Die Dienstboten

[98] gehören mit zu den personae dramatis des Hauses und spielen darin, wenn sie gleich zuletzt auf der Liste stehen, doch eine recht wichtige Rolle.

Wir verlangten, daß der Haushalt einem gut regulierten[98] Uhrwerk gleiche, das von der Herrin geräuschlos aufgezogen würde. Die Räder aber, die bewegenden Teile sind die Dienstboten, und thun diese nicht ihre Pflicht, so hilft das Aufziehen, hilft selbst das Schmieren nichts.

Pflichttreue, tüchtige Dienstboten aber sind heutzutage eine Seltenheit. Die von allen Seiten ertönenden Klagen über diesen Punkt sind leider nur zu wohl begründet. Suchen wir nun die Ursachen dieses Uebels uns klar zu machen und forschen wir nach den Mitteln, dasselbe zu heben oder doch zu mildern.

Die Dienstboten sind schlechter geworden, das ist eine Thatsache, die sich nicht leugnen läßt. Wo finden wir jetzt noch jene treuen, alten Dienerinnen, die ein ganzes Leben in einem Hause zugebracht und dortge wissermaßen mit zur Familie gerechnet wurden? Wir können sie jetzt mit der Diogeneslaterne suchen, und sie werden von der Landesmutter selbst für ihre Treue, die ehemals etwas Selbstverständliches war, belohnt. Ja, die in vielen Städten gegründeten Prämienvereine für Dienstboten gewähren eine solche Belohnung bereits nach fünfjähriger Dienstzeit, ein Zeichen, daß diese schon eine Ausnahme bildet.

Daß dem so ist, liegt aber nicht nur an der Unbeständigkeit oder Unbrauchbarkeit der Dienstboten, sondern zum Teil an den Zeitverhältnissen. Es ist ja jetzt so leicht, von einem Ort zum anderen zu kommen, und in großen Städten sind die Löhne viel höher! Die Liese ist von Berlin mit einem so schönen Mantel und so prächtigen Hute zurückgekommen, warum soll die Trine da nicht auch hingehen? Und dann, während früher die Mädchen sich auf ein Jahr verdingten, geschieht es jetzt auf drei Monate, auf vier Wochen, ja mit vierzehntägiger Kündigung;[99] bei der geringsten Differenz heißt es: »Nein, Madame, da gehe ich doch lieber,« und Madame vertauscht die Fehler der Liese mit denen der nachfolgenden Trine.

Zu der Leichtigkeit des Ortswechsels, den kurzen Verdingsterminen kommen dann noch die erhöhten Ansprüche an Toilette, Komfort, die durch alle Stände gehen. Das Druckkleid, die leinene breite Schürze, die »Nebelkappe« sind verschwunden, das volkstümliche Kostüm fast nirgends mehr zu sehen; im Sonntagsstaat sieht das Mädchen fast wie eine Dame aus. Aber die Herrschaft trug sich auch vor fünfzig Jahren viel einfacher, die häusliche Einrichtung war es ebenfalls; warum sollten die Dienstboten allein nicht von den allgemeinen Fortschritten des Luxus berührt werden? ... Derselbe hat auch zugleich den letzten Rest von patriarchalischen Einrichtungen aus unseren Häusern vertrieben: früher saß das Mädchen in so mancher wohlhabenden Bürgerfamilie mittags und abends mit am Tisch, wurde mit in ihre Interessen hineingezogen; jetzt sitzt es in seiner Küche allein, steht im Hause allein. Damit hat sich natürlich das Band zwischen Herrschaft und Dienstboten gelockert; Anhänglichkeit, Gehorsam, Zuverlässigkeit sind bei letzteren selten nur noch zu finden; von seiten der ersteren aber wird der Dienstbote als eine Art notwendigen Uebels betrachtet, als eine Arbeitskraft, die man nicht gut entbehren kann, die man aber soviel wie möglich von dem Träger dieser Kraft, der Person, abstrahiert; etwa wie der englische Fabrikherr die hands (Hände) in seiner Fabrik betrachtet.

