Erinnerungen aus meinem Leben.


Wer von weiter Fremde aus, nach stürmischer Fahrt, mit abwechselnden Sonnenblicken wiedergekehrt, das heimathliche Ufer wieder begrüßt, der blickt wohl mit einem schmerzlich süßen Gefühl auf die Gegend zurück, wo Freude und Leid ihn in tausendfacher Gestaltung trafen, und schaut über das Gewässer hin, das sein Fahrzeug durcheilt.

Ich habe eine große Zeit erlebt, ihre gehaltvollsten Geister sind mir nah gewesen, ihre verhängnißvollsten Begebenheiten zogen dicht an mir vorüber, und regten mein inneres Leben mächtig an. Aus den Stürmen und Blüthen dieser Wunderzeit hab' ich nur eine Frucht gerettet, die Frucht, die des Herzens Erquickung im Leben und Tod ist: Wahrheit und Glauben; sie reich' ich meinen Leserinnen (Frauen sollten nur für Frauen schreiben) mit freundlicher Liebe hin. Was ich von mir sagen kann und darf, sag' ich[3] gern, um die Gegengesinnung zu wecken. – Der Mensch, sagt mein Freund August Wilhelm v. Schlegel, kann dem Menschen nichts köstlicheres geben, als sich selbst!


Meine Kindheit war friedlich und still; meine Mutter lebte einsam, und brachte ganze Tage mit mir im Grünen zu. Mein Herz blieb unverdorben, ich kam nicht mit der Welt in Berührrung, und hatte keinen Begriff vom Leben und dessen Verhältnissen. Fleißig las ich die Bibel, am liebsten die Bergpredigten Christi. Meine Mutter gab mir den Homer, von Voß übersetzt, Goethe's, Gleim's, Gellert's, Pestalozzis, Klopstocks Werke, Hippels Lebensläufe in aufsteigender Linie, ein Buch, das durch mein ganzes Leben hindurch in meinem Innern gewirkt hat. Meine Mutter regte mich früh zum Schreiben an, und in meinem dreizehnten Lebensjahre, nachdem ich schon den Unterricht meines würdigen verewigten Lehrers, H. Coulon, in Sprachen und andern nothwendigen Kenntnissen genossen hatte, begann ich, auf ihren Wunsch, mein Tagebuch mit den kunstlosen Zeilen,[4] die ich hier niederschreibe, da ich sie treu aufbewahrt hatte:


Ich will mein Tagebuch nun schreiben,

Nachdem zwölf Jahr vergangen sind,

Und hoffe stets getreu zu bleiben

Den Lehren, als ein gutes Kind,

Die meine Mutter mir gegeben:

Gehorsam, fleißig, gut zu seyn,

Mit Freund und Feinden gut zu leben, –

Dann kann ich mich des Lebens freun.


Den Pflichten stets getreu zu bleiben,

Die mir mein lieber Gott empfahl,

Und sollte ich einst leben bleiben

Bis 60, 80 an der Zahl,

Und alles dieses gut erfüllen,

Und mehr, als ich hier sagen kann:

Kommt dann mein Tod nach Gottes Willen,

Fahr' ich mit Freuden himmelan.


Berlin, den 26. Januar 1795.


Noch heut fühle ich mit Freudigkeit, daß mein Herz diese guten Vorsätze nicht unerfüllt gelassen. Ich hatte zu diesen Zeilen aus eigenen Gedanken ein Bild gemalt, das ich noch besitze. Mein Ziel, wohin meine Seele in Gestalt eines Schmetterlings vorausflog, war ein[5] Tempel auf hohen Felsen, im Sonnenlicht, die Inschrift über der Pforte: Tugend, Wahrheit. Dahin führte mich die Weisheit, geharnischt und bewaffnet. Hinter mir flog bedrohend ein schreckliches Ungeheuer mit Schlangenhaaren, einem Drachenschweif, dreifach gespitzter Zunge und Krallen; aber mein Engel, in Wolken schwebend, hielt schützend den Schild vor mir her. Mit Rührung betrachte ich, indem ich dies niederschreibe, das ahnungsvolle, verheißende Bild. Ja, mein Engel hat mich bewahrt, und wird es noch fernerhin thun, bis ich am Ziele bin!

Meine liebste Beschäftigung blieben die Bücher, mein höchstes Glück war Einsamkeit und Natur. Der Morgen einer friedlichen Kindheit legt immer den Grundton zum Leben; was mir in jener Zeit theuer war, ist es mir geblieben, und ich fühle mich noch immer ein Fremdling in dieser Welt.

Aus dem dämmernden Traum meiner Kindheit habe ich wenige Erinnerungen in das Leben hinüber genommen. Ich will sie in ihrer Kunstlosigkeit, so wie meine Mutter sie niedergeschrieben, gern hingeben. Von den vielfach bedeutenden[6] Männern und Frauen, denen meine Großmutter Karschin werth war, erinnere ich mich nur des großen Staatsmimsters Herzberg, des edlen Grafen Christian von Stolberg-Wernigerode, Campe's und dessen liebenswürdiger Frau und Tochter, und so manchen schriftlichen Zeichens vom Helden-Herzog Braunschweig-Lüneburg, von der königl. Familie, u.w.A. recht lebendig. Als ich mit meiner Großmutter zum Erstenmal der königl. Prinzessin Friederike von Preußen vorgestellt wurde, war ich drei Jahr alt. Meine Großmutter verlangte, ich solle der Prinzessin, nach damaliger Sitte, den Rock küssen. Ganz laut rief ich aus: »Warum den Rock? der fühlt ja den Kuß nicht, die Hand will ich küssen!« Die Liebreiche hörte dies kaum, so hob sie mich in den Armen auf, und küßte mich auf das herzlichste, wie sie denn stets ganz Anmuth und Huld war.

Nicht lange nachher kam der König zur Regierung. Als sein Pathkind sollt' ich Ihm vorgestellt werden; denn meine Mutter hoffte, daß der gütige König etwas für meine Erziehung thun würde. Von einem König macht' ich mir den höchsten Begriff; viele Stunden, ehe wir[7] hinfuhren, sah ich ihn mit Purpurkleid und strahlender Krone vor mir stehen. Wir kamen in den Rittersaal. Meine Mutter hatte ein Gedicht in ein zierliches Körbchen gelegt, welches ich trug, und da zufällig mein Bruder, von einem Spaziergang zurückkehrend, einen Strauß Vergißmeinnicht mitgebracht hatte, legte meine Muster auch diese Blumen zu dem Gedicht. Nicht lange stand ich da unter vielen Prinzen und Offizieren, als ein hoher, blühender Mann mit dem Lächeln liebevoller Huld vor mich hintrat, aus blauen, großen Augen mich heiter und freundlich lange anblickte, dann, sich mit zierlichem Anstand beugend, aus den Blumen hervor das Gedicht zog, einen Kuß auf meine Stirn hauchte, und verschwand. Alles umher war still und gespannt gewesen, ich selbst war froh und süß beklommen, und als der hohe Mann sich entfernt hatte, sagte mir meine Mutter, dies sey der König gewesen. Waren nun meine gespannten Erwartungen vom strahlenden Glanz der königlichen Gegenwart unerfüllt geblieben, o war mein Herz von der Huld und Freundlichkeit, so wie von der Schönheit des Monarchen desto anmuthiger überrascht, und ich harrte[8] nun mit gespannter Freude der Dinge, die noch kommen sollten. Es verging auch kaum eine Viertelstunde, als ein Jäger kam, und meiner Mutter sagte: Se. Majestät ließen sich die Vergißmeinnicht ausbitten. Mit welcher klopfenden Brust nahm ich sie aus dem Körbchen, und reichte sie dem Boten so liebreicher Kunde dar! Wir warteten nun noch eine ganze Weile, der Saal füllte sich immer mehr, ich konnte zuletzt die Bücke der Anwesenden gar nicht ertragen, und bat meine Mutter mit Thränen, um zu gehen. Wir entfernen uns. In der Breitenstraße holte uns athemlos der Jäger mit dem Befahl ein, wir sollten vor dem König erscheinen; wir kehrten um, allein es war zu spät, ich sah ihn nicht wieder! Jede Vorstellung meiner Mutter an des Königs Majestät blieb unbeantwortet, und die Hoffnung, daß mein erhabener Pathe für meine Erziehung sorgen würde, blieb unerfüllt.

Meine Großmutter war zu anhaltend mit Verwendungen für das Wohl ihrer Freunde und vieler Hülfsbedürftigen, die sich an sie wandten, beschäftigt, als daß sie sich mit der Sorge für ihr eigenes Glück gehörig hätte befassen können.[9] Sie war höchst genügsam, und sorgte mütterlich für ihre Tochter und deren Kinder, welche ein hartes Schicksal als verlassene Waisen ihrer Pflege übergeben hatte. – Es darf im Andenken derer, die sie lieben, nicht untergehen, daß sie, sobald sie zu einigem Wohlstand gelangt war, insgeheim einem Manne 50 Thaler schickte, der ihr einst in Schlesien in den Tagen ihres Elends zwei Brode geschenkt hatte.

Eine kleine Auswahl aus den hinterlassenen Papieren meiner Großmutter, der besonders aus Briefen an sie besteht, wird hier dem Leser nicht unwillkommen seyn.


Bewillkommung an meinen Sohn

Carl von Klencke.

Sey mir gesegnet tausendmal

Am Tage Deines Ehebundes,

Sohn meiner Wahl!

Dem in der Stimme meines Mundes

Mein Herz den süßen Namen giebt. –

Sey mir willkommen, und empfange

Dies Weib, das Deine Seele liebt;[10]

Sey glücklich mit ihr, sey nicht bange

Nach irgend einem andern Glück,

In einer frischern Rosenwange,

In einem feuervollern Blick,

Und schönerm Munde, wenn Du diesen

Verwelken siehst von Jahr zu Jahr,

Wie Blümlein auf den trocknen Wiesen,

Weil Thau und Regen selten war.

Bleib' immer Freund von ihrem Herzen,

Und laß durch keinen Spötterwitz

Den Trieb aus Deiner Seele scherzen,

Bis Deine Gattin ihren Sitz

Und ihren Gang an Deiner Seite

Vertauschet mit des Grabes Raum: –

Dann denke noch zurück an heute,

Als wie an einen süßen Traum!


Verzeichniß der empfangenen Gelder von Sr. Majestät Friedrich dem Großen,


vom Jahre 1763 bis 1785.


Im Oktober (1763) erhielt ich zum Angelde der königlichen Vorsorge 50 Thaler, man sagte mir zugleich den gnädigen Befehl, mich künftig wieder zu melden; ich that's 1764 und erhielt 10 Thaler.[11]

1768 im Januar 20 Thaler.

1770 zur Aussteuer meiner Tochter 10 Thaler.

Bey der Übersendung eines Gedichts auf die Geburt des Kronprinzen 10 Thaler.

Bey der Meldung der Geburt meines ersten Enkels 10 Thaler.

1773 erkühnte ich mich, Sr. Majestät unterthänigst zu erinnern, daß Sie gnädigst versprochen hätten, für mich zu sorgen: es wären nun zehn Jahr, ich würde älter, und bäte um königliche Unterstützung. Darauf kam ein Brief von Potsdam aus der Hofstaatskasse mit der Aufschrift: An Madame A.L. Karschin geb. Dürbach, berühmte deutsche Dichterin zu Berlin, nebst Inlage eines Gnadengeschenks von zwei Thalern. Darüber nun schrieb ich auf ein Blatt:


Zwei Thaler giebt kein großer König,

Denn die vergrößern nicht mein Glück,

Nein, sie erniedern mich ein wenig,

Drum geb' ich sie züruck. –

A.L.K.


Hiermit siegelte ich dies Gnadengeschenk ein, und schrieb: An H. Stiegel, den Hofstaatssekretär Sr. Majestät von Preußen in Potsdam, nebst Inlage zweyer Friedrichsthaler.

Ich verlor nun allen Muth, aber 1780 zum Jahrbeginn war ich krank, und schrieb mit kranker[12] Hand einige Verse an den König. Sein Hofstaatssekretär H. Svasius schickte mir, im Namen Seines königlichen Herrn, vier Thaler, und wußte das Geschenk durch die Art des Gebens willkommner zu machen, so klein es war. Ich glaubte damals zu sterben; ich kam wieder auf, und bat 1783 den König um Erbauung eines Häuschens, darauf empfing ich drei Thaler. Ich schrieb verschiedene Quittungen, Prinzeß Amalia ließ in Ihrem Zimmer mich Abschrift von einer machen, und mag's gewiß Ihrem erhabenen Bruder vorgelesen haben. Ich war etwas unwillig, kann's nicht lange seyn, schrieb aus patriotischem Herzen 1785, am neuen Jahrstage, das letztemal meinen Glückwunsch, und empfing noch am Abend des Ersten Januars die Gegenwünsche des Königs Majestät.

A.L. Karschin.


An meine mir neugeborne Tochter.

21. Junius 1785.


Lina, lobe Du den Herrn,

Der Dich ließ entstehen,

Lebe Deine Tage gern,

Die so schnell vergehen.
[13]

Sey nicht wieder banges Muths,

Seufze keine Schmerzen,

Denn so oft Du klagest, thut's

Weh dem Mutterherzen.


Sieh, mein Kind, von meinem Haar

Hab' ich abgeschnitten,

Daß es Dich nun immerdar

Froh zu seyn soll bitten.


In ein Ringlein ward's gelegt,

Und wenn's Deine Linke

Nun am kleinen Finger trägt,

Giebt Dir's Seelenwinke.


Einer goldnen Lyra Glanz

Soll in diesem Ringe

Dich erinnern an den Kranz,

Den ich mir erringe.


Einen schönern sollst Du Dir

Nun zum Ruhm erwerben:

Denn Du wirst nun bald von mir

Meine Lyra erben.


Sangst ja schon so manches Lied,

Aber nur ganz leise,

Gleich der Lerche, die da flieht,

Wie zur Wolkenreise.
[14]

Singe heller, wenn ich nun

Über Wolken reiste;

Denn mein Geist soll zwiefach ruhn

Über Deinem Geiste.


In die Höhe wirst Du dann

Oft Dein Aug' erheben,

Ob's mich nicht erblicken kann

Über'm Lerchen-Schweben.


Horchen sollst Du, ob ich nicht

Über Sternen rufe:

Tochter, steig' voll Zuversicht

Auf des Nachruhms Stufe!


Die Ankündigung meines Glücks, dem Fräulein von Viereck erzählt

1. Februar 1787.


Dir, edle Herzensbildnerin

Der liederwerthen Prinzessin,

Dir, sanfte Viereck, will ich's sagen,

Wie Wöllner, Friedrich Wilhelms Rath,[15]

Mich überraschte vor acht Tagen,

Als ich in Deckers Zimmers trat.


Er rief:

Freu' Dich, Deutschlands Dichterin

Freu' Dich hoch in Deinen Sinn!

Der König hat befohlen mir

Ein neues Haus zu bauen Dir!


So sprach der Mann im schwarzen Rocke

Mit goldnem Ordenskreuz geziert,

Ich hör', ich seh', ich staun' und stocke,

Bin durch des Zurufs Ton gerührt,

Und kenne nicht den Glücksverkünder,

Und traue meinem Ohre nicht. –

Betäubter ist kein armer Sünder,

Wenn Gnade seine Ketten bricht,

Und, statt des Kerkers, eine Wohnung,

Im kleinsten Dörfchen ihm verspricht,

Als ich gewesen bin, so lange

Bis Herr von Wöllner ward genannt,

Da glühete mir Aug' und Wange,

Da ward die Königshuld erkannt!

A.L.K.


Rede beim Grundsteinlegen zum Hause der Frau Anna Luise Karschin.

[16] Unser gütiger Friedrich Wilhelm, dem gewiß Seiner Unterthanen Wohl am Herzen liegt, der sie Alle glücklich zu sehen, der den Namen: Landesvater, zu verdienen wünscht, ist auch Kenner, Verehrer und Beschützer wahrer Kunst und Wissenschaft.

Mit einem ganz deutschen Herzen achtet Er vorzüglich deutsche Geistesfrucht, vaterländischen Gesang hoch.

In dieser Gesinnung, welche einen ächten Brandenburger stolz machen kann, schenkt der gütige König der Frau Anna Luise Karschin, einer Dichterin, die unserm Vaterlande nicht minder, als eine Sappho dem Ihrigen zur Ehre gereicht, einen neuen, beständigen und eigenthümlichen Wohnsitz.

Die vaterländische Sängerin sollte nicht blos für Ihre Person der königlichen Huld genießen, Ihre späteste Nachkommenschaft sollte zugleich ein schäzbares Denkmal besitzen, welcher Gnade Friedrich Wilhelm der großen Dichterin in Seinen Staaten würdigte.


Anrede an die Zuschauer.

[17] Zu diesem Hause wird jetzt feierlich der Grundstein gelegt. Wir freuen uns, daß wir hier Gelegenheit haben, der Frau Karschin, so viel wir vermögen, auch unsere Hochachtung öffentlich zu bezeugen.

Diese drei Schläge für unsern gütigen König und Landesvater, und für unsre theure Königin und Landesmutter. Sie seyen lange eine Zierde auf Preußens Thron, dann werden Sie lang eine Segensquelle für Preußens Unterthanen seyn.

Diese drei Schläge für den Geheimen Finanz-Rath und General-Bauintendanten von Wöllner. Er lebe lange glücklich, weil er es sich zum angelegentlichsten Geschäfte macht, das Glück seiner Nebenmenschen zu bauen.

Diese drei Schläge für die Herren Ober-Hofbauräthe und Hof-Bauinspektoren; wünschen Ihnen das heiterste Wohlergehen, und daß sie noch manchen Bau glücklich ausführen mögen.

Bei diesen drei Schlägen für unsre Werkmeister wünschen wir, daß Gott, der ewige[18] Baumeister, uns diesen Bau nach Wünschen ausführen helfe.

So erhöre denn Gott unsre Wünsche, und bewahre Alle, welche an diesem Hause arbeiten, vor Unglück und Schaden.


Schreiben Gleim's an Friedrich Wilhelm

den Zweiten.

Sire!

Unter den Millionen von Menschen, welche mit Hoffnung auf Ew. königlichen Majestät glorreiches Leben über den erlittenen Verlust sich trösten, befindet sich ein alter Mann, bekannt unter dem angenommenen Charakter eines preußischen Grenadiers, welcher in den unvergeßlichen Jahren 1756 und 1757 seinen Zeitgenossen unglaubliche Begebenheiten des Krieges sang, und glaubliche Fabeln dichtete dem königlichen Neffen.

Dieser alte Mann, wenn nicht Krankheit ihn hinderte, machte sich auf, mit dem heißesten Wunsche seines patriotischen Herzens, zuvorzukommen den Millionen der Hoffenden, er forschte den Augenblick aus, in dem er es wagen dürfte, dem[19] sorgenvollen Landesvater unter die Augen zu treten, und Ihm zu sagen: »Es hätten unter Friedrich dem Einzigen nur allein die deutschen Musen geklagt, sie hätten in ewigen Gesängen Ihn singen wollen; Er hätte mit Seiner Liebe zu den ausländischen Musen die Muse des Vaterlandes beinahe zum Stummseyn gebracht. Die Zeiten des Einzigen würden gewesen seyn, wie die goldenen Sprachzeiten Alexanders, Augusts, Leo's, Karls und Ludwigs; Ew. königl. Majestät aber hätte die Vorsehung aufbehalten, das sechste Weltalter der Musen zu stiften!«

Erlauben Ew. königliche Majestät in höchsten Gnaden dem wahrheitsliebenden alten Mann, der nie geschmeichelt hat, zu sterben in dieser Hoffnung als Ew. königl. Majestät!

Halberstadt den 23. August 1786.


allerunterthänigster

allertreudevotester Knecht

Gleim.


Kabinetsschreiben Sr. Majestät.

Würdiger lieber Getreuer! Zur Aufmunterung könnt Ihr der deutschen Muse, der Ihr in Eurem[20] Schreiben vom 23. dieses mit deutscher Treuherzigkeit das Wort redet, die Versicherung geben, daß Ich mit Vergnügen Ihr Beschützer seyn werde; besonders wenn sich alle deutschen Dichter bemühen, Euch zu gleichen, und jeder in seiner Art den Eurigen gleiche Werke liefert. Ich bin Euer gnädiger König.

Berlin den 27. August 1786.

Friedrich Wilhelm.


Gellert an die Karschin.

Liebste Frau Karschin!

Wenn ich gesunder und munterer wäre, als ich bin: so würde Ihre beredte und recht geistreiche Einladung in den Garten meines theuersten Sulzers unstreitig ihre Wirkung thun; und ich käme also mit Herrn Weißer, dem Kreiseinnehmer, meinem Freunde, der im Begriffe steht, nach Berlin zu reisen, auf einige Tage dahin, und suchte meine Freunde und Gönner auf. Aber nein, liebe Dichterin, an diese Freude soll ich nicht denken, zwar daran denken, aber sie nicht genießen. Indessen danke ich Ihnen von Herzen für[21] Ihren Brief und für Ihr schönes Gedicht. Ich fand dieses unerwartete Geschenk gestern auf meinem Tische, als ich eben von unserm vortrefflichen Fürsten kam, auf dessen Zimmer ich eine moralische Vorlesung in Beisein seiner Gemahlin hatte halten müssen. Ich war noch von dem gnädigen und liebreichen Bezeigen dieses guten Herrn und eben seiner guten Gemahlin kräftig gerührt; und ich wurde es bei der Beschreibung des liebenswürdigen Kindes, die Ihr Brief enthält, und bei einigen Stellen der letzten Seite Ihres Briefes noch mehr, ja so sehr, daß ich meine Hände faltete, und Gott laut für das Gute dankte, das er an mir Unwürdigen oder durch mich Elenden thut. – Nur so viel, denn das ist für einen Kranken, ich leide an Hüftschmerzen, schon ein langer Brief. Ich grüße unsern besten Sulzer, und alle, die mich mit ihm lieben, freundschaftlichst, wünsche Ihnen von Gott alle Wohlfahrt, wünsche Ihnen das Glück, noch viel Nützliches und Treffliches zu schreiben, und bin mit aller Hochachtung und Freundschaft

Leipzig, den 29. April 1769.

Ihr ergebenster Diener.

Gellert.
[22]


Rammler an meine Mutter1.

Madame!

Daß Sie zu Ihrem Zeitvertreibe, in dem Frühlinge Ihrer Jahre eine komische Oper anfangen, zeigt, daß Sie sich künftig in dieser Dichtungsart hervorthun wollen, oder daß Sie dem Herrn Koch für seine Gutheit gern wieder gute Dienste leisten wollen. Sie verlangen den Rath und den Beistand eines guten und aufrichtigen Freundes. Hier ist mein Rath: Ueben Sie sich eine Weile ganz im Stillen, und lesen dabei alles, was Ihnen zu Ihrem Vorhaben dienlich ist, und legen der großen Welt Ihre ersten Uebungsstücke noch nicht vor. Wenn Sie bei Ihren künftigen Stücken aber Beistand von mir haben wollen, so machen Sie es so: Schreiben Sie Ihren ganzen erfundenen Plan, die ganze Hauptfabel Ihres Stückes in wenigen Zeilen auf. Hernach bezeichnen Sie mir, Scene für Scene, die Personen, die auftreten, und melden in ein Paar Worten, wovon sie reden sollen, und wo eine Arie zu stehen kommen soll. Alsdann kann ich Ihnen noch[23] zur rechten Zeit einen Rath geben. Jetzt kommt ein jeder anderer Rath und die Ausbesserung selbst wirklich schon zu spät. Mein einziger Rath ist jetzt, daß Sie dieses Stück, als erste Probe bei sich behalten, und künftig alle Jahre oder halbe Jahre etwas Vortreffliches nachahmen oder erfinden sollen. Wenn Ihr Stück aber auch völlig so gut wie die Jagd und der Aerntekranz wäre, und mich also von selbst reizte, meinen patriotischen Fleiß und die letzte mühsame Feile darauf zu verwenden: so muß ich Ihnen (doch unter uns) gesthen, daß ich bis zum Ausgange des künftigen Aprils dergestalt mit Arbeit besetzt bin, daß ich Sie selbst bitten möchte, den Himmel zu bitten, daß ich unter der Last nicht erliege. Es sind dieses nicht Arbeiten, die ich von selbst mir gewählt habe, sondern die mir insgeheim anvertraut und auferlegt sind. Alle die Zeit, die Sie mich in der Komödie sehen werden, ist bloß eine Zeit, die ich zur Erholung gebrauche, damit ich wenigstens so lange gesund bleibe, als diese Arbeit dauert. Noch einmal, liebste Madame, muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen jetzt einen Rath gebe, den ich mir in meinen jungen Jahren selbst gegeben habe. Indem ich so lange alles zerriß und verbrannte, als ich sahe, daß ich mich noch jährlich besserte; bis ich endlich sahe, daß ich mich leider nicht mehr[24] besserte, sondern da stehen blieb, wo ich ungefähr noch stehen mag. Leben Sie wohl, und halten mich für den, der ich zu seyn glaube, für

Berlin, den 20. November 1771.

Ihren aufrichtigen Freund

F.W. Ramler.


P.S. Es versteht sich, daß solche große Stücke, wie komische Opern, nicht müssen verbrannt oder zerrissen werden, sondern so lange aufbewahrt werden, bis man alles, was zu bessern ist, gefunden hat. Allenfalls gebraucht man etliche Auftritte davon, bringt sie in eine andere Verbindung; läßt an einigen Stellen Arien fort, setzt an andern Arien hin; bringt mehr Handlung hinein, oder macht, daß alles zur Haupthandlung nicht wenig, sondern fein viel beiträgt. Endlich ändert man die einzelnen Ausdrücke, bessert, was uns ein wenig allzuniedrig klingt, schneidet die ganz unnützen Plaudereien weg, verstärkt durch gewisse eigenthümliche Züge die Charaktere der Personen u.s.w.


J. B. Zimmermann an die Karschin.

[25] Verehrungswürdigste Frau!

Sie haben meine Geschichte in Sanssouci in die reizendste und erhabenste Poesie eingekleidet, und demungeachtet bleibet ihr Gedicht eine Geschichte, – die aber niemand erzählen kann und muß, als Sie, gerade Sie, denn Ihr Herz ist der Sitz der feinsten, der edelsten und größten Empfindungskraft.

Beiliegende Kleinigkeit ist eine Pränumeration auf die nächste Auflage einiger Ihrer Oden und Lieder. Auf die Auflage Ihrer sämmtlichen Werke werde ich mit warmen Herzen pränumeriren und Pränumerationen sammeln.

Gott lasse Sie noch lange der Welt zur Erstaunung und als eine Zierde unsers Zeitalters Leben.

Berlin, den 6. Novbr. 1771.

J. B. Zimmermann,

Königl. Großbrittannischer Leibarzt

in Hannover.


Goethe an die Karschin.

[26] Ich treibe mich auf dem Lande herum, liebe Frau! um das Leid und Freud', was eben Gott jungen Herzen zu ihrem Theil gegeben hat, in freier Luft zu genießen. Neulich lief ich einmal in die Stadt, und Griesb. brachte mir Ihren Brief. Es machte mir herzliche Freude, daß Sie Ihre Feder so an mich laufen ließen, und nun für Ihre Güte und Freundlichkeit meinen Dank. Ich wollte, daß mir Ihre Tochter auch schriebe, wie und wenn's ihr einkömmt; denn kein Spiegel ist das der Eitelkeit, was ein Brief der von wunderbaren Verhältnissen gedrängten Seele ist, wenn sie drinn gleiche Stimmung horcht, und müde des ewigen Solo mit Freuden pausirt, und dem freundlichen Mitspieler neue Wonne ablauscht.

