Anno 1706
§ 87

[228] Um diese Zeit hatte ich viel curieuse Träume, die eine Nacht diesen, die andere Nacht einen andern: unter andern drei solche, die mir auch succesive, und in unterschiedenen Nächten träumeten, und welche der Aberglaube schon längst ausgeleget, und sie[228] zur Anzeige eines Todes-Falles eines nahen Anverwandtens gemachet hat. Die eine Nacht hörte ich die Weheklage, und die andere das Leichen-Bret [Brett] fallen, und ich weiß nicht mehr, wie lange hernach, so fielen mir im Traume die Zähne aus. Ich scheue mich fast diese kindische Dinge, und alte Weiber-Fratzen anzuführen, die ich von meiner ersten Jugend an verlachet, und gleichwohl, wenn mir vor diesem dergleichen geträumet, so ist allemal entweder mein Vater, oder Mutter, oder eine Schwester und Bruder, oder sonst jemand von meinen nahen Anverwandten, und guten Gönnern gestorben; so daß ich also nicht weiß, was ich denken soll. Diesmal dacht ich, doch ohne Glauben und Beifall, so daß ich nur dieser Träume bei mir selbst spottete: Wer könnte dir doch wohl von deinen Freunden und Gönnern sterben? Vielleicht der Bürgermeister, oder D. Kaltschmidt, der sich deiner bis her so ernstlich angenommen? Und wenn du niemals im Leben befunden, daß die Bedeutung dieser Träume puren Aberglauben zum Grunde habe, so wirst du es diesesmal erfahren. Ich besann mich aber nicht auf meine Schwester; die doch vor etlichen Wochen ihren Tod ganz gewiß vorher wissen wollte. Etwan eine Woche nach diesen Träumen kam sie darnieder. Es hielt sehr harte mit ihrer Geburt, so daß sie 3 Tage in derselben arbeitete. Ich besuchte sie in Kindes-Nöten, und tröstete sie, weil sie auf päbstischem Gebiete wohnte, und kein lutherischer Prediger zu ihr durfte. Die Weh-Mutter schien mir bei diesem Casu nicht genug erfahren, und geschickt zu sein; deshalben riet ich, sie sollten einen Doctorem Medicinæ aus der Stadt zu Rate ziehen, und zu Hülfe nehmen, welches sie sich auch gefallen ließen. Nun war dazumal einer in Breslau sehr berühmt, mit Namen D. Winckler. Er hatte bei solchen schweren Fällen gute Proben bereits abgeleget, so daß man ihn zu einem Accoucheur [Geburtshelfer] hätte machen können. Mein Bruder fiel auf ihn, als der von ihm an Augen, und auch an einer andern gefährlichen Krankheit war curiret worden. Ich stieß mich zwar an sein Leben; denn er war einst bei einem Frauenzimmer in flagranti, wie die Rede gieng, angetroffen worden, und die Schwieger-Eltern hatten ihm deshalben ihr Kind, und Tochter wieder genommen. Das kränkte ihn sehr. Er fand zwar großen Trost in den Worten der heil. Schrift, daß es gut sei einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage [Klagel. 3,27], allein mein Bruder sagte: Ja, ja, es ist wohl wahr; aber, wie denn, Herr Doctor, wenn ein Mann das Joch sich selbst aufleget, und eine Rute sich auf seinen eigenen Rücken bindet? Doch ließ ich mir es gefallen,[229] weil seine Kunst so probat sein sollte. Allein, wie er gerne manchmal einen Tummel sich soff, nach der Gewohnheit solcher Leute, die den Kopf voller Grillen, und ein böse Gewissen haben, und sich solche gerne vertreiben wollen; so hatte er just zu allem Unglück dazumal ein wenig zu viel zu sich genommen, als sie ihn zu meiner Schwester holeten. Er legte selbst Hand an, und verwaltete das Amt einer Heb-Amme; da es aber nicht bald angehen wollte, so brauchte er Gewalt, und tat etwas, so daß man den Sohn, den meine Schwester zur Welt brachte, wohl hätte Perez heißen mögen. Die Læsion [Verwundung] war so groß, die er gemacht hatte, daß das arme Weib noch vor Ende der 6 Wochen sterben mußte. Das Kind war von ungewöhnlicher Größe, und Stärke, und mochte meine Schwester wohl den Fehler begangen haben, den manchmal andere schwangere Weiber auch begehen; die, um sich zu stärken, ihnen [sich] allzu gütlich tun, und das Kind zu sehr in Mutter-Leibe mästen. Es war sonst ein fromm Weib, ein wenig zum Zorne geneigt, aber doch schwer, und langsam dazu zu bringen. Kurz vor ihrer Niederkunft, da sie alleine zu Hause, kommt ein besoffener Kerl, und will ein Schock [60 Stück] Kraut-Köpfe kaufen. Sie merkt nicht, daß er trunken; und, da er ihr die besten Kraut-Köpfe wohl 5 bis 6 mal zurücke, und vor die Füße wirft, so alteriret sie sich darüber dermaßen, daß sie auch sagte, diese Alteration würde ihr Tod sein; zum wenigsten mochte dieselbe zum Tode ein großes mit beigetragen haben. Mich jammerte es nicht wenig, daß ich durch meinen frühzeitigen Rat, einen Medicum aus der Stadt zu holen, zufälliger Weise eine Ursache an ihrem Tode mit gewesen war. Dieser D. Winckler starb hernach in der Pest zu Ölse, woher er gebürtig, und wohin der Breslauische Rat ihn der bedrängten Stadt zu Hülfe gesendet hatte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 228-230.
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