Anno 1733–34
§ 151

[370] Von Anno 1733 bis 1734 sollte ich nun zum letzten Teil der Moral schreiten, welchen ich aber erst An. 1736 unter dem Titul: Leben des Glaubens in der Liebe gegen Gott, gegen den Nächsten, und gegen uns selbst, herausgegeben: ich konnte aber mit mir selbst nicht einig werden, und weiß nicht, ob die nötige Größe des Tractats, die ich vorhersahe, oder was es gewesen, welches gemacht, daß ich schwer dran gieng, und vor dieser Arbeit einen Eckel hatte. Ich spürte bei mir große Neigung etwas anders zu schreiben, und wußte doch nicht was. Um Mariä Reinigung 1733 spürte ich in meiner Seelen viel gute Veränderungen[370] und Würkungen Gottes. Ich weiß nicht, ob meine Eltern, oder wer in der Jugend mir diesen Fest-Tag, und das Evangelium vom alten Simeon [Luk. 2,22–32], und dessen Inhalt so sehr ins Herze gepräget, daß schon von dem 16. Jahre an meines Lebens ich an demselben Tage allemal groß Vergnügen an Gott und seinem Worte, und an dem öffentlichen Gottesdienste gespüret. Ich ärgere mich, daß ich so sehr zum Aberglauben wider meinen Willen bin geneigt gewesen, so daß ich auf Tage zu halten angefangen, und wenn mir in einem Tage, oder Fest-Tage etwan ein großes geistliches Glück, oder Unglück begegnet, ich hernach, wenn diese Zeit wieder kommen, mir es nicht aus dem Sinne schlagen können, sondern abermal entweder ein gleiches Unglück gefürchtet, oder ein gleiches Glücke und Segen von Gott in Gnaden gehoffet. Ein gleiches muß ich auch von den letzten Tagen gegen Ostern sagen. Ich weiß es, und bins überzeugt, daß es ein purer kindischer Aberglaube ist, und nicht den geringsten Grund hat, was man von dem Sonntag Judica [5. Fastensonntag], und vom schwarzen Sonntag insgemein erzählet; und gleichwohl, da in meinem Leben ein- und das andere mal an demselben Sonntage, oder Montags drauf, mir einiges Unglück begegnet, und auch die großen Versuchungen, so ich An. 1704 und 1717 wie oben gemeldet, ausgestanden, um diese Zeit ihren Anfang nahmen, und Sonntags drauf, oder am Kar-Freitag das höchste Maß erreichten; so will es mir allemal sehr schwer, ja schier unmöglich werden, wenn diese Zeit wieder kommt, ohne alle Furcht zu sein; und bekomme allemal alsdenn Anlaß, das Vertrauen auf Gott zu üben, zu einer Zeit, wenn die Furcht am meisten wider solch Vertrauen streitet. Aus dem Kar-Freitage habe ich auch, gleich andern Leuten, mein Lebtag sehr viel gemacht; und dennoch, wenn gleich alle meine Übungen an demselben Tage, und alle Niederschreibungen gewisser Macht-Sprüche, deren ich oben [S. 130f.] gedacht, lauter Heuchelei von An. 1701 an gewesen wären, so hätte es mir nicht miserabler an diesem Tage gehen können, weil drei- bis viermal in meinem Leben die größten Anfechtungen von wegen desselben Tages über mich gekommen.

