Anno 1715
§ 128

[317] Nun komme ich auf die 5 allerängstlichsten und betrübtesten Jahre meines Lebens, nämlich von 1715 bis 1720, unter welchen sonderlich das 1717. das merkwürdigste, weil darinnen solche Plagen ausgestanden, welche ich, ob sie wohl dem langwierigen Anhalten nach mit den andern nicht zu vergleichen, doch dem Wesen und der Beschaffenheit nach mit dem vergleichen kann, was ich Anno 1704, 1728 und 1736 erlitten. Der Grund darzu ist wohl abermals anfangs in meinem Leibe, und dessen kränklicher Disposition, wie auch in der unordentlichen Diæt zu suchen, wodurch ich mir solche zugezogen. Ich hatte drei Jahr schon das Aderlassen und Purgiren übergangen. Das Blut war dicke, der Kopf hitzig, die Galle schwarz, der Milz, Mesenterium, und andere Gefäße waren dadurch verstopft worden. Des Morgens trank ich alle Tage Caffée, der noch diese Stunde, wie ich aus der Erfahrung weiß, fähig wäre, eben solche Zufälle zu verursachen, daferne ich mich desselben beständig, und ohne[317] denselben bisweilen auszusetzen insonderheit des Morgens bedienen wollte. Um Vesper-Zeit trank ich nichts, und aß doch des Abends wieder Fleisch und harte Speisen, da der Magen noch nicht den Schleim verzehret, der vom Mittags-Essen noch übrig war, so daß notwendig im Magen alles, wo nicht zu verfaulen, doch zu verderben anfangen mußte. Dadurch entstanden Spasmi, Contractiones nervorum, mit denselben Furcht, und mit der Furcht flüchtige Gedanken, ängstliche, traurige, und schreckliche Gedanken, wo immer einer den andern heckte und herfür brachte, bis wiederum die alten Ideen, und Einfälle von schrecklichen Todes-Fällen im Kopfe rege worden. Jetzt weiß ich ziemlich die Ursachen von diesen Übeln anzuführen, damals aber wurden die Augen meines Verstandes ohne Zweifel von Gott gehalten, daß sie solche nicht kannten [vgl. Luk. 24,16]: wie Gott zu tun gewohnt, wenn er Angst und Trübsal über die Menschen kommen, und sie doch nicht zur Erkenntnis kommen läßt, woher solche rühre, bis er durch seine Züchtigung den Endzweck erhalten, den er gesuchet. Es schien wohl, als ob diese Plagen aus besonderm Rat, und Vorsehung Gottes über mich kämen. Denn ich hatte Gott versuchet, und beinahe zu solchen harten Mitteln ihn veranlasset. Ich hatte noch eine gewisse sündliche Schwachheit an mir, welches ich gern los gewesen wäre. Ich klopfte mit Gebet an der Türe des Himmels deshalben an, ja ich hatte einige Jahre hinter einander bereits angeklopfet, und auf die letzte [zuletzt] mochte wohl solch Anklopfen zu stark, und mit solchem Ungestüm, Trotzen, und Provociren geschehen sein, als ob Gott nicht einmal capable [fähig] wäre solch Übel zu heilen, und ob solches alles lauter Betrügerei wäre, was in der heiligen Schrift von seiner Gnade und Beistand des Heiligen Geistes stünde. Nun wiese [zeigte] mir Gott in der Tat, und aus der Erfahrung, daß er Mittel, und Wege genug habe, sündlichen Torheiten, so im Kampfe wider die Sünde aus Schwachheit noch begangen werden, und die dem Menschen eine Last sind, zu steuren, und Einhalt zu tun. Denn diese 5 Jahre wurde ich so gedemütiget, daß von allen den Sünden, die mir noch ein Dorn in Augen, und ein Eckel in der Seele bisher gewesen waren, nichts übrig bleib, ja nach meinem Erachten nun schier ohne Sünde zu sein schien, ohne daß die Furcht, Zweifelung, und das Mißtrauen, ob ich bei Gott in Gnaden wäre, welches durch die schrecklichen Zufälle bei mir war erreget worden, von mir als Sünde angesehen wurde.

Großer Zorn ziehet öfters Schwermut nach sich. Sonnabend[318] vor Reminiscere [2. Fastensonntag] 1715 geriet ich in einen unmäßigen Zorn über meinen Famulum, der zwar auch mehr, als jemals mit Ungestüm mich anfiel, daß ich ihm nicht mehr zu Peruque, und Kleidung geben wolle, dergleichen ich ihm doch versprochen hätte; den ich aber doch wohl zu harte deswegen schalt und strafte. Doch mochte wohl auch mein damaliger Zorn schon aus einem gallichten, und verschleimten Leibe großen Teils herkommen. Denn ich kunte mich gar nicht darein finden, warum mir zur selbigen Zeit alles zuwider, und mich alles, wenn es auch noch so geringe Dinge waren, in Zorn und Furcht setzen wollte; so daß ich mich recht darüber sowohl betrübte, als verwunderte. Feuers-Brünste sind sonst etwas, das mich niemals in meinem Leben in sonderliche Bewegung gesetzt, sie haben mögen ferne, oder nahe sein. Als dieses Jahr in der Fasten-Zeit, wenn ich mich anders noch recht erinnere, in Baumeister Lehmanns Hause Feuer auskam, und ich das Feuer und Rauch aus dem Marstall aus meinem Fenster sahe, so war ich voller Angst, Zittern und Erschrecken, so daß ich auch darüber reflectirte, und über solchen Affect recht erstaunete, weil er bei dergleichen Fällen niemalen sonst bei mir entstanden war. Gegen Ostern sahe mich alles ängstlich an, oder was ich im Hause ansahe, das sahe ich mit traurigem, und schwermütigem Geiste an.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 317-319.
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