Diese Stellung im Hause aber ist für die Dienstboten eine sehr traurige. Bei weitem die Mehrzahl der Familien in Deutschland halten ein sogenanntes »Mädchen für alles«, also nur einen Dienstboten; das trauliche abendliche Zusammensein[100] der Mägde in früheren Zeiten, die märchenreiche Spinnstube, der heitere Rundgesang sind in das Reich der Sage verbannt, und doch ist der moderne Luxus bei uns noch nicht so weit gediehen, den Dienstboten die englische »servants'-hall« zu bieten, wo sie sich am nett gedeckten Tisch niedersetzen und mit den Genossen plaudern können. So ist das Los unserer Dienstboten durch die Zeitverhältnisse nicht verbessert worden.

Und suchen wir, die Herrschaft, es ihnen soviel wie möglich zu erleichtern? ... Wir verlangen Teilnahme, Anhänglichkeit von unseren Mädchen; aber hegen wir diese Gefühle auch für sie? Fragen wir sie nach ihrer Familie, ihren Angelegenheiten? Warnen wir sie freundlich vor den Gefahren, denen ihre Jugend ausgesetzt ist? Machen wir ihnen ernste, aber wohlmeinende Vorstellungen über ihre Fehler? Das würden wir wahrscheinlich bei jedem fremden Mädchen thun, aber unser Mädchen, unter dessen Fehlern wir zu leiden haben, dem gegenüber besitzen wir nicht so viel Geduld, da setzt es gleich harte Worte; und wenn die gebildete Frau sich nicht zu beherrschen versteht, wie können wir das von dem ungebildeten Mädchen verlangen?

Ja ich gehe noch weiter, ich möchte selbst ein gutes Wort für den viel verschrieenen »Schatz« einlegen! Sie sehen mich verwundert an, gnädige Frau? Sie erklären mit Entrüstung: »Ein Mädchen, das einen Schatz hat, nehme ich ein für allemal nicht!« Nun, wenn Sie darunter die Sorte von »Schätzen« verstehen, die alle vier Wochen wechseln, so gebe ich Ihnen vollkommen Recht; allein wenn sich ein Mädchen mit einem Mann verlobt, von dem wir nach eingezogener Erkundigung – denn die Mühe dürfen wir uns nicht verdrießen lassen! – erfahren, daß er ein ordentlicher Mensch ist, der ihr ein Heim bieten kann, warum sollten[101] wir das nicht dulden? Warum ihr nicht erlauben, den Bräutigam ein- oder zweimal die Woche zu empfangen, statt heimlich mit ihm an den Straßenecken zu stehen, eine Art des Verkehrs, die wahrlich nicht geeignet ist, die Sittlichkeit zu heben! ... »So ein Mädchen ist doch keine Petersilienwurzel,« pflegte mein seliger Vater zu sagen. Warum er gerade eine Petersilienwurzel zu seinem Vergleich wählte und nicht lieber eine Kartoffel oder Rübe, weiß ich nicht; jedenfalls wollte er aber damit sagen, sie sei kein gefühlloses Wesen, das man nach Belieben schälen oder schaben könne, sondern mit einem Herzen begabt, so gut wie andere Menschen.

Ja, das rein menschliche Verhältnis muß die Grundlage jedes Verhältnisses bilden, auch des zwischen Herrschaft und Dienstboten. Von diesem Standpunkt aus beurteilen wir sie vielleicht milder und fühlen ein menschliches Rühren selbst mit dem »Schatz«!

