte. Mein Famulus hatte ihn einst gefraget, was er von mir hielte; und in kurzem sendete er ihm sein Urteil, und Gutachten schriftlich zu, welches mir eingehändiget, und zu lesen communiciret [mitgeteilt] wurde. Er schrieb, er habe mich seiner Sophie aufgeopfert, und befunden, daß ich ein Babels-Knecht sei; und daß dem also sei, so sollten wir das zum Zeichen haben; In zwei Jahren sollte ganz Sachsen-Land in vollen Krieges-Flammen stehen, und gänzlich verwüstet werden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 311-317.
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