Anno 1700
§ 43

[104] Weil ich meinte, diese Controvers schon zur Genüge eingesehen zu haben, so hörete ich auf die Schriften zu lesen, so davon heraus kommen, weil des Schmierens kein Ende war. Pastor Weisens Tractat, den er im 28. Jahr seines Alters, als Diaconus[104] bei der Niclas-Kirche wider Herr D. Rechenbergen heraus gab, war der letzte, den ich las, konnte ihn aber nicht zu Ende bringen, und hinaus lesen, wegen der Schwierigkeit, und Dunkelheit, die ihm schon dazumal eigen, ja schier natürlich war. Die Not lehrte mich auch das Kaufen solcher Schriften zu unterlassen. Denn dieses 1700te Jahr drückte mich ziemlich die Armut. Das Stipendium vom Breslauischen Rate wurde mir noch nicht ausgezahlet; denn ich stund in dem irrigen Wahn, ich müßte 2 Jahr warten, ehe ich ein Percipiente [Stipendienempfänger] würde. Hatte ich das erste Jahr das Geld in der Auction [Bücherversteigerung] vertan, und in unnötige Bücher gesteckt, so mußte ich sie dieses Jahr wieder in die Auction geben, welches mich sehr schmerzete. Grämte ich mich öfters, daß ich nicht geschwinde genug lernen, und geschwinde genug gelehrt werden kunte, so grämte ich mich noch mehr, daß ich so armselig und pauvre leben mußte. Zwei Groschen war mein täglich Deputat vor Essen, und Trinken; Schulden aber zu machen hütete ich mich auf alle Weise. Ich finde unter meinen Manuscriptis noch ein deutsches Carmen [Gedicht], so ich damals auf meinen dürftigen Zustand gemachet habe. Wo Gottes Providenz [Vorsehung] auch bei Glücks-Spielen seine Hand hat, wie ich solches stets geglaubet, so mag ich sagen, daß Gott dieses Jahr das 36 Blätter-Buch [Kartenspiel] zu einem Mittel gemacht, oder ein Mittel sein lassen, meine Armut zu lindern. Wo ich, und etliche andere Schlesier des Abends speiseten, spielten die Bürger mit der Labet-[Strafsatz] und Contra-Karte; wir Studiosi aber brachten großen Teils die Zeit mit Discuriren zu. Pfeiffer, der Turm-Wächter, so ehedessen in Breslau gewesen, und die Italienische Karten, mit denen man daselbst spielet, kennen gelernet, kaufte uns eine sogenannte Traplir Karte, und veranlaßte uns zuweilen darinnen zu spielen, weil er jederzeit groß Vergnügen gehabt hätte, solchem Spiele zuzusehen. Nun ist Spielen wohl niemalen in meinem Leben meine Passion gewesen, sondern habe jederzeit in Gesellschaften lieber was discuriret, als gespielet; doch ließ ich mich damals bereden, unter zweien, oder auch unter dreien eines zum Zeit-Vertreib mitzumachen; Anfangs zwar nur Herr Pfeiffern zu gefallen, weil er so gerne solches spielen sahe; denn er war unter uns, und auch bei andern Bürgern ein angesehener Mann, ein Mechanicus, der die besten Wind-Büchsen, und Antlias Pneumaticas [Luftpumpen], und andere Instrumenta verfertigen kunte, mit dem ich gerne umgieng; aber in kurzem auch um meines Vorteils willen. Denn ich merkte, daß schier eine Fatalität[105] dabei sein müßte; Weil mein Glücke dabei so beständig, und so groß, daß es auch in dem Wirts-Hause zu vieler Verwunderung gereichte, indem ich viel Tage mein Abend-Essen, oder Abend-Trunk, der sonst mäßig und schlecht [einfach] genug war, zu gewinnen pflegte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 104-106.
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