Aber mit dem Fest-Tage der Mariä Reinigung hat es ganz eine andere Bewandnis gehabt, gleichwie auch mit dem Fest der Himmelfahrt und der Pfingsten, als die mir stets, was das Heil der Seelen anbelanget, vergnügt und glücklich gewesen; etwan einen einzigen Casum und Fall ausgenommen. Anno 1733 nun am Mariä Reinigungs-Tage fanden sich viel gute Veränderungen[371] in meinem Gemüte, die ich längst gewünschet, und von Gott begehret hatte. Und noch viel ein mehrers tat Gott gleich nach dem Fest der Himmelfahrt Christi. Ich weiß nicht, wie es zugegangen, daß mir früh morgens wider alles Vermuten Gottes unaussprechliche Gnade, so er in Christo den Menschen erzeiget, und die unaussprechlich große Verderbnisse der Menschen, so eines Erlösers, und eines so erbarmenden Gottes vonnöten gehabt, mehr als jemals in meine Seele hineingeleuchtet, daß ich mich nicht genug darüber verwundern konnte. Es fielen mir unter andern etliche wichtige Örter aus der Epistel an die Ebräer ein, die mein ganz Herze einnahmen, und bei mir einen Appetit und Vorsatz machten, diese Epistel durchzulesen. Ich tat es; und ob ich gleich ehedessen dieselbe auch gelesen, so kann ich mich doch nicht besinnen, daß sie jemals in meinem Herzen einen solchen Eindruck gemacht, und mit solcher Einsicht in unsere evangelische Glaubens-Lehre verknüpft gewesen. Waren bisher noch einige Dubia in meiner Seele von Anno 1728 her übrig geblieben, die ich auch schon zum Teil zu Papier gebracht hatte; so verstoben dieselben jetzo auf einmal wie Spreu vor dem Winde; und siehe, was du vielleicht nimmermehr gedacht hättest, so fange ich so gar an den übeln Grund des Dippelianischen Systematis noch heller einzusehen, und werde so gar schlüssig wider denselben zu schreiben, und den Vorzug unsers Systematis aus dem Hohen-Priester-Amte unsers Heilandes darzutun, und zu beweisen. Das tat ich in dem Tractat, Wahrheit unserer Christ-Lutherischen Religion genannt, den ich von Michael 1733 bis Ostern 1734 verfertigte. Ich halte viel von diesem meinem Buche, und bei nahe mehr, als von allen andern, so ich geschrieben. Betaure, daß durch einen gewissen Zufall, den ich nicht nennen darf, hier und da der Verstand meiner Worte wider meinen Willen dunkel gemacht worden.

Ich habe mich insonderheit darinnen bemühet a priori und aus dem Grunde zu zeigen, wie die Notwendigkeit der Gottseligkeit und der Buße mit der Lehre vom Glauben zusammen stimme, und wie der Glaube an das Evangelium die Übung der Gottseligkeit nicht aufhebe. Die Leute können sich immer darein nicht finden, daß man dem Glauben alles alleine, und alle Seligkeit zuschreibt, und gleichwohl hernach auch mit der Buße, und mit der Notwendigkeit eines heiligen Lebens, so zu reden, aufgezogen kommt: meinen also, ob sei es der Glaube nicht alleine, sondern es werde auch von Christen noch Buße und Bereuung der Sünde, und ein heiliges Leben erfordert, wenn sie nicht sollen[372] des ewigen Lebens verlustig werden. Ich habe da gezeiget, daß Gott durch den evangelischen Gnaden-Bund, und durch Christum seinen Sohn nicht den alten Gesetz-Bund dermaßen umgestoßen, so daß er die Verbindlichkeit, und die Pflicht und Schuldigkeit der Menschen nach demselben hinfüro zu leben aufgehoben, und wider dasselbe mit Wissen und Willen zu tun Freiheit verstattet hätte. Denn Gott kann das nicht tun, weil sein Wille im Moral-Gesetze unveränderlich. Folgentlich liegt dem Menschen die Verbindlichkeit nach Gottes Willen und Gesetze zu leben, so lange er lebet, auf dem Halse; und, wo er ein freventlicher Verächter des Gesetzes Gottes sein will, und so lange er solches ist, und es boshaftig übertreten will, so trifft ihn der Fluch des Gesetzes, und ist die Bundes-Verheißung der Gnade in Christo und der Vergebung der Sünden gar nicht vor solche freventliche und boshafte Übertreter des Gesetzes gestellet; denn sonsten wäre Gott wider sich selbst, und wieder seine Heiligkeit; sondern vor die, welche von der Sünde zu Gott sich kehren, ihre begangene Sünden bereuen, nicht mehr wider Gottes Gesetze freventlich zu sündigen fortfahren wollen, und wenn sie ihr Unvermögen und Unvollkommenheit erkennen, Christi Gnade und Verdienst im Glauben ergreifen, und sich solches zueignen, und dasselbe dem Anklagen ihres Gewissens, und des Gesetzes entgegen setzen. Ich kann hier nicht alles wiederholen, und mich deutlicher erklären, wer Lust hat, kann im Buche selbst p. 134, 399 etc. mit mehrerm davon nachlesen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 370-373.
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