Anno 1717
§ 137

[335] Doch das war nur Scherz und Spiel gegen die grausamen Anfälle des Satans, und des Fleisches, welche gleich darauf folgeten. Weil ich wegen solcher Bekümmerung in feurige Hitze des Hauptes geriet, und keinen Schlaf in meine Augen bringen konnte, so wurde der Kopf höchst schwach. Zu dem schwachen Haupte schlugen alle Zufälle zu, welche ich Anno 1704 um eben diese Zeit gehabt hatte, und von denen ich geglaubet, daß sie niemals wieder kommen würden. Das heißt, bei großer Hitze des Hauptes entstund nun das andere mal in meinem Leben im Gehirne schnelle das Bild von der Selbstberaubung meines Lebens, und darauf die Einbildung, und Furcht, das zu tun, wovor ich den größten Abscheu hatte. Die Einbildung war insonderheit gerichtet auf den zukünftigen Sonnabend, als den Sonnabend vor Palmarum [Palmsonntag], wenn ich Sonntags drauf würde predigen sollen. Diese Gedanken setzten mir heftig zu, und ließen mich die ganze Woche zu keiner Ruhe kommen. Die ersten Anfälle geschahen gleich Montags nach dem Sonntag Judica [5. Fastensonntag], denen ich zwar durch einen Spazier-Gang in die freie Luft zu begegnen suchte; allein derselbe lief gar unglücklich vor mich ab, so daß das Übel dadurch mehr vergrößert, als vermindert wurde. Ich gieng nach Linckel früh um 9 Uhr, wo ich vor diesem mehrmalen gewesen war. In tiefen Gedanken nahm ich den Weg durch den Hof des Wirtshauses; indem ich aber aus Unachtsamkeit mich nicht nach dem Hunde im Hofe, und dessen Hütte umsehe, so gehe ich, um den bösen [schlechten] Weg zu vermeiden, harte bei derselben vorbei und werde unversehends vom Hunde, der aus der Hütten sprang, angefallen, daß ich nicht anders meinte, ich müßte vor Schrecken des Todes sein. Alle Glieder im Leibe zitterten, und bebeten mir und bekam noch ein neues Übel darzu, mit welchem ich auch schon öfters genug war geplaget worden, nämlich Spasmos, und innerliche Convulsiones, mit welchen ich den ganzen[335] Tag, und im Heimwege zu ringen hatte. Der Palm-Sonntag kam immer näher, auf welchem das Fest Mariæ Verkündigung einfiel, just wie Anno 1704 und die Furcht nahm zusehends zu. Ich hatte mit Kummer und Not kaum eine Sciagraphie [Abriß] statt der Predigt verfertigen können, in welcher ich die Vernunft zur Quelle des gottlosen Lebens gemacht: nach derselben sollte ich nun predigen, und konnte sie vor Angst nicht memoriter durchgehen [auswendig lernen]. Sonnabends Abends war die Not und Angst am größten, ehe ich schlafen gieng, weil ich solchen Abend vor den gefährlichsten, vermöge meiner Furcht, Angst, und Einbildung halten mußte. Ich wollte nach Tische das eine Licht putzen, ich putzte es aus Versehen aus: über eine Weile wollte ich das andere putzen, es gieng mir aber eben so. Aus dergleichen Dingen, so natürliche Ursachen sie auch haben, machen Melancholici zur Stunde der Versuchung lauter Omina und Vorbedeutungen. Die erschrecklichsten Gedanken kamen Heerweise und schlugen und stürmeten im Gemüte, so daß niemand solches verstehet, als der es erfahren, und trat da recht ein, was ich oben [S. 190] aus Luthero von der Weise des Satans, wenn er cum furore und auf eine stürmische Weise mit den Menschen disputiret, gesaget habe. Es schien schon, als ob die Fenster von starkem Winde anfiengen zu beben, so daß ich nicht länger offen bleiben, sondern zu Bette gehen, und Gotte auf Gnade und Ungnade mich ergeben, und wie jene denken mußte: Komm ich um, so komm ich um, Esth. 4. v. 16. Zu allem Glücke hatte ich doch bis um 1 Uhr, und also 2 Stunden geschlafen. Von 1 Uhr blieb ich in der Angst bis um 6 Uhr liegen, und war nun wohl schon ziemlich froh, daß mich Gott die Nacht vor dem Übel bewahret hatte, was ich gefürchtet. Ja auch nach der Predigt, die noch ziemlich abgieng, auch noch besser würde abgegangen sein, wenn nicht ein gewisser Magister in einer Kapelle mit seinen gewöhnlichen Narrenspossen, und Moquerien über jeden Paragraphum, den ich redete, mir solche ziemlich sauer gemacht hätte, entstund freilich bei mir, wie leicht zu erachten, eine ungemeine große Freude; die aber, so groß sie auch war, doch nicht lange währen kunte.

Denn weil diese Anfechtung der ersten Anno 1704 ganz ähnlich war, so war noch der Kar-Freitag vor der Türe, vor welchem Tage mir noch bänger war, als vor dem Palm-Sonntage. Ich tat Montags nach Palmarum einen neuen Spazier-Gang nach Wahren, um zu sehen, ob derselbe glücklicher sein würde, als der vor acht Tagen, und um der neuen Angst zu steuren,[336] welche sich die vorige Nacht, da ich vom Schlafe erwacht, bei mir wieder eingefunden. Allein der Spazier-Gang war nicht viel anders, nur daß die Angst nicht so gar groß, wie zu Hause, war. (Hier urteile der Leser, wie unrecht mir einige von meinen Zuhörern getan, wenn sie meine Spazier-Gänge so übel ausgeleget, da mich solche schreckliche Seelen- und Leibes-Übel dazu veranlasset. Der Herr Magister lauft auf die Dörfer, wie man weiß, wurde mir einst in einer Gerichtsstätte unter die Augen gesagt.) Auf dem Wege nach Wahren war mein Leib und Haupt so schwach, daß mich ein Bäcker, der mit Getreide in die Mühle fuhr, aufladen, und mitnehmen mußte. Der Fuhrmann war weit genug von dem Flusse entfernet, und durfte doch den Fluß nicht mit meinen Augen ansehen; denn das Bild von Ersäufen war so lebendig in mir, und so groß, daß mir von wegen der lebendigen Vorstellung, die wider meinen Willen, und mit Gewalt in mir entstand, im Leibe übel wurde; dannenhero ich meistens den Kopf zur rechten Seite halten, und ins Feld hinaus sehen mußte, ob ich gleich wenig Lust zum Wasser hatte, und dasselbe so sehr, als eine Katze scheuete. In Wahren fand ich nichts zu essen. Zur Not richteten sie mir eine Bratwurst zu, welche aber so gesalzen, und gepfeffert war, daß ich sie nicht essen kunte; und das Bier, weil es noch jung war, war voller Hefen, so daß ich meinem Leibe dadurch eine schlechte Güte tat. Zu allem Unglücke kommt noch ein Junge in die Schenke, der närrisch ist; und ich hatte alle Not, ehe ich es durch die Leute im Wirtshause dahin brachte, daß sie mir den Jungen hinweg, und vom Halse schafften, weil ich dergleichen Leute nicht vertragen kann, und solche niemals weniger zu ertragen sind, als wo das Gemüte durch andere heftige Affecten schon zerrüttet, und geschwächet worden. Am grünen Donnerstage hatte ich Anno 1704 in der Niclas-Kirche durch die Predigt des Herrn M. Weisens, wie oben gedacht, einigen Trost und Stärkung ins Herze bekommen: und der gegenwärtige grüne Donnerstag war auch schier so beschaffen. Als ich nach der Kirchen nach Hause kam, von Angst und Furcht ganz ausgemergelt, warf ich mich auf die Knie, und dachte: ich will nicht eher aufstehen, bis mich Gott erhöret. Ich redete mit Gott, und schüttete mein ganzes Herze aus, schier wie Juda, als er bei Joseph vor seinen Bruder Benjamin intercedirte [1. Mos. 44,18–34]; und es fehlte nicht viel, so hätte sich Gott nicht länger enthalten, noch gegen mich länger harte stellen können. Vertrauen und Hoffnung wuchs zugleich im Gebet, und die Furcht wich großen Teils aus dem Herzen. Ich stund aber doch zu bald[337] vom Beten auf, und hätte noch länger sollen anhalten, und inbrünstiger werden. Nach der Zeit, weil ich doch noch zwei Jahr mit dergleichen, und andern großen Leibes- und Gemüts-Plagen zu ringen hatte, ob dieselben gleich nicht mehr so heftig waren, habe ich vielfältigmal bei mir selbst gesprochen: Wenn du doch in diesem grünen Donnerstage länger im Gebet hättest angehalten, du würdest den Teufel, deine Furcht, und alle deine, sowohl damalige, als gegenwärtige Übel aus deiner Seele hinweggebetet haben.

Weil nun das nicht geschehen war, so brach der ängstliche Abend vor dem Kar-Freitage an. Weil die Angst mit großer Hitze im Haupte verknüpfet war, wie ich ausdrücklich spürte, so geschahe es, daß, vielleicht nicht ohne Schickung Gottes, mir vor dem dicken braunen Bier eckelte, und hingegen eine Neigung Lebigüner [Weißbier aus Löbegin] zu trinken bekam, in Hoffnung, wenn ich das hitzige Geblüte ein wenig würde ausgekühlet haben, so würde der Schlaf befördert werden, der nun bei [beinahe] 14 Tagen außen geblieben war. Nun hatte ich mich wohl in diesem Stücke gewaltig im Urteilen vergangen; denn der Lebigüner, weil er ein kühlend Getränke ist, hemmete vielmehr den Schlaf; wie denn insgemein die braunen Biere mehr narcotische und Schlaf-machende Kraft bei sich haben; gleichwohl aber hörete die Ängstlichkeit und Bangigkeit im Herzen, und die Hitze im Haupte auf, so daß ich die ganze Nacht in einer Indifference und Gleichgültigkeit ohne Schlaf da lag, und weder Trost noch Angst, weder Furcht noch Hoffnung hatte, und in so weit doch froh war, daß ich nicht schlief; denn so durfte ich nicht fürchten, daß ich im Schlafe, und ohne mein Wissen und Willen tun würde, was bisher meine tägliche Furcht gewesen war. Im Kar-Freitag predigte ich über das 53. Kapitel Esaiæ ohne Disposition, dergleichen zu machen meine Plage mir nicht genug Kräfte gegeben hatte. Ich erklärte das Kapitel von Wort zu Wort, und streuete erbauliche Betrachtungen hier und da mit ein, so gut sie mir in solcher Not einfielen; mußte aber die ganze Predigt vor Mattigkeit sitzen, und unter andern auch zu dem Ende, damit mich nicht eine andere Idée, weil die Kanzel niedrig ist, und der Prediger hoch über der Kanzel wegstehet, perturbiren, und irre machen möchte; dergleichen Idée in diesem betrübten Jahre bei schwachen Haupte in vielen Sonntagen was Gewöhnliches war, und mich zum Sitzen nötigte. Die Predigt gieng mir gut vom Munde, so daß auch einige Zuhörer ihr Vergnügen darüber bezeugeten, und wunder meineten, wie[338] wohl ich darauf müßte studirt haben. Ich dachte aber: ihr guten Leute, wenn ihr wissen solltet, wie mir diese Woche zu Mute gewesen, ihr würdet wohl am längsten zu mir in die Predigt gekommen sein. Nach der Predigt hatte ich, wie jeder leicht denken kann, einen recht freudigen, und mit stetem Frohlocken des Herzens angefüllten Tag; denn ich sahe freilich dieses alles, als eine besondere Gnade von Gott an, daß ich bei dieser Krankheit nicht umgekommen, und daß mich das Übel nicht betroffen, so ich gefürchtet, und mir eingebildet. Ich wollte immer bald den Palm-Sonntag, bald den Kar-Freitag aussetzen, und hatte deswegen den unsäglichsten Streit bei mir im Gemüte; Gott aber sei Dank, daß ich solches nicht getan, sondern die Resolution endlich ergriff, und bei mir dachte; es mag gehen, wie es will, ich will predigen, und wenn alle Teufel wider mich stritten: falle ich des Nachtes, so falle ich, genug daß ich weiß, daß solches mit Wissen und Willen nimmermehr geschehen wird. Denn hätte ich die Predigt ausgesetzt, so wäre solches aus Mißtrauen auf Gottes Beistand geschehen, und die Furcht und Einbildung, ja die ganze Plage würde dadurch ehe [eher] sein vermehret, als gemindert worden, ja wie ich hernachmals oft zu schließen geneigt war, so würde das geschehen sein, was ich befürchtet hatte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 335-339.
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