Was aber die Untüchtigkeit und Unzuverlässigkeit der Dienstboten in der Arbeit anbelangt, so glaube ich dieselbe wenigstens zum Teil auf eine Ursache zurückführen zu müssen, über welche manche meiner geehrten Leserinnen vielleicht den Kopf schütteln wird. Ich meine nämlich, unsere Hausfrauen seien oft zu gute Hausfrauen, d.h. zu gut, um Dienstboten zu erziehen. Wie die fleißigsten Mütter oft die trägsten Töchter haben, so finden wir bei den thätigsten Hausfrauen auch nicht selten faule, untüchtige Mädchen. Sie sagen: »Das Mädchen ist zu untüchtig, zu unselbständig, ich muß alles selbst besorgen.« Aber wie soll es tüchtig und selbständig werden, wenn sie alles selbst thut und es nur als Handlangerin betrachtet? Da bilden Ursache und Wirkung einen Kreis. Weil das Mädchen unselbständig ist, läßt die Frau es nicht allein arbeiten, und weil es nicht allein arbeitet, wird es niemals[102] selbständig. Da heißt es: »Jetzt thue dies, jetzt das,« und die Frau steht dabei, ob es die Möbel abputzt oder den Braten aufbringt. Ist dann das Resultat – z.B. beim Mittagessen – ein gutes, so empfängt die Frau das Lob; ist es schlecht, so fällt der Tadel dem Mädchen zu.

Ist dem nicht so, meine verehrten Hausfrauen, und ist das gerecht? Niemand, das weiß man, wird tüchtig in seinem Beruf, der nicht selbständig und selbstverantwortlich ist, und niemand kann sich glücklich fühlen, ohne tüchtig in seinem Beruf zu sein. Die Handlangerin aber, die stets bevormundete Dienerin kann das niemals werden. Seien wir also in unserem Hause der Feldherr, welcher alles versteht und anordnet, doch die Ausführung seiner Befehle denen überläßt, die dazu angestellt sind. Nehmen wir es auch nicht allzu genau, ob eine Arbeit in diesem oder jenem Moment, auf diese oder jene Weise geschieht; begnügen wir uns damit, wenn das Resultat das gewünschte ist. Was kommt es darauf an, ob die Fenster mit Leder oder mit Papier geputzt werden, wenn nur die Scheiben blank sind! Und doch habe ich es erlebt, daß ein Mädchen darüber seinen Dienst verloren hat. Gewiß, die neue Köchin mag einmal eine Schüssel verderben oder doch anders bereiten, als wir gewohnt sind; das Stubenmädchen mag einmal eine Vase zerbrechen beim Säubern der Zimmer; ja der Verbrauch im Haushalt wird möglicherweise anfangs ein etwas größerer sein; aber jedes verständige und strebsame Mädchen wird sich Mühe geben, die Arbeit, welche man ihr allein anvertraut, für die sie allein verantwortlich ist, gut zu thun; sie wird ihren Stolz dareinsetzen, preiswürdig einzukaufen, und in ihren eigenen Ansprüchen bescheidener sein, als wenn ihr jeder Bissen ängstlich zugeteilt wird.[103]

Ist die Hausfrau in dieser Weise wirklich die Herrin ihrer Dienstboten, anstatt während der Hälfte des Tages ihre Gefährtin und Mitarbeiterin zu sein, so fallen dadurch schon manche Mißstände fort. Der größere Abstand wird größere Höflichkeit hervorbringen. Das Mädchen wird sich nicht so leicht erlauben zu widersprechen, oder gar sich in die Angelegenheiten der Familie zu mischen, ein Fehler, den manche Hausfrauen allerdings selbst provozieren; es wird sich leichter gewöhnen, kein bewohntes Zimmer zu betreten, ohne anzuklopfen, beim Eintritt der Herrin in die Küche aufzustehen, und was dergleichen Höflichkeitsformen mehr sind, die man jetzt nur zu oft vermißt.