Schicken Sie mir doch auch manchmal was aus dem Stegereife, mir ist alles lieb und werth, was treu und stark aus dem Herzen kommt, mag's übrigens aussehn wie ein Igel oder wie ein Amor. Geschrieben hab' ich allerlei, gewissermaßen wenig und im Grunde nichts. Wir schöpfen den Schaum von dem großen Strome der Menschheit mit unsern Kielen, und bilden uns ein, wenigstens[27] schwimmende Inseln gefangen zu haben. Von meiner Reise in die Schweiz hat die ganze Cirkulation meines kleinen Wesens sehr gewonnen. Vielleicht peitscht mich die unsichtbare Geißel der Eumeniden wieder aus meinem Vaterlande, wahrscheinlich nicht nordwärts, Addio!

Offenbach am Main, den 17. August 1775.

Göthe.


Ich gedenke an meine Sünde! Liebe Frau, in dem Gewürge des Lebens vergeß' ich Alles. Zwar doch nur zu schreiben; denn eh' Ihr letzter Brief kam, dachte ich, ich hätt' Ihnen und Ihrer Tochter geantwortet. So manchmal hatte ich im Stillen mit Ihnen gesprochen, auf irgend einer Wandrung, und dachte: wenn du nach Hause kommst, schreibst du, und schrieb nicht. Meine Lage hier ist die glücklichste, die eine menschliche Einbildung sich kaum zu wünschen wagt, dafür habe ich aber nun auch freilich alle Zulagen zu genießen, die das Schicksal an seine Gaben anzuhäckeln pflegt. Bleiben Sie mir lieb! Schicken sie mir oft was. Machen Sie mir einmal ein Pack Impromptüs zusammen, die Sie nicht mehr achten. Und gehen Sie doch einmal zu Chodowiecki, und räumen Sie bei ihm auf, was so von alten[28] Abdrücken seiner Sachen herumfährt. Schicken Sie mir's, und stehlen ihm etwa eine Zeichnung. Es wird mir wohl, wenn ich ihn nennen höre, oder ein Schnizzel Papier finde, worauf er das Zeichen seines lebhaften Daseins gestempelt hat.

Weimar, den 11. September 1776.

Göthe.


Göthe an meine Mutter.

(Einlage des vorigen Briefes.)


Ich hab' Ihnen noch nicht geschrieben, und schreibe Ihnen auch jetzt nichts, als daß ich den 11. September, Abends zwischen 9 und 10, ganz auf einmal sehr lebhaft an Sie und Ihre Mutter gedacht habe. Es ist mir das schon mehr vorgekommen; aber diesmal überfiel's mich just, da ich die Feder in der Hand hatte, und ich eilte, es Ihnen zu sagen.

Göthe.
[29]


Wieland an die Karschin.

An die Dichterin, in welcher Sappho wiederlebt.


Mitten im Himmel der Freundschaft, an der Seite unsers Gleims, des edelsten und besten der Menschen, bringt mir der Venus schneeweißestes Täubchen Ihren ersten Brief, göttliche Sapho! Wir lesen ihn mit Entzücken, wir reden den ganzen Tag, und einen großen Theil der folgenden von Nichts, als Ihnen, hören unserm Gleim, mit halboffnem Munde, so leise athmend als in einer Verzückung zu, da er uns eine Menge der herrlichsten Lieder lieset, die ein Gott unsrer Sapho eingab, und wovon die Welt noch nichts gehört hat; hören unverwandt, erfüllen uns ganz mit Ihrem Geist, entbrennen von Ihrem Feuer, ergießen uns in Liebe und Bewunderung des schönsten Geistes, der jemals ein weibliches Weib belebt hat, und beten die Natur in einem ihrer herrlichsten Werke an – und dennoch, vortrefflichste Karschin, konnte Wieland kalt oder träge genug sein, es bis zum 3. Juni anstehen zu lassen, Ihnen, der Dichterin, die er schon so viele Jahre liebt und bewundert, zu sagen, daß Sie die freundschaftlichen Empfindungen, wovon Ihr[30] schöner Brief überfließt, an keinen Undankbaren verschwendet haben! Aber glauben Sie mir, meine liebste Freundin, weder Trägheit noch Kaltsinn war daran Schuld. Es ist von jeher meine Art so gewesen, daß ich nicht schreiben kann noch mag, wenn mein Herz so voll ist, als es in Halberstadt war. Geschriebene Worte dünken mir dann eine so kalte, armselige Art, wie Seele mit Seele Gemeinschaft pflegen soll, daß ich mich gar nicht dazu entschließen kann. Doch auch jetzt, da ich bei gelassenem Muthe an Sie schreibe, kann und werde ich Ihnen nicht den zehnten Theil davon sagen, was ich von Ihnen denke, was ich für Sie empfinde, und wie glücklich Sie mich dadurch machen, daß Sie meine Freundin seyn wollen. Ein Genius soll Ihnen das in seiner eigenen Sprache unmittelbar in's Herz sagen. – Sie sollen's fühlen, eben so stark fühlen, als ob Sie es mit Ihren eigenen Geistesaugen unmittelbar in meiner Seele läsen, – und wozu brauchen Sie denn noch, daß ich's Ihnen durch Worte sage?

Sie allein, vortrefflichste Frau, fehlten noch, um unsre Wonne in Halberstadt vollkommen zu machen. Zwölf ganzer Tage, ein Jahrhundert an innerem Werth, einen Augenblick im Genusse selbst – habe ich bei unserm Gleim, dem besten unter allen Günstlingen des Musengottes, dem[31] wärmsten der Freunde, dem edelsten der Menschen, gelebt. Nur unsre Sappho, unsre Muse, mangelte uns, um aus seinem kleinen Sans-Souci den Hain der Musen oder Elisium zu machen. Ihr freundschaftlichster Wunsch, beste Karschin, ist auch der Wunsch meines Herzens. Ja, wir müssen uns noch von Person kennen lernen, Sie müssen meine Kinder und die Mutter meiner Kinder, alles, was ein Theil meines Selbst ist, sehen, und unter den kleinen, um sie herumwimmelnden Kindern der Natur sich selbst wieder verjüngt fühlen, und schönere Lieder singen, als Sie je gesungen haben. Es muß sein, es wird sein, oder meine Seele müßte mir in diesem Augenblicke falsch weissagen.

Unwillkommene Hinderungen unterbrechen mich, – ich muß mich von Ihnen loßreißen. Aber der Anfang ist nun gemacht, meine Freundin, Posten zwischen Berlin und Weimar gehen wöchentlich und richtig wenigstens zweimal. Also kein Wort weiter, als daß ich mit aller Bewunderung, aller Wärme der gefühlten Seelenverwandschaft bin und ewig sein werde

Weimar, den 3. Juni 1775.

Ihr ganz ergebenster

Wieland.
[32]


Wieland an die Karschin.

Liebe Frau! ich bin der unfleißigste, unzuverläßigste, bedrängteste und hülfloseste Briefschreiber auf Gottes Erdboden, aber ich bin auch eine gute Seele, und liebe Sie von Herzensgrunde, wiewohl ich Ihnen nichts davon sagte.

Weinen Sie doch in meinem Namen eine Thräne an dem Halse der liebenswürdigen, unschuldigen Gekränkten2, die im Merkur beleidigt wird, und für welche Sie, beste Frau, mit so edler Wärme sprechen. Ihr soll durch einen Auszug Ihres Briefes und durch gänzliche Vertilgung des Artikels: Theatralische Neuigkeiten, die einzige Genugthuung werden, die ich ihr geben kann. Ich habe eigentlich mit jenem Artikel gar nichts zu schaffen gehabt, und bin also an der Sünde unschuldig; aber ich habe mich doch fremder Sünde durch die Herausgebung theilhaftig gemacht, und dafür will ich büßen, so streng Sie es verlangen; es ist abscheulich, daß eine liebe gute Frau, die Talente hat, über mich zu klagen haben soll, mich, der ich für jede gute Frau mit und ohne Talente mein Leben ließe! Im nächsten Monat soll auch.[33] Ihr schönes Lied auf Madame Henisch eingerückt werden, sagen Sie ihr an meiner Statt Alles, was sie beruhigen kann.

Ich bin unendlich beschäftigt und zerstreut zu gleich. Göthe, der König der Geister, der liebenswürdigste, größte und beste Mensch, den ich jemals gesehen habe, ist seit zehn Wochen bei uns, und wird noch vielleicht lange bei uns bleiben. Er grüßt Sie, liebe Sappho! Ach! warum können wir Sie nicht zu uns rufen? Behalten Sie mein Andenken immer ein wenig lieb, ich ehre das Ihrige.

Weimar, den 11. Januar 1776.

Wieland.


Büsching an die Karschin.

Madame Karschin danke ich für den poetischen Brief, welchen Sie mir geschickt haben, und welcher Ihrer berühmten dichterischen Gabe gemäß ist. Ein jeder Antheil, welcher an dem Tode meiner Christiane genommen wird, ist mir angenehm. Ich habe acht ganze Tage dicht neben ihrem Blumenbette bei Tage und Nacht gewohnt, und schlafe[34] seitdem alle Nacht an diesem mein Herz an sich ziehenden Ort, habe aber erst einmal das Vergnügen gehabt, von meiner Christiane, und zwar sehr angenehm, zu träumen. Ich kann ihren Leichnam nicht allein im Garten lassen.

Daß Sie Sich so wenig gesehen haben, kommt daher, weil sie von Jahre zu Jahre ihren Umgang mehr eingeschränkt; sie hatte und gab sehr selten Besuch, grade, wie ich, der ich mich je länger, je mehr von den Lebendigen loßreiße.

Das Andenken meiner Christiane hat mich heute sehr traurig gemacht, und mich verlang jetzt, da der Abend sich nähert, nach meinem einsamen Kämmerlein, neben dem Blumenbette meiner Christiane, in welchem ich, geliebt's Gott! auch bald seyn werde!

Berlin, am 29. Mai 1777.

Büsching.


Frau Christiane, Gräfin zu Stolberg-Wernigerode

an die Karschin.

Wernigerode 17. Nov. 1778.


Mit Dank verspricht der geliebten Freundin A.L. Karschin, für derselben mitfließende Thränen[35] und Trauerlied, dem unvergeßlichen Seligen3, keine laute Klagetöne hören, sondern stille Thränen bis an das Ende ihrer Tage fließen zu lassen


die tief verwundete, aber von der versöhnenden

Hand ihres himmlischen Vaters unverlassene

Christiane,

verwittibte Gr. zu Stolberg,

geb. Fürstin zu Anhalt.


Dieselbe an die Karschin.

Vielen Dank, werthe Freundin! für das herrliche Friedenslied! Ehre sey Gott in der Höhe, auch von mir Trauernden gesungen! und Friedrich wird unter den Erdengöttern mir verehrungswerth bleiben.

Wernigerode, 22. Juni 1779.


Dieselbe an Dieselbe.

Werthe Freundin!

Dankend erkennt mein Herz die liebreiche Theilnahme an meinem Freud und Leid.[36]

Das blaue schöne Band verwahret die angenehme, liebenswürdige Mutter des Constantin. Sie wird es ihm bei zunehmenden Jahren erklären.

Meine mit Thränen vermischte Freude erreget die Sehnsucht nach jener vollkommnen Wonne, so nicht unterbrochen kann werden, und wo ich von Herzen wünsche, auch die geliebte A.L. Karschin unter denen Harfenspielern vor dem Throne des, der da ist und der da war, anzutreffen und zu umfangen, Amen!




Aurelio de Georgi Pertola an die Karschin.

Der Ruf Ihrer unvergleichlichen Talente hat Ihnen seit einiger Zeit eine große Menge Bewunderer in Italien zugezogen. Durch einen langen und anhaltenden Fleiß, den ich auf die Erlernung der deutschen, durch Ihre Gedichte verschönerten Sprache verwandt habe, konnte ich meiner Nation einen Theil der Produkte Ihres Genius bekannt machen, und diese versetzten uns in einen allgemeinen Enthusiasmus. Ich bin nicht gewiß, ob das vor einem Jahre von mir herausgegebene[37] Werk unterm Titel: Idea della Poesia Allemanna. (Ideen der deutschen Dichtkunst) in Berlin angekommen sey? Einer meiner berühmten Freunde, der Ihres Beifalls würdig ist, Herr Salomon Geßner, macht mir Hoffnung, Ihnen einige Exemplare von diesem Werke zukommen zu lassen. Ich habe es gewagt, daselbst in der Geschichte der Poesie sehr viel von Ihnen zu reden und versucht, Ihre Denkkraft und Ihren Verstand zu analysiren. – H. Hadravan, der Ihnen diesen Brief überreichen wird, verspricht mir eine Gelegenheit ausfindig zu machen, Ihnen mein Buch zu überreichen. Die wenige Kommunikation, die unsere Bücher mit den Ihrigen haben, ist die Ursache, warum ich diese Gelegenheit nütze, Ihnen die Erstlinge meiner Bemühungen zu opfern. Hätten sich nicht so viele deutsche Herren, die ich in Italien gefunden, für mein Unternehmen so sehr interessirt, so würde ich meinem ganzen Vorhaben entsagt haben. Ich könnte Ihnen vielleicht einige von meinen Gedichten zu Händen kommen lassen, die Sie aber so ansehen müssen, wie ein Künstler Ihr schönes sächsisches Porzellan betrachtet, er würde alsdann nur die Arbeit eines großen Majolico del Tirolo gewahr werden. Vielleicht sind Ihnen meine Notti Clementini zu Gesicht gekommen, welche in das Deutsche übertragen, und der[38] Prinzessin Luise Amalie zugeeignet worden sind. Ich bitte Sie sodann über meine Nachläßigkeiten hinwegzuschlüpfen. Es sind schon zwei Jahr, daß ich in Gesellschaft unsers bevollmächtigten Ministers nach St. Petersburg gehen sollte, und damals war meine schmeichelhafteste Idee, Sie persönlich kennen zu lernen; meine schwachen Gesundheitsumstände haben es mir nicht verstattet. Ich bitte Sie nochmals, das aufrichtige Opfer meiner Achtung und Bewunderung anzunehmen und mir zu erlauben, daß ich etc. etc.

Aurelio de Georgi Pertola,

Professor der königlichen Akademie de marini.




Archenholz an die Karschin.

Vortrefliche Frau! Erst vor einigen Tagen habe ich mit dem Meßkatalog Ihr schätzbares Schreiben erhalten, und es sofort nebst der Berichtigung zum Druck befördert. Im Juliusstück des J. werden diese niedlichen Verse erscheinen, wofür ich recht sehr danke. Meine Verehrung Ihrer Talente ist Ihnen vielleicht nicht unbekannt, ich habe davon das Zeugniß in mehreren Stellen in meinen[39] Schriften abgelegt, unter andern in meinem Werk: England und Italien, bey Gelegenheit der Dichterin Corilla4. Ja, ich habe noch mehr gethan.[40] Ohne Sie je gesehn zu haben, wünschte ich ernstlich Ihnen nützlich zu seyn. Ich hatte einen Freund in London, der beständig um die Königin Charlotte war, diesen vermocht' ich, der Königin Ihr ganz vortrefliches Gedicht auf ihre Abfahrt nach England zu zeigen. Sie hatte es, wie ich richtig vermuthete, nicht gesehen, sie war äußerst zufrieden, mein Freund schwieg dabei nicht, und ich erwartete mit Ungeduld eine königliche Handlung, deren Urheber Sie wahrscheinlich nie erfahren haben würden, allein es blieb dabei:


Denn, wie das alte Sprichwort heißt:

Es ist nicht altes Gold was gleißt.


Nehmen Sie Sich doch meines britischen Merkurs in Berlin an. Nach keiner großen Stadt in Deutschland kamen so wenig Exemplare, wie in Ihre Königsstadt, wo doch die englische Sprache so viel kultivirt wird. Die Ursache davon ist mir unbegreiflich. Hier in Hamburg allein habe ich 144 Subscribenten, und an drei Orten arbeitet[41] man schon an einer Übersetzung. Dieser Umstand nöthigt mich eine Verdeutschung des Merkur selbst zu übernehmen, wovon hiebei eine Anzahl raisonirender Anzeigen; seyn Sie so gütig, solche zweckmäßig zu vertheilen. Ich empfehle mich Ihrem Wohlwollen, und unterzeichne mich hochachtungsvoll

Hamburg, den 8. Juni 1787.

Archenholz.


Schubart an die Karschin.

Veste Asperg, den 23. Febr. 1787.


Sehen Sie da, inniggeliebteste Geistesschwester, das traurige Datum, das noch immer über meinen Briefen hängt, wie Hagelgewölk überm Aehrenfelde! – Seit vielen Wochen harrt' ich auf meine Freiheit – mehr als jemals. – Dies starre Hinblicken auf einen Punkt machte mich unfähig, die Pflichten gegen meine Freunde zu erfüllen. Da aber der Eilfte Februar wieder öde und trostlos für mich vorüberging, so kehr' ich zu meinen Freunden zurück, um aus ihrem Herzen für die Qualen fehlgeschlagener Hofnungen Linderung und Trost zu saugen.[42]

Geistesschwester!! – ja, so will ich immer meine Karschin nennen, bis ich dies Auge schließe, und so will ich sie wieder nennen, wenn ich sie am Tage der Urständ umarme. Blut stockt und zerrinnt im Sande, aber Geist ist der wahre Naher der Götter – ewig heiß, ewig fluthend, und ewig in den Pulsen der Seele aufschlagend.

Sie altern nur dem Leibe nach, gute Karschin, Ihr Geist ist noch immer frisch und jung, und verklärt die Furchen des Alters. Ihr Gedicht an mich, und Ihre Epistel übers Leben, im neuesten Stück der Thalia von Schiller, hat noch Jugendgluth und eine magische Versifikation, die Sie über die meisten Dichter erhebt.

Möcht' ich Ihre Epistel an die Herzogin, für mich Armen geschrieben – die, wie mir Ständlie sagt, nun auch gedruckt seyn soll – aus Ihren Händen erhalten; als ein Amulet wollt' ich sie auf meinem Herzen tragen!

O, daß Ihnen Gott diese That, so ganz ins reinste Herzblut getaucht, besonders zum Segen anrechnen möchte! – Irdischen Lohn erfleh' ich Ihnen nur wenig von Gott – wie viel brauchen Sie noch für Ihre Spanne Leben? – aber himmlischer, ewiger Lohn sey Ihnen, beste Karschin! Gottes Gabe gereut ihn nicht. Sie werden auch dort hervorschimmern, und mit Mirjam,[43] Deborah, Rowe und allen Sängern und Sängerinnen Gottes, dem Ewigen singen. – Deutsche Sappho!! Pfui, so nenne Sie keiner mehr. Sappho stürzte sich, im Liebeswahn, verzweifelnd vom Fels.

Und Karschin, die Deutsche, erträgt Armuth, Mißhandlung, unverdiente Schmach und unverdiente Vergötterung, erduldet den Scheerenschnitt eiskalter Kritik, blickt mit Mutterschmerz in ihrer Kinder Grab, erträgt die Beschwerden des Alters, und – lebt gerne! hochpreisend den Geber des Lebens!! –


O, Seelenschwester, wie haß' ich die Paralellsucht!

Friedrich der Große ist nicht Cäsar, nicht Julian, ist Friedrich!

Herzberg ist nicht Kaunitz, nicht Pitt, nicht Vergennes, ist Herzberg!

Klopstock nicht Homer, nicht Ossian, ist Klopstock,

Und Karschin – nicht Sappho, – sondern Karschin!


Der Mensch mag sich ja lange quälen, um sich in ein fremdes Original hinein zu studieren, sein Selbst behält er doch in alle Ewigkeit, Amen!

Ey tausend! Sie lassen ja ein neues Haus bauen, wie die Zeitungen besagen? – da möcht' ich nun wohl der Baumeister seyn, und meinen Spruch vom Giebel des Hauses runter sprechen, neben mir ein Tannenbäumlein, mit Medaillen[44] auf Ihres herzigen Königs Regierungsantritt behängt. Und siehe da! mein Spruch würde Segen für des Hauses Bewohnerin! dann weihten wir ein das Haus mit neuen Gesängen, und in der Begeisterung Flammen küßte der zwanzig Jahr jüngere Schubart die zwanzig Jahr ältere Karschin so feurig, als hätte sie eben ihr erstes Lied gedichtet. Zu trinken müßten wir auch wohl dabei haben, und Gnade dann Gott, Himburgs bestem Weinfasse!

Sehen Sie, Karschin! wie ich mich zu Ihnen hin fantasiere, und beinahe meiner Bande vergesse. In meiner neusten Gedichtsammlung will ich Ihnen ein poetisches Denkmal stiften, bis dahin harre, du süße, traute Schwester meines Geistes!

Schubart.


Derselbe an die Karschin.

Schätzbarste Freundin und Geistesschwester!


Stuttgardt, den 5. Sept. 1788.


Unsere Herzogin, die mit dem besten Menschenherzen so viel Geistesvorzüge besitzt, ließ mich in poetisches Schreiben von Ihnen lesen, voll[45] schöner Dichterzüge. Hier ist die Antwort darauf. Wenn Sie der Herzogin die Gedichte Ihrer F. Tochter noch nicht zugeschickt haben, so ersuche ich Sie, mir schleunig ein Exempl. nebst einem Brief an die Herzogin zu senden, welches ich ihr sodann zu überreichen die Ehre haben werde. Wenn Ihre geistreiche Frau Tochter mit der Herausgabe der Schriften nicht so sehr geeilt hätte, so würde ich ihr von hier aus eine ziemliche Anzahl von Pränumeranten haben anschaffen können. Die Gedichte selbst beweisen, daß vom poetischen Aetherstrahl der Mutter ein schöner Antheil auf die Tochter übergegangen ist. Zartheit der Empfindung, edle Gesinnung, feine Sprache, und polirter Rhythmus findet sich in den meisten dieser Lieder. Das der Herzogin zur Probe eingesandte Gedicht ist just das, so mir am wenigsten gefällt. Nichts kleidet eine Frau von Geschmack und Talent mehr, als sittliche, sonderlich religiöse Empfindungen! Ich wünschte von Ihnen, beste Karschin, mehr geistliche Lieder zu lesen, da Ihnen diese sonderlich so wohl gelingen. Wenn man seine Harfe unentweiht am Grabhügel aufhängen kann, so reicht uns ein Engel eine andere, die ewig an den Ufern des Kristallmeeres tönt. Dies sag' ich mir und meinen Dichterbrüdern sehr oft, und es ist für unsre Zeiten eine gar heilsame Lehre. – Daß Sie so viele[46] Freundschaft für meinen Sohn haben, freut mich gar sehr. Erhalten Sie ihm immer diese freundschaftlichen Gesinnungen; er wird sie gewiß nie entweihen. Gottlob, daß er anfängt, sich im Brandenburgischen zu naturalisieren. Keinem Provinzialen kommt dies saurer an, als einen Schwaben, dessen Himmel, sonderlich im Würtembergischen, der Gesundheit so zuträglich ist.

Und nun erhalte Sie der Gott der Harmonie und des Gesanges Schöpfer bis ins graueste Alter gesund, und bei poetischer Laune. Uns trennen Gebürge und Ebenen, aber mein Geist und Herz ist Ihnen immer sehr nahe. Ewig

Ihr

Schubart.


Lavater an die Karschin.

Lassen Sie mich Ihnen, meine gute, immer noch leicht begeisterte Karschin, in Prosa für Ihre Verse über die Hinführung Christi von Chodowieky's Meisterhand danken. Ich werde auch einen Commentar in Versen darüber machen. Sie sind immer noch unerschöpflich ergiebig .... Einige Kleinigkeiten von mir, werd' ich gelegentlich an[47] Chodowieky für Sie beilegen, ... z.E. Lieder für Leidende; wenn ich's nicht vergesse, seiner Zeit die Handbibel für Leidende.

Sollte mein Sohn einmal auf Berlin kommen, so soll er Ihnen in meinem Nahmen einen Besuch abstatten, und mir angenehme Neuigkeiten von Ihnen sagen.

Der frohe Genius verlasse Sie nie!

Zürich, Samstags Morgen

den 16. Febr. 1788.

Johann Caspar Lavater.


Se. Excellenz Graf von Herzberg

an die Karschin.

Ich danke Ihnen, meine liebe Frau Karschin, für Ihre wohlgemeinte und gewiß wahrhafte und körnigte Gedichte auf meinen Abgang aus dem Ministerio. Es ist, ohne Ruhmredigkeit für mich, ein wahrer Mord für den Staat. Wenn Sie die wahren Umstände wüßten, so würden Sie noch mehr, und andre Patrioten darüber trauern. Für mich und für meine Ruhe kann ich wohl damit zufrieden seyn.[48]

Ich schicke Ihnen hiermit ein paar Dutzend Bouteillen von recht altem Franz- und Rheinwein, damit laben und stärken Sie Sich.

Berlin, den 14. Juli 1791.

Herzberg.


Ich habe diese Briefe aus unzähligen andern als charakteristisch vorzugsweise ausgehoben.

Sehr oft war ich bei meiner lieben Großmutter; meine kleinen Bitten erfüllte sie gern, und erfreute sich meiner Fortschritte im Lernen. Ihr Fleiß und ihre reine Gutmüthigkeit wirkten wohlthätig auf mich. Im August 1791, nachdem sie in ihrem neuerbauten Hause, welches sie zu früh, als es noch zu wenig ausgetrocknet, bezogen hatte, nur einmal die Blüthen der rings umher liegenden Gärten sich erschließen gesehn, ging sie, schon kränklich, nach Frankfurth a.d. Oder, wo mein Stiefbruder damals die Rechte studirte; sie wollte von da aus nach ihrem Geburtsort Tirschtiegel, wo allseitige Liebe und Achtung ihrer harrten5. In der Kirche zu Tirschtiegel[49] war ihr Bild vom damaligen Prediger Sturzel feierlich aufgestellt worden; denn auf ihre eifrige Verwendung war diese Kirche gebaut, und noch manchen Dienst von Wichtigkeit hatte die Karschin ihren Mitbürgern leisten können. Eine Stiefschwester, Fr. Eleonore Borngräber, geb. Hempel, erwartete dort die geliebte Dichterin6. Doch sie erkrankte in Frankfurth so schwer, daß es ihr unmöglich wurde, weiter zu reisen; es war ihr nicht beschieden, noch eine andere Heimath zu sehen, als die ewige, wo gute Thaten ihren Lohn finden. Von Frankfurth aus schrieb mir meine Großmutter noch einige Briefe, die hier folgen; noch lebt und glüht ihr Geist in diesen letzten Funken einer verglimmenden Lebenskraft.
[50]

Frankf. a.d.O. den 9. August 1791.


Krank bist Du gewesen, liebes Minchen, bist wieder gesund, hast aber indeß ganz den Inhalt meines ersten Briefchens vergessen. Es war die Sprache der Großmutter, die Deine Geschäftigkeit, Deine Zärtlichkeit bei ihrer Abreise zu schätzen wußte. Glaube mir, liebes Minchen, ich bin sehr schwach, ich wünschte, mein Sarg wäre zu Frankfurth; denn ich bin äußerst entkräftet, bin seit zwölf Tagen sehr krank, ging vorigen Sontag am Arm eines sehr edlen Professors, mit Todesschwäche, unter die herrlichen Linden in sein ländliches Häuschen geführt; Heinrich ging mit. Der Weg führt uns über'n Kirchhof, wo Kleist ruhet; neben ihm möcht' ich gern begraben seyn, und ich arme, alte, vergessene Frau würde hier wohl noch von Musensöhnen mit Blumen und Gesang beehrt werden. – Dein Bruder würde mir die Augen zudrücken, und seine Thränen würden mein abgezehrtes Gesicht waschen. Er ist gesund an Leib und Seel, wird ein Mensch, wie ihn Gott haben will. Er heischt kein übertriebnes Lob, keines macht ihn stolz, er will's zu verdienen suchen; er bildet sich nach den besten Beispielen, wählt die besten Menschen zu Freunden, stellt sich gut in Gesellschaft dar, und beträgt sich anständig. Er[51] ist sehr fleißig. Der Professor Huth, ein junger, vortreflicher Mann, wird im engsten Verstande des Wortes sein Freund werden, wird seine Studia leiten. Heinrich hat ein dankbares Herz. Ahme diesen Bruder nach, Minchen, verstopf Dein Ohr den Schmeicheleien des Lobes, sie verderben die besten Anlagen; ich werde wohl mich hüthen, Deinen Bruder ins Angesicht zu loben, ob er gleich hier der einzige Trost, die letzte Hoffnung ist Deiner gewiß sterbensmatten Großmutter.

