Anno 1699
§ 39

[96] Sonst war diesen ersten Sommer, und sobald ich hergekommen, guter Rat teuer, wie ich mein Studiren anfangen sollte; weil der eine dies, der andere jenes riet, so mußte ich nur die Sache auf meine eigene Hörner nehmen. Ich gieng als ein Hospes [Gasthörer] bald in dieses, bald in jenes Collegium, wie vor diesem auf dem Obst-Markte, nicht zu kaufen, sondern nur zu naschen und zu kosten. Herr Professor Krantz hatte mir durch seine[96] ungemeine Beredsamkeit und Fertigkeit, so er bei seinem Dociren sehen ließ, meinen Geschmack dermaßen verwöhnet, so daß mir der meisten damaligen Lehrer Stottern und Husten nicht schmecken wollte, sondern einen ziemlichen Eckel bei mir verursachte. Weil ich im 17. Jahre An. 1692 auf dem Gymnasio schon ein Collegium hebraicum fundamentale, wie auch Accentuatorium [hebräischer Grund-und Punktationskurs], wie oben gemeldet, gehalten hatte, so gieng ich hier in ein lectorium hebraicum [hebräischer Lektürekurs] bei dem alten M. Starcken, (nicht bei Salomo Starcken, dessen Noten über Biblische Bücher bekannt sind,) mich mehr in dieser Sprache fester zu setzen. Er nischelte aber in seinen Stunden beim Dociren durch die Nase, wie ein Jude, so daß man ihn schwer verstehen kunte, und genau auf ihn Achtung geben mußte, wenn man etwas von ihm lernen wollte. Man sagte mir, die große Liebe zum alten Etzardi, der sein Præceptor gewesen, und der eben solche jüdische Weise, oder vielmehr Unart, an sich gehabt, habe ihn seinem Lehrmeister ähnlich gemacht. Amor enim mutat subjectum amans in objectum amatum. Was die andern Collegia anbetrifft, so spannte ich die Pferde hinter den Wagen, und war eher um einen Cursum Theologium, als Philosophicum bekümmert, weil ich meinte, ich hätte schon Philosophie genug auf dem Gymnasio gehöret. Deswegen gieng ich zu Herr D. Schmidten, der über den Scherzer, wie bekannt, las, und besuchte Herr D. Günthers Collegium Theologico-Polemicum [kontroverstheologische Vorlesung], welches ich gratis hatte, wegen der Recommendation [Empfehlung], so Herr Krantz mir an selben mitgegeben, welche so excessiv, und ungewöhnlich war, so daß Herr Günther selbst gegen mich bezeugte, er läse schon 10 Jahr Collegia, dergleichen Recommendation aber, als diese, hätte er noch niemalen bekommen. Diese Collegia, so gut sie auch waren, besuchte ich zwar fleißig, aber nicht mit solchem Nutzen, als ich mir eingebildet hatte; denn die Distinctiones, Probationes, Objectiones, Responsiones [Begriffsunterscheidungen, Beweise, Einwände, Verteidigungen], und andere Dinge mehr, so in dergleichen Collegiis Theologicis vorkommen, waren mir von dem Gymnasio her bekannt, indem ich 9 Jahr, 3 in Secundo, und 6 Jahr in Primo ordine gesessen, und daselbst die Theologie auf eben die Weise, wie auf der Universität, vortragen hören, so daß ich mich vielmal wunderte, daß man auf der Universität nicht höhere Dinge zu lernen hätte.

Ich ersann also einen andern Weg, in der Theologie mich habiler[97] [geschickter] zu machen; und das war durch Disputiren. Das Collegium disputatorium [Übung in wissenschaftlichen Streitgesprächen], was der Herr Rector Hancke auf dem Gymnasio uns gehalten, und der Umgang und Disputiren mit den Päbstischen Studenten hatten bei mir so viel Nutzen gehabt, daß ich mich nicht fürchten durfte in die Collegia Theologica Disputatoria [Übung in theologischen Streitgesprächen] zu treten, die damals allhier gehalten wurden. Ich tat solches, und disputirte unter Herr D. Schmidten über den Scherzer und Libros Symbolicos, bei dem alten Oleario über seine Synopses, bei D. Cyprian über Königs Theologiam Positivam, und nachmals bei Licent. Günthern über sein Thetico-Polemicum. Traf mich das Opponiren [Gegenargumentieren], oder Respondiren [Verteidigen], so las ich allemal erst unsere Theologos, und denn auch die Schriften der Adversariorum [Gegner], damit ich den statum controversiæ [Grund der Kontroverse] recht lernen, und auch sehen möchte, ob die streitenden Parteien einander recht verstünden, ob den Adversariis etwan auch zu viel geschähe, und ihnen vielleicht imputiret [zugeschrieben] würde, was sie nicht statuirten und lehrten. Im Disputatorio [Disputationskurs] unter D. Schmidten distinguirten sich [zeichneten sich aus] da vor andern zwei gelehrte Magistri aus Westphalen, M. Schmidt, und ein anderer, der jetzund Professor ist. Ich hatte alle meine Freude an denselben. Sie machten, insonderheit der letzte, mit ihren sinnreichen, und subtilen Einwürfen dem Herrn Doctor öfters so viel zu schaffen, daß er manchmal vor Unwillen die Mütze auf den Tisch warf. Die öffentlichen Disputationes, so im theologischen und philosophischen Auditorio [Hörsaal] gehalten wurden, waren mir auch bald in dem ersten Jahre so gut, ja besser als ein Collegium. Ich kaufte sie mir den Tag zuvor, und las sie; wenn sie gehalten wurden, hörte ich meistens bis zu Ende zu; ja da ich mit etlichen Studiosis bekannt wurde, die bei eben dem Gastwirte des Abends speiseten, wo ich speisete, und gleiche Liebhaber der öffentlichen Disputationen waren, so schrieb ich öfters die Argumenta nach, welche gemacht worden, dergleichen sie auch taten, und des Abends raisonnirten wir denn darüber bei dem Essen, und bei einer Pfeife Tabak, welch Abend-Essen mir lieber, als alle Compagnien des Tages waren, so daß ich derselben gerne vergessen, und sie entbehren kunte. Weil mir dieses im Studiren überaus viel genutzet, so habe ich solche Weise stets den Studiosis recommendiret [empfohlen], wenn sie mich um Rat gefraget, wie sie ihr Studiren einrichten sollten.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 96-98.
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