Ihrerseits wird die Herrin das Mädchen mit »Sie« anreden und nicht mit dem »Du«, das noch in vielen Häusern Sitte ist und welches, da das frühere familienhafte Verhältnis nicht mehr damit verbunden ist, das Mädchen unter die Bettlerin stellt, die uns um ein Almosen anspricht und die wir doch »Sie« nennen. Von den erwachsenen Angehörigen der Familie wird die Hausfrau mit dem Dienstmädchen stets nur als »mein Mann«, »mein Sohn« »meine Tochter« reden, oder von ersterem, wie das in England und Frankreich gebräuchlich ist, als »der Herr«, (the master), oder mit seinem Namen und Titel, also: »Ist der Herr schon nach Hause gekommen?« »Ist der Herr Hofrat ausgegangen?« »Hat Herr Braun Ihnen keinen Auftrag für mich gegeben?« ... Der ebenfalls aus Frank reich stammende Gebrauch, daß die Dienstboten ihre Herrschaft in der dritten Person anreden, also: »Wünschen die gnädige Frau, daß ich das jetzt besorge?« »Wollen Frau Doktor ausgehen?« bürgert sich auch bei uns mehr und mehr ein.

Im allgemeinen gilt im Verkehr mit den Dienstboten dasselbe Princip wie bei der Kindererziehung: Festigkeit[104] und Konsequenz, mit Ruhe und Freundlichkeit verbunden. Ihre Befehle sollte die Hausfrau stets in klarer, bestimmter Weise geben und keinen Widerspruch dulden. Aber sie nehme auch nicht morgen zurück, was sie heute gesagt, vergesse nicht selbst, was sie dem Mädchen aufgetragen hat. Schickt sie es aus, so überlege sie, was alles zu besorgen ist, damit es durch ihre Schuld nicht doppelte Wege zu machen hat. Das sind Rücksichten, die beiden Teilen zu gute kommen.

Was nun die speciellen Obliegenheiten der einzelnen Dienstboten anbetrifft, so thut die Hausfrau wohl, ihnen dieselben gleich, wenn sie sie engagiert, mitzuteilen, ohne sie jedoch durch zu viele Details zu verwirren. Bei der Köchin liegt die Hauptschwierigkeit darin, daß unsere Küche so außerordentlich mannigfaltig ist. In Frankreich hat man französische, in England englische Küche; wir aber haben nord- und süddeutsche, rheinische, schlesische, ja Hamburger und Frankfurter Küche! Da ist es denn freilich für die Köchin schwer, den verschiedenen Ansprüchen zu genügen. Indessen ist sie tüchtig in ihrem Beruf, thut sie ihre Arbeit nicht mechanisch, sondern mit Ueberlegung, so wird sie sich leicht in die im Hause gewünschte Art und Weise finden, zumal wenn die Hausfrau sie klar zu bescheiden versteht und sich gelegentlich auch einmal eine andere Zubereitung gefallen läßt.

Nach dem vorhin aufgestellten Princip des Selbständigmachens gibt die Hausfrau der Köchin ein Haushaltungsgeld, von dem sie die nötigen Einkäufe zu beschaffen hat. Diese schreibt sie dann in ein Buch ein, das die Hausfrau alle Woche nachsieht. Thut sie das sorgfältig, so wird ein Fehler, ein Betrug ihr nicht leicht entgehen; aber die unehrliche Köchin kann auch ohne Haushaltungsgeld sich Vorteile machen, während auf der anderen Seite das Vertrauen[105] der Herrschaft das Ehrgefühl des Dienstboten anspornt und die angenehme Stellung den Wunsch in ihr erregt, sich dieselbe durch Treue und Sparsamkeit zu erhalten. – In großen Haushaltungen wird die Hausfrau vielleicht die Haupteinkäufe en gros machen und der Köchin immer nur kleinere Quantitäten übergeben; stets aber sollte sie sie mit Geld für die kleinen laufenden Ausgaben versehen, damit jene sie nicht um jeden Pfennig einzeln angehen muß. Das ist für beide höchst lästig.

Komplizierter als die Pflichten der Köchin sind die des Hausmädchens. Die Herrin wird ihr zeigen, welche Zimmer sie zu reinigen, in Ordnung zu halten hat, sie wird nachsehen, ob es ordentlich geschehen ist, und sie auf etwaige Mängel aufmerksam machen. Ferner unterweise sie sie, und zwar recht genau, in der Bedienung der Familie und der Gäste, denn darin sind die Mädchen selten genügend bewandert, und es ist höchst peinlich, wenn die Hausfrau sie in Gegenwart anderer, wohl gar Fremder zu belehren hat.

Am Familientisch wird zuerst die Hausfrau, dann der Hausherr bedient, die Töchter vor den Söhnen, eine Gesellschafterin oder Erzieherin vor allen Kindern. Sind Gäste zugegen, so hat die Hausfrau dem Mädchen zu sagen, bei wem sie anfangen muß, doch geht sie von da der Reihe nach weiter, um Zeit zu ersparen. Man mache sie darauf aufmerksam, daß sie so geräuschlos wie möglich aufwarte; daß sie die gebrauchten Schüsseln und Teller abräume, ehe sie frische bringt; daß sie den Braten oder Kuchen vor denjenigen, der ihn zerschneiden soll, hinsetzt, ehe sie die Teller dazu herumgibt (damit die Pause zwischen den Gängen nicht allzu lang wird); daß sie stets auf der linken Seite der Person anbietet, von rechts aber die Teller fortnimmt; daß sie Messer und Gabel, die der Gast auf dem[106] Teller liegen läßt, nicht etwa daneben legt, sondern mit fortnimmt und gereinigt wieder bringt (die jetzt üblichen, am Arm hängenden Körbe für die gebrauchten Bestecke erleichtern das Bedienen sehr); daß sie nie beim Aufwarten sprechen, nie jemand, der nicht bemerkt, daß sie ihm etwas anbietet, anrufen oder ihm wohl gar zum Nehmen zureden darf, wie manche »Unschuld vom Lande« zum Entsetzen der Wirtin sich zuweilen einfallen läßt; daß sie in Gegenwart der Gäste die Hausfrau nichts fragen, ihr keine Bestellung ausrichten darf, sondern sie zu dem Zweck herausrufen muß, und was dergleichen Bestimmungen mehr sind. Daß sie beim Bedienen stets nett und sauber, aber ihrer Stellung angemessen zu erscheinen hat, versteht sich von selbst.

Macht jemand einen Besuch, so hat das Mädchen höflich nach dem Namen des Fremden zu fragen, ihn in das Empfangszimmer zu führen und ihn dann dem Herrn oder der Dame des Hauses – wem nun der Besuch gilt – zu melden. Eine Unhöflichkeit wie die, den Besuchenden auf dem Vorplatz warten zu lassen, oder die Taktlosigkeit, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, fällt auf die Hausfrau zurück, welche ihre Leute so schlecht unterwiesen hat. Entfernt sich der Besuch, und die Herrin begleitet ihn nicht selbst hinaus, so gibt sie durch Schellen dem Mädchen ein Zeichen, worauf es dem Gast die Vorthür öffnet und sie offen hält, bis er ihren Augen entschwunden ist.

Bei Gesellschaften hat das Mädchen den anlangenden wie den fortgehenden Damen beim Ab- und Anlegen der Mäntel, dem Anziehen der Ueberschuhe und dergleichen behilflich zu sein. Dann öffnet sie den Gästen die Thür des Salons; ob sie deren Namen dabei meldet, hängt von dem Gebrauch im Hause ab; meist geschieht dies nur bei[107] großen Gesellschaften, bei denen man dann einen Diener für dies Amt engagiert.

Der dritte, in größeren Haushaltungen angestellte Dienstbote ist das Kindermädchen. Wir nennen es zuletzt, denn es nimmt meist die unterste Rangstufe unter den Dienstboten ein, ist gewöhnlich der jüngste, erhält den geringsten Lohn von allen. Den höchsten bezieht die Person, welche unsere Mahlzeiten bereitet – den mindesten die, der wir unsere Kinder anvertrauen.

Ist das nicht sonderbar oder vielmehr unverständig? Ist es nicht zu verwundern, daß Mütter das Liebste, was sie besitzen, einem unerfahrenen jungen Mädchen, das oft selbst noch ein halbes Kind ist, übergeben? ... In der That, wenn man diese halbwüchsigen Wärterinnen sieht, wie sie auf den Promenaden die Kleinen nachlässig im Arm halten oder sie achtlos im Wagen liegen oder herumspielen lassen, während sie mit ihren Freundinnen oder »Freunden« sich unterhalten, dann schüttelt man den Kopf über den Leichtsinn der Mädchen, mehr aber noch über den der Mütter, welche ihnen die Kinder anvertrauen. Und wenn dann die Gesundheit der letzteren unter der mangelhaften Pflege leidet, wenn das unachtsame Mädchen einmal die kleine Bürde, die ihr in die Arme gelegt worden, fallen läßt, und eine hohe Schulter, ein verkrümmtes Rückgrat die Folge davon ist, – ja, dann schreit man über die Unzuverlässigkeit der Wärterin, die solches Unglück über das arme Kind gebracht hat!

Was aber weiß ein fünfzehn- oder sechzehnjähriges Bauernmädchen davon? ... Nein, für die Pflege des Teuersten, was sie besitzt, sollte die Mutter stets eine ältere, erfahrene Person wählen, sollte ihr den höchsten Lohn geben, den ersten Platz unter den Dienstboten anweisen. In vielen Familien geschieht dies allerdings auch; die Kindergärtnerin[108] – d.h. die einfachere – hat ja jetzt die frühere Bonne ersetzt und leistet oft treffliche Dienste. Doch auch, wo die Verhältnisse eine solche nicht gestatten, sei es die Sorge der Mutter, sich in der Pflege ihrer Kleinen nur von bewährten Händen unterstützen zu lassen.

Schließlich noch ein Wort über die Zeugnisse, welche die Herrin den abgehenden Dienstboten zu geben hat. Es kommt gar nicht selten vor, daß das Dienstbuch eines sehr wenig tüchtigen Mädchens ganz gute Zeugnisse aufweist. Das, »fleißig, sittlich, treu« ist bequemer hinzuschreiben, als ein Tadel, den man begründen muß; die Hausfrau mag dem Mädchen nicht schaden, fürchtet wohl gar Unannehmlichkeiten, wenn sie es der Wahrheit gemäß anklagt. Aus solchen Bedenken gehen dann die unrichtigen Zeugnisse hervor, und eine Hausfrau nach der anderen wird mit dem schlechten Mädchen betrogen.

Das dürfte nicht sein. Die Wahrheit gehe jedem anderen Bedenken vor! Es ist dies das Interesse der Hausfrau, aber auch das der Dienstboten; denn welchen Wert hat ein gutes Zeugnis, wenn auch untüchtige Dienerinnen es bekommen? In den Dienstbotenprämienvereinen, die in vielen Orten jetzt bestehen, verpflichten sich deshalb alle Mitglieder, nur wahrheitsgemäße Zeugnisse zu erteilen. Außerdem suchen diese Vereine auf die Hebung der Dienstboten hinzuwirken, indem sie die guten, treuen, nach mehrjähriger Dienstzeit durch Geldgeschenke oder durch Ueberreichung eines goldenen Kreuzchens belohnen, – eine Einrichtung, die sich als sehr wirksam erwiesen hat; denn die Mädchen tragen diese Kreuze mit demselben Stolz, wie der Krieger seinen Orden, und die Inhaberinnen derselben können immer auf die besten Stellen rechnen.

Werden diese Vereine, dieses gemeinsame Wirken der Frauen zur Lösung der Dienstbotenfrage also immer mehr[109] verbreitet, sucht jede einzelne Frau in ihrem kleinen Kreise ebenfalls dazu beizutragen, so dürfen wir hoffen, daß das Ziel: gute und tüchtige Dienstboten zu erlangen, mit der Zeit mehr und mehr erreicht werde.


Die Dienstboten

Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 98-111.
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