A.L. Karschin.


Frankfurth den 14. Septbr. 1791.


Wie befindest Du Dich jetzt, liebes Minchen? Ich hoffe recht munter! Die Tage sind schön für den, der gesund ist, ich bin noch immer krank, ob sich gleich wieder ein kleiner Anschein zur Besserung zeigt. Ach! ich ward schon so oft in meiner Hofnung betrogen, daß ich mich nicht mehr darüber freuen kann, denn es lauscht gemeiniglich eine neue Krankheit im Hintergrunde. Wir geht hier nichts ab. Ich brauche wenig, und wenn ich mehr brauchte, würden mir's meine hiesigen Freunde gern geben. Da steht ein Teller voll saftiger Birnen, da liegen Weintrauben in[52] der Sonne, die mit ihren mildthätigen Strahlen den edlen Saft noch etwas kochen soll, kurz, mir fehlt nichts, als Gesundheit. Ich bin sehr schwach, und weiß noch nicht, welchen Tag ich stark genug seyn werde, mich heim bringen zu lassen; ich glaub's, liebes Minchen, daß Dich Deine arme Großmutter jammert; denn mich dünkt, ich sagte beim Abschied zu Dir: Minchen, wie wär's, wenn ich in Frankfurth stürbe? Hundertmal hab' ich's geglaubt, und glaub's heute noch, aber warum sag' ich Dir, Du gute, weiche Seele! so viel von Krankheit und Tod vor; Du mußt Dir das nicht zu Gemüthe ziehn, ich unterwerfe mich ganz dem Willen Gottes, er wird's wohl machen, und Du wirst Dich freuen, wenn Du mich wieder siehst. Ich lege Dir hier Abschrift bei von einem Liede, welches ich in der letzten Hälfte des July der Prinzessin Friederica nach Potsdam schickte, wohin sie mit ihrem York gereist war. Ich begleitete dies kleine Lied mit einer Epistel, die zu Deinem Besten geschrieben war; was ich geschrieben habe, weiß ich nicht mehr, so viel aber weiß ich, daß die Epistel recht hübsch war, auch erinnere ich mich, darinnen gesagt zu haben, daß in den Tagen des Brautstandes ihr königlicher Herr Vater Ihr Alles bewilligen würde, wenn Sie ihn häte für Dich, als für sein Patchen, eine kleine[53] Pension zur Erziehung auszusetzen. Die Prinzessin ist flatterhaft wie eine Zephyrette, hilft mir Gott aber nach Berlin, dann will ich sie schon daran erinnern. Ich fand das Manuscript unverhofft unter meinen Papieren in der Tasche, nachdem ich schon ein paar Wochen krank war. Heinrich hat die Abschrift in einem Briefe an Deine Mutter schicken sollen, und hat's vergessen; ich eile dem nach, Dir's zuzuschicken mit der Versicherung, daß meine Liebe Sorge für Dein Bestes trägt, und tragen wird. Grüße K. und Minchen K. von mir, grüß' auch unsre gute Elisabeth vielmal freundlich von

Deiner

guten Großmutter

A. L. Karschin.

An meine liebe Enkelin.


Liebes Minchen.

Dein Briefchen ist mir angenehm gewesen, ich freue mich über Deine Lehrbegierde; fahre so fort, gutes Kind, und laß mich von Zeit zu Zeit Folgen davon hören. Ich kann Dir heute nur wenig schreiben, ich habe eine böse, böse Nacht gehabt. Ich bin krank, sehr krank gewesen, liebes[54] Minchen, und bin noch nicht gesund. Bruder Heinrich fing auch an zu klagen, doch ging er alle Morgen Collegia hören. Er läßt Dich und die Mutter herzlich grüßen, und spielt beinahe meisterhaft auf dem Clavier, mir ist's lieb, daß Du auch Lust dazu hast. Die Musik vertreibt mit ihrem Zauber alle melancholische Grillen. Lebe wohl, liebes Kind, Dich hofft wieder zu sehn

Deine

gute Großmutter

K.

An mein liebes Minchen,

geschrieben aus Frankfurth.


Kurze Zeit nach ihrer Wiederkehr nach Berlin starb meine Großmutter. Meine Mutter und ich wichen nicht von ihrem Krankenlager, und von der Kranken wich nicht ihr heiterer, feuriger Genius, der bis in den Tod aus der Begeisterung ihres Herzens sprach. Ich beweinte sie mit den heißen Thränen kindlicher Liebe, und schmückte ihre blasse Leiche mit Herbstblumen, die ich selbst gepflanzt hatte. Jeden Sonntag früh besucht' ich ihr Grab, und träumte dort von einem[55] schönern Wiedersehen. Ich hatte sie innig geliebt, und sie war mir auch im Herzen sehr zugethan; sie war ganz Liebe und Heiterkeit, wenn nicht eben schwere Sorgen sie drückten. Ihre Gutmüthigkeit verstattete ihr nicht, nur auf ihr eignes Wohl bedacht zu seyn, immer sorgte sie für Andre. Manches Gute hat sie für leidende Mitbürger bewirkt; auf ihre Verwendung ist manches wünschenswürdige geschehen. Sie lös'te des edlen Schubarts Fesseln. Sie rastete nicht im Helfen und Wohlthun. Segen schwebt um ihre Gruft, und vor Gottes Thron wird es offenbar werden, daß ihr Herz noch höher stand, als ihr Geist.

Eines Abends, kurz nach dem Tode der Großmutter, führte mich meine Mutter auf den Sophienkirchhof, um an ihrem Grabe zu weinen. Damals bezeichnete noch kein Grabesstein die Stelle, wo Deutschlands Dichterin ruht. Es war unserm herrlichen Freunde Gleim vorbehalten, diese fromme Pflicht zu erfüllen. Wir kamen an jenem Abend an eine Stelle des Kirchhofs, wo ein Denkmal steht, welches eine Mutter ihrer früherblichnen Tochter errichten lassen. An einer Urne von Sandstein sitzen zwei Engel,[56] die, Hand in Hand, liebevoll gen Himmel schauen. Ach, Mutter! rief ich, welche niedlichen Kinder, ihr allerliebstes Gesicht, und wie sie sich so freundlich die Hände geben; aber das Eine gefällt mir doch am besten! Wir gingen schweigend weiter, dann sagt' ich: »Mutter, wenn Sie sterben, so laß' ich Sie hier begraben, und lasse Ihnen auch ein Monument setzen, darauf soll geschrieben stehen: hier ruht eine recht gute, gute Mutter! und dann gehe ich alle Tage hieher, setze mich neben Ihr Grab, und esse und trinke hier, bis ich auch gestorben bin, dann soll man mich zu Ihnen ins Grab legen, damit ich immer bin, wo Sie sind.« – Glückliche Kindheit, der nichts von den Stürmen des Lebens, nichts von Trennung ahnet! Wie hätte es in jenem Augenblick mein Herz zerrissen, wenn ich in die Zukunft hätte blicken können, und meine Mutter fern von mir sterben, und mich selbst im fremden Lande unglücklich gesehen hätte! –

Mein erster heftiger Lebensschmerz war, noch ehe meine Großmutter starb, um den Tod eines Täubchens, das ich noch einige Jahre später oft des Nachts beweinte, und zu sterben wünschte, weil ich es innig geliebt hatte. Meine Mutter[57] hatte es schlachten lassen, weil sie nicht ahnen konnte, daß mein kindisches Herz ganz ausschließlich seine Lust daran hätte. »O! liebe Mutter,« rief ich: »das hätten Sie nicht thun sollen!« dabei sucht' ich zu lächeln, aber die Thränen stürzen mir aus den Augen. Ich ging in stummer Angst umher, und da ich den Korb mit den Federn des Täubchens sah, knieete ich nieder, suchte die schönsten hervor, und weinte darauf hin. Da ich den Kopf fand, dreht' ich ihn hin und her, und sagte: o, du lieber, schöner Kopf, wie bleich ist dein Schnäbelchen geworden! dann nahm ich eine Schachtel, und legte Kopf und Federn, die ich mit Küssen und Thränen bedeckte, hinein, ging darauf in den Hof zur Laube, grub ein kleines Grab, und versenkte darin die geliebten Überreste. Nun war der Schmerz in Wehmuth übergegangen; Stundenlang saß ich an dem Grabe und weinte. Auch grub ich auf eine Schiefertafel die Beschreibung der Tugenden und Lieblichsten des Täubchens ein, und zeichnete mich daneben, weinend an seinem Grabe. – Kurz vor seinem Tode hatte ich mit einer seiner Federn, die ich mir geschnitten, folgendes Gedichtchen geschrieben:
[58]

Du kleines liebes Täubchen,

Von dir ist diese Feder;

Aus deinem lieben Flügel

Ist sie herausgefallen,

Und schreibet jetzt so niedlich! –

Zu deinem Angedenken

Will ich sie aufbewahren,

Und einst soll sie dort liegen

Wo meine Leiche liegt.

An meinem Hochzeittage

Steck ich sie an die Brust mir,

Und lebst du dann, mein Trautes,

So sollst du von dem schönsten

Schneeweißen Zucker picken

Mit deinem kleinen Schnabel,

Selbst an der Hochzeittafel;

Nur darfst du dich nicht fürchten

Vor meinem lieben Bräut'gam;

Denn anders nehm ich keinen,

Als der mein Täubchen liebt!


In meiner Seele erwachten viele ahnungsvolle Vorstellungen von Liebe und von der Heiligkeit des Ehebundes. Ich hielt, wie jedes Mädchen thun sollte, den Erwählten, der mir einst zu Theil werden sollte, im Geist schon für ein höheres Wesen, dem mein ganzes Daseyn gewidmet[59] seyn müßte; ich kann jetzt nicht begreifen, wie ich so früh von diesen Vorstellungen angeregt wurde, noch wie dieser Ernst über meine Kindheit kam. Ich hatte mir auch ein Bild von meinem einstigen Gemahl entworfen. Eines Tages kam ein sehr geputzter junger Mann, mit blonden Locken hoch und schlank, zu meiner Großmutter. Ich fragte aus Neugier die Hausjungfer, wer das wohl seyn könnte, und diese, nach ihrer muthwilligen Weise, sagte ganz ernsthaft: Freuen Sie Sich, Minchen, das ist Ihr Bräutigam! In diesem Augenblick fing ich laut an zu weinen, und wollte mich in ein Kämmerchen verschließen. Meine Mutter wollte mich in das Putzzimmer führen; aber ich weinte unaufhörlich, und bat sie, mich nicht so unglücklich zu machen. Sie fragte, was ich weinte. »Der Herr, der bei Großmutter ist,« rief ich schluchzend: »ist nun mein Bräutigam, und das darf nicht seyn, das ist unmöglich!« – »Warum denn?« – rief die Mutter. – »Er hat ja eine große Nase,« rief ich, und wollte in Thränen zerfließen; denn dem Bilde meiner Gedanken war dieser sonst freundliche, liebreiche Jüngling ganz unähnlich, und da das Mädchen so ernsthaft gesprochen hatte,[60] und ich so treuherzig war, hielt ich ihre Äußerung für Ernst, und glaubte, das Unglück sey nun nicht mehr abzuwenden. Meine Mutter beruhigte mich bald, und schalt Elisabeth sehr über ihren unzeitigen Scherz. Nicht lange darauf kam ein Dichter jener Zeit in unser Haus, vor dessen Talent ich so viel Achtung empfand, daß darüber das meinem Gemüthe inwohnende Bild, dem er doch ganz unähnlich war, ganz in Schatten trat. Ich war ihm sehr zugethan. Einmal war die Rede davon, daß ich mir längst gelobt hatte, den ersten Kuß von mir sollte Niemand sonst als mein versprochener Bräutigam erhalten. Ich mußte irgendwo einmal ein Mädchen gesehen haben, das leichtsinnig einen Kuß gab, und hatte vielleicht ein mißbilligendes Wort darüber vernommen, oder es war ein tiefes Zartgefühl, genug, ich kann mich durchaus nicht erinnern, warum mich diese Idee so sehr beschäftigte, und warum ich mich darin so wunderbar bewegt und glücklich fühlte. Meine Mutter, die das Alles nicht wußte, wie sich denn selten Erwachsene die Mühe geben, ein Kind wahrhaft verstehen zu lernen, fand in dieser im Gespräch zufällig vorkommenden Äußerung sonst nichts, als[61] einen wunderlichen Eigensinn. »Wenn ich Dir beföhle, Herrn** einen Kuß zu geben,« sagte sie: »so würdest Du es doch sicher thun?« – »Ach! liebe Mutter, das werden Sie ja nicht wollen?« sagt' ich mit schmerzlichem Lächeln; und wie ein Dolch fuhren mir die Worte in die Brust: »ja ich will es, ich befehle es Dir, Du sollst es thun!« Noch dreimal mußte mir meine Mutter den Befehl wiederholen, zuletzt, da ich noch nicht gehorchte, entfernte sie sich höchst aufgebracht aus dem Zimmer. Ich kämpfte stumm mit mir wohl eine halbe Stunde, mir war, als müßte jetzt mein Herz brechen, endlich, rasch entschlossen, reicht' ich dem Manne, der meinem kindischen Gemüth nicht gleichgültig war, die Lippen zum flüchtigen Kuß, und floh dann schnell zur Mutter, der ich mich mit heißen Thränen in die Arme warf, und ihr sagte, ich sey gehorsam gewesen. – Es that nun meiner Mutter weh, und mit Recht, daß sie so weit gegangen war. –

Es war ungefähr im nämlichen Jahr, als ich eine Zeitlang nicht mit der Mutter vor dem Stadtthor gewesen war, und rechte Sehnsucht nach dem Grün und nach Blumen empfand. Ein kleines Mädchen trug Sträuße von wildem[62] Geranium und Butterblumen, die mich entzückten, weil ich bei ihrem Anblick mit einmal mitten auf einer Wiese zu seyn glaubte, und im Geist die frische Luft in mich sog. Die Kleine bot mir die Sträuße für etliche Stecknadeln an, und wie Florens im Oktavian die Geldsäcke für das Pferd, reicht' ich all' meine Stecknadeln mit furchtsamer Lust, ob der Kauf sie nicht gereue, für die Blumen hin, und sprang, nun durch den Mangel an Stecknadeln ganz im Anzug verstört, triumphirend mit den Blumen zur Mutter, die mich schalt und mir verzieh.

Früh zeichnete ich Blumen nach der Natur, und malte sie auf meine Weise ganz treuherzig ohne Schatten und Licht, auch zeichnete ich Köpfe und ganze Begebenheiten, je nachdem mich etwas, das ich gelesen, ergriff. Meine Mutter glaubte in dem schaffenden Trieb ein Talent zu entdecken, und führte mich zu Chodowiecky, unsers Hauses Freund, als ich ungefähr eilf Jahr alt geworden, damit er mir einige Anleitung im Zeichnen geben möchte. Der Redliche that es gern, und ich brachte in seinem Hause täglich mehrere Stunden zu. Während er mit unermüdetem Fleiß arbeitete, unterhielt er sich freundlich[63] und belehrend mit mir. Er bewieß mir eine recht väterliche Sorgfalt, und hatte liebevolle Geduld mit allen meinen kindischen Einfällen. Sein Beispiel des Fleißes, der Mäßigkeit, der nie ermüdenden Barmherzigkeit gegen Arme und Leidende, sein ächtchristlicher Sinn konnten nicht gleich in vollem Maaße auf mich wirken; aber sie haben nachgewirkt. Einige Jahre hindurch genoß ich des Glücks der Freundschaft und Belehrung des Unvergeßlichen. Ich ließ mir oft von ihm selbst erzählen, wie er ein armer Knabe gewesen, und seine Mutter, eine kränkliche Wittwe, ihn zu einem Spezereihändler in die Lehre gegeben hatte. Einen unwiderstehlichen Trieb zum Zeichnen empfand der kleine Chodowiecky, und konnte ihm nicht Gnüge leisten; denn den ganzen Tag lang war er bis Mitternacht im Laden beschäftigt. Dennoch konnten alle Schwierigkeiten ihn in der Bahn nicht aufhalten, welche Gott ihm bestimmt hatte, damit er ein herrlicher Künstler, ein Helfer der Seinigen, ein Vater der Armen und das Muster seiner Mitgenossen wurde. Der Knabe sparte sich Oel und Unschlitt, schaffte sich auf diese Weise Licht, und arbeitete, wenn Alles schon schlief, unermüdet[64] die Nächte hindurch. Der Morgen, der ihn noch wach fand, rief ihn zu seinem Geschäft. Nach und nach gewann er eine solche Fertigkeit im Zeichnen, daß einige seiner Skizzen Liebhaber fanden, welche sie ihm reichlich bezahlten. Von diesem Erwerb unterstützte Chodowiecky seine schwache, dürftige Mutter, und bald ward ihm Ruhm und Glück. Kein Armer verließ sein Haus unbeschenkt. Der Zutritt zu ihm war Jedem frei. Kein Dienstbote meldete den Hülfsbedürftigen, oder wies ihn ab, Chodowiecky war stets bereit, die Klagen der Leidenden zu vernehmen, und ihnen zu helfen. Er war der eifrigste Christ, selbst in Beobachtung der äußerlichen Pflichten. Nie versäumte er die Kirche. Morgens um fünf stand er auf und setzte sich an die Arbeit, die er erst Abends um acht verließ, um frische Luft zu schöpfen. Dann ging er wieder an die Arbeit, bis Mitternacht, und auch die dringendsten Warnungen der Ärzte vermochten nichts über ihn; er änderte seine Lebensweise nicht, selbst da ihn schon einmal der Schlag gerührt hatte. Er gab keine Gastereien, und nahm keine an. Er sehnte sich nach keinem andern Vergnügen, als nach dem: Gutes zu thun. Mehrere hundert[65] arme Familien unterstützte er anhaltend, und konnte die Pflichten, die er als Familienvater hatte, mit denen für seine dürftigen Mitbürger im Einklang bringen, weil er so ganz einfach und mäßig lebte. Ich liebte ihn, wie einen Vater, und sein Beispiel wirkte begeisternd auf mich. Er starb 1801; ich war an seinem Sterbebett, und sah ihn heiter, ruhig der Vollendung harren. Sanft war sein Ende. – Was er als Gatte, Vater, Künstler, und vor allem als Christ Gutes gestiftet, wird im Angedenken der Seinen und der Welt nicht untergehen. Das erste meiner Gedichte, welches ich zum Druck gab, war ein Todtenopfer für meinen verklärten Freund, welches H. Spener auf meine Bitte druckte, und zum Besten der Armen verkaufte.

1797 lernte ich meine lieblichste Jugendfreundin, Adelheid von G. kennen; ihre wunderbare Schönheit, Anmuth und seltne Geistesbildung, ihr reines Herz und wahre Frömmigkeit erschienen in jener Zeit als süße Blüthen einer Zukunft, deren Früchte jede Erwartung noch übertroffen haben. Der Eindruck, den diese seelenvolle, so kindlich frohe, und doch so ernste und[66] hohe Erscheinung auf mich machte, läßt sich nicht beschreiben. Sie weckte in mir den ersten schöpferischen Trieb. Ich wollte dichten und Ruhm erwerben, um mich ihrer Freundschaft würdig zu machen. – Hätte ich lieber mich bestrebt, zu werden wie sie! – So oft ich etwas vollendet hatte, ging ich, es ihr zu lesen; nur allzu freundlich nahm sie es auf, nur zu sehr ermuntert sie mich, ihre Güte, ihre Anmuth erhob, was ich hervorgebracht, glänzend vor meinen eignen Augen, und über dem Streben, Vieles aus dem Innern in Worte zu gestalten, ging das Höhere für mich auf lange Zeit unter. Ich that mir genug mit schönen Worten und Bildern. – Schwestern, laßt dies offne Geständniß euch rühren und belehren! Laßt alle schönen Blüthen des Geistes nur dienen, euer Herz zu einem Tempel des Herrn zu schmücken. Strebt nicht zu glänzen, nicht gepriesen zu werden, nicht allgemein zu gefallen, dies Alles führt ein weibliches Wesen dem Verderben nahe. Ringt nach innerer Zufriedenheit, nach Ruhe, Demuth, Geduld und Ergebung in Gottes Vaterwillen. Aus diesen stillen Bestrebungen wird ein stilles inneres Glück für euch hervorgehen, dem alle Stürme des Schicksals[67] nichts anhaben können, und welches allen Gütern der Welt vorzuziehen ist, der Herr wird dann zu euch sprechen:


Frieden geb' ich euch, meinen Frieden geb' ich euch, den die Welt nicht giebt, so sey denn euer Herz nicht verzagt, und fürchtet nichts!


Es war im Dezember 1798, als ich ein Blumenstück gemalt hatte, welches meiner Adelheid so sehr gefiel, daß sie mich bat, es der Fr. v. Genlis zeigen zu dürfen, die mit ihr in demselben Hause wohnte. Ich hatte nichts dagegen, und es war kaum zwei Stunden her, daß Adelheid mich verlassen hatte, als sie mit glühenden Wangen und klopfendem Herzen wiederkam, und mir ganz entzückt sagte, daß sie mir Verse von Fr. v. Genlis bringe. Hier schreib' ich diese Verse auf:


Impromptu, à Mademoiselle de Klencke.

Une main de quinze ans nuança ces couleurs,

Elle eut la nature pour maitre,

Et quand elle créa ces fleurs,

Malgré l'hivers et ses rigueurs,

C'est le printemps qui les fit naître.
[68]

»Eines funfzehnjährigen Mädchens Hand trug diese Farben auf. Die Natur war ihre Lehrerin. Als sie diese Blumen erschuf, da war es, trotz Winter und Sturm der Frühling der sie entsprießen ließ.«

Diese überraschende Freundlichkeit gegen mich, von einer so berühmten Frau, deren Werke der Jugend so theuer waren, entzückte mich und erregte meine Eitelkeit. Ich ging zur Fr. v. Genlis, um ihr zu danken. Sie zog mich durch Freundlichkeit an sich, und ich mußte viel mit ihr spazieren gehen. Ihr Fleiß, ihre Künstlichkeit, ihre belehrenden Gespräche, ihr stilles Leben, ihr Hang zum Wohlthun erfreuten mich: ich hielt sie für eine weibliche Chodowiecky, und umfing sie mir kindlicher Ehrfurcht und Liebe. Doch alle diese Eindrücke, welche mir sehr wohlthätig hätten werden können, blieben auf der Oberfläche schweben, und erfüllten mehr meine Fantasie und meinen Geist, als mein Herz; ich wurde immer eitler, weltlicher, ja, ich gerieth in ein Grübeln über die Unsterblichkeit des Geistes, las das Système de la nature und machte Auszüge daraus. Spielgesellschaften, Umgang mit Freigeistern, Eigendünkel und die Nichtigkeit[69] schriftstellerischer Bestrebungen, denen keine Erfahrung und keine gründlichen Kenntnisse zur Stütze dienten, hatten mir diese verderbliche Richtung gegeben, aus welcher für mich viel Unglück hervorging. Der Wunsch meiner lebensmüden, kränklichen Mutter, mich versorgt zu sehen, und die Sucht in die Welt zu kommen, waren Ursach, daß ich den Bewerbungen des Freiherrn Carl Gustav von Hastfer, meines verstorbenen Gemahls, Gehör gab, und ihm am 19. August 1799 vermählt wurde.

Nie werde ich es vergessen, daß ich in meiner Kindheit das Glück hatte, unsere herrliche Königin öfters zu sehen; sie war gegen mich so liebreich, wie ihr ganz wohlwollendes, reines Herz es ihr eingab, und nahm die kleinen Opfer meiner gränzenlosen Verehrung und Liebe mit engelgleicher Huld auf. Es waren Blumenstücke, oder auch kleine Gedichte, welche ich ihr an festlichen Tagen bringen durfte. Sie berührte dann mohl meine Stirn mit ihren Rosenlippen, und was sie mir sagte, davon hört' ich nur die Melodie, die Worte gingen in meinem Entzücken unter. Welch ein Herz! Und welcher rührende Zauber von Reiz, Anmuth, Würde und Lieblichkeit![70] Ihre schöne Gestalt war vom Licht ihrer Seele, wie von einem göttlichen Glanz durchschimmert, und die Ächtheit ihrer Tugend und ihrer Empfindung war es, die ihrem äußern Wesen einen so unwiderstehlichen Reiz verlieh. –


Über Frau von Genlis schrieb mir Gleim folgende Briefe:


Halberstadt, den 6. Mai 1799.


Genlis war ein Name, so wohlklingend, wie Helmina! Die Dame dieses Namens war in unserm Böotien (den Franzosen ist Deutschland Böotien) so bekannt und so geschätzt, wie in Frankreich. Ihre Schriften wurden, wie die einer zehnten Muse gelesen. In unzählbaren Revolutionsschriften wurde sie für die Leiterin der Orleansschen Parthey in Frankreich ausgerufen, ihre Tochter, die berühmte schöne Pamela, sagte man, sey die Tochter des Herzogs von Orleans! Wahr oder nicht, der schöne Name verlor im deutschen Lande seinen Wohlklang! Sie kam nach Berlin, man glaubte, sie habe viel Böses mit sich dahin gebracht.

Wohl ihr, wenn Alles nicht wahr ist, und[71] man hat Ursach einen Geist der Lästerung zu argwohnen; denn die Kinder des Herzogs von Orleans soll sie zur Tugend und Wahrheit erzogen haben.

Wohl Ihnen, Helmina, wenn die unschuldige Genlis die schönen Verse gemacht hat! Ich wollte sie übersetzen, machte den Versuch, meine gute Muse war dagegen, und diktirte mir die folgenden an die gepriesene Blumenmalerin!


Die Natur, die große

Blumenmalerin,

Hatte dich auf ihrem Schooße;

Kindchen, sagte sie, nimm hin,

Und sie gab Dir mit dem Segen

Farb' und Pinsel in die Hand,

Male, sprach sie, und du maltest

Blumen, fast so schön, wie sie!


Diese Verse, halb gereimt, halb nicht, diktirte die Muse; von ihrem Schreiber wurden sie getadelt, ganz gereimt oder nicht wollt' er sie haben! So sagte die Muse sind sie, wie sie seyn müssen, ihr Schreiber mußte nachgeben.

Seyn Sie, Enkelin unsrer Sapho so glücklich, wie die griechische, damals, als sie ihrem Geliebten gegenüber saß, und geben Sie dem Bräutigam, der meine Lieder küßte, den zehnten Kuß. Und wenn Sie wissen, daß Madame Genlis keine[72] schwarze Seele hat, so sagen Sie, in welcher von ihren Schriften ihre weiße zu finden ist, Ihrem Freunde

dem alten

Gleim.


Meine Antwort veranlaßte den zweiten Brief:


Halberstadt, den 9. Juli 1799.


Die Gräfin Genlis ist in ihren von mir gelesenen Schriften, (ich möchte sie alle haben und lesen können) eine Muse, wohl auch eine Grazie!

Wohl ihr, wenn sie, wie sie in ihren Schriften sich zeigt, in ihrem Leben gewesen ist!

Ihre Landsleute, die, wie sich selbst sie zu kennen vorgeben, sind einstimmig gegen diese Uebereinstimmung.

Wir, liebe Helmina, wollen und können nicht richten! Ihre Verbindung aber mit einem Ungeheuer, das sie zu einem Geheuer nicht umgeschaffen hat, und daß sie dieses Ungeheuers Söhne zu guten Bürgern, nicht zu guten Menschen, (Sie verstehen mich wohl, nicht zu Bürgern, in dem Sinne, in welchen dies Wort von den Stiftern der französischen Revolution genommen, und von verführten Menschen nachgebetet wird,) erzogen[73] hat, das verräth eine vielleicht gutherzige Schwärmerin, wie wir dergleichen in Deutschland, auch in den höheren Ständen, mehr haben, die da glauben, und ihren Glauben auf die Apokalypse gründen, daß das tausendjährige Reich aus den Gräueln des Umsturzes der Menschheit hervorgehen, und aus der Menschheit eine allgemeine Engelheit entstehen werde. Nun kein Wort mehr, liebe, gute, noch unschuldige Seele! Wir wollen nichts, gar nichts entscheiden!

