Anno 1717
§ 135

[329] Das war der erste Sturz auf dieses Jahr, so ich auszustehen hatte: der andere war noch härter, und kam zu Anfange der Fasten-Zeit über mich. In der Fasten-Zeit, und vornehmlich in der Marter-Woche, in welcher ich geboren worden, habe ich allemal in meinem Leben die größten Anfechtungen ausgestanden. Gleich nach Invocavit [1. Fastensonntag] wurde ich zu einer Mäurerin, so bei dem Eingange in die Sand-Gasse vor dem Peters-Tor wohnte, geholet, welche schwanger war, und vom Teufel übel geplaget, und angefochten wurde. Wie ich schon oben [S. 178f.] bei anderer Gelegenheit das Exempel dieses Weibes angeführet, und ihren Zustand beschrieben, so war ihre Furcht und Angst so groß, daß sie, wie sie selbst vorgab, den Teufel in abscheulicher Gestalt in der Nacht sahe, durch dessen Anblick sie auf solche verzweifelte Gedanken gebracht wurde, daß sie meinete, sie wäre von Gott verstoßen, und würde ein Ende mit Schrecken nehmen. Man mußte bei ihr wachen, denn sie wollte davon laufen, und selbst Hand an sich legen. Darbei hatte sie, wie oben gleichfalls schon gedacht, noch einen andern Zufall. Sie wurde mit einem Bilde und Idée im Gemüte geplaget, als ob sie ihre Kinder mit Grimm und Furore anfiele, und sie erwürgete: und hatte doch keine Reizung noch Lust dazu. Herr Jesus, rief sie aus, ich liebe nichts so sehr auf Erden, als meine Kinder, sie haben mir nichts getan, und es ist mir doch immer, als wenn ich sie anfiele und ermordete; so daß ich meine Hände kaum enthalten kann. Sie bat auch, man möchte sie nicht alleine lassen, oder ihr die Hände binden, damit sie sich nicht an ihnen vergriffe. Dieser Affect war mir gar wohl bekannt, denn ich wußte davon aus der Erfahrung zu reden, und mag hier nicht wiederholen, was ich schon an einem andern Orte davon erzählet habe. Das beste war, daß diese Mäurerin bei solchem Zustande ihres Verstandes nicht beraubet wurde; denn daferne solches geschehen wäre, so wollte ich wer weiß was wetten, daß sie die Kinder würde angefallen, und ohne Verstand nach dem Bilde gewürket haben, was sie im Kopfe hatte, und das getan, wovor sie die größte Furcht und Abscheu hatte. Nun Gott erbarmte sich endlich dieses Weibes, und half durch leibliche und geistliche Arznei-Mittel, daß sie wieder gesund wurde. Der Medicus gab ihr eine starke Purganz ein, und weil es darauf bald mit ihr besser wurde, so hatte ein gewisser Magister seinen Spott damit, und ließ sich im Collegio[330] verlauten: den Teufel, den M. Bernd nicht mit allem Zureden austreiben können, den hätte der Medicus durch eine gute Purganz vertrieben. Ich habe anderswo schon gewiesen, wie falsch dieser Schluß sei, so lustig und specieux [eingängig] er auch aussiehet. Es folget nicht: Das Weib ist nach der Purganz gesund worden, so daß sie der Teufel nicht mehr angefochten; Ergo ist zuvor gar keine Anfechtung des Teufels vorhanden gewesen. Denn wie, wenn nun der Teufel nicht in einen jeden Leib und Humeur [Charakter] nach seinem Gefallen agiren, und würken könnte? Die Historie, die ich einst in einem andern Orte erzählet, kann dieses illustriren und erläutern. Titius, ein Medicus, hat eine schöne Blut-reiche, und zur Geilheit geneigte Frau. Ein junger Edelmann, ihr Nachbar, Cajus, stellt ihrer Keuschheit nach, und sucht auf allerhand Art und Weise zu dem Endzweck seiner Begierden zu gelangen. Der Medicus merkt das, und beredet seine Frau, sie sähe sehr kränklich und unpaß aus, sie müßte zur Ader lassen. Sie tat es auf sein Einraten, und in einigen Wochen wieder, ja wo mir recht ist, so hat er in kurzer Zeit dreimal derselben ihr überflüssiges geiles Geblüte weggelassen. Und, siehe, da jetzt Cajus denkt seine Conquête [Eroberung] zu machen, so findet er gar nicht mehr bei der Frau Doctorin die Bereitwilligkeit, und die Zuneigung, welche er in der ersten, und vor diesem gemerket hatte, sondern einen Widerstand und Unwillen, dessen er sich nicht vermutet hätte. Wie, wenn nun einer hier schließen wollte: Dieses Weib ist durch Aderlassen von ihren geilen Begierden und Reizungen zum Ehebruche curiret worden; Ergo hat sie vorher nicht Cajus, sondern nur ihr Fleisch und Blut zur Unzucht gereizet, würde das nicht ein schöner Schluß sein? Also auch hier. Es folget nicht, ein Weib ist nach einer starken Purganz der melancholischen, und selbst-mörderischen Gedanken los worden; Ergo sind dieselben vorhero bloß der Melancholie und Leibes-Krankheit, und nicht zugleich dem Teufel zuzuschreiben gewesen. Der Teufel gießt, wo es schon naß ist, haben die Alten gesaget. Die Versuchungen des Satans zu einer gewissen Tat richten sich nach dem Temperamente des Menschen, der vom Teufel geplagt wird. Weder ich, noch der Teufel werden einen puren Geizhals bereden können, daß er tanze, springe, lustig sei, und das Geld, welches er mehr, als alles liebet, wie der ungeratene Sohn, mit Wollust, und mit den Huren durchbringe [Luk. 15,11–32]. So sind die Raillerien alle beschaffen gewesen, womit einige Philosophi vor diesem unzählige Auditores allhier um die Religion gebracht, und zum Atheismo verleitet haben:[331] Pure Sophismata, wenn man sie bei dem Lichte besiehet, so lustig sie auch vorgetragen worden.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 329-332.
Lizenz: