den Hauswirt und die Mitbewohner des Hauses.

[33] Wie, fragen wir, hat sich unser Verhältnis zu ihnen zu gestalten?

Zuerst haben wir da zu sehen, ob die genannten Personen zur Gesellschaft gehören. Unter »Gesellschaft« verstehen wir den Verkehr derjenigen Menschen untereinander, welche auf einem Fuße der Gleichheit stehen, beziehe sich diese Gleichheit nun auf Rang, Beruf, Verhältnisse oder auf Ansichten und Neigungen. Besteht eine solche Gleichheit nicht zwischen uns und unserem Hauswirt oder den übrigen Mietern, so haben wir natürlich auch keine gesellschaftlichen Verpflichtungen gegen sie; besteht sie aber, so fragt es sich ferner, ob wir den Wunsch hegen, in geselligen Verkehr mit ihnen zu treten. Bejahenden Falls machen wir, die zuletzt Gekommenen, ihnen einen Besuch, sobald unsere Wohnung so weit eingerichtet ist, daß wir Gegenbesuche empfangen können; an ihnen ist es dann, uns zuerst einzuladen. Wünschen wir keinen persönlichen Verkehr, so begnügen wir uns, dem Hauswirt unseren Besuch zu machen und denselben nach etwa ergangener und abgelehnter Einladung zu wiederholen; den übrigen Mitbewohnern des[33] Hauses schicken wir dann nur unsere Karte. Dieselbe Aufmerksamkeit pflegt man zu Neujahr zu erweisen. In großen Städten ist ein Verkehr zwischen den Hausbewohnern nicht üblich; man bleibt sich, unter einem Dache lebend, dort so fremd, als wohnte man meilenweit voneinander entfernt.

Mit dem Hauswirt haben wir natürlich, auch ohne gesellschaftlichen Verkehr, geschäftliche Beziehungen; bei diesen sollte von beiden Seiten die größte Höflichkeit beobachtet werden. Trotz der schriftlichen Uebereinkunft, welche zwischen beiden besteht und für welche wir möglichste Genauigkeit anraten, findet sich doch Gelegenheit genug zu kleinen Mißhelligkeiten, Streitigkeiten, welche oft mehr durch Mangel an Selbstbeherrschung, an Höflichkeit, als wegen der Streitfrage selbst zur Lösung des Mietverhältnisses führen. Die Schuld fällt dann auf den, welcher die üblichen Höflichkeitsformen verletzt hat. Häufig ist nur eine Klatscherei der Dienstboten die Ursache des Streites. Weder Hauswirt noch Mieter sollten jemals eine Beschwerde mündlich durch einen Dienstboten bestellen lassen oder auf einen offenen Zettel schreiben; ein höflicher Brief oder eine persönliche Besprechung führen meist weit besser zum Ziel. Eine Unart ist es auch, wenn der Mieter dem Hauswirt den Mietzins uneingewickelt durch den Dienstboten zuschickt; das Geld sollte stets unter Couvert oder eingesiegelt gesandt, das Quittungsbuch ebenso zurückgeschickt werden. In vielen Fällen ist der Wirt ein wohlhabender Handwerker, der von den Sitten der guten Gesellschaft nichts weiß und seine Hausbesitzerschaft wohl gar in grober Weise geltend macht. Natürlich wird der Mieter ihm nicht mit gleicher Münze dienen, wodurch er sich nur selbst vergeben würde, sondern er wird stets höflich bleiben, dabei aber stets seine, ihm durch den Kontrakt zugesprochenen Rechte zu wahren wissen![34]

Alle Bewohner eines Miethauses haben sich natürlich der im Kontrakt aufgestellten Hausordnung zu fügen. Drum prüfe, wer sich, zwar nicht ewig, aber doch für eine gewisse Zeit bindet, ehe er unterschreibt; nachher ist nichts mehr daran zu ändern. Das Gesetz enthält keine Bestimmungen über etwaige Streitfragen; es sagt: der Kontrakt ist zwischen den betreffenden Personen abgemacht worden, darein hat sich weder Staat noch Polizei zu mischen. (Natürlich dürfen die Bestimmungen nicht gegen die Vorschriften der letzteren verstoßen.) Daß alle gewisse Rücksichten untereinander nehmen, so wenig Lärm wie möglich machen, besonders wenn sie abends spät nach Hause kommen; auf eine höflich ausgesprochene Bitte, wie etwa, nicht direkt nach Tisch Klavier spielen zu wollen, wenn irgend möglich gern eingehen; sich untereinander beim Begegnen auf den Treppen und dem Hausflur grüßen; bei etwaigen Krankheits-oder Todesfällen, auch wenn sie gesellschaftlich gar nicht miteinander verkehren, sich gegenseitig ihre Teilnahme bezeigen – diese und ähnliche Rücksichten wird jeder gebildete Mensch dem anderen erweisen. Man richte sich da nicht nach dem Wahrspruch der beiden Engländer in dem bekannten Gedicht, von denen der eine eine Jagd in seinen Zimmern abhielt, worauf der andere in den seinen einen Fischteich anlegte:


»Was ich in meinem Zimmer treibe,

Das kümmert keinen andern was!«


sondern man bedenke, daß jeder gebildete Mensch sich selbst sowohl wie allen Menschen, mit denen er in Berührung kommt, Höflichkeit schuldet, und daß die ganze gesellschaftliche Ordnung nur durch gegenseitige Wahrung derselben aufrecht erhalten werden kann.

Will der Mieter eine Wohnung verlassen, so ist er berechtigt – falls nicht der Kontrakt anderweitige Bestimmungen[35] darüber enthält – eine Zeit festzusetzen, wo dieselbe zu besichtigen ist; zu dieser Zeit aber muß er oder ein Stellvertreter dort sein, um die Wohnung zu zeigen und Auskunft darüber zu erteilen. Daß letztere der Wahrheit gemäß sei, versteht sich von selbst; etwaige kleine Streitigkeiten aber dabei zu erzählen, die er mit dem Wirt gehabt, wird wohl keinem gebildeten Menschen einfallen.


Den Hauswirt und die Mitbewohner des Hauses

Andererseits sollten diejenigen, welche eine Wohnung besichtigen, den derzeitigen Inhaber derselben so wenig wie möglich belästigen. Sie können vom Wirt ja viele Details über dieselbe erfahren, so daß ein ein- oder zweimaliger Gang durch die Räume selbst genügt. Nicht ratsam aber ist es für den Wirt, sie bei der Besichtigung zu begleiten; er erregt dadurch den Verdacht, daß er die Aussagen des Mieters über die Wohnung fürchtet.
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Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 33-37.
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