Wohl ihr, noch einmal, wenn sie die leibhafte Unschuld geblieben ist! Bleiben Sie, gutes Kind, das ich nach der Beschreibung der Mutter für Ein vortrefliches halte, bleiben Sie unschuldig! Sie werden dann in Ihrem ganzen Leben so glücklich seyn, wie's der alte Mann, der an ein Kind schreibt, wie's der Freund Ihrer Großmutter und Mutter wünscht!

Gestern las ich in Jean Pauls Briefen den Ersten, und wünschte, daß Helmina diesen Ersten auch lesen möchte!

Die Frau Mutter nehme doch dies Schreiben als geschrieben an Sie, denn ich kann ein Zweites heut nicht schreiben!

Gleim.


[74] Halberstadt, den 31. Juli 1799


Was, Helmina, die Unschuld, der beschuldigten Frau v. Genlis zum besten redet und schreibt, das Alles hält Helmia, die Unschuld! für vollkommen wahr! Weil aber Helmina die Unschuld ist, so kann sie hintergangen werden! Das, liebe Helmina, denkt jeder, der aus Ihrem Munde die Unschuld reden hört! So denk' auch ich, und nächst diesem Gedanken ist Mad. Genlis der Engel für welchen Helmina sie hält, wohl ihr! so kann die Verläumdung, die ihren Büchern schadet, ihr selbst nicht schädlich seyn.


Gott sieht, was wir nicht sehn, bey Sonnen und bey Kerzen

Und sieht in ihrem Herzen,

Er, was in ihm die Unschuld sieht,

So tilget der Verläumdung Schmerzen

Einst eines Engels Lied!


Ihre Gedichte, liebe junge Dichterin, sind ein schönes Geschmeide dieser Unschuld. Hat Ihr Herr Bräutigam sich in dasselbe verliebt, wohl ihm, so macht er Sie glücklich, und freut sich des Besitzes eines der edelsten Herzen. Beim Feste Ihrer Vermählung bin ich im Geist zugegen.

Der alte Gleim.
[75]

Der letzte Brief, den ich von dem so liebreichen Greise empfing, war vom 24. Januar 1800.

Helmina scheint nicht glücklich zu seyn. Ihr Schreiben und Ihre Gedichte verrathen Wolken! Sie, die enkelin meiner Freundin, muß aber sich glücklich machen. Wie? das kann der alte Mann nicht sagen, der guten Rath giebt, weil er von nichts etwas weiß, und weil er, wenn er etwas wüßte, lange Briefe wegen Schwäche seiner Augen nicht schreiben, und die an ihm geschriebenen nicht lesen kann.

Der beste Rath aber ist: Machen Sie selbst sich glücklich! Verlieren Sie das Vertrauen zu sich selbst nicht: das ist auch einer der Besten! Als Frau, als Tochter haben Sie Pflichten, dieser Pflichten Erfüllung wird Sie glücklich machen. Fehlt's Ihnen an einer sympatisirenden guten Seele, so verlieren Sie dennoch den Glauben an die Menschheit nicht, das ist das Wenige, das der Enkelin seiner Freundin der uralte Gleim zu guter letzt noch sagen kann! Werden die Augen noch schwächer, als sie schon sind, wird er Alles Briefwechsels sich begeben müssen!

Grüßen sie die liebe Mutter!

Gleim.
[76]

Während der trüben Zeit meiner unglücklichen Ehe fuhr ich in meinen schriftlichen Versuchen von Zeit zu Zeit fort. Mein Unglück hatte in mir manches Gute wieder geweckt. Hier sind einige Versuche aus jener Zeit, mit einigen freundlichen Worten von Jean Paul Friedrich Richter, den ich 1800 im Frühling kennen lernte, und der voll Nachsicht für meine Fehler mich nur zu freundlich zum Schreiben anregte:


Fragment aus einem Roman. Vierter Abschnitt.

Berlin 1800.

»Du gehst, Amalie,« sagte Dorchen, des Amtmanns Tochter, am letzten Abend, den Amalie hier zubringen sollte. – »Du gehst nun, und kommst sobald nicht wieder! Ach, die Zeit ist vorüber, wo Du am Abend mir versprachest, mit der Morgensonne aufzustehen, und mit mir Erdbeeren zu suchen! Ich werde mit Dir nicht mehr auf Deinem Lieblingsplatze, auf dem Hügel unter den Trauerbirken sitzen, und die Sonne hinter die Gebirge sinken sehen. Wie oft ging ich dorthin, und erwartete Dich, Du kamst dann mit Blumen, Schilf und Rohr, wir flochten Körbchen und Kränze, wir waren so glücklich, so seelenfroh! Wer geht nun mit Deinem Dorchen des Abends, wenn der Mond[77] scheint, auf den Kirchhof, in den Ulmenwipfeln die Nachtigal schlagen zu hören, oder in der Dämmerung durch das hohe Korn, wenn die Heimchen schwirren? Ach, und kämen tausend mit mir, so wäre doch keine mir so lieb, als Du! Aber Du gehst. – Du kommst in die Stadt, Du wirst mich vergessen, und ich werde vor Gram sterben – Amali, vergiß mich nicht!«

Amalie meinte; »o, wie machst Du es mir schwer, liebes Dorchen, ich kann nicht von Dir scheiden, mir ist so weh – mein Dorchen – warum muß ich von hier, wo ich so glücklich bin!« Die beiden Betrübten gingen nun mit schwerem Harzen und feuchten Augen in die Hütten des Dorfes, wo Amalie so oft als hülfreicher Engel erschienen war; die jungen Mädchen weinten, als Amalie Abschied nahm, die alten Mütter drückten ihre weißen Hände, und flehten um Gottes Seegen für das gute gnädige Fräulein. – »Wir spielen nicht morgen zusammen, und lange nicht mehr?« sagte weinend ein schönes kleines Mädchen, das Amalie vorzüglich liebte: – »o, wenn Du gehst, und kommst nicht mehr, so weine ich statt zu spielen! – aber wart! im Frühjahr nimmt mich der Vater nach B. und ich werde Dir alle Veilchen bringen, da sehe ich Dich denn doch wieder!« – »Ach, seufzte Dorchen, ich darf Dir keine[78] Veilchen bringen!« – Zuletzt trat Amalie noch in eine Hütte, deren einsame kranke Bewohnerin sie stets selbst gepflegt hatte, um hier den schwersten Abschied zu nehmen. Sie brachte ihr nun noch ein kleines Geschenk. Froh des Wohlthuns, des Abschieds traurig, trat sie an das weiße Bett, das der aufgehende Mond beglänzte. Da sah sie mit bleichem Angesicht, mit geschlossenen Augen, die Hände gefalten, die Kranke, die sanft hinübergeschlummert war. – Das Geschenk entsank Amaliens Händen, sie warf sich schluchzend auf die Knie, überließ sich lange der Wehmuth, und eilte dann, die Leichenbestattung der ausgelittenen Dulderin zu ordnen.

Nun ging Amalie mit Dorchen noch einmal zum geliebten Hügel hin, um dort den letzten Blick der Abendsonne noch zu sehen. Hier wurde ihre Wehmuth zu stark, sie versank in einen Schmerz, den sie noch nie so gekannt. Stumm saß sie neben Dorchen, und drückte ihr weinend die Hand. Da kam aus dem Gebüsch Luisens bleiche Gestalt. Sie sah der lieben Tochter stummen Schmerz, und fühlte nun tiefer der Trennung Weh. Sie ging beklommen den Hügel hinauf, und ließ sich neben Amalien auf die Rasenbank nieder. »Lange, du liebes Kind,« sagte sie ihr: »lange wirst Du hier nicht mehr seyn! Ach, Amalie! der Genuß[79] Deiner wahren Freuden wird Dir in der Fremde verloren gehn, und Du wirst einen Schein der Fröhlichkeit dagegen eintauschen müssen! Die rosigen Träume Deiner Jugend, die zarten, beschränkten Wünsche Deines unschuldvollen Herzens, werden sich in ein wildes Sehnen nach Scheingütern, in einen unruhigen Traum von einem Ideal, welches Du nicht finden wirst, verwandeln! Man wird Dich kränken, man wird Dich täuschen, man wird Dich verfolgen, Dich verkennen, Dich unbefangene Seele, die noch Kummer, Bosheit und Vorurtheil nicht kennt! Die Kunst soll bey Dir die Natur, die Dich so gut und glücklich machte, verdrängen, – ach! Du wirst in der verkünstelten Welt nach Deinem Herzen handeln, und die Welt wird Dir bey Deiner Unbefangenheit Dinge zutrauen, von denen Dein Herz keinen Begriff hat. Du lässest hier Deine Mutter zurück, die einsam Dir nachweint, Deine Freundin, die Dich wahrhaft liebt, und Menschen, die warm an Dir hangen, gute Seele! und was wird die Welt Dir dafür wieder geben?« – Jetzt weinte Luise und ihre Thränen vereinigten sich mit Amaliens Thränen.

Alle drey saßen schweigend, und sahen die letzten scheidenden Purpurgluthen der Abendsonne hinter die Gebirge sinken. »Wie sehr hat mich[80] sonst dieser Anblick entzückt,« sagte Amalie: »aber heut ist es mir so dumpf, so traurig, als sänke die Sonne in ein Grab.« – »Sie sinkt, wie ein Seele von dieser Erde,« sagte Luise: »aber sie feiert jetzt, wie die Seele nach dem Sterben ihre Morgenroth in einer andern Welt.« –


Hierneben hatte Jean Paul geschrieben.


Sanfte Seele, die uns wie ein Luna die Strahlen der gesunkenen Sonne wieder giebt, in Deinem Leben sei mehr Morgenroth als Abendroth, und Deine Sterne gehn Dir nur auf, und nicht eher unter, als mit Dir! –


Celine. Berlin 1800.


Am friedlichen Ufer des Genfer-Sees steht eine einsame Hütte, von dunkeln Ulmen umschattet, umschlungen von Weinranken und Immergrün.

Hier lebten in schöner Eintracht Carl und Elise. Celine ihr Kind, war der Engel, der das Band ihrer Liebe noch fester knüpfte.

Aber wie die junge Knospe, vom giftigen Mehlthau befeuchtet, matt ihr Köpfchen neigt, und dahin welkt, so sank Celine plötzlich hin auf ihr Ruhebettchen. Die klaren blauen Augen erlöschen, die rosigen Lippen erbleichen, die blühenden Wangen[81] sinken welk ein, die Rose ist zur Lilie verwandelt.

Der Abend dämmerte, der Vollmond stieg hinter entfernten Bergen herauf, die Grille zirpte in den Blumen vor der Hüttenthür, säuselnd durchwallte der Abendwest die Felder, Nachtfalter schwebten im Mondlicht, die Iris und der Mohn schlossen den prangenden Kelch, und der Heerde Glocken tönten durch das Feld. Alles athmete Ruhe, aber die Ruhe kam nicht in Celinens Seele, sie seufst und leidet. An ihrem Lager sitzt die arme Mutter in Thränen, traurig schließt Carl die Hand der Gattinn in die seinige; ach, Celine, welch' eine Prüfung, sie müssen dich leiden sehn!

Der Mond schwebte hellglänzend höher hinauf, und blickte in das Fenster. Wie schön! rief das Kind, und zeigte nach dem Monde hin; sein süßer Schein spiegelte sich in ihrem matten Auge, sie lächelte dem Himmelslicht entgegen.

Ein sanfter Schlummer senkte Celinens Augenlieder, ihr Mund behielt das Lächeln, womit sie den Mond begrüßt hatte. Es war der Schlummer von dem man nicht wieder erwacht.

Elise küßte die erblaßten Lippen zum Letztenmal, wand weiße Rosen zum Kranz um die goldnen Locken des Kindes, hüllte es in schneeweiße[82] Schleyer, und schmückte ihr Gewand mit Blumen und Bändern.

An des Kirchhofs bemooster Mauer, erhebt sich Celinens kleines Grab, in der hohen Pappellaube säuseln die Winde, und weiße Rosen sprießen aus dem Hügel hervor.

»Ach Elise,« rief Carl, als bey Celinens Grabe der Mutter Thränen flossen: »weine nicht! Sie hat früh gefunden, was die Menschen so heiß ersehnen – die Ruhe! Sie fand sie im Todtenkranz, und die junge Braut verliert sie oft in der Myrthe. Sie entschlief mit süßen Hoffnungen für das Leben, und erwacht zur schönsten Wirklichkeit. Sanft waren ihre Thränen, kurz ihr Schmerz, süß ihr Tod, Liebe hat sie in das Leben empfangen und zu Grabe geleitet, und die Unschuld ist nicht von ihr gewichen.«

Und Elise sah zurück in die Welt, und das Bild des Lebens stand hell vor ihrer Seele. Sie sah ihrer leidenden Schwestern viele, von Schmerz ermattet, und von Schuld befleckt, mit heißen Thränen den Tod ersehnen – und sie weinte nicht mehr, und streute Blumen auf Celinens Gruft.


Dies waren, nebst ähnlichen Dichtungen, die wehmüthigen Gedanken, mit denen ich die zerreißenden[83] Schmerzen meines Lebens zu beschwichtigen suchte. Ich fand zuletzt nur noch in einer Trennung Heil; diese zu bewerkstelligen war schwer, weil Herr von Hastfer lange Zeit nicht einwilligen wollte. Es gelang mir endlich, mit dem Verlust meines Eingebrachten, mich frey zu machen. Auch meine gute Mutter hatte Alles verloren. Schon vor ihrer Abreise nach Paris, hatte ich der Frau von Genlis meine traurige Lage entdeckt, und sie hatte mich inständig gebeten, bei ihr, wie ein geliebtes Kind, zu leben. Ich wollt' es gern, ich mußte das für ein Glück halten; denn das Betragen der Fr. v. Genlis in Berlin hatte ihr die allgemeine Achtung erworben, und die Stimme weniger rechtlicher Menschen, welche mich gegen sie warnten, verhallte so fruchtlos, wie die Warnungen in den Briefen des herrlichen Gleim bei mir. Während des langen Scheidungsprozesses wohnte ich in einem Garten in der Vorstadt, bei meiner guten Mutter, die sehr kränkelte. In der Neujahrsnacht wurde sie gefährlich krank, ich half ihr mit Fußbädern und mit Bähungen von warmem Wein; es war eine schreckliche Nacht, voll Liebe, Schmerz, Gebet und Thränen. – Der junge[84] Tag des neuen Jahres kam, und die Mutter stand gestärkt mit neuer Lebenskraft vom Lager auf. Unter ihren Papieren habe ich folgenden Brief vom 10. Januar an den edlen Grafen von Stolberg-Wernigerode gefunden:

Eben steh' ich von einem dreiwöchentlichen Krankenlager auf, worinnen ich, an den heftigsten Krämpfen leidend, mehrmalen in Todesschmerzen lag. Mit der letzten Stunde des scheidenden großen Jahrhunderts dachte auch ich zu verscheiden; aber die ersten Minuten des neuen Jahres warfen mich, ohnmächtig abgekämpft mit überstandnen innern und äußern Qualen, zurück in – die Arme meiner Tochter, welche jetzt, durch ihr trauriges Eheloos gedrängt, wieder bey mir wohnt. Warum mich mein Schöpfer diesmal nicht zu sich gerufen, bleibt mir ein trübes Dunkel; die Erde hat an mich, und ich habe an sie nichts mehr zu fordern. Meine Kräfte sind hin, selbst mein Kopf ist durch meine letzten Leiden geschwächt. Das Denken wird mir sauer, so auch das Schreiben, und seit vierzehn Tagen sind dies die ersten Silben, welche aus meiner Feder fließen. Es ist mir unmöglich etwas zu denken, was so recht meine Gefühle aufschlösse; denn, wenn ich es wagen wollte, diese Schleusen zu öffnen, so würde ich[85] wieder in neue Krämpfe zurücksinken; ich muß also nur bei bloßen Bildern, und zwar bei angenehmen stehn bleiben.

Gnädigster theurer Graf! Sie wissen, was Sie meinem Herzen sind! In meiner Todesangst hab' ich Ihrer gedacht, und in der Neujahrsstunde, als ich nur irrende Gebete, auf der Lebensflucht, gepreßt von Schmerzen, thun konnte, hab' ich Sie und Ihr hohes edles Haus gesegnet. Ach, ich war dazumal froher, als in dieser Stunde, ich glaubte, weit über das Leben und dessen Bedürfnisse durch den annähernden Tod mich schon hinweggeschwungen zu haben – ich irrte – noch leb' ich! und o Gott! zu welchem neuen Kummer. –

Mein Schwiegersohn, welcher all' das Meinige in Händen hat, ohne daß er mir einen Revers darüber gegeben, geht darauf aus, mich darum zu bringen. Er enthält mir sogar meine Interessen vor, und giebt auch für den Unterhalt seiner Frau nichts, weil er sie dadurch zwingen will, wieder zu ihm zu kehren; aber er ist ein heilloser, scheinheiliger Wütherich, dem nimmer ein gutes Weib frommt, und der zugleich ein Verschwender ist. Meine Tochter kann nicht anders, als sich von ihm scheiden, wenn sie nicht so wohl unser Vermögen, als auch ihre Gesundheit und ihren sittlichen Charakter bey ihm einbüßen will. Ist das[86] nicht für uns Beide ein großes Unglück? – Und darf ich, nach dieser Vorstellung, wohl dem gütigsten Herzen, welches in Ihrer Brust schlägt, noch erst unsre Thränen zeigen, um Sie zu bewegen, daß Sie mit Ihrer Gnade noch so lange gegen mich fortfahren, bis mein Schicksal entschieden ist, welches durchaus glücklich entschieden werden muß; denn ich und meine Tochter sind höchst unschuldig, folglich gerecht, und Gerechtigkeit hat ihren Richter, wenigstens bei Gott.

Verzeihen doch Ew. Excellenz, daß ich Ihnen nichts Angenehmes diesmal schreiben kann, vielleicht erhebe ich mich wieder, und dann will ich darauf denken es nachzubringen. Ich bin schon von diesen Zeilen sehr ermattet, meine Hand zittert, und ich kann nur noch mit Ehrerbietung hinzusetzen, wie sehr ich bis in Ewigkeit bin

Ew. u.s.w.

C. L. von Klencke,

geborne Karschin.


Erst im Mai 1801 erfolgte die völlige Trennung eines unglücklichen Bandes, das nie hätte geschlossen werden sollen. Meine Mutter ging leer aus, das mit Hypothesen schwer beladene Haus bekam sie zurück, und mußte es späterhin verkaufen,[87] wo ihr dann nichts mehr zu leben übrig blieb. Die Bitten der Fr. v.. Genlis, mich zu ihr zu begeben, schienen mir nun ein Wink der Vorsehung, und der Aufenthalt bei ihr ein Mittel, meiner Mutter nützlich zu werden.

Frau von Genlis schrieb mir am 2. Januar 1801. (treu übersetzt):


Meine liebe Helmina, wie sehr nehm ich an Ihrer Lage Antheil! So jung, solch ein Mißgeschick zu erfahren! Mein Charakter und meine Liebe für Sie sind Ihnen bekannt, wenn Sie glauben, daß Sie bei mir Ruhe finden, so kommen Sie, mein theures Kind! Ich biete Ihnen eine Freistatt und mütterliche Liebe und Sorgfalt an; nur zu glücklich werd' ich seyn, wenn ich Ihre Qualen versüßen und sie mit der Zeit ganz aus Ihrem Gedächtnisse tilgen kann! Antworten Sie mir, und seyn Sie überzeugt, meine Liebe! daß Sie in mir eine zweite Mutter finden, und daß Ihr Glück eine der theuersten Angelegenheiten meines Lebens seyn wird!

D. Genlis.


Glauben Sie nie, Theure! daß ich Sie der Lüge schuldig halten könne. Ihre Herzensreinheit kenn' ich, und niemand kann Ihrem liebenswürdigen[88] Charakter mehr Gerechtigkeit wiederfahren lassen, als ich.

Lassen Sie mich sobald als möglich den Tag Ihrer Abreise erfahren. Wie froh, und mit welcher Rührung werd' ich Sie empfangen, armes Kind! Sie verlassen Ihr Land und Alles, was Ihnen theuer ist, um sich meinem Geschick anzuschließen! Wie rührt mich dieser Gedanke, möcht' ich Sie all' Ihrer Leiden vergessen machen können! Wie werde ich Sie über unsre vortreffliche Freundin befragen!7 Holdes, theures Wesen, ach! ich weiß, wie sie um mich trauert! Ich werde sie bis zum Grabe in meinem Herzen tragen! Sie hat eine himmlische Seele, die Gott ganz nach seinem Bilde geschaffen! O, wir, die wir auf einen Augenblick auf die Erde hingeworfen sind, warum müssen uns so große Räume von unsern Geliebtesten trennen? Warum muß unser Körper traurig angefesselt seyn, wo unsre Seelen nicht ganz sind? – u. s w.


An meine Mutter, 2. März 1801.

Ich habe die Ehre gehabt, Ihnen vor sechs Wochen zu schreiben, ich erfahre, daß Sie jenen[89] Brief nicht empfangen haben, und kann dem Verlangen nicht widerstehen, Ihnen Alles zu wiederholen, was ich fühle. Bis in mein innerstes Herz haben Ihre rührenden Worte mich ergriffen, ich hoffe, daß der Himmel, der so oft auf Erden die Tugend prüft, sie aber auch oft schon hienieden belohnt, Ihnen die Gesundheit und Ruhe, deren Sie so würdig sind, wiederschenken wird. Was unsre interessante und liebe Helmina betrifft, so seyn Sie versichert, daß sie, wenn ich Sie bei ihr nicht ersetzen kann, in mir alle Sorgfalt, und alle Liebe einer Mutter finden wird; ich verheiße es Ihnen, und es ist mein Herz, daß Ihnen diese Verheißung macht. Seyn Sie denn ruhig, und überzeugt von den aufrichtigen Gesinnungen, mit denen ich verharre, u.s.w.

Duerest Genlis.


Paris, 29. Februar 1801.


Liebe Helmina! Ich bin entzückt über das, was Sie mir sagen, ich ersehne und erwarte Sie mit Ungeduld. Ich will Ihnen Ihr Zimmer sogleich einrichten, dicht neben mir. Sie sollen nichts darin vermissen, und manche Kleinigkeit finden, die Ihnen Freude machen wird, und auch noch[90] etliche hübsche Sachen von Porcellan. – Ich lebe sehr einsam; aber ich werde Ihnen gleich einen kleinen Kreis bilden, der Ihnen so viel Lust gewähren wird, als Ihre Jugend heischt. Sie sollen zu Hause gern seyn, und immer Ihre Studien lieben; aber Sie sollen nicht menschenscheu seyn, Sie werden öfters ausgehen müssen, Paris kennen lernen, und diejenigen bei Sich sehen, die Ihre Freunde werden. Wir wollen einen kleinen Lebensplan machen, der, so hoff' ich, Ihnen gefallen soll. Ich werde Sie behandeln, wie eine gute Mutter. Nur die Freiheit werden Sie wünschen, die sich mit Sitte und Tugend verträgt, und die will ich Ihnen ganz gewähren. Hat Ihre Frau Mutter meinen Brief empfangen? Wie freut es mich zu erfahren, daß Sie nun außer Sorgen über ihre Gesundheit sind. Die edle Mutter! ich fühle, mit welchem Schmerz Sie sie verlassen werden! Ach! dies traurige Leben beut uns immer das Bild des Todes dar, da wir stets unsern Lieben uns entreißen müssen, und der Tod hat gewiß kein herberes Weh, als dieses! ...

Leben Sie wohl, mein theures Kind, ich umarme Sie mit sehr treuer und aufrichtiger Zuneigung.

D. Genlis.


[91] 30. April 1801.


Meine liebe Helmina, ich hatte vor 14 Tagen an General Beurnonville Ihrer Reise wegen geschrieben, und schreibe ihm heute wieder. Nachdem, was Sie mir in verschiedenen Briefen meldeten, daß Sie erst im Mai kommen könnten, habe ich mich eingerichtet, um nach den Bädern von Luxeuil zu gehen, auf 80 Stunden von Paris. Ich wollte den 15. Mai dahin; aber Ihretwegen schiebe ich es noch bis 15. Juni auf, doch kann ich nicht länger warten, es steht nicht mehr in meiner Macht, die Verpflichtungen zu brechen, die ich mir auferlegt. Ich werde in Luxeuil bei alten Freunden seyn, die dort ein herrliches und entzückendes Landgut haben, und die, nach allem, was ich ihnen von meiner Helmina gesagt, entzückt seyn werden, daß sie mit von der Parthie ist. Suchen Sie also Anfangs Juni hier zu seyn, liebes Kind, kommen Sie später als den 15. Juni, so bin ich fort; Sie können zwar in mein Haus, in Versailles ziehen; ich lasse eine Haushälterin dort, die Sie bedienen wird, und eine meiner dortigen Freundinnen wird Alles thun, Ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen; allein ich würde diese Einrichtung sehr traurig finden. Kommen Sie also, liebes Kind, vor dem 15. Juni, wir werden mit einander nach Luxeuil[92] reisen, Sie werden den schönsten Ort der Welt sehen, köstliche Bäder nehmen, in der besten Gesellschaft seyn, und wir werden miteinander die umliegenden Gegenden besuchen, köstliche Grotten, schöne Wasserfälle u.s.w. Auch sind die Bäder stark besucht, besonders seit der Revolution. Leben Sie wohl, theure Helmina! antworten Sie schnell und bestimmt.

D. Genlis.


Meine Mutter, die sich den Sommer über wohl befand, glaubte mir nachreisen zu können, wenn ihre Geschäfte wegen des Hausverkaufs beendigt seyn würden; sie glaubte im wärmern Klima ganz zu genesen, und Frau von Genlis sandte Brief über Brief, daß ich bald kommen möchte. Im Mai fand sich eine Gelegenheit, und ich entschloß mich zur Abreise, mit einem Schmerz, den die Lust der Vorspiegelung des Anschauens einer neuen Welt und der Ruhe eines sorgenfreien Lebens, wodurch ich auch meiner Mutter nützlich werden könnte, wiederum besiegte. Am 24. Mai, Abens 8 Uhr, reiste ich ab; meine edle Pathe, Frau Caroline von Berg, hatte mir noch verheißen, meiner Mutter in[93] Allem als Freundin beizustehen, und Liebe der Freundinnen umgab sie von allen Seiten. Mir ahnte nicht, daß ich ihr ein letztes Lebewohl zurief, doch war mein Herz zerrissen. Ich weinte im Wagen, bis ich die Besinnung verlor. Hinter Schönberg kam General Beurnonwille, der damalige Gesandte, mir entgegen geritten, um Abschied zu nehmen, er suchte mich mit der Vorstellung zu trösten, daß ich ein Land von Sand und Nadelholz verließe und in das schönste Land der Welt ginge! Ach! jenes Land war meine Heimath, und ich werde es ewig lieben. Von keiner meiner Freundinnen hatte ich Abschied gekommen, denn das Scheiden that mir zu weh. Wir gelangten nach einer Reise, die unaufhaltsam Tag und Nacht fortging, in vier Tagen an das Ufer des Rheins. Ich fühlte mit frischem Schmerz, daß ich nun an Deutschlands damaliger Gränze stand, und hielt sie in meiner Unwissenheit damals, wie Frau von Stael, noch für eine ewige (L'éternelle barrière du Rhin sépare à jamais deux peuples, etc. S. das Werk de l'Allemagne). Durch meine Thränen drang der Reiz der Gegend in mein Herz. Welche Fülle von Herrlichkeit! Welch ein heitres Himmelblau[94] umfängt diese Gefilde! Das wogende Korn stand hoch über Mannesgröße, ich pflückte eine Ähre, die acht Fuß hoch war. Die Äcker waren reichlich mit Obstbäumen bepflanzt, in deren Wipfeln die purpurne Maikirsche glühte. In den Weinbergen arbeiteten die Winzerinnen, die großen Strohhüte mit Blumen geschmückt. Die Gehäge prangten mit wilden Rosen ohne Zahl. Ich stieg, die Fähre erwartend, die uns nach Oppenheim bringen sollte, einen Hügel hinan, auf dessen Rücken die Trümmer eines zerstörten Häuschens standen; und nun zeigten sich mir in ihrer ganzen Herrlichkeit die Ufer des Rheins, von Gebirgen, dunklen Waldungen und heitern Dorfschaften umgeben, in üppiger Fruchtbarkeit prangend. Friedlich lag der schöne Gottesgarten am Rhein, und zeigte keine Spur mehr von den Schrecken der Schlacht. Es war ein schöner Abend, dessen sanfte Lüfte mit den Düften der blühenden Nebenhügel und Rosenhecken erquickend an mein banges Herz drangen. Ich blieb angefesselt stehen, nie hatte sich mir Natur in solcher Herrlichkeit offenbart. Du himmlische Liebe des Allvaters! wie hast du den Sterblichen den Balsam bereitet, der ihre Leiden mildert,[95] und aus nie versiegenden Quellen strömt! Jedes Lüftchen weht Erquickung, jeder Lichtstrahl bringt Trost von Oben – wer mag sich im Schooß blühender Berge und duftender Waldungen einsam und verlassen fühlen, und sein Leben hassen?

O Mutter, liebe Mutter, Vaterland, Freundinnen! Lebt wohl, lebt wohl! rief ich mit tausend Thränen, da ich die Fahre bestieg; unaufhaltsam weint' ich, bis ich zum Himmel hinauf sah, aus dessen Blau schon Sterne hervor dämmerten, deren Licht meine Seele, wie eine göttliche Verheißung, beruhigte.

Nach einer Reise von sechs Tagen und sieben Nächten kam ich am 2. Junius in Paris an, höchst ermattet, mit Trauer im Herzen. – Der Regen fiel in Strömen herab, die Stadt sah mich finster und unglückweissagend an. Wir fuhren durch die schöne Barriere von Neuilly, die stolzen Quays entlang, nach der Rue d'Enfer. Mein Begleiter fand immer etwas zu bewundern und zu preisen, ich blieb versunken in meiner Trauer. Ich sehnte mich nach der verlassenen Mutter zurück. So kurze Zeit war vergangen, und 225 Meilen trennten mich von Berlin! –[96]

Ich hatte es nicht gewußt, und Niemand hatte mich darüber aufgeklärt, daß hinter all den schönen Planen, bei Frau v. Genlis mich zu bilden, von dort aus für meine Mutter zu wirken, sie mir nachkommen zu lassen, u.s.w. der Böse versteckt lag: eine ungeduldige Neugier, ein Drang nach der großen Welt, ein übermüthiges Vertrauen in meine Kräfte. – Ach! wie so besser und würdiger wäre es gewesen, wenn ich den Gram über eine unglückliche Ehe und den Verdruß des Scheidungsprozesses mit stiller Geduld überwunden, und in der Heimath, meine Mutter bis zum letzten Hauch pflegend, ein einsames und bescheiden thätiges Leben geführt hätte! – Ein solches Daseyn hätte in sich selbst schon seinen Lohn getragen, in innrer Freudigkeit und Selbstveredlung. Zu manchem Guten war ich damals fähig, nur nicht zu einem ruhigen Ausharren, zu den stillen und ächten Tugenden, die eine Frau schmücken und ehren. Meine Erziehung hatte mich zwar zur frommen Anhänglichkeit an Gott, zur Menschenfreundlichkeit und Liebe hingeleitet, aber nicht zu einem ernsten Streben nach dem, was einzig Noth thut! Meine Eitelkeit und Selbstverblendung war[97] groß, mein Wunsch berühmt zu werden, und in der Welt eine glänzende Rolle zu spielen, so wie meine Verwegenheit, so jung, unter Fremden ein fernes Land zu bewohnen, gingen aus dieser übertriebenen Eitelkeit hervor; ich habe schwer dafür gebüßt! – Bei der Aussicht, welche eine Reise nach Paris mir darbot, hatte ich mich mit süßen Träumen gewiegt. Immer hatte ich mich hinausgesehnt aus den Umgebungen des gewöhnlichen Lebens, der Hang zum Wunderbaren, Außerordentlichen beherrschte mich. In die Ferne wollte ich; die jetzt so ersehnte Ruhe dünkte mich kein wünschenswerthes Gut. Ich strebte mit frischer Fülle der Kräfte nach einem großen Wirkungskreise, statt diese auf das Nächste, Heiligste, Nothwendigste zu verwenden. – Dies Alles wäre nicht geschehen, wenn ich in der Sphäre der Weiblichkeit geblieben wäre, wenn nicht Alles, was mich umgab, mir vorgespiegelt hätte, daß eine Frau berühmt und groß werden könne, und daß dies ein schönes Loos sey. – Liebe Schwestern, ich wiederhole es, seyd verborgen, demüthig und anspruchlos! Alles Andere gereicht zum Verderben!

Wir gelangten vor das Haus der Frau v. Genlis.[98] So wie die Thür ihres Zimmers hinter mir zuschlug, fühlt' ich mein Herz von einem bangen, tiefen Schauder beklommen, und ein inneres, ahnungsvolles Gefühl sagte mir, ich sey nun getrennt von Allem, was mich jemals rein und süß beseeligt hatte. Frau v. Genlis kam aus dem Schreibzimmer mit offnen Armen auf mich zu. Ich sank an ihre Brust mit tausend Thränen.

Der Knabe, den Frau v. Genlis aus Berlin mit sich genommen, kam mir mit großen Freundschaftsbezeigungen entgegen. Ich war gegen seine Tücke gewarnt worden, glaubte aber nicht einen Knaben scheuen zu müssen. Es kam mir indeß bedenklich vor, wie er im Hause seine Befehle gab, und selbst in seine Freundlichkeit eine Art von Protektion legte, was mir nicht entging, obwohl er mir ehrerbietig die Hände küßte. Doch zog ich Anfangs aus meinen stillen Bemerkungen noch keinen Schluß.

Kaum hatte ich meine Sachen in Ordnung gebracht, wobei mir des Knaben Neugier und und unverlangte Beihülfe, wenn nicht überlästig, doch auffallend war, so kam General Kosciusko, um Frau v. Genlis zu besuchen. Ich freute mich,[99] ihn zu sehen, und fand in ihm einen Mann von einfach freundlichem Wesen, ernst und schwermüthig gestimmt, dessen ganzes Betragen Herzlichkeit erweckte und Achtung gebot.

Wir aßen um vier. Nach Tisch bat mich Frau v. Genlis, mich zur Ruhe zu begeben. Ich that es. Ich wußte nicht, daß mir Casimirs Zimmer und Bett eingeräumt war, und daß er schon deshalb einen Haß auf mich werfen konnte.

Die Nacht war unruhig. Ich träumte, ich sey in Berlin, um schmerzlich beim Erwachen zu sehen, daß es ein Traum gewesen. Noch hatte nichts den reizenden Hoffnungen widersprochen, deren Vorspiegelung mich nach Paris gelockt hatte, und doch waren diese schon abgeblaßt, und an ihrer Stelle erfüllte die tiefste Reue mein Herz.

Am Morgen war es mir schmerzlich, daß mir mein Frühstück auf mein Zimmer geschickt wurde. Doch um zehn sah ich Frau v. Genlis im Putzzimmer. Sie war unendlich freundlich, und bat mich mit Casimir im Luxembourg spazieren zu gehn. Ich machte mir einen hohen Begriff von einem Spaziergang in Paris, und leidete mich mit einer Sorgfalt an, die der Frau[100] v. Genlis nicht zu gefallen schien. Unter den alten grünen Bäumen des Luxembourg fand ich einige Wärterinnen und ein Paar abgelebte Greise vom ancien régime, mit Hunden zu ihren Füßen, und Taback schnupfend. Dies spannte meine hohen Erwartungen etwas herunter, und ich ging traurig heim.

Bei Tisch hatt' ich bemerkt, daß Casimir sehr gebieterisch mit der Köchin umging. Ich machte Frau v. Genlis aufmerksam darauf, und bat sie, die Sorge für das Hauswesen nur mir zu übertragen. Frau v. Genlis schien meinen Bemerkungen Beifall zu geben, und bedeutete der Köchin, sie würde künftig ganz unter meiner Aufsicht stehn. Dieser Vorgang mochte den Knaben verdrossen haben. Als ich nach Tisch am Schreibtisch saß, nahm er einen großen Pinsel, tauchte ihn in das Dintenfaß, und spritzte die Dinte ganz behaglich auf mein weißes Kleid. Ich bat ihn Anfangs freundlich, diesen Zeitvertreib mit einem bessern zu vertauschen; allein er schwieg, und ergriff behend das Dintenfaß, welches er nunmehr völlig auf mich ausgoß.

Ich würde über diesen Vorgang, als über einen Knabenstreich, völlig geschwiegen haben,[101] wenn mir nicht Frau v. Genlis es, sogleich als ich ankam, zur heiligen Pflicht gemacht hätte, ihr alles zu sagen, was Casimir thun würde. Er sey, behauptete sie, ein vortreffliches Kind, welches ihre Leute bloß dadurch verdorben hätten, daß sie unredlich gegen sie gehandelt, und ihr alle seine bösen Streiche verheimlicht. Somit ging ich voller Zuversicht in ihr Zimmer, um ihr Alles zu berichten. Sie aber sah nicht sobald die Dintenflecke, als sie Alles errieth, und es war ihr anzusehen, wie hart es ihr wurde, Casimir zu schelten. Da ich ihr erzählen wollte, wie sich die Sache zugetragen hatte, fiel sie mir in die Rede: ma chère amie, à quoi bon toute explication, ces taches d'enore parlent pour vous; je les vois bien, cela suffit, Casimir est en pénitence – (Liebe, wozu die Erklärung? die Dintenflecke sprechen für Sie, ich sehe sie ja, Casimir muß Strafe haben.) – Mir wurde nicht wohl um das Herz bei diesen Worten, ich hatte Recht. Nach einer Stunde kam Casimir, bedeckte meine Hände mit Thränen und Küssen, und bat um Vergebung; mir ahnte, was ich davon zu halten hätte.

Am Abend des dritten Tages nach meiner[102] Ankunft wurde die Tochter der Frau v. Genlis, Frau v. Valence, angemeldet. Ihr angenehmes Wesen machte den günstigsten Eindruck auf mich. Sie betrachtete mich lange, umarmte mich dann, und sah dabei gerührt und nachdenklich aus, als bedaure sie mich. Ich war bezaubert von ihrer Freundlichkeit, ich träumte mir in Madame de Valence die Pulchérie aus den Schloß-Abenden ihrer Mutter, dieselbe, die viele Tage durch im kalten Zimmer geblieben seyn sollte, um heimlich das für ihren Kamin bestimmte Holz einer armen Frau zuzuschicken. – Frau v. Valence sagt mir: »Seyn Sie überzeugt, Liebe, daß ich mich recht glücklich fühle, Sie zu kennen, und Sie bei meiner Mutter zu wissen; gefällt es Ihnen hier?« – Ich erinnere mich meiner Antwort nicht, aber diese muß sie wirklich gerührt haben, denn sie umarmte mich noch freundlicher und sagte: »Arme kleine Schwester, ja! Sie finden hier Anverwandte!« Dies ergriff mich so, daß ich weinte.

Einige Tage darauf fuhr ich mit Frau v. Valence nach dem Theater aux Italiens. Sie schenkte mir Blumen, die ich zu Hause sogleich der Frau v. Genlis brachte. »Was soll ich mit den Blumen?«[103] fragte sie. Ich sagte ihr, sie kämen von ihrer Tochter. »Das ist unnöthig,« entgegnete Frau v. Genlis: »solche Empfindungs-Merkmale sind hier in Paris nicht an ihrer Stelle, und Frau v. Valence und ich sind gar nicht auf einem so zärtlichen Fuß, daß wir einander Blumen schickten.« –

Einige Tage nachher hatte ich mit Casimir folgendes Gespräch:

Er. Sie sind hier nicht zu Hause, Frau Baronin.

Ich. Warum denn nicht?

Er. Sie sind nur in Berlin zu Hause. Mama (Fr. v. Genlis) ist Ihre Mutter nicht.

Ich. Das ist sie gewiß; die mich zur Tochter annimmt, muß doch wohl meine Mutter seyn.

Er. Nein, gewiß nicht! Ich weiß besser, was sie denkt, und was sie mir gesagt hat; sie erlaubt Ihnen, sie Mama zu nennen, weil Ihnen das Vergnügen macht; sie nennt Sie Tochter, um Ihnen ein artig Wort zu sagen, aber das thut der Sache ganz und gar nichts; Sie sind eine junge Freundin, welche sie bei sich aufgenommen, sonst nichts!

Ich. Und was sind denn Sie, Casimir?

[104] Er. O, mit mir ists ganz ein Anders!

Ich. Wie denn, es ist ja dasselbe Verhältniß. Das kann denn ja auch der Sache nichts thun.

Er. O, nein! ich versichere Ihnen, das thut ihr viel.

Ich. Darnach werde ich mich einmal erkundigen.

Er. Thun Sie das, Frau Baronin. – Meine kleine Helmina, geben Sie mir die Hand!

Ich. Nein, denn Sie haben mich tief gekränkt.

Er. Hab' ich das? Womit?

Ich. Indem Sie mir solche Sachen sagen.

Er. Und ich habe es doch gesagt! ich bin nicht dumm! Gute Nacht!

Er ging, wir waren noch bei Frau v. Genlis im Zim mer, wo er nicht aufhörte, mir angenehme Sachen zu sagen, mich aber, ihr unbemerkt, höhnisch anlachte. Ich konnte nun ermessen, wie alles stand, aber es war zu spät, die eiserne Nothwendigkeit hielt mich meiner leidenden Mutter fern, in Paris, in diesem Hause fest. Des Himmels Strafe war gerecht. Warum hatte ich Heimath und Mutter um eine fremde Frau verlassen?[105]

Am Tage nach meiner Ankunft in Paris empfing ich durch Einlage folgenden Brief von meiner Mutter:


Berlin, den 2. Mai 1801.


Ich bin heute nicht so ohne Bangheit, als gestern bei Deinem Abschiede, meine Liebe! Früh war ich im Gärtchen, die Glocken läuteten, ich war allein, ach, und die Glocken allein antworteten mir, und sagten mir nur feierlicher, daß ich wohl nun immer so allein seyn werde. Als ich nach Hause kam, schickte Frau von Heidebreck zu mir, und ließ uns Beide zum Thee zu Hofjägers bitten. Ich schrieb ihr zurück, daß Du bereits auf dem Wege nach Frankreich wärest, daß ich dies heute stärker fühlte als gestern, und daß ich gern noch trauriger um Dich werden wollte, weil Du es ja verdientest. Mit dieser Gelegenheit beförderte ich auch Deine Abschiedszeilen an Mad. Bocquet und an die Fräuleins. F. Minna von Knebel kam sogleich dem Billette voll wahrem Antheil nachgeeilt, bat mich zu sich, und wollte mich gleich mitnehmen, aber Auguste von Hacke und unsre einzig liebende Bocquet hatten mir auch ihren Besuch ansagen lassen, und gern blieb ich zu Hause. Jetzt sind Beide hier, und Madame Bocquet, welche so gern Balsam auf leidende[106] Herzen legt, ersuchte mich, Dir eine Zeile zu schreiben, weil sie eben an unsre Genlis schreibt. Sie läßt ihrer theuren Genlis und Dir sagen, daß sie sich heute nur halb wohl befände, und daß Deine unvermuthete Reise an dieser traurigen Hälfte viel Schuld habe. Sehnsucht und Liebe zur Freundin ziehn ihr Herz Deinem Reisewagen nach, ach, Minchen! und wo soll nun das Meine ruhn? Alle Bande der Natur reißt die Ferne ab, und alles, was ich mehr liebte, als mich selbst, verstummet für mich. Lebe Du nur wohl, und sage Deiner zweiten Mutter, daß es nur unwillkührliche Thränen seyn werden, die ich Deiner Abwesenheit weine; denn Alles, was gut, weise und edel denkt, wünscht mir Glück zu dem Schicksale, welches so gütig Dich in ihre Aufsicht führte. Lebe wohl! Unsre Bocquet läßt eben noch durch ihre sanfte Tochter Dir sagen, daß sie Deine recht herzlich liebende Schwester sey, und bleiben werde, und Auguste von Hacke schickt Dir dieselben Gesinnungen, aber freilich ein wenig zwischen Lächeln und Schmollen, denn Du hättest sie noch einmal mündlich grüßen sollen. Mit Anmerkungen muß ich schließen, dafür bin ich.

Deine

redliche Mutter,

C. L. v. Klencke.
[107]

Gern würde ich meinen Lesern die Sammlung der Briefe meiner verklärten Mutter an mich ganz mittheilen, der Leiden ohne Maaß, die sie in den sechszehn Monaten seit meiner Trennung bis zu ihrem Tode erduldet, und der Treue und Liebe eines Mutterherzens ewig rührende Zeugnisse. Der Raum dieser Blätter verstattet mir indeß nur kurze Auszüge, die ich nur, wo es unumgänglich nöthig ist, aus den Stellen wählen werde, wo sie von mir spricht. Das Mutterherz spricht, und dies sey gesagt, um den richtigen Maaßstab zu finden, nach der Mutter liebevollen Worten mein eignes Bild zu vollenden.


16 Juni 1801.


Ich war die ersten acht Tage nach Deiner Abreise nicht eben unruhig, aber matt und ohne Lebenslust. Nachher fand ich mich in die Nothwendigkeit, und jetzt bin ich ganz ruhig, ja, in einer Ruhe, die dem Schlafe gleicht, befinde ich mich. Ach, alle scharfe Ecken meiner Empfindlichkeit sind ja abgeschliffen durch die traurigsten Erfahrungen; nun werd' ich, gleich dem glatten Kügelchen, aus der spielenden Hand des Knaben in das kleine Grübchen auf der Erde, in mein Grab vollends[108] vom Schicksale bineingerollt. Wäre es nur erst bis dahin gekommen, meine Sorgen gehn über mein Haupt, und sind so schwer, daß ich mich selbst nicht mehr darunter fühle. –


22. Juni.


Ich habe diesmal den 21. Juni ganz einsam für mich behalten. Morgens, als ich aufstand und frühstückte, standest und schwebtest Du vor und um mich her; die Erinnerungen aller Jahrstage seit Deinem Daseyn blühten, wie an einem Rosenstrauche vor mir auf, und dufteten liebliche Gefühle in meine Brust. Nein, Du bist mir nicht ferne, Du kannst es nie werden, außer, wenn Du Deine Denkart von der Meinigen trenntest. – Es wäre hart für uns Beide, wenn Du diesen Tag hättest neben mir begehn sollen, in dieser meiner trüben, äußerst bedrängten Lage! Ach! das sind nur Geburtstage, welche man im vereinten Kreise seiner Angehörigen, in der glückseligen Ordnung eines immer beschäftigten Hausstandes begeht! Das war für diese Welt mein höchster, mein einzig lieber Wunsch: ich hab' ihn nicht erlangt, so sehr ich auch mit dreifacher Erfüllung meiner Pflichten ihm entgegen arbeitete.


[109] 16. Juli.


... Doch so tief ich auch in Dornen sitze, so weiß ich nicht, woher der Rosenduft der Hoffnung kommt, der mich immer noch umschwebt: ich denke, mir muß geholfen werden, da ich so unschuldig an meinem Zustande bin; ich hoffe aber das nur, wie ein Kind auf seine abwesende liebe Mutter hofft, die vielleicht – doch gestorben seyn kann, weil sie, ach! zu lange ausbleibt. – Muß mir denn geholfen werden? O, Gott! wie viele deiner bessern Geschöpfe, als ich bin, mußten ihr Kreuz bis an die Stätte tragen, wo sie sich mit ihm, als auf ihrem Ruhebette in die Tiefe des Grabes legten. Laß es, die kühlende Erde heilt alle Wunden. Ich weine nicht mehr Thränen für diese Welt, Deine gute Seele, meine Liebe, kenne ich, wenn's zur Prüfung kommt, bist Du das Kind, wie es seyn soll; allein für mich von dem zu sammeln, was Dir Frau von Genlis zu Deinen kleinen Ausgaben giebt, sie, die selbst Sorgen hat, das thue nicht! Kannst Du aber, vermöge Deiner Geschicklichkeit und Deines Fleißes, Etwas erwerben und mir schicken, siehe, und wenn es das kleinste wäre, so würde ich stolze Freudenthränen darauf weinen, und mich nicht satt daran sehen, nicht Lust genug daran haben können!


[110] 14. Aug. 1801.


Wie glücklich bist Du, auf allen Seiten betrachtet! Angeschmiegt an den vortrefflichsten Wesen, hat Dein Gemüth die Erinnerungen an vergangene böse Stunden nur zur Versüßung der köstlichen, die Du jetzt genießest, in sich ruhen, und nie mögen sie ganz aus Deinem Gedächtniß verlöschen, weil ich nicht wünsche, daß ähnliche Dir wieder nachkommen – ach, diese möchten bittrer werden, als die Ueberstandenen! Denn unsre Freudengenüsse erhöhen mit den steigenden Jahren nur unmerklich, meistens gar nicht, unsre Gefühle, aber für die Leiden werden sie geschärfter. –

Alles, was Du, in den Armen Deiner Freundin ruhend, herplauderst, erquickt, beruhigt die Einsame, die Du hier mitten im Sturm, nur auf ein Brett gerettet, den Wellen hast überlassen müssen. Ja, Deinetwegen bin ich so ruhig.


17. Sept. 1801.


Du gedenkst für mich zu arbeiten, um mir Geld schicken zu können. Gutes Kind! das Glück sollte Dir die Freude wohl machen, denn Dein Herz ist es werth; aber Deine zweite Mutter ist[111] Dir jetzt näher als ich, sorge ja nur immer, dieser etwas zu ersparen! Du schreibst mir, daß sie unbeschreiblich an Wäsche bestohlen ist. O, Minchen! sieh, hier bist Du nun auf den Standpunkt Deiner Pflichten gesetzt: Frau von Genlis muß ihre edle Zeit zu Gold machen, um ihre und Deine Existenz zu befördern, hilf ihr doch auf das Ihrige Acht geben, Du wirst dadurch die Tugend der Ordnung Dir angewöhnen, und so manches andere Gute wird daraus hervorgehen. Sparsamkeit und Aufsicht sind die Grundpfeiler des häuslichen Glücks, und das häusliche Glück geht über alles Glück, der Erde. –

– Ja, ich will Maurer den Vorschlag machen, den Du wünschest. Ach, mir wird's schauerlich und bänglich wohl um die Brust, wenn ich in solchen Worten Dich im Sinnen betreffe, und wie Du eiferst, Deinen Arm bis nach mir her auszustrecken, um mich von irgend einem Leiden aufrichten zu können. Ist es denn so Dein Ernst, Du Gute? Laß es doch nur nicht so Dich treiben, Du machst mir Kummer mit Deinem Kummer um mich – und, Liebe! vernimm's: eh Deine Barke nur gebauet seyn kann, muß ich schon versunken, oder wunderbar an's Land geworfen seyn. Um mich her hängt eine fürchterliche Nacht, ohne Blitz und Donner, aber schwül, und kein Lüftchen[112] weht: der Athem der Natur scheint aus Bangheit sich zurück zu ziehn – und doch ist es ruhig in mir, ruhig, wie es dem Kranken auf dem äußersten Punkt der Krisis ist.

Maurer wünscht, daß Du in unsrer Sprache ein fortgesetztes Werk, oder, wie es Stoff und Zeit mit sich bringen will, schreiben möchtest: über Sitten, Lebensart, Moden, und kurz über alles, was Frankreich außer den politischen Verhältnissen Merkwürdiges in seinem Innern und in seinen bürgerlichen Verhältnissen hat. Dazu will er aber keine Beschreibungen von Gebäuden und Gegenden, noch von Kunstwerken, über die Jedermann schon schreibt und redet; aber von Künstlern und Gelehrten und deren Einfluß auf's Ganze. Kurz, hier ist der Titel zum Werk, den Maurer selbst geschrieben hat, und zugleich seine wahre Meinung, in welcher Art er die Beschreibungen vorgetragen wünscht; nämlich in Yorikscher Manier8.


An meine Mutter.

[113] Versailles, November 1801.


Meine gute, theure Mueter! Der gütige Léonce überbringt Ihnen dies Schreiben nebst meinen Uebersetzungen der Apostasie an Fräulein Clermont, zwei Pfund Schokolate, und einigen kleinen Gemälden, u.s.w. Ich habe mehrere schicken wollen, aber es war nicht möglich, und das thut mir recht innig leid. Auch den Freundinnen hätte ich gern mit dieser Gelegenheit manches geschickt, und konnte nicht; – so manches, was ich so gern erfüllen möchte, so heiß ersehnt, und so nahe glaubte, ist für jetzt nicht möglich – und ich finde das hart, und muß es beweinen. Empfangen Sie ja Léonce recht freundlich, ich bin ihm manche Verbindlichkeit schuldig. Er wird Sie sehen, und ich nicht. – Wenn Sie glücklich wären, so würd' ich das nicht so heiß beweinen. – Wir haben drei Tage in Paris zugebracht, ich würde darüber geschrieben haben, wenn ich nicht vieles für Mad. Genlis zu kopiren, und andre Geschäfte gehabt hätte. W. hat mir einen langen, sehr freundlichen überzuckerten Brief geschrieben, und bittet dringend um Antwort, und Verzeihung wegen seines langen Schweigens. Er schreibt von Ihnen, liebe Mutter, daß er bei seiner letzten[114] Reise nach Berlin den Zweck gehabt, Sie aufzuwecken, weil Sie seit zehn Jahren über Müdigkeit im Schreiben klagten, Sie hätten ihm aber geschrieben: Sie bedürften mehr als Worte, und er sähe ein, daß er zu diesem Mehrern leider Ihnen zu ferne, und wohl nicht geeignet wäre. Er setzt hinzu:

»Es giebt ein früheres Alter des Lebens, worin bloßer Umtausch der Empfindungen schon genüget, worin Mittheilung und Ergießung des Herzens in Kümmernissen und Freuden hohen Werth, gleich einem wirklichen Gut, haben; allein ihm folgt ein späteres Alter – dann wird's anders – jene geistigen Bedürfnisse verdünsten, und dann bedarf's freilich mehr als Worte! –«

Die liebenswürdige Stephanie9 sendet Ihnen diese Rosenknospe, sie nimmt innigen Theil an Ihrem Schicksal; wenn sie in guten Händen bleibt, wird sie ein Engel. Ich sehe oft die deutsche Familie, von welcher ich Ihnen geschrieben habe, die Frau wird mir lieber, je öfter ich sie sehe. Dies Ehepaar hat unsre göttliche Königin und ihre Geschwister erzogen. Die Prinzessin Ludwig lebt glücklich, wie sie mir versichern, und das[115] entzückt mich. Die Königin und ihr Bruder, der Erbprinz, sollen eine noch schönere Seele, als ihre übrigen Geschwister haben. Alle diese fürstlichen Kinder haben die glücklichste Jugend genossen, in ihrem Herzen wohnt die zarteste Empfindung, und ihr Verstand hat die höchste Ausbildung erhalten. Wie rührend und schön sind so viele Jugendzüge, die ich hier aus dem Munde des Obristen von Gräfe und seiner würdigen Gemalin erfahre! Ich würde den Brief nicht endigen können, wenn ich das Alles niederschreiben sollte. Nur Eines vom Erbprinzen George. Er reiste mit seinem Hofmeister nach Schweden. Er kam unterweges an die Stelle, wo Gustav Adolph gefallen. Hier verweilte er, tief gerührt, betrachtete lange und schweigend die Gegend umher, beugte sich dann nieder, pflückte einen Grashalm ab, und legte ihn in seine Schreibtafel, neben das Bildniß seiner Schwester, der Königin. Kurz nachher wurde er dem Könige von Schweden vorgestellt. Dieser sagte dem Erbprinzen unter andern, er wünschte wohl ein recht ähnliches Bildniß seiner Schwester Luise zu sehen. Der Prinz öffnete seine Schreibtafel, um dem König dies Bild zu zeigen, in demselben Augenblick fiel der Grashalm von Gustav Adolphs Denkmal auf die Erde, und der hocherröthende Prinz bückte sich,[116] ihn aufzuheben. Gewiß etwas Liebes! sagte der König, diesen Vorgang bemerkend, mit Lächeln, – der Prinz schwieg und erröthete noch mehr, da mußte Hr. v. Gräfe die Wahrheit erklären. – Mich hat dieser feine Zug sehr gerührt, – auch die Herzogin von Sachsen Hildburgshausen soll ein wahrer Engel seyn. –

Sie machen mich recht traurig, liebste Mutter, daß Sie Sich so sehr über die Albernheit mancher Menschen grämen. Streben Sie doch nur nach dem Beifall derer, die durch Geist und Gemüth mit Ihnen auf Einem Standpunkt stehen, und wenn auch diese Sie verkennen, so sey es Ihr Trost, daß verkannt werden ein Unglück ist, welches nur gute Menschen betrifft, u.s.w.




Meine Mutter an mich.

Freund Ahlefeldt hat mir neulich von unserm Jean Paul ein allerliebstes Briefchen zum Lesen gebracht, worin er von seiner Karoline sagt, daß sie ihm seine Tage so schön webe, daß er darüber Besuche und Briefschreiben vergäße, daß er von nun an in der dümmsten Stadt leben könnte. Ich habe sie nach Kassel und Baireuth geführt, um sie zu entzücken, schreibt er; das Briefchen hat mir viel Freude gemacht.


[117] Den 25. Januar 1802.


Ahlefeldt hat mir gestern eine recht unverhoffte Freude gemacht, er war bei mir, und bemerkte Deine Novellen und übrigen Arbeiten, die ich eben Abends zuvor zur Hand genommen, um sie dieser Tage H. Maurer zu schicken. Ahlefeldt hat sich sogleich die Novelle vom Ringe aus, um sie zum Druck zu befördern10. Als Schriftstellerin kannst Du von nun an in froher Hoffnung leben; würden doch alle Deine schönen frommen Wünsche so erhört!


26. Januar Vormittags.


Nachdem ich gestern den ganzen Tag bis Abends an obigem Briefchen zugebracht, mußt' ich aufhören, ohne diese Seite zu Ende bringen zu können, selbst lesen konnt' ich in zwei Tagen nicht, diese Nacht aber habe ich gut geschlafen; die Krankheit scheint erschöpft zu seyn, und ich fühle mich heute wohler, so daß ich aufzustehen gedenke. Darüber wirst Du Dich freuen; allein schreiben kann ich doch heut nicht viel, nur das Daseyn dieses Tages, welcher recht schön am Himmel steht, will ich dankend genießen. Kind meines Herzens! Tausend, tausend Freuden hast Du mir gegeben, tausend[118] Hoffnungsblüthen der Freude versprichst Du noch der Zukunft von Dir, Blüthen, welche das längste Leben weit überschimmern! – Nimm, Geliebte! diese Worte, in welchen ich mich glücklich fühle, als einen Segen über Dich hin, als den besten, den ich Dir heute und immer geben kann!


Nachmittags 2 Uhr.


Theures Kind! eben wollte ich Dir's noch sagen, daß ich von Stunde zu Stunde wohler werde, und vorhin schon im Gärtchen spaziert habe, im herrlichen Sonnenschein Deines ersten Tages, der mir immer mein Erdenleben seit den neunzehn Jahren Deines Lebens ausgefüllt hat. Ich sage, daß ich mich immer wohler und gar nicht mehr matt befinde; aber was soll ich nun sagen? Ich habe vor einer halben Stunde Dein Paket empfangen; welch einen süßen, herzerquickenden Anblick gewährte mir das so sehnlich gewünschte, langausgebliebene! Flüchtig hab' ich alles überschaut; denn die Post geht eben heut, aufgerissen hab' ich die Siegel, und welch ein Engel trat mir entgegen aus dem ersten Brief, den ich eben erbrach, datirt vom 22. Nivose! Ich weiß nicht, welcher Monat das ist, aber ich fühlte, daß mein Kind, mein gutes Kind, die Wahrheit liebende Helmina, unbeschreiblich süßen Trost in mein erdrücktes Daseyn,[119] in mein zu wundes Herz goß, mit den Worten einer gebesserten Tochter! Besser, liebstes Kind, brauchtest Du nicht zu werden, Du warst immer guten Herzens; aber freier von äußeren Fehlern mußtest Du werden, und es waren nicht einmal Fehler, sondern nur Nachlässigkeiten. Gott gebe doch allen guten Müttern solche Töchter, wie mein Minchen ist!


den 9. März 1802.


Wie wirst Du bangen, wenn Dir Nachrichten von mir ausbleiben. Das glaube ich; denn Du trägst wahren Kummer um mich, Dein Herz hat es mir gesagt, nicht allein in Deinen Briefen aus Frankreich her, sondern in allen Handlungen Deines Lebens. Mir zu Liebe hast Du Alles gethan, selbst das, was Dir fehl schlug; mir zu Liebe, mir Ausgaben zu erleichtern, drängtest Du aus Dir den Trieb zum Malen, (darum sollen jene Medaillons, die Erstlinge Deiner Kindesliebe mir immer heilig bleiben11), mir zu Liebe wolltest Du heirathen, gingst durch alle seine harten[120] Schicksale mit Ruhe der Seele, und endlich nach Frankreich. Mir zu Liebe wurdest, bist und bleibst Du Schriftstellerin, Dein einziger Zweck dabei ist, mir Erleichterung zu schaffen, – ich weine jetzt und zittre, aber vor Wonne über Dich, mein gutes, mein gesegnetes Kind! Dein Wille ist hier mehr als That, auch unausgeführt ist er die Krone Deines Lebens. Warum hast Du, mein Engel, mich verlassen müssen? Aber sey ruhig, ich bin jetzt es auch. Ich lebe hier wie im Himmel, in einer neuen gesunden Wohnung, dem Hause gegenüber, in welchem Du geboren bist. Oft gedenke ich der Zeit Deiner hülflosen Kindheit; jetzt ist es umgekehrt, jetzt bin ich die Hülflose. Ach wirst Du jemals mir Mutter seyn können? Lasse das, was nicht seyn kann, das muß unterbleiben. Gott wird ferner helfen, ich kam ja bis hieher. –


Den 21. Juni 1802.


Heute hat sich das traurigste Jahr meines Lebens geschlossen, so schwer an Kummer und körperlichen Leiden, so leer an Ermunterungen, ach! so niederdrückend selbst für die Erinnerung vergangener Jahre voller Freude und Hoffnungen. Nur du, geliebtes Kind, giebst mir durch Dein Betragen gegen mich, wie durch die ehrenvolle Art, womit Du in Deiner Lebensrolle fortschreitest,[121] noch ein dankbares Gefühl zu Gott für mein fortdauerndes Daseyn. Der heutige Tag ging Trüb' und leer vorüber, selbst die gute Auguste v. Haake, die ihn sonst nie verfehlte, hat sich noch nicht sehen lassen. Niemand hat mir heute eine Blume gepflückt, ja ich habe diesen ganzen Frühling noch keine Rose gesehen, weil ich gar nicht ausgehen kann. Das Gehen fällt mir so sauer, ich muß mich überall ausruhen. Mein Unterleib ist durch die Krämpfe so sehr geschwächt. Gestern zum erstenmal fuhr ich ein wenig aus, es bekam mir ganz gut, und ich werde es nun öfter thun; denn ich bekomme ja von Maurer Dein zweites Honorar, Du liebe, Du schöne, vernünftige Schreiberin. Dafür will ich öfter auf die Dörfer fahren, u.s.w.


Berlin, den 9. Juli 1802.


Warum muß mir die Kraft fehlen, mit Dir reden zu können? Ja, warum fehlet mir die Kraft, Deine rührende Stimme ganz in mich aufnehmen zu können? Welch' einen Brief habe ich heute von Dir empfangen. Er ist vom zweiten Pfingstfeiertage datirt12, wo ich, wie Kleist's lahmer[122] Kranich, an meinem Fenster saß, und alle Welt jauchzen hörte, und unter Gottes freiem Himmel alles fröhlich wimmelte, und ich nirgends mit konnte, weil mir das Gehen so schwer wird. Da bist Du bei mir gewesen, geliebtes Kind, so nahe, so innig, so schön! Ich war auch bei Dir; denn Du hast meine einsamen Stunden; aber ich darf nicht inniglich zu Dir hindenken, es giebt mir nur schärfere Schmerzen, als ich schon leide. So habe ich mir denn in Dir einen Zeugen der Wahrheit auferzogen, und Du bist es allein, die mir Gerechtigkeit wiederfahren läßt, ohne mir zu schmeicheln. Ja, Minchen, es schmerzt nichts so sehr, als Jahre voll der trübseligsten Schicksale gelebt zu haben, und dafür nur Verfolgung, Kummer und Armuth zum Lohne zu bekommen, und dann sterben zu müssen, ohne daß eine Seele auftrete, die Einem Gerechtigkeit widerfahren ließe. Diesen Schmerz nimmst Du von meinem Herzen ab. –


Berlin, den 17. Aug. 1802.


Meine Geliebte! Ich werde Dir heute nur wenig schreiben, weil mir das Schreiben zu schwer[123] wird; aber dafür auch lauter Gutes. Möchte es beflügelt zu Dir Bekümmerten hineilen, die gewiß meinetwegen recht sehr leidet, und vielleicht vom ersten Eindruck der traurigen Nachrichten von mir gar krank geworden ist. Das wolle Gott nicht! Dein Leben ist meines Lebens Rose, laß mich nur nichts Trübes von Dir hören! Deine Schmerzen, Dein Kummer stillen doch meine Schmerzen und täglichen Leiden nicht. Sey also heiter, liebe Seele, damit ich eine frohe Sonne in der Welt habe, an der ich mich noch erquicke; denn des Himmels gütige Sonne, sein Mond und seine Wolkengebilde, die ich so gern betrachtete, gehn dies Jahr für mich verloren. Ich weiß nicht, ob ein Tag oder eine Nacht ist, weil Beide mir keine Kraft zum Denken und Fühlen übrig lassen; aber ich vergesse mich, ich wollte ja nur wenig schreiben, und Dir nur das Beste sagen, dieses ist, daß ich merkliche Schritte zur Besserung mache. Meine Natur ist vortrefflich. Wäre ich nicht gewaltsam so heruntergerissen worden, ich lebte über hundert Jahr. Mein Leib ist nicht mehr so stark, er ist über die Hälfte geschwunden; ich kann wieder auf beiden Seiten liegen. Der Geschwulst an den Füßen ist rein weg, und ich kann von Zeit zu Zeit eine Weile lang am Fenster stehn, nur gehen und sitzen kann ich durchaus nicht,[124] hoffe aber, es werde sich auch mit der Zeit finden. Uebrigens bin ich völlig abgezehrt, werde Tag und Nacht vom Husten geplagt, alles, was ich genieße, muß ich mit Schmerzen und Spannung abbüßen, daher ich mich vor allem Genuß fürchte, und doch esse ich gern und habe ziemlichen Appetit. Kurz, wenn der Abend erscheint, so muß ich von jedem Tage sagen: es war ein elender Tag, nur die Freundschaft noch durchwehr ihn mit Linderungen. Denke Dir, die theuren beiden Knebels redeten mir zu, den König um eine monatliche Hülfe zu bitten. Minchen selbst schrieb den Brief in's Reine; denn ich selbst war es nicht im Stande. Sr. Majestät beantworteten die Supplik mit einem Huldgeschenk von 20 Friedrichd'or, nachdem Er einige Tage zuvor durch die Vorsprache unserer himmlischen Berg mir 2 Friedrichsd'or und die Königin eben so viel gesendet hatte. Sieh! wie reich ich nun auf einmal bin, aber das Gesuch auf monatliche Unterstützung ist mir abgeschlagen, weil jetzt kein Fonds vorhanden sey. Indeß ist das Geschenk ein so schöner Beweis von des Königs mildem Herzen, den ihm der große König nicht gleich gethan hätte. Freue Dich nun, liebes Kind, Deine Mutter ist auf lange, lange Zeit vor Mangel gedeckt, und das durch solche Personen, ein König, eine Königin, eine von [125] Berg und die unübertreflichen Knebels, die sich herzlich freuen; aber es kann noch besser kommen.

Lebe wohl, Theuerste! Wie sehne ich mich nach Nachrichten von Dir! So sehne ich mich nach meiner Gesundheit nicht; denn was hilft sie mir, wenn Kummer um Dich sie wieder zerrütet?


Berlin, den 4. Septbr. 1802.


Meine Geliebte!

Endlich habe ich doch einmal Nachricht von Dir erhalten, in zwei Briefen, datirt vom 16ten Juli und 1sten August. Es beruhigt mich ungemein, daß ich Dich über meine Lage beruhigter weiß, und daß Du auf meinen Tod gefaßt bist. Ich werde täglich schwächer, und kann mir allein nicht mehr aufhelfen. Mit der innigsten Sehnsucht sehe ich meinem Tod entgegen. Ach! für das, was ich ausstehen muß, kommt er viel zu langsam. Du siehst, daß ich selbst nicht mehr schreiben kann, und vielleicht ist selbst dies der letzte Brief, den ich an Dich diktire. Ich habe mir ein paar saure Tage gemacht, und durch Diktiren alles in Ordnung gebracht, was zu meinem Nachlaß und zu meiner Beerdigung gehört, so, daß ihr beiden Kinder nicht die geringste Unruhe durch mein Absterben haben werdet; vorzüglich habe ich[126] zur Bestreitung der Kosten, welche bei einem solchen Fall erfordert werden, die bewußten 20 Stück Friedrichsd'or deponirt.

Nun zu Deinen Angelegenheiten, liebes Kind. Deine Nachrichten von allem, was Dir begegnet, haben etwas Angenehmes und Erfreuliches, und ich wünsche, daß Deinem Leben die Rosenfarbe solcher Erscheinungen nie verlösche. Besonders ergötzt mich das neue Freundschaftsbündniß, welches Du geschlossen hast, und welches Dich so glücklich zu machen scheint; allein auf der andern Seite bin ich doch nicht ganz ruhig dabei, Du hast ein zu gutes Vertrauen zu allen Menschen, und besonders pflegt die Liebe ein blindes Zutrauen mit sich zu führen; ich fürchte, daß, wie es allen jungen Herzen geht, Du den Kern für die Schale hingeben wirst. Du fällst ein sehr freundliches Urtheil über Deinen erwählten Freund; allein was ist er? welche Geschäfte treibt er? in welchem Amte steht er? und welche Aussichten hat er, um sich künftig familienmäßig zu etabliren? – Auf diese äußerste wichtigen Fragen bitte ich mir von Dir augenblicklich die bestimmtesten Antworten aus, ich würde sonst Deinetwegen sehr unruhig aus der Welt gehen; denn ein Mann ohne Amt und Aktivität ist der gefährlichste Liebhaber, und so geschickt er auch[127] sey, so fehlt ihm doch das, was ihm erst eigentlich die öffentliche Achtung sichert. Ich habe weder die Kraft noch Gedanken, mich weiter darüber auszulassen. Du hast Verstand genug, um diesen meinen Winken reiflich nachzudenken. Du bist unglücklich genug, lasse nicht etwa die Liebe Dich noch unglücklicher machen. Du erwähnst, es könnte bis zur Schließung eures Bündnisses noch Jahre lang dauern: Jahre nähren, aber verzehren auch die Hoffnung, und wenn man nur glaubt, aß alle Umstände zusammentreffen werden, um uns zum Ziel unsrer Wünsche zu bringen, so sehen wir uns plötzlich getäuscht, und das verlassene Herz hat nichts mehr zu hoffen, als eine trostlose Zukunft.

Von den Commisionen, die Du mir aufträgst, werde ich schwerlich noch eine besorgen können, da ich durchaus um diese Welt mich nicht mehr bekümmern kann; was mir aber möglich ist, will ich thun. Ueberdem habe ich gestern von Gleim Auftrag und Geld bekommen, um einen Leichenstein auf der Großmutter Grab zu besorgen, welchen er herschicken wird, und der mir viel Unruhe macht, indem ich von dergleichen Sachen gar keine Kenntniß habe.

Nun noch eins von Allem: Du willst Dich in Rüstung gegen meine Verfolger setzen; unter den[128] Lebenden habe ich keine mehr, sondern lauter seltne, himmlische Freunde. Das kleine Geschmeiß wirst Du doch nicht des Fehdehandschuhs werth achten? Sie sind die Mücken und Fliegen, welche nie den Rechtschaffenen in Ruhe lassen, die man aber verachtet. Oder willst Du mit den Schatten kämpfen, die schon in Pluto's Reiche hausen? – Du kennst die Quelle alles meines Unglücks und meiner ausgestandenen Verfolgung, und gewiß hast Du ihr viel Gutes zu danken. Wo Du sonst noch etwa hindenken magst, daß mir Böses geschehen, da irrst Du überall. Ueberhaupt sind Dir alle wichtigen Umstände meines Lebens, wodurch es unglücklich geworden ist, völlig unbekannt; wie wolltest Du nun meinen Lebenslauf gehörig schreiben und meine Feinde strafen, deren Handlungen wider mich Du nicht weißt? Alles, was Du in dem Fall thun kannst, ist: Dich auf das zu besinnen, was Du während Deines Daseyns an Unrecht gesehen hast, das mir widerfahren ist, und dagegen das Gute aufzustellen, was Du etwa in meinen täglichen Handlungen beobachtet hast Dieses, liebes Kind, ist mein letzter Wille13, dies[129] wird dann Deinem weiblichen Charakter keinen wilden Anstrich geben, und als einfache Wahrheit in jedes Herz dringen.

Nun, Gottes Segen immer und immer über Dir, und die schöne Hoffnung künftigen herrlichen Wiedersehens sey Dein Trost! Lebe wohl, Lebe wohl! Dies werden meine letzten Worte für Dich seyn, die ich in treuster Liebe für Dich ersterbe,

Deine Mutter,

C. L. v. Klencke.


Am 21. Sept. Nachmittags wurde die Dulderin von allen Leiden ohne Maaß durch einen herzlich ersehnten Tod befreit. Einsam, ohne ihre Kinder, mußte sie sterben, sie, welche ihre Mutter bis in den Tod liebevoll gepflegt und erquickt, sie, die treuste, redlichste Mutter, die nur für ihre Kinder gelebt hatte! – In ihren letzten Lebenswochen hatte sie von mancher edlen[130] Freundin Hülfe und Pflege empfangen. Auguste v. Haake, Henriette und Minna von Knebel, Madame Boequet, und vom Lande aus Fr. v. Heidebreck geb. v. Brand, Fr. Karoline von Berg geb. Gräfin v. Häseler, nahmen sich treu und herzlich der Freundin an. – Segen über sie Alle! Und im Tode werde noch für die letzte Equickung getröstet die edle Hofräthin Schmidt geb. Schlüpmann, meiner Mutter Jugendfreundin, welche sie noch in den letzten Stunden erquickte und tröstete.

Diese edle Freundin, die eine hülfreiche Mutter der Armen und Kranken, von stiller reiner Tugend, und eine geprüfte Dulderin vor Gott ist, hat mir hier in Berlin, wo ich sie wiederfand, noch gesagt, wie meine gute Mutter sich in den letzten Stunden liebevoll mit meinem Andenken beschäftigt, und mich bis zum letzten Hauch gesegnet habe.

Zum Denkmal auf ihren Hügel hatte sie ein schwarzes hölzernes Kreuz gewünscht, in dessen Mitte sollte ein weißes Kreuz gemalt seyn, mit den Worten: Es drückt nicht mehr.

Kein Denkmal bezeichnet ihre einsache Gruft auf dem Luisenkirchhof gegen die Abendsonne und[131] die Pappeln hin. Ihr Denkmal sey der Segen, der ihren redlichen Bestrebungen zu Theil geworden.


Während der Leidenszeit meiner armen Mutter mußte ich ihr den Kummer verschweigen, den ich selbst im Hause Derjenigen erlitt, die mich durch die liebevollsten Verheißungen den Meinigen entrissen hatte. Die Verschwendungen ihres Pflegesohns setzten sie ausser Stand gehörig für mich zu sorgen, und ich mußte das sehr schwer empfinden. Ich bemühte mich also ein anderes Unterkommen zu finden, womit Fr. v. Genlis, gestimmt durch ihre Umgebungen, völlig einverstanden war. In diesen Mauern hatte ich es zu herbe empfunden, was Abhängigkeit sey, als daß ich es hätte von neuem versuchen mögen. Es war damals eine Zeit des Friedens und des Wiedaufblühens aller geistigen Wirksamkeit. Durch den Herrn Joh. Gottf. Schweighäuser, meinen wackern Freund, den ich bei dem edlen Prediger der schwedischen Gesandschaft, Herrn Gambs, kennen gelernt, erfuhr ich, daß Cotta, dessen Antheil an der Beförderung[132] vaterländischer literarischer Wirksamkeit stets Dank von uns verdienen wird, französische Miszellen herauszugeben wünschte. Herr Schweighäuser schlug ihm vor, mir die Redaktion zu vertrauen, und Cotta schlug ein. Nun konnt' ich meiner Mutter schreiben, daß ich Arbeit und Brod habe, und Fr. v. Genlis verlassen würde. Zugleich schrieb ich ihr von der Aussicht, die sich mir eröffnete, eine glückliche Verbindung zu treffen. Da die Miszellen erst im Januar 1803 herauskommen sollten, hatte ich noch Muße, das Anerbieten eines würdigen Schweizers, des Grafen von Escherny, anzunehmen, zu meiner Erholung einige Monate auf seinem Landgut bei Versailles zuzubringen. Ich lebte hier, so besucht dies Haus war, größtentheils nur einem tiefen, trostlosen Schmerz, den die Freundschaft des edeln Grafen und seiner liebenswürdigen Hausgenossinnen vergebens zu zerstreuen suchten. Escherny war ein ächter Schweizer, im schönsten Sinn des Wortes. Er hatte mit Diderot und Rousseau in freundschaftlichen Verhältnissen gestanden, war noch beseelt vom Gefühl einer bessern Zeit, die er in Frankreich hatte untergehen sehn. Er war Schriftsteller[133] und wissenschaftlich gebildeter Sprachkenner, hatte die berühmtesten Länder in Europa besucht, und war auch vortrefflicher Musiker. Nun, im siebzigsten Jahre, blies er die Flöte zum Entzücken, und sang noch sehr ausdruckvoll. Wöchentlich hatte er ein kleines Konzert. Sein Haus wurde von vielen Schöngeistern besucht, unter andern lernte ich dort Fanny Beauharnois kennen, die bekannte Schriftstellerin, eine Frau, deren Geist und Herz in seltnem Einklang standen. Ich besuchte sie von Zeit zu Zeit, und fand ihren Umgang sehr liebenswürdig. Sie ließ sich, nach der Weise jener Frauen von Geist, gern ein wenig mit Weihrauch umgeben, und da sie kein sehr glänzendes Haus hielt, und schon sehr alt war, so waren es nicht die Mode-Schriftsteller, die sie besuchten, sondern eine gewisse Parthei der mittelmäßigen Schöngeister fand sich bei ihr ein, die sie so freundlich war nicht zurück zu stoßen, und unter denen nur derjenige Genialität und Würze des Geistes besaß, dem außer dem Hause der Beauharnois wohl kein einziges sonst offen stand, Rétif de la Bretonne, der Verfasser des Coeur humain dévoilé oder Monsieur Nicolas, ein Buch, welches[134] Goethe's Beifall in hohem Grade erhalten hat. Wäre Rétif kein Franzose, und nicht so unglücklich gewesen, er hätte einer der ersten Schriftsteller seiner Zeit werden können. Er bedurfte nur sittlicher Würde, so würde die reine Gutmütigkeit, der Feuergeist und das Talent dieses Mannes ihm allgemeine Verehrung gesichert haben. Seine Paysanne pervertie, ein Gegenstück zu Marivaux's Paysan parvenu, ist ein Werk, in welchem man keine Ahnung von der vollkommenen Verderbtheit des Verfassers findet. Es enthält, vornehmlich für Frankreich, treffliche Sittenlehren, und schreckt vom Laster zurück. Rétif war arm, gerieth in die Revolutionistenzirkel, denen es vornehmlich um Umwälzung aller Tugend und Sitte zu thun war. Hier ist der Ort nicht, von seinen beispiellosen Verirrungen zu sprechen, und seines Namens sey hier nur gedacht, um ihn zu beklagen.

Es kann nicht genug wiederholt werden, daß die liebevollsten Gaben des Himmels in des Sterblichen Händen ihm zum Verderben gereichen müssen, wenn er mit dem Streben nach ihrer Vervollkommnung nicht das noch wärmere nach der höchsten sittlichen Würde vereinigt. Geist und[135] Talent sind die gefährlichsten Lockungen der Hölle, und können nur dann beglücken, wenn sie mit Bescheidenheit zur Ehre Gottes angewendet werden. Wie leicht vernachläßigt doch der arme Mensch, verblendet vom Beifall der Welt, die Sorge für die Veredlung seines Herzens, für die Ruhe seines Gewissens, und jagt nach dem Lustgebilde des Ruhmes, wähnend, er sey nahe daran das Höchste zu erringen – O nie genug zu beweinender Wahn! O, Eitelkeit der Eitelkeiten! – – Möchten wir doch erst in uns einen festen Grund der Gottesfurcht, Herzensreinheit und Tugend legen, ehe wir nach Ruhm vor den Menschen streben!

Im Hause des Grafen von Escherny sah ich öfters den bekannten Boissy d'Anglas, den unermüdeten Schriftsteller Delille de Gales (nicht den Dichter), der in vielen siebenzig Bänden leeres Stroh gedroschen hat, den bekannten Meßmer, dessen Wesen einfach und anziehend war, und der die Harmonika zum Entzücken spielte, Graf Hippolit von Murat, den Verfasser des unsichtbaren Prinzen, eines beliebten Romans, und viele andere Schriftsteller, deren Namen ich vergessen habe. Ebenerwähnter Graf[136] Murat war aus einer alten französischen Familie, und so wenig ich je den Adelstolz geliebt, gefiel es mir doch sehr, daß er das vom General Murat unter der Hand ihm geschehene Anerbieten, sich zu seiner Familie zu bekennen (wodurch der ehmalige Küchenjunge sich geltend machen wollte, als sey er von gräflichem Geschlecht) mit einem Abscheu und einem Muth von sich wieß, die seinem Herzen Ehre machen. Graf Murat war ein zurückgekehrter, damals armer Emigrant, hätte er Murats Anerbieten angenommen, so war sein Glück gemacht; damals schien Napoleons Gebäude auf ewigen Grundsäulen zu ruhen. Hippolit von Murat wußte nicht, daß er, indem er so rechtlich und muthig handelte, nicht blos den Grund zur Befestigung seiner Gewissensfreudigkeit, sondern auch den zu seinem künftigen Glücke legte; denn was wäre nun, nach dem Sturz aller damaligen Lieblinge Fortunens, aus ihm geworden, wenn er Anders gehandelt hätte? Möchte doch Jeder stets nur unbedingt das Rechte ergreifen, wenn es gleich seinem äußern Glück scheinbar entgegen ist, das Rechte kann nur zum Glück führen!

Im Spätherbst begab ich mich in das Haus[137] des Buchhändlers Henrichs, wo ich fleißig an den Miszellen arbeitete, und viele Menschen sah, so daß eine Menge von Zerstreuungen aller Art mich meinem heißen Schmerz um meine Mutter scheinbar entrissen, indem sie ihn übertäubten. Ich ging Sonntags früh die Kollegia zu hören, die Fried. Schlegel über Poesie und Kunst las; ich traf dort viele Deutsche, deren Angedenken mir theuer bleibt: Carl Freiherr von Hardenberg-Reventlow und dessen liebenswürdige Gemalin, dessen Freund Herr v. Bülow, nachherigen Finanzminister, den Freiherrn v. Otterstädt, Hrn. Achim v. Arnim, den wackern Schweizer Muralt, den gelehrten Dänen Oersted, den verewigten Reichardt, den Professor Jägemann, unsern Wallenberg (Dr. Meyer), der in Torgau, ein treuer Arzt unsrer Verwundeten und Kranken, am Nervensieber starb, nachdem er auf dem Todbett noch das eiserne Kreuz empfangen, und viele andere wackere Männer mehr. Die Zeit ruhte damals in dumpfer Gewitterstille, welche uns ruhige, schwüle, milde Luft zu seyn schien, die wir ohne Bangheit einathmeten. Uns Allen, die in jenem Saal, mitten in Frankreich, ein[138] heiteres Streben nach Belehrung, und nach dem Genuß der Schönheiten deutscher Poesie vereinigte, ahnete nicht, welcher furchtbare Ernst des Lebens über uns kommen würde, und daß es Manchem von uns vergönnt seyn würde, das Höchste zu erreichen.

Bei dem Umgang mit Friedrich Schlegel erschloß sich mir eine neue, überraschend reiche und lebenvolle Welt von Begriffen, Bildern und Gedanken. Ich war in stiller Einsamkeit von meiner Mutter erzogen, nachher plötzlich in die Kartenwelt der Theezirkel und in die Frivolität der Pickenicks in Berlin versetzt worden, wo von keinem ernsten und mühsamen, künstlerischen Streben die Rede seyn konnte. Durch meine zu frühe Heirath und nachheriges trübes Schicksal, war ich der freundlich belehrenden Einwirkung entzogen, welche der Umgang mit meinen gebildeten Jugendfreundinnen auf mich hätte haben können. Dann kam ich zur Frau v. Genlis, welche in ihren literarischen Bestrebungen die Gränze des Gewöhnlichen nie überschritten hat, und welche sich mit mir nur bemühte, um mir das Französische gründlich zu lehren. In der Treuherzigkeit meiner Eitelkeit und in der[139] Selbstgenügsamkeit eines Dünkels, den ich nicht entschuldigen will, hatte ich die Redaktion der französischen Miszellen übernommen, deren drittes Heft schon die Farbe der neuen Eindrücke trug, die ich empfangen, die aber noch völlig unklar und verworren in mir lagen. Ich hatte im Vorwort des Ersten Heftes der französischen Miszellen gesagt: wir bedürften weder der Erfindung noch des spöttelnden Witzes, um unser Werk zu beleben. Daraus machte Friedrich Schlegel den Scherz, daß ich hiermit feierlich dem Witze und der Poesie abgesagt hätte. Dies verletzte mich tief, aber es gab mir Licht. Ich ging mit Schlegel und seiner geistreichen Frau fleißig auf die Gallerie der Gemälde, und sahe bald ein, wie Unrecht ich gethan, Guerin's theatralischen farblosen Hippolyt zu einem Meisterstück zu erheben. Ich lebte nun, fast wie ein unabhängiger Mann, ohne häusliche Pflichten, ohne Angehörige, ohne wahre Freunde, ganz der Poesie, der Kunst, den Anschauungen ohne Zahl, welches das damals höchst lebendige, blühende, heitre Paris darbot, und wenn ich an irgend eine Zeit meines Lebens mit heißem Schmerz über die in Nichtigkeiten und Wahn[140] verscherzten Tage zurückdenke, so ist es an jenes Jahr, wo meine wissenschaftliche und poetische Ausbildung so einseitig betrieben wurde, und wo ich so falsche Lebensansichten gewann. Ich vermeinte, stets nur der Poesie leben zu müssen, nie Gattin und Mutter werden zu sollen, weil die Ausübung häuslicher Pflichten mir drückend und gemein erschien. Ich stand dicht am Abgrund – wie wunderbar die Vaterhand Gottes mich durch Leiden errettet hat, auf welchen dunkeln und verschlungenen Pfaden mich der Allmächtige zur Erkenntniß des Rechten geführt, dazu fehlet mir in diesen Blättern Raum, und meinem Herzen gebricht es noch an Kraft, es auszusprechen.

Eine heilsame Einwirkung auf mein Gemüth hatte der Umgang mit der liebenswürdigen, edlen Juliette Récamier, mit ihrer herrlichen Freundin Annette de Gérando, mit Camille Jordan, und einigen andern wackern Leuten. Madame Récamier, der wegen ihrer Schönheit Vielberühmten, ist von einigen Menschen nicht völlige Gerechtigkeit wiederfahren, weil sie, die fast noch ein Kind war, ganz mit der Welt unbekannt, durch ihre Verbindung mit dem reichen[141] Banquier Récamier sogleich in glänzende Verhältnisse kam, und in den Strudel der großen Welt im üppigen Paris hineingerissen wurde. Der himmlische Vater wollte nicht, daß so viel Schönheit, Anmuth, Gutmütigkeit und Sittsamkeit, als in Julietten vereinigt lag, zu Grunde ginge. Sie blieb rein und gut, und bildete sich, durch den Einguß ächter tugendhafter Freunde und Freundinnen, zu einem Musterbild der Frömmigkeit, Herzensgüte, des Edelmuths und strenger Sittenreinheit aus. War sie in den Tagen ihres Glanzes, wenn gleich rechtschaffen und keusch, dennoch weltlich und etwas eitel, so zeigte sie sich hingegen im Unglück groß, und ging mit Glanz, als eine wahre Christin, aus vielen und schweren Prüfungen hervor.

Während ich so ganz der Kunst lebte, studierte ich Italienisch, späterhin Englisch und Spanisch. Der Umgang mit Hrn. von Chezy, den ich bei Friedrich Schlegel kennen gelernt, weckte in mir die Lust, aus der Quelle der Dichtungen des Orients, die zugleich der Urquell aller europäischen Poesie ist, zu schöpfen, ich fing das Persische an, doch die Pflichten der Frau und Hausmutter zogen mich bald von diesem Studium[142] ab. Ich hatte die Herausgabe der französischen Miszellen Herrn Schweighäuser übergeben, lieferte blos einzelne Aufsätze in diese, in Bertuchs und in andre Zeitschriften, und beschäftigte mich mit mehreren französischen Arbeiten. Ich gab unter andern eine Nekrologie meines Freundes Chodowiecky, und eine des berühmten Fernow in Millin's Journal encyclopédique, redigirte späterhin die Zeitschrift Thalie et Melpomène, und nahm noch an einigen Arbeiten des Herrn Silvestre de Sacy Antheil. Sodann gab ich mein Werk: Kunst und Leben in Paris heraus, welches Napoleon 1811 in Paris bei den deutschen Buchhändlern aufsuchen und prohibiren ließ.

Meine Unbekanntschaft mit den Namen der südlichen Formen, und meine Leichtigkeit, mich in eine jede hinein zu schmiegen, war Ursach, daß ich mein erstes Sonnet und meine ersten Stanzen und Terzinen dichtete, ohne zu wissen, daß dies Formen waren, die von der Schule geschätzt wurden, und welche damals noch ihre Schwierigkeiten hatten, über die man seitdem ganz gemächlich hinwegsprang. In den göttlichen Gedichten der Clotilde fand ich die Verse[143] der Justine de Lévis an den schlafenden Louis de Puytendre, die mich ihrer Zartheit wegen erfreuten, und die ich, ganz unwillkürlich, in die Form eines Sonnets brachte, welches ich sogleich Dorotheen Schlegel zeigte. Ganz vergnügt sagte mir diese: »Ey Helmina, Du hast ja ein Sonnet gemacht!« – Ein andermal wollt' ich den Wahnsinn eines unglücklichen provencalischen Mädchens, die vor dem Apollo von Belvedere den Verstand verlor, schildern, und ergriff sogleich die Form, in der ich eben etwas gelesen hatte. Ich zeigte die Verse Friedrich Schlegel'n, der überrascht und freudig ausrief: das sind ja Terzinen, recht schöne Terzinen! Ich klagte ihm, daß ich sie nicht weiter fertig machen könnte. »Ey,« sagte Friedrich Schlegel, »das sind ja eine ganze Menge, seyn Sie doch zufrieden, unser Einer ist froh, wenn er eine Seite Terzinen herunter hat!« Kurz darauf empfing ich ein Gedicht von Achim von Arnim, ungefähr fünfundzwanzig Stanzen, in denen er mich bat, die Gedichte von Clotilde de Surville zu verteutschen. Ich las dies anmuthige Gedicht mit einer Freude und einer Behaglichkeit, durch welche mir die Form sogleich eigen wurde; ich antwortete in[144] demselben Sylbenmaaß, und als ich es Friedrich Schlegeln zeigte, erfuhr ich gleichfalls die Neuigkeit, daß ich Stanzen, und zwar gute gemacht hätte. So waren mir denn ohne Vorsatz und Studium drei Formen geläufig geworden, die, nach den damaligen Begriffen, das Höchste erreichten. Ich übte mich nun fleißig, besonders im Nachbilden alt französischer Poesieen, und auf Friedr. Schlegels Bitte übersetzte ich für seine »romantische Dichtungen aus dem Mittelalter« die Geschichte der Eurianthe von Savoyen, und half seiner Frau den Merlin übersetzen. Für den Buchhändler Wilmans übersetzte ich die Herzogin v. la Valiere, von Frau v. Genlis; Dorothea Schlegel übernahm den zweiten Theil. Frau v. Krüdener lebte damals mit ihrem Sohn und ihrer Tochter in Paris. Sie besuchte die glänzendsten Cirkel, sah die ersten Gelehrten und Dichter bei sich, und lebte so recht der seinen Welt und ihren rauschenden Freuden; ihr ganzer Ehrgeiz ging damals dahin, den Roman Valerie, den sie eben vollendete, zu einem recht klassischen Werke zu machen. Dorothea Schlegel und ich bekamen diesen Roman im Manuscript und übersetzten ihn für die Verfasserin; ich zweifle,[145] daß diese Übersetzung je gedruckt worden ist; mir war der zweyte Band übertragen, und ich gestehe, daß ich etwas zu willkürlich damit umging. Dorothea's Arbeit hingegen war treu und ganz vortrefflich, das Werk nahm sich verdeutscht erst recht eigentümlich aus, so anmuthig und wahrhaft edel und zart die Sprache darin in seiner französischen Gestalt ist. Ich sahe Frau v. Krüdener oft, ich fand sie etwas zu ängstlich besorgt für die Ausbreitung ihres Romans, etwas zu begierig, die Huldigungen einzusammeln und zu verbreiten, welche ihr dieses Werkes wegen Vielfach zuströmten. Sie war stets eine feurige Seele, die, was sie einmal bezweckte, mit voller Kraft umfaßte. Sie hoffte vom Einfluß der Valérie eine vollkommene Sittenverbesserung für die französische feine Welt. Allerdings hätte diese einer Sittenverbesserung bedurft. Frau v. Krüdener war gegen Alle, die sie kannten, die Güte, die Theilnahme selbst, und im Umgang die liebenswürdigste und geistvollste Frau. Als ich sie, die ich 1802 in Paris mit Schriftstellerei beschäftigt, und im reichen Flitterglanz weltlichen Treibens gefunden hatte, 1814 in Karlsruhe wieder antraf, im schlichten schwarzen Überrock, mit gescheitelten[146] Haar, von Armen umgeben, von redlichem, damals noch gemäßigtem Eifer für das Wort Gottes erfüllt, und wie sie nun jedes andere Streben und geistige Ausbilden für nichtig erklärte: da freute ich mich innig, daß ein so gutes Herz den rechten Weg gefunden, daß eine so seltne, reiche Kraft nun ihren rechten Brennpunkt habe. Die Bestrebungen der Frau von Krüdener, die in der großen Welt gelebt hatte, waren stets auf ein höheres Ziel gerichtet gewesen, welches sie damals auf dem Wege erreichen zu können glaubte, den sie einschlug. Da sie ihren Irrthum eingesehn hatte, betrat sie muthig die entgegengesetzte Bahn, und mag sich auch die Stimme der Gemeinheit gegen sie erheben, sie hat gewiß viel Gutes gestiftet!

Als 1814 in Heidelberg Straßenräuber und Mörder gefangen saßen, ging Frau von Krüdener mit einem Erbauungsbuche in den Thurm, und suchte die gefangenen Elenden noch vor dem Tode mit dem Trost göttlicher Lehre zu erquicken. Sie wollte den verworfenen Sündern, welche noch jung waren, und schon einem nahen, schmählichen Tode entgen sahen, die Aussicht in ein besseres Daseyn eröffnen, sie wollte in ihren[147] Herzen Reue erwecken, weil Reue bei Gott Erbarmen findet. Diese Verbrecher waren verlassen, ein Gegenstand des Abscheu's; mußte es sie nicht rühren, daß eine edle Frau sie besuchte, um zu trösten, ihre Seele von Todesangst zu befreien, ihren Muth zu erheben? Gemeine Seelen haben diese That gerügt und verhöhnt, unbefangene und gottesfürchtige sahen etwas Erhabenes und Großmüthiges in diesem Schritt, der, so hoffen wir, nicht ohne Seegen geblieben ist. – Und hat sich nicht seit einiger Zeit in London ein Verein gebildet, die gefangenen Weiber und Kinder in Newgate mit den Tröstungen der Religion, mit Unterricht und heilsamen Beschäftigungen zu erquicken? Diesem Verein hat sich eine edle fromme Frau angeschlossen, welche im Gebäude selbst wohnt, und sich den wichtigen und herrlichen Beruf, diese gemeinen, von der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßnen Geschöpfe, anhaltend zu belehren, zu versorgen, zu erleuchten, gewidmet hat. Kapitalien werden zum Ankauf des Nothwendigen verwendet, die zahlreichen Mitglieder des edlen Vereins besuchen abwechselnd täglich das Gefängniß, und bringen Lehren, Hülfe und Trost in den Aufenthalt des[148] Jammers und der Verworfenheit. Bereits ist der sittliche Einfluß dieses Unternehmens sichtbarlich groß und erfreulich. Die Elenden, einst so verblendeten Wesen sind für die Tröstungen der Religion empfänglich geworden, sind zum Gefühl eines bessern Daseyns gelangt; sie streben eifrig nach dem Guten, betragen sich sittsam, und arbeiten sauber und fleißig. Dies herrliche Beispiel, welches ein edler Verein in London giebt, sollte allgemeine Nachfolge finden. Ist es nicht der Bessern Pflicht, sich der bejammernswürdigen Opfer der Verblendung und des bösen Beispiels, der verirrten Mitbrüder anzunehmen? kann der sittlich gute Mensch dem Himmel genug dafür danken, daß er nicht ist, wie diese, und kann er diese Dankbarkeit schöner bethätigen, als durch die Vorsorge für seine unglücklichen, verirrten Mitbrüder? Der ehrwürdige Wohlthätigkeitsverein in Berlin (und ohne Zweifel noch mancher andre Verein) sorgt auf das eifrigste für die sittliche Verbesserung der Armen, die seiner Milde theilhaftig werden; dies ist schon ein Schritt nach jenem Ziele hin. Man weiß, daß die Unglücklichen, welche das Zuchthaus verlassen, dort tückischer und schändlicher geworden[149] sind, als eh sie hinein kamen! – Woran liegt das? – und sollen wir uns in dieser Hinsicht von einer Nation beschämen lassen, die, so edel als wir sie kennen, doch gewiß nicht über uns steht!

Die genaue Darstellung der vielfachen Erinnerungen meines Lebens würde mich in diesen flüchtigen Umrissen zu weit führen. Manches läßt sich aus Rücksichten für verehrte Freunde nicht berühren; eine bloße Namenliste der vielen berühmten Gelehrten und Künstler, die ich in Paris gekannt, wo sie sich von allen Punkten Europa's her einfanden, würde nur ermüdend seyn, wenn ich gleich die Freude haben könnte, bei der Erwähnung der Meisten unter ihnen hinzufügen zu dürfen, daß sie mir als Menschen noch theurer und anziehender waren, als in Hinsicht auf ihren Ruhm. Gérard, den Maler, sah ich oft, der ein sehr liebenswürdiger Gesellschafter ist; ich weiß ausser seinem herrlichen Talent von ihm zu rühmen, daß er das Ehrenkreuz ausschlug, das Napoleon ihm geben wollte. Denon verdankt' ich den ungehinderten Anblick des Museums zu jeder Stunde, und den Genuß, die Statuen bei Fackelschein zu sehen. Ich war damals[150] (1802, 1803) von Buonaparte sehr eingenommen, und machte ihm ein Sonnet, welches ich ihm aber nicht erst zuschickte; ich wollte auch seine Thaten in einem epischen Gedicht feiern, aber ich war eben so getäuscht in meinen Erwartungen von meinem Talent zur Epopöe, als von dem Verdienst meines Helden, und am Tage, wo Enghien fiel, zerriß ich meine Stanzen, mit denen ich mir nicht wenig gewußt hatte:


Es irrt der Mensch, so lang er strebt. –


Das Sonnet ist mir nachher oft zum Vorwurf gemacht worden, weil es in meinen Gedichten steht; ich habe doch noch so manches Andre darin, welches mit dem Gedicht in keinem Zusammenhang steht, so viele Andeutungen einer Hoffnung zu Deutschlands Befreiung!


»O, wenn ich hier in oden Mauern

Verweilend sinn', im bangen Trauern,

Wo noch der alten Größe Bild,

Aus Trümmern auf mich schaut so mild,

Wo üppig sich der Epheu webt,

Dort, wo das Bild der Fürsten lebt,

Die einst von dieser stolzen Höhe

Ganz Deutschland hochbeglückt gesehn,

Dann blühet unter heißen Schmerzen[151]

Noch neue Hoffnung auf im Herzen,

Dann ist's, als sey, in Gottes Hand

Vergangenheit der Zukunft Pfand:

Der Phönix wird nach Todeswehen

Aus seiner Asche auferstehen!«


(Siehe, Alte und neue Zeit, in meinen Gedichten.)


Noch aus vielen andern meiner Gedichte in dieser Sammlung spricht weissagende Ahnung aus tiefem Schmerz, und ist der Phönix denn nicht auferstanden? – Jenes Sonnet war ein Freipaß für meine Sammlung, ja, für meine Person; denn ich hätte so gut können aufgehoben werden, wie 1811 mein Werk: Kunst und Leben in Paris! Der deutlichste Beweis, daß ich durch Aufnahme dieses Sonnets nur Sicherheit, nicht eine elende Schmeichelei bezweckte, ist der notorische Umstand, daß ich die beste Gelegenheit hatte, meine Sammlung durch den Fürsten Primas an Napoleon, oder an Marie Louise, kaiserl Hoheit, zu senden, und daß diese Sendung hinreichend gewesen wäre, mir den Weg zum Glück zu bahnen; denn Napoleon fühlte sich sehr geschmeichelt, wenn ihm deutsche Dichter huldigten. Ich that das nicht, unverkennbar ist es, daß ich zu redlich und stolz war,[152] mein Glück dem Tyrannen danken zu wollen, den ich laut verabscheute, so daß mich Freunde baten, vorsichtiger in meinen Reden zu seyn.

In der Neujahrsnacht 1803 drückte mich das Gewicht aller trüben Erinnerungen meines Lebens, so daß ich die Feier dieser Nacht mit heißen Thränen beging. Vor Allem schmerzte es mich, daß mir in so früher Jugend, durch die Verstimmung, welche zwischen der Großmutter und Tante väterlicher Seite und meiner Mutter herrschte, mein Vater entrissen wurde, der, so wie meine gute Mutter, an dieser Trennung unschuldig war. Nach einigen rührenden Briefen, die ich noch besitze, die mein Vater seiner gekränkten Gemalin geschrieben hatte, um ihre Liebe und Verzeihung wieder zu gewinnen, und welche sie mit standhafter Weigerung beantwortete, weil Freunde die Regung ihres liebevollen Herzens durch überklugen Rath hemmten, hatte mein Vater, schmerzlich und unheilbar gekränkt, nicht wieder von sich hören lassen. Da im Kriege 1797 viele Offiziere, die denselben Namen trugen, den Tod gefunden hatten, glaubte meine Mutter, daß auch mein Vater unter den Gebliebenen sey. Sie hielt sich nun für eine Wittwe,[153] und ich war im Ernst eine Waise. Oft schon in meiner Kindheit hatte ich dies entsetzliche Geschick beweint; denn man ergiebt sich viel leichter in Gottes Willen, wenn uns der Tod einen Gatten, einen Vater, oder sonst einen unserer geliebtesten Angehörigen entreißt, als wenn die Bosheit der Menschen uns des theuersten Gutes beraubt. Nunmehr war ich im fremden Lande, so ganz ohne Stütze und Trost, und dachte mir in jener Nacht, mein Vater könne doch wohl noch leben, aber vielleicht eben sterbend nach mir verlangen. Dies Bild, welches meine Einbildungskraft wie in das Leben rief, ängstigte mich fürchterlich. Ich fand nach einem langen Gebet Hoffnung und Muth, und schrieb in jener Nacht eine kindliche Bitte auf, die ich meinem würdigen Freunde, Pastor Gambs, andern Tages zur Beförderung in die Hamburger Zeitung brachte. Nun mehr kam Ruhe über mich, und drei Wochen später erhielt ich von der Post einen liebevollen Brief meines Vaters, der, nachdem er den Abschied aus Dänischen Diensten genommen, sich eben in Hamburg befand und meinen Aufruf gelesen hatte. Ich sollte zu ihm kommen; allein die Aussicht, in Frankreich eine glückliche[154] Ehe zu schließen, hielt mich davon ab. Mein Entzücken, mein Dank zu Gott war unbeschreiblich. Ich war den Tag freudematt, und segnete die Schmerzen jener Nacht, welche so süße Frucht getragen hatten.

Ich habe schon erwähnt, daß die Pflichten der Hausfrau und Mutter, die ich mir bewußt bin, redlich und mit der höchsten Anstrengung erfüllt zu haben, mich vom Studium des Persischen abhielten. Meine Verrhältnisse machten noch immer Arbeiten nothwendig, welche ich selbst im Wochenbett nicht versäumte. Der Morgenstern fand mich oft noch am Schreibtisch, während mein Wilhelm, an meiner Brust schlummernd, Nahrung sog. Was ich in jener Zeit gestrebt und geduldet, das weiß nur Gott.

Im Frühjahr 1807 mußte meine Schwiegermutter ihre freundliche Wohnung im Hotel du Chatelet, welche sie mit uns theilte, verlassen, und im Palais Bourbon eine von fünf Zimmern beziehen, von denen zwei, hoch und geräumig natürlich ihr gegeben wurden, die drei obern aber, Entresols, die nicht sechstehalb Fuß hoch waren, und kleine Fenster hatten, wurden mir und meinem Mann zu Theil. Hier besuchte mich[155] im August der verewigte Herzog Franz von Dessau, der blühende hohe Greis mit dem jugendlich lebenskräftigen Geiste und Gemüthe. Ich sehe ihn noch, wie er sich in den dumpfen, niedrigen Stuben bücken mußte, ich höre ihn noch in seiner Treuherzigkeit und geistvollen Gemüthlichkeit. Jene Stunden sind mir unvergeßlich. Er sprach viel von Napoleon und dessen Mordsucht, die ihn dahin brächte, daß er oft allerhand Vieh zusammentreiben ließ und darunter schösse, bis alles hinstürzte; auch erzählte mir der edle Greis mit glühendem Unwillen, daß er durch seine Verwendung es nur mit Mühe erreicht hätte, daß zwei Männer, wegen eines geringen Vergehens, auf Napoleons Befehl nicht todtgeschossen wurden. Ich nannte Napoleon den Würgengel, worüber der Herzog lächeln mußte. Wenn ich die Jagd nicht so liebte, und kein rechter Waidmann wäre, sagte der Herzog lachend, ich glaube er hätte mich mediatistrt. Der erhabene Fürst rühmte mit Wärme Matthissons Anhänglichkeit an seiner Gemalin und dessen schönes Talent. Nachdem er einige Zeit in meinem Zimmer zugebracht, und meinen schlafenden Wilhelm mit einem Kuß gesegnet hatte, durfte ich ihn[156] auf die wahrhaft köstliche Bibliothek des Corps Legislatif führen, welche sich damals im Pallast Bourbon befand, und vorzüglich an Schriften für das Studium orientalischer Literatur sehr reich war; der Herzog sahe dort mit vielem Antheil die Schätze, welche sie enthielt, und sprach mit der ihm so eignen Sachkenntnis über jeden Gegenstand. Dann verließ mich der herrliche Fürst, und bat mich recht angelegentlich, ihn in Dessau auf lange Zeit zu besuchen. Ich hoffte darauf, und schrieb ihm oft, und auch noch am 9. August 1817 Abends um sieben, um den Brief meinem Freund, Dr. Wilhelm Müller, der auf der Reise nach Griechenland und Egypten seine Vaterstadt Dessau noch besuchte, mitzugeben. Da erhielt ich wenige Tage nachher den Brief zurück, und erfuhr, daß ich dem Herzog in seiner Todesstunde geschrieben hatte. – Segen über die Gruft des deutschen Fürsten, der, von Achtem Sinn für das Schöne und Gute beseelt, sein Land zu einem blühenden Garten umgeschaffen hatte, ein hülfreicher Vater und Freund seiner Unterthanen war, der in seinem Gebiete die Fortschritte der Wissenschaften und Künste beförderte, die Talente, welche dort aufblühten,[157] schätzte und aufmunterte, und auch nach Außen hin viele Zeichen seiner Großmuth und seiner Liebe des Schönen dem wahren Verdienste reichte! Er und seine verklärte Gattin hatten manche Rose auf den Lebenspfad meiner verewigten Großmutter gestreut. – Franz von Dessau war auch einer der Ersten, welcher bei dem Wiederaufleben des Geschmacks und des Sinnes für altdeutsche Kunst kräftig mitwirkte. Noch einmal, Segen über seine Gruft, und seinem Andenken Deutschlands ewige Liebe!

Im Frühjahr 1807 hatte ich Wilh. Schlegel kennen lernen, dessen liebreiches Zureden und nur zu freundliches Lob meiner bisherigen Bestrebungen, auf kurze Zeit wieder Leben in meinen Geist hauchte, der unter manchem Leid gebeugt war. Ich brachte sehr angenehme Stunden mit ihm, seinem Bruder, mit Herrn Geheimerath von Sinclair aus Homburg v.d.H., mit Koreff, dem verewigten Dr. Klinger, und meiner geliebten Therese von Winkel zu, deren Aufenthalt in Paris mir schon seit zwei Jahren zum Trost gereichte, da ihre liebevolle Sorgfalt, mir Erheiterung zu verschaffen, bei ihrem himmlischen Talent zur Musik und[158] Malerei und ihrer eigenthümlichen Liebenswürdigkeit, ihren Zweck nicht verfehlen konnte. Im Hause dieser Freundin, welches ich mit meinem Manne jeden Sonnabend regelmäßig besuchte, fand ich viel ausgezeichnete Geister unsrer Zeit, unter denen ich mich Oehlenschlägers, der uns treulich jedes seiner köstlichen Werke nach der Vollendung vorlas, und dessen Jugendfeuer Blume an Blume in kurzer Zeit erblühen ließ, so wie des Dr. Koes, der unter Griechenlands schönem Himmel in ein besseres Daseyn früh hinüberging, und dessen Freundes Dr. Bronsted noch vorzüglich erinnere.

