das Restaurant.

[350] Unter diesem Fremdwort sind alle jene Anstalten zu verstehen, welche das Restaurieren, d.h. Wiederherstellen, resp. Erquicken des physischen Menschen vermittelst Speise und Trank zum Zweck haben; also alle Kaffee-, Wein- und Bierstuben, alle Speisehäuser. Wir brauchen nicht lange zu suchen, um eines dieser Etablissements zu finden, denn wohl kein Land ist so reichlich damit versehen, wie unser Deutschland. Gegen den zu häufigen Besuch dieser Restaurants, durch welchen der Familie die Mittel und besonders die Gegenwart des Hausherrn entzogen wird, haben wir[350] an einer anderen Stelle bereits protestiert1; hier geben wir nur einige Bemerkungen über das Benehmen in solchen Lokalen.

Mehr vielleicht, als im Salon, unterscheidet sich im Restaurant der gebildete Mensch von dem ungebildeten, denn der Zwang, den die Etikette, die Gegenwart der Damen auferlegen, fällt hier weg, das »wahre Gesicht« kommt mehr zum Vorschein. In der Art, wie ein Herr in ein Gastzimmer eintritt, seine Sachen ablegt (denn abweichend von dem englischen und amerikanischen Gebrauch behält kein Herr den Hut auf dem Kopf), seinen Platz einnimmt, nach dem Kellner ruft und seine Bestellung macht, erkennt jeder scharfsinnige Beobachter den seinen oder den ungebildeten Mann. Der erstere wird alles so geräuschlos wie möglich thun, wird sich in keine Unterhaltung mit dem Kellner einlassen, ebensowenig aber in hochmütig befehlendem Ton mit ihm sprechen; er wird sich nicht auf seinem Stuhl »räkeln«, nicht einen zweiten für seine Beine in Anspruch nehmen; wird nicht die aufliegenden Zeitungen in ungebührlicher Weise mit Beschlag belegen; wird auch in der Art, wie er die bestellten Speisen verzehrt, das ästhetische Gefühl der Umsitzenden nicht beleidigen. Selbstachtung und Rücksichtnahme auf die übrigen Gäste sind die Bedingungen des guten Tons in solchen Lokalen.

Eine häßliche und obige Rücksicht ganz vernachlässigende Manier ist das Belegen von mehr Stühlen, als der Gast braucht. Zwei Personen treten ein und setzen sich an einen Tisch, der für vier oder fünf Raum hat. Sie wünschen aber allein zu bleiben, oder Stühle für etwaige Bekannte, die möglicherweise kommen könnten, zu reservieren und belegen sie deshalb in einer Weise, die jedem zeigt, daß der[351] Tisch besetzt ist. Fragt jemand bei mangelndem Platz, ob ein Stuhl vakant sei? so erwarten sie noch Freunde, – die aber gewöhnlich nicht kommen. Sie beeinträchtigen also die Gäste, welche keinen Platz finden, sowie den Wirt, dem dadurch Gäste entzogen werden. Natürlich könnten die ersteren sich auf das Recht des Anwesenden berufen und einen Platz an dem Tische beanspruchen; der gebildete Mann aber läßt sich nicht gern in Streitigkeiten ein, zumal mit Menschen, die sich durch ihr Benehmen als nicht gebildete kennzeichnen. Er verzichtet also lieber auf den Platz, der ihm ohnehin eine unangenehme Nachbarschaft geben würde, oder bittet den Wirt, resp. den Oberkellner, die Gäste an ihre Pflicht zu mahnen. Ueberhaupt ist es bei allen Mißhelligkeiten zwischen den Gästen, die sich auf die Plätze, die Benützung der Zeitungen u. dgl. beziehen, zweckmäßig, sich an die in dem Lokal maßgebenden Personen zu wenden, statt sie selbst auszukämpfen.

Sehr unangenehm ist ferner für alle Gäste die Gewohnheit des Ausspeiens, welche manche Raucher und Biertrinker[352] angenommen haben. Ist es eben nur eine schlechte Gewohnheit, so soll man versuchen, sie abzulegen; hängt sie mit einem krankhaften Zustand zusammen, so benütze man das Taschentuch zum Auswerfen, oder, mit vorgehaltener Hand, den in allen öffentlichen Lokalen zu findenden Spuckkasten. Der Fußboden aber sollte von diesem ekelhaften Auswurf befreit bleiben.

Damen betreten ein Restaurant selten ohne männliche Begleitung, behalten Hut und Umhang an (lassen letzteren, wenn es heiß ist, wohl hinter sich auf die Stuhllehne gleiten) und benehmen sich überhaupt sehr zurückhaltend. Es ist Sache des sie begleitenden Herrn, sie vor Unannehmlichkeiten zu schützen; er bestellt, was sie zu genießen wünschen, bezahlt den Kellner für sie und hütet sich, durch Unterhaltungen mit Freunden sich lange von ihnen zu entfernen.


Im Restaurant

Eine Ausnahme von obiger Regel bilden die Gartenlokale. Diese werden im Sommer häufig von Damen auch ohne Herrenbegleitung besucht; in größeren Städten besonders, wo Gärten bei den Häusern eine Seltenheit sind, sieht man oft die Mütter mit ihren Kindern dort sitzen, andere laden ihre Freundinnen dahin ein, oder ganze Scharen von Damen lauschen den Konzerten, die oft die Annehmlichkeit des Aufenthalts im Freien noch erhöhen. Die Wirte freilich sind von diesem weiblichen Publikum meist nicht sehr entzückt: die Kinder fallen anderen Gästen leicht lästig, und – die Zehrung ist so gering! In der That, während es keine Seltenheit ist, auf einem Tische, an dem drei oder vier Herren sitzen, nach einer Stunde ein Dutzend leere Bierseidel zu erblicken, kommt es vor, daß ebensoviele Damen den ganzen Nachmittag sich mit einer Portion Kaffee oder einem Schoppen Bier begnügen, wozu sie das »Stippewerk« oder das Butterbrot mitgebracht haben. Da können wir dem Wirt es denn allerdings nicht[353] übel nehmen, wenn er sie mit scheelen Blicken betrachtet, denn sie nehmen einträglicheren Gästen den Platz fort. Diese Damen sollten bedenken, daß, was sie verzehren, ihr Eintrittsgeld in den jedermann offenen Garten ausmacht, und deshalb wenigstens das, was sie dort genießen, auch von dem Wirt entnehmen.


Nun aber verlassen wir die Stadt, verlassen ihre Salons wie ihre öffentlichen Lokale und begeben uns


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 350-354.
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