Anno 1717
§ 139

[344] Bei solchen großen Übeln, insonderheit bei dem, was ich 14 Tage vor Ostern Anno 1717 ausgestanden, war ich vielmal besorgt wegen des Zukünftigen. Da mir Gott nun schon das andere mal solche überschwengliche Gnade erzeiget, und denjenigen Tod nicht über mich verhänget, den ich so sehr gefürchtet, sondern mich allemal davor noch bewahret; so fürchtete ich mich nun vor nichts so sehr, als daß ich nicht etwan von neuem in Sünde fallen, und Gott zum Zorne reißen möchte. Denn weil Gottes Gnade so gar überschwenglich groß über mich gewesen war, so dachte ich, wenn ich nun da und dort etwas von neuem versehen sollte, so möchte wohl Gott endlich des Erbarmens müde werden, und meiner natürlichen Krankheit ihren Lauf lassen, so daß endlich kommen dürfte, was ich so lange befürchtet. Dannenhero bat ich Gott zu solcher Zeit vielfältig mal, er möchte mich doch lieber töten, und eher aus der Welt wegnehmen, als geschehen lassen, daß ich von neuem seinem Willen zuwider lebte, und seiner Gnade mich verlustig machte. Ich trieb dieses so oft, und wiederholte diese Bitte so vielfältig mal, daß mir endlich auch das Herze darüber zu schlagen und ich die Billigkeit meines Tuns und meines Gebets in Zweifel zu ziehen anfieng. Denn es schien, als ob ich der Gnade Gottes Grenzen setzen wollte, da doch Gott auch wohl noch ferner Gnade vor[344] Recht könnte ergehen lassen, gesetzt auch, daß ich es da und dort etwan wieder versehen, und von der Welt und meinem Fleische mich zu einer Sünde sollte verleiten lassen, als der ich im Herzen ohnedem feind war, wider derselben Anfälle stritte, und nichts auf Erden so sehr, als dieselbe, und die erschrecklichen Folgen, so sie nach sich ziehet, fürchtete. Ich hörte also auf diese Bitte ferner zu tun, und ließ ab Gotte zuzumuten, oder beinahe vorzuschreiben, daß er mich lieber töten, als zulassen mochte, daß ich von neuem wider ihn sündigte. Und siehe, ich hatte nicht unrecht von der überschwenglichen Größe der Gnade Gottes bei dieser Gelegenheit geurteilet; indem mich nach der Zeit die Erfahrung gelehret, daß Gott nicht nur ein, und zweimal, sondern noch mehrmal aus großen Nöten, die uns betreffen, helfen könne, und auch zu helfen pflege; es mögen nun neue Sünden zu solchen Nöten Gelegenheit geben, oder Gott mag durch dieselbe unsern Verderbnissen, und derselben Ausbrüchen zu steuren, solche über uns kommen lassen. Denn diese Gemüts-Plage, so ich An. 1704 und An. 1717 vor Ostern ausgestanden, ist in meinem Leben noch zweimal um eben diese Zeit nach diesem über mich gekommen, und noch dazu in größerm Maße; und aus allen, und jedesmal hat mich doch der Herr erlöset.

Indem ich aber dieses schreibe, und du dieses liesest, so begehre ich nicht, daß du deshalben ein großes Mitleiden mit mir haben dürftest, welches bei solchen Fällen die Liebe, und die Gewogenheit leicht erregen könnte. Denn du magst sicher denken, wo solche schreckliche, und seltsame und ausnehmende Plagen und Trübsalen, und noch dazu zu unterschiedenen malen von Gott über einen Menschen verhänget werden, daß entweder noch viel Unlauteres, und sündliche Verderbnisse, so dergleichen bittere Ruten verdienen, müssen gefunden werden; oder daß Gott vonnöten habe, durch solche Übel einen Menschen vor Rück-Fällen und vor der herrschenden Liebe der Welt, die ohne solche starke Demütigungen leicht wieder einwurzeln würde, zu bewahren. In meinen jüngern Jahren hatte ich die Meinung, welche Erasmus Roterodamus in seinem Tractat, Militia Christiana genannt, hat, und dachte, eine ungewöhnliche, und schreckliche, große Anfechtung könne nur über einen Menschen einmal in seinem Leben kommen, daferne sie nur einmal glücklich überstanden wäre; ich bin aber nunmehro durch mein eigen Exempel ganz ein anders gelehret worden. Zum wenigsten glaubte ich gänzlich, wenn eine große schreckliche Anfechtung wieder käme, sie könnte das andere mal nicht in so großem Maße sein, noch den[345] Menschen in so große Angst, und Furcht, und Bangigkeit, als das erste mal, setzen, weil ja bei einem solchen Menschen leicht das Vertrauen entstehen könnte, daß der Gott, der das erste mal geholfen, auch das andere mal helfen werde, und daß er leicht einen Schluß machen könnte, dergleichen David einst machte, da er wider den Goliad stritte, und dachte: Der Gott, der mich von Löwen und Bären errettet, wird mich auch aus der Hand dieses Philisters erretten [1. Sam. 17,17]. Allein daß auch bei neuen, und wiederholten großen Plagen, und Anfechtungen unser Glaube schwach genug werden, und folgentlich Furcht, Angst, und Zaghaftigkeit eben so groß, ja noch größer, als das erste mal, darbei sich finden können, und daß man alsdann gar leicht denken könne, als ob nunmehr Gott endlich den natürlichen Folgen der Sünde, oder eines kranken Leibes, ihren freien Lauf lassen, und auf solche Weise mit uns den Garaus machen werde, insonderheit wenn es das Ansehen hat, daß eine gewisse Unbeständigkeit, oder auch nur Kaltsinnigkeit im Guten und in der Gottseligkeit solchen Plagen vom neuen die Türe aufgetan, das wirst du aus meinem Exempel lernen können.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 344-346.
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