Der Winter 1808 verging langsam, von wenigen Besuchen deutscher Freunde erheitert, Ende Januars genaß ich glücklich meines kleinen Max; mein älteste Sohn kränkelte sehr, und Dr. Harbauers Kunst und Sorgfalt, späterhin Dr. Koreffs-Bemühungen, verdanke ich seine Lebenserhaltung, um die ich in tausendfacher Angst mehrere Jahre lang schwebte. Die unreine Luft in unsrer verdumpften Wohnung hatte auch meine Gesundheit sehr angegriffen, und meine beiden Kinder litten sehr. Schmerzliche, häusliche Verhältnisse, und die Lieblosigkeit einige Mitglieder[159] der Familie meines Mannes beugten mich so tief, daß ich fast zum Denken keine Kraft mehr hatte. Ich brachte meine Tage und oft die Nächte in Thränen zu, und hätte mir auf das innigste den Tod gewünscht, waren dann meine Kinder nicht mutterlos gewesen. Es war uns nothwendig, daß ich viel schrieb, weil der Ertrag meine häuslichen Umstände verbesserte, und weil Bertuch mir mehr als Einmal in seinen Briefen sagte: hätten Sie doch tausend Hände zum Schreiben! Doch, wenn ich schreiben wollte, und das weiße Blatt vor mir lag, fühlte ich mit Entsetzen meinen Kopf so leer wie das Blatt, und keine Kraft in mir, als zu Thränen. Wollt' ich mit den Kindern ausgehen, so hatt' ich keine Ausflucht als die steifen Thuilerieen, und die bestaubten Champs Elisées. Mein Mann war von seinem Studium des Indischen dergestalt hingenommen, daß er nun an nichts anderm auf der Welt noch Antheil nahm, und allenfalls mit seinen Manuskripten in eine thebaische Wüste gegangen wäre. Der schöne, heitre Frühling mit seinen Blüthen und Düften weckte in mir nur eine tiefere Trauer. So fremd und einsam war ich in dem Lande, wo ich doch häuslich angefesselt[160] war. – Einer Freundin, der ich viel Trost und Hülfe seit einigen Jahren verdankte, habe ich noch nicht erwähnt, meiner unvergeßlichen Elise L. gebornen v.B., der Dulderin, die als fromme Christin, als zärtliche, sorgsame Mutter ihrer Töchter, und als meine mütterliche Freundin, mir bis in den Tod theuer seyn wird. Diese zu besuchen, hinderte mich mit dem saugenden Kinde die weite Entlegenheit ihrer Wohnung; meine liebe Therese v. Winkel lebte nun auch nur ganz der Kunst, und höchst einsam, auch wohnte sie mir zu weit; alle freundlichen Verhältnisse waren durch Entfernung aufgelößt, ich war dem Schmerz allein vom Schicksal übergeben. Um mich her nur Verstimmung und Kummer, und in der schönen Sommerzeit nur die von den endlosen Steinmassen der Gebäude zurückprallende Hitze einer verpesteten Luft, und der in Wolken aufsteigende Staub zermalmter Steine des weißen Erdbodens. Die Wipfel senkten die staubbeladenen Blätter nieder, keine Blume blühte auf dem versenkten Rasen, das ganze Ufer der Seine wiederhallte von den Klöpfeln der Wäscherinnen, die das Weißzeug zermalmten, um es zu reinigen; ein unabläßiges verworrnes Geschrei[161] der Verkäufer erfüllte die Straßen, und, wie uns in einer schmerzlichen Lage alle unangenehme Eindrücke von Außen peinlicher fühlbar werden, empfand ich nun erst recht, wie traurig, ekelhaft und trostlos die sogenannte Hauptstadt der Welt für ein deutsches Gemüth sey. Ich sehnte mich in das Grüne, in das Freie, ich schloß die Augen und sah Wasser und Wiesen, glaubte nie dahin zu gelangen, und sehnte mich bis zum Sterben nach reiner Luft. Schon lange hatte ich mich nicht mehr entschließen können, unten bei meiner Schwiegermutter zu Tisch zu gehn, und verzehrte mein kleines Mahl allein, dessen reichlichste Würze meine Thränen waren; da trat ein neues Mißverständniß ein, aus welchem für mich der Muth hervorging, meinen Mann um Erlaubniß zu bitten mit meinen Kindern das Land beziehen zu dürfen. Dies wurde mir zugestanden; wir suchten eine Wohnung in Chaillot und Passy, Dörfer, welche beide als eine Verlängerung von Paris angesehen werden können, und von denen vornemlich das Erstere höchst traurig ist. Die Wohnungen waren sehr theuer, und dort weniger Lebensmittel als in Paris zu haben. Auch erklärte[162] mir mein Mann, daß er, seiner vielen Studien wegen, mich nur alle acht bis vierzehn Tage dort besuchen würde, wenn gleich der Ort nur eine kleine Stunde weit von unserm Hause lag. Nun dämmerte mit einem Male eine liebe Erinnerung auf, an Montmorency, Rousseau's Lieblingsort, welches ich mit Präsident v. Scheve und dessen edlen Gemalin früherhin besucht hatte. Ich eilte dorthin, fand eine höchst anmuthige Wohnung, und bezog diese Anfangs Juni 1808. Als ich in den Wagen stieg, der mich nach Montmorency führen sollte, wußte ich nicht, daß ich das Haus meiner Schwiegermutter nie wieder bewohnen würde. Es war halb zwölf; indem ich nach der Uhr meines Mannes sah, die am Kamine hing, sprang die Kette, und der Zeiger stand still, ohne daß ich die Uhr nur berührt hätte. – Ein ahndender Schauer zuckte durch mein Herz, doch erst nach mehrern Jahren konnt' ich wissen, wie prophetisch dieser Zufall war.

Von Paris bis St. Denis geht die Straße durch Kohlfelder und Aecker, ohne Aussicht, ohne Reiz; erst hinter diesem Städtchen athmet man reine Luft, und erblickt schöne Bäume[163] und freundliche Hügel, in. der Ferne den Lichtpunkt der Gegend, das Schloß Montmorency, mit seinem herrlichen Park auf den Rebenhügeln, und rings umher im Schoos des Thales die Menge schöner Dörfer und Landschlösser von üppiger Fülle des Grüns umgeben. Je näher an Montmorency, je duftender und heiterer wird die Gegend. Wir kamen am Abend an. Mit unsern kleinen Einrichtungen und der Sorge für die Kinder ging mir und meiner treuen Mariane der folgende Morgen und der Nachmittag hin, wo nur einzelne Blicke aus dem Fenster hinaus, nach dem silberhellen See am Fuß der Hügel, nach dem dichten Walde und den schönen Feldern mein Herz erquickten. Es war nun Abend geworden, die Kinder niedlich geputzt, und wir gingen durch eine kleine Straße in das nahe Kornfeld, nach dem Kastanienwald, auf dem Weg nach Roußeau's Hermitage. Die Sonne senkte sich schon, die Weinberge hauchten Düfte, Heimchen schwirrten, Nachtigallen schlugen, über dem Kornfelde schwebten singende Lerchen. Meine Kinder jubelten vor Lust, und mich umfing mit einemmal ein Frieden, eine Seligkeit, als wenn ich nun am Ziel aller Leiden sey. Hier[164] zu sterben wünscht' ich innig, aber ich war zu größern Schmerzen aufbewahrt.

Recht friedlich und süß verging der Sommer, meine Kinder erholten sich, ich selbst genas von meinem schweren Kummer, mein Mann brachte viele schöne Tage mit uns zu. Wir besuchten den köstlichen Garten der Mutter Marie, so überreich an Feigen, Pfirsichen, Melonen und Mandeln; wir irrten durch die Kastanienwälder nach den umliegenden Dörfern, wir besuchten das Schloß, wo der gequälte Rousseau auf der Pilgrimschaft des Lebens eine kurze, süße Rast gefunden. – Oftmals gingen wir über die Walteshöhe durch St. Prix, nach der Ruine des alten Jagdschlosses, mit ten im tiefsten, schönsten, einsamsten Wald, wo Heinrich der Vierte mit Gabrielen unter einer hohen Eiche saß, die noch jetzt ihre Zweige in das Gewässer zu ihren Füßen senkt, wo noch immer alles duftet und blüht, wo die süße Natur noch immer in ungestörtem Frieden waltet. –

Im Herbst erfuhr ich durch einen Brief von Wilhelm Schlegel, daß Frau v. Stael ein großes Bedauern geäußert, meil man mich für todt ausgegeben habe. Ich war dieser edlen Frau für[165] dieses Theilnahme dankbar, und drückte ihr mein Gefühl darüber in einem Briefchen aus, welches ich in meine Antwort an W. Schlegel einlegte, und auf welches ich bald folgende Antwort erhielt:


Coppet 7. Sept. 1808.


Ils est très vrai, Madame, que j'ai pris un intéret bien vif à la triste nouvelle qui s'étoit répandue. Vous êtes heureuse, Vous rendés heureux un homme très distingué, et Vos gouts littéraires supposent une amaible disposition de l'ame. J'ai souhaité de connoitre Monsieur de Chézy, et je voudrois bien, que Vous fissiés un voyage en Suisse l'un et l'autre; ce n'est qu'ici, qu'il m'est permi de voir les personnes, qui, comme Mr. Chézy honorent la république des lettres, mais plus je suis triste d'être exilée, plus je gouterois avec plaisir l'entretien de ceux qui me rappelleroient ma patrie.


Diese Zeilen machten mich glücklich, als ich sie empfing, daß ich nun nachsann, wie ich derjenigen auch eine angenehme Empfindung verursachen könnte, die aus der Ferne so liebreich zu einer Unbekannten sprach. Die Klage der Frau[166] v. Stael über ihre Verbanung rürte mich tief; ich wollte versuchen, sie zu trösten nicht ahnend, daß es mir wunderbar gelingen würde. Ich schrie ihr aus dem Gedächtniß die mir stets gegenwärtige Ode des Hafis, die ich einst in der leidenvollsten Stunde meines Lebens unter Thränen niedergeschrieben, indeß mein Mann sie mir in die Feder sagte:


Jusuf14 der langverlorne kehrt einst noch zurück nach Canaan, tröste Dich!

Des Unglücks Aufenthalt wandelt sich noch einst zum Rosengarten, tröste Dich!

O, mein Herz, der langen Qual zum Raube, dir wird besser werden; Muth gefaßt!

Und du, verwirrter Sinn, du wirst wieder Klarheit gewinnen, tröste Dich!

Das Glück hat so manche Umwälzung der Dinge bewirkt, und nicht eine Sonne hat über mich mild gestrahlt, tröste Dich!

Aber das Glück muß sich wandeln, tröste Dich!

Wenn des Lebens Frühling wieder den Thron der Gärten besteigt, o, Sängerin mit der süßen Kehle, dann kannst Dir wiederum Dein Haupt unter Rosen schirmen, tröste Dich![167]

O, mein Herz, wenn des Unglücks Wogen gegen Deines Lebens Grundpfeiler stürmen, was fürchtest Du, sobald Noah Dein Steuermann ist? tröste Dich!

Verzage nicht, wenn Du keinen Beschützer kennst, vielleicht ist hinterm Schleyer verborgen, der Dich liebt und hegt, tröste Dich!

Wenn Du die Wüste betrittst, von Sehnsucht hingezogen, die heilige Kaabah zu begrüßen, wenn Dein Fuß von den Dornen verlebt wird, die auf Deinem Pfade sprießen, tröste Dich!

Wenn Deine Pilgerfarth von Gefahren umgeben, und das Ziel entfernt ist, so giebt es doch keinen Weg, der nicht sein Ziel hätte; tröste Dich!

O, Hafis, in allen Deinen Leiden, so lange Du Dich zu Gott hinwenden kannst, tröste Dich!


Frau von Stael ließ mir durch ihren vortreflichen Freund auf das innigste für diese Ode danken, welche sie höchst angenehm überrascht und erquickt hatte. Ich war froh, daß mein guter Wille einen so wünschenswerthen Erfolg gehabt hatte.

Im Herbst lernt' ich in Paris Hrn. v. Pilat[168] kennen, der mit seiner liebenswürdigen Frau und Schwägerin sich auf die gütigste Weise bestrebte, mich zu erheitern. Ich wurde durch den Umgang mit deutschen Freunden wieder zur Poesie angeregt, und dichtete in Montmorency an einem regnichten Herbsttage die Wundernacht in Arabien, die ich in der Sammlung meiner Gedichte 1812 drucken ließ. Im Frühling hatte ich mich mit der Übersetzung der Reisebeschreibung des persischen Dichters Auwary beschäftigt, bei der mir Wilhelm Schlegels Rath sehr nützlich war. Ich sandte sie nachher auf die Bitte des edlen Grafen Wenzeslas Rzewusky zu den Fundgruben des Orients, die 1809 in Wien erschienen sind.

Gegen den Winter wurde es nothwendig für mich, Paris wieder zu bewohnen. Mein Mann blieb zur Pflege seiner höchst kränklichen Mutter bei ihr, und ich bezog eine Wohnung in seiner Nähe, wo ich aus meinem Fenster einen Streif der Seine, einige Bäume des Thuilleriengartens, und einige Höhen des Montmartre erblickte, den ich immer mit Schauder betrachtete, weil ich wünschte, dort möge einst mein Grab nicht seyn. Wer hätte mir damals gesagt, daß dieser innere[169] Graus ein Ahnungsschauer sey, und daß viele meiner theuren Landsleute in wenigen Jahren auf diesem Hügel den höchsten Sieg und Deutschlands Freiheit mit ihrem Leben zahlen würden? Der Winter 1809 war überreich an Freuden und Schmerzen für mich. Ein angenehmer Kreis von Deutschen im Hause des Herrn von Pilat, in welchem auch mein Mann sich einheimisch fühlte, trug zu meiner Erheiterung bei, indeß sich meine häuslichen Verhältnisse mit jedem Tage trauriger gestalteten. Unter den vielen Deutschen, die mich jenen Winter besuchten, erinnere ich mich besonders des berühmten Werner und des würdigen Carl v. Morgenstern. Der Erste war eben in seiner Entpuppung begriffen. Er strebte mit aller Kraft, die Welt von sich zu streifen, an der er noch mit allen Sinnen hing. Sein Wesen zog mich sehr an, da ich in seinem Streben Ernst und Liebe erkannte. Auch war er gegen mich höchst liebreich und nachsichtsvoll, und sprach mir vielen herzlichen und frommen Trost zu, der mich noch lange nachher erquickt und erhoben hat. Auch in Morgenstern fand ich ein reines, theilnehmendes Freundesherz, und verlebte mit ihm schöne Stunden. Wir besuchten[170] Montmorency und andre umliegende Ortschaften, und sein Abschied von Paris ging mir nahe.

In der Mitte Mai 1809 ging ich nach Montmorency zurück. Ich bezog dort eine Wohnung, welche viel schöner als die vom vorigen Jahre, so recht im Herzen der grünen Fluren, lag. Ich konnte dreizehn Dorfschaften übersehen, und von der fernen Waldeshöhe glänzte mir ein weißes Hüttchen entgegen, dessen Anblick den ersten Funken lyrischer Dichtung in mir erweckte:


Im tiefen Abendscheine

Ein grüner Hügel lacht,

Da blickt ein Hüttchen kleine

Wie Schnee aus Waldesnacht,

Die Purpurwolken spielen

So fröhlich drüber hin,

All meine Wünsche zielen

Dahin, zum Hüttchen hin.

Wie liegt es still und helle

Im goldnen Abendstrahl,

Und schaut von hoher Stelle

So süß in's Blumenthal.

Was zieht nur so mein Sehnen

Nach diesem Hüttchen hin?

Es wohnt, so möcht' ich wähnen,[171]

Die Ruhe wohl darin.

Ach, wüßt' ich sie zu finden,

Die ich umsonst erfleht,

In einsam stillen Gründen,

Wo solch ein Hüttchen steht,

Da senkt' die müden Flügel

Mein rastlos Sehnen gern,

Bis lächelnd meinen Hügel

Bestrahlt der Liebe Stern!


Ich lebte einige Monden ganz einsam und glücklich in einer süßen Wehmuth fort. Mein Lied der Lerche dichtete in jenen Tagen, so wie das: beim Wellenklang, beim Waldgesang, und manches andre meiner Lieder, die zum Theil schon bekannt sind.


Lerchengesang.

1809.


Was tönt so süß aus hohem Blau

Hinunter in die Blumenau,

Es sind der Lerche Lieder. –

Was singst du, kleine Sängerin,

O, deute mir des Liedes Sinn? –

»Den Frühling grüß' ich wieder!«

O, wäre noch mein Frühling da!

»Er ist dir nah! er ist dir nah!«
[172]

O, täusche nicht das wunde Herz

Mit unerfüllter Hoffnung Schmerz,

Nichts kann mich noch beglücken!

Der Liebe süßer Stern entwich,

Der Jugend Rose auch erblich –

»Sie wird der Thau erquicken!«

Und wo ist Trost, wenn's Herz mir bricht,

»Blick auf zum Licht, blick auf zum Licht!«


Wie sanft du wogst im Aether hell,

Und tränkst Dich an des Lichtes Quell,

Mit leichtem Schwung erhoben,

Wie strebt auf Flügeln reiner Luft

Hinan zu dir der Blumen Duft –

»Was schön ist, strebt nach Oben!«

Ich aber seufze stets in Nacht –

»Laß Erden Nacht, denk Himmelspracht!«


Wie Freundes Worte, dein Gesang

Mit sanftem Trost mein Herz durchdrang

Und stillt der Sehnsucht Triebe,

O sprich, warum dein einfach Lied

Mit Ruhe meinen Sinn umzieht?

»Ich singe Gottes Liebe!«

Und kennt er, stillt er meine Pein?

»Er denket dein, bist auch ja sein!«
[173]

Im Julius bezog meine Freundin v. Pilat das erste Stockwerk des Hauses, welches ich bewohnte; nun begann ein anderes Leben, ich wurde sehr aufgemuntert im schönen Kreis geselliger Freude; aber der süße Zauber der Einsamkeit war dahin, wie man denn, wenn das Herz von Kummer erfüllt ist, sich nie Zerstreuungen zu sehr hingeben sollte, weil die vom Glück begünstigten Menschen nur selten ein wundes Herz verstehn.

Tief im November bezog ich wieder eine Wohnung in Paris, dies war der traurigste Winter meines Lebens. Der Krieg mit Oestreich hatte in die litterarischen Unternehmungen Stockung gebracht; man weiß, daß bei Napoleon die Friedenszeit noch drückender war, als selbst der Krieg. Es war so wenig für deutsche Buchhändler zu thun, daß ich mich zu einigen französischen Arbeiten entschließen mußte. Die Eine war die Uebersetzung der beiden Bräute von Lafontaine, die, von Nicolle bestellt, bei ihm nicht herauskam; die Andre, Wilhelm Schlegels dramatische Vorlesungen, die ich mit Herrn v. Chamisso unternahm. Während des Winters zahlte Napoleon die Besoldungen nicht aus, und Hülfsquellen[174] hatte ich nicht, meine Lage war höchst drückend und schmerzlich. Die Theurung war übermäßig gestiegen. Endlich war der lange Winter überstanden, und der Mai rief mich nach Montmorency zurück, wo ich wieder Athem schöpfte. Meine Kinder waren während des Winters wiederum sehr krank geworden, und ich mußte befürchten beide zu verlieren. Im Frühjahr hatt' ich noch die Freude gehabt, von Wilhelm Schlegel begrüßt zu werden, auch hatte ich den verdienstvollen Orientalisten Herrn v. Hammer aus Wien kennen lernen, der, mit diplomatischen Waffen ausgerüstet, einen Theil der von den Franzosen hinweggeführten orientalischen Manuskripte wieder zu holen am, welche einige Jahre darauf seine tapfern Landsleute mit dem Schwert allzumal holten. Herr v. Hammer hatte 106 Manuskripte zurück erhalten, wer hätte geglaubt, daß es auf Abschlag sey? – Wegen der Uebersetzung der beiden Bräute schrieb mir Frau von Stael einiges, was den Leser nicht interessiren kann; ich hatte ihr eine Romanze: Hagar in der Wüste geschickt, welche sie freundlich lobte, und dabei noch wieder der persischen Ode gedacht, »welche sie nie vergessen[175] wolle, wenn sie sich gleich für sie nie erfüllen könnte.« – Wie hätte man auch in jener Zeit eine Veränderung nur ahnen können?

Die vielfach erlittenen Schmerzen und Bedrängnisse jenes Winters, verbunden mit meinem kränklichen Zustand und der welkenden Gesundheit meiner guten Kinder, erweckten in mir mit Macht die schlummernde, langgehegte Sehnsucht nach Deutschland. Mein Mann versank immer tiefer in sein Studium des Indischen, das Leben hatte keinen Reiz mehr für ihn, und für jedes häusliche Interesse war er gleichgültig geworden. Paris wurde mir mit jedem Tage mehr verhaßt; wenn ich so durch die Steinhaufen ging, flüsterte mir immer eine Stimme die Verse aus dem Alar kos zu:


Die Mauern sehn mich an, wie Leichensteine,

Mir ist, als könnte hier nur Unheil hausen.


Ich sehnte mich nach ungestörter Ruhe, nach einer Hütte, wo ich mit meinen Kindern leben könnte, ohne tägliche nager de Nahrungssorgen, da die entsetzliche Theurung in Paris es meinem Mann unmöglich machte, mehr für uns zu thun, als er schon that. Ich bat demnach meinen Mann, mir zu erlauben, daß ich mich mit meinen Kindern nach[176] Deutschland begeben dürfe. Mein Mann hätte das südliche Frankreich zu meinem Aufenthalt vorgezogen; aber ich trug schon einen Abscheu vor allem, was Französisch war und unter Napoleons Szepter stand, im Herzen, und weigerte mich, wo anders, als nach Deutschland hinzugehn. Mein Mann gab mir seine Einwilligung, und wie gingen beide zum Herrn General v. Krusemark, dem damaligen Gesandten, um meinen Paß ausfertigen zu lassen, der auf Berlin ausgestellt wurde, wohin ich nicht zu kommen gedachte! Ich ging nach Heidelberg, welches mir von allen deutschen. Freunden mit Recht als ein Ort gegeschildert war, der alle bezaubernden Reize der Natur mit den Gemächlichkeiten einer wohlfeilen Lebensweise vereinige.

Mit den bittersten Thränen verließ ich das schöne Montmorency am 14. Sept. 1810. Ich liebte diesen Ort, wo die Natur so anmuthig, die Luft so milde ist, und wo ich selbst unter Schmerzen so unvergeßlich süße Stunden verlebt hatte. Mein Nachbar in Montmorency war dies Jahr der blinde André Grétry, ein Neffe des berühmten Grétry, gewesen; dieser junge Mann lebte mit seiner Familie von der Güte seines[177] Oheims, zu der er nur in er höchsten Noth Zuflucht nahm, viel minder, als vom Ertrag seiner Schriften. Grétry hatte ihn im Frühling 1810 dem Fürsten Primas vorgestellt, und der gütige Karl, dem des blinden, talentvollen, sanften Jünglings Geschick zu Herzen ging, hatte ihm sogleich ein schönes Jahrgehalt ausgesetzt, und 25 Louisd'or zum Voraus auf Abschlag geschickt. Diese fürstliche Gabe kam in dem Augenblick, wo oft dem Guten Rettung wird, in dem der höchsten Noth: je größer Noth, je näher Gott! Die junge Frau sollte eben ein Kind zur Welt bringen, und Grétry's bescheidener Neffe, der wohl wußte, für wie viele bedürftige Verwandte der Oheim zu sorgen hatte, wollte sich nicht an ihn wenden; er trug den Kummer still und schwer, wußte nicht, wo Morgen Brot hernehmen, – da kam Karl's Geschenk, und Zusicherung des Jahrgehaltes! Dies war das Erste, was ich vom Fürsten Primas erfuhr; bei meiner Entfernung von Deutschland, und meiner völligen Unbekümmertheit um alle politischen Verhältnisse, hatte ich noch den Namen Carl von Dalberg nicht nennen hören.

Von Niemand in Paris nahm ich Abschied,[178] als von meinem Manne, vom Vater meiner Kinder, von dessen Herzen ein ungünstiges Geschick, nicht Abneigung mich fortriß, und der mir beim Scheiden allen Trost zusprach, den innige Anhänglichkeit und herzliche Anerkennung nur eingeben können. Ich weinte – schmerzlicher noch als in Berlin am 24. Mai 1801 an meiner Mutter Herzen. – Meine Kinder sprangen wohlgemuth in den Wagen.

In Verdun fand ich einen Brief von meinen Mann, Poste restante; auch noch auf einigen andern Punkten meiner Reise, fand ich Briefe von ihm, denn ich hatte versprechen müssen, täglich nur 10 Stunden zu fahren. In Metz warteten auf mich folgende zwei liebe Briefe, die meine Thränen wieder schmerzlicher und süßer aus meinem Herzen riefen.


Blois ce 11. Sept. 1810.


J'apprends avec peine, aimable Helmina, que Vous vous êtes décidée à quitter la France; j'ignore les circonstances qui Vous ont fait prendre ce triste parti, mais je desire vivement savoir si Vous êtes heureuse. – Je pense avec peine combien Votre vie a été tristement agitée, Vos[179] douces et aimables qualités devoient Vous faire espérer une destinée moins orageuse. – Cherchés dans Vos enfans, dans l'affection de Vos amis, et dans la distinction de Vos talens les sentimens consolateurs dont le charme est sans mélange de regrèts. – Si je pouvois Vous être utile en quelque chose, Vous êtes bien sûre que je le ferois avec empressement – et si, comme je l'espère, Vous revenés près de nous, je serai charmée de Vous revoir, et de Vous parler de mon tendre intérèt.

J.R.


Neben diesen Brief hatte die gütige Frau v. Stael geschrieben:


Me permettés Vous, Madame, de me joindre à une personne à la quelle je voudrois m'unir de tant de manières, pour Vous dire combien je regrette de n'avoir pas eu l'occasion de Vous voir. – Un homme de Vos amis qui m'inspire autant d'estime que d'intérèt, Mr. A. de Chamisso, a dû Vous dire combien je desirois Votre voyage à Blois. – Soyés heureuse dans un pays plus analogue à Votre caractère que le nôtre, il faut y être habituée des l'enfance pour y conserrer son imagination et son coeur! Adieu, Madame![180] je n'oublierai jamais Votre Ode persane, et si elle pouvoit se réaliser je Vous en attribuerois le présage.


Wir reisten bequem, und die gute Laune meiner Kinder, welche sich sichtbarlich erholten, erheiterte mein Herz. Wir kamen nach Homburg, wo ich still am Abend schreibend saß, als ein wohlbekannter vaterländischer Ton von der Straße her, mich mit früher und frommer Rührung durchzuckte. Es war der seit zehn Jahren nicht von mir gehörte betende Gesang des Nachtwächters; und lobet Gott, den Herrn! Der Unterschied zwischen beiden Nationen, der sich mir erst nach und nach recht offenbart hatte, ist auch in kleinen Aeußerlichkeiten charakteristisch erkennbar. Der Franzose hat nichts im gewöhnlichen Treiben des Volkslebens, was an fromme, alte Sitte erinnerte, und was leider auch in Deutschland zu verschwinden anfängt. Des Nachtwächters Ermahnung, die Mitbürger vor Schaden zu hüthen, und Gott, den Herrn, zu loben, ist nicht so ganz gehaltlos, und mag schon Gutes gestiftet haben. Es that mir leid, als ich 1816 in Berlin ankam, und statt des wohltönenden Horns, und des einfältig frommen Liebes eine[181] gellende Pfeife und gleich darauf den Stundenruf hörte. Jede Abweichung im bürgerlichen Leben von einem gutmüthigen und kindlichen alten Brauch, ist ein trauriges, bedenkliche Zeichen. Gewiß haben die Berliner die Abschaffung des frommen Liedes den Franzosen zu danken?

In Kayserslautern wurde ich meinen französischen Kutscher los, und es ging mit einem Manheimer mit zwei raschen Schimmeln wie im Flug durch das wunderherrliche Jägerthal nach Manheim. Je näher wir dem eigentlichen Deutschland kamen, je würdiger wurde der Lufthauch, je tiefer und süßer das Grün. In Manheim verweilt' ich eine Nacht, und ging andern Tages nach Heidelberg. Je mehr ich Heidelberg nahte, je angenehmer umfing die Landschaft Sinne und Herz. Die Berge, die nur als stolzer Schmuck der Gegend zu prangen scheinen, so hoch und dicht belaubt, so herrlich angebