Anno 1697
§ 32

[83] An. 1697 im Januario starb der Inspector der Kirchen und Schulen, Fridericus Viccius, ein alter, frommer, und gelehrter Prediger, der viel Hochachtung bei dem Rate, und Liebe bei der Bürgerschaft hatte. Ich schrieb ihm einen Panegyricum [Lobrede], und hielt solchen gegen Ostern publice in der oratorischen Stunde des Herrn Krantzens, Professoris Eloquentiæ. Herr Krantz erstaunte über meiner Oration [Rede] nicht sowohl wegen der Latinität, dieweil an derselben Reinigkeit[83] wohl noch manches mochte auszusetzen sein, als vielmehr wegen des Inhalts derselben, und der vielen Phrasium [Ausdrücke] und Dinge, die von meiner großen Lecture, und der guten Erkenntnis in andern Wissenschaften zeugeten. Ich schrieb dieses, da Herr Krantz noch lebete; und ich weiß, er würde mich keiner Unwahrheit beschuldiget haben, daferne diese Schrift noch vor seine Augen hätte kommen sollen. Dasselbe Mal durfte ich nicht die gewöhnliche Oration auf das Examen publicum elaboriren [ausarbeiten], welche den andern Primanern war aufgegeben worden, sondern mußte diesen Panegyricum [Lobrede] noch einmal abschreiben, und statt des Speciminis Oratorii [rhetorischen Probestücks] überreichen, damit Herr Krantz, wie er selbst zu mir sagte, desto besser Gelegenheit haben möchte, mich bei den Schul-Præsidibus [Präsidenten] so dem Examini beiwohnten, mit Nachdruck zu recommendiren [empfehlen]. Ein Jahr darauf schrieb, und hielt ich eine andere Oration, de magnis hominum ausibus a divina Providentia impeditis & elusis (v. gr. Turris Babel condenda nunquam condita, Platonopolis erigenda nunquam erecta, Hierosolyma restauranda nunquam restaurata, Maria conjungenda nunquam conjuncta, Romanum Imperium a Turcis & Gallis subjugandum nunquam subjugatum:) eben wie den Panegyricum aus meinem eigenen Kopfe, ohne dazu empfangene Disposition und Materialien. Wo du mir die Torheit zu gute hältst, daß ich mich selbst mag rühmen [2. Kor. 11,1], so will ich sagen, daß diese Oration dem Herrn Professor noch mehr gefiel, als die vorhergehende; indem er bei der Censur das Urteil fällete, daß, wenn einer auch 5 Jahre auf der Universität schon gewesen wäre, er eine solche Oration, oder Disputation zu verfertigen kaum fähig sein würde. An. 1720 hielt ich am 23. Sonntage nach Trinitatis eine Predigt in der Peters-Kirche, allhier von eben dieser Materie, welche ich synthetice [synthetisch] abhandelte, und diese Schul-Oration, so ich im 22. Jahre meines Alters gehalten, strenue ausschrieb [genau abschrieb], und nur ins Teutsche übersetzte. Und siehe, ich erfuhr nicht nur dazumal, daß solche Predigt Approbation [Anklang] gefunden, sondern es ließ mich auch nur noch vor 3 Jahren ein gewisser Mann darum ansprechen, mit Bezeugen, wie er solche gerne haben, und noch einmal lesen, oder solche bei meiner letzten Postille [Predigtsammlung], so damals unter der Presse war, unter den andern gedruckten Predigten finden möchte. Ich weiß nicht, ob ein schwülstiger, und luxurieuser Stylus, und ein hochtrabender, oder hoher Geist, allemal eine[84] Frucht des sündlichen Hochmuts, und eines stolzen Geistes sei; so viel habe ich immer von mir selbst geglaubet, daß, ob mich wohl stets das Erhabene und Scharfsinnige divertiret, und ergötzet, und afflatum & Enthusiasmum Oratorium [rhetorische Begeisterung] bei mir verursachet; doch mein Gemüt und Geist durch die oben beschriebene und A. 1695 ausgestandene Buß- und Seelen-Angst, und andere Übungen, so damit verknüpft gewesen, eine viel größere Erhöhung bekommen, als ich sonst gehabt hatte, ipsis regenerationis angoribus magnum animum nactus [da ich gerade aus der mit der inneren Erneuerung verbundenen Angst Zuversicht gewonnen hatte].

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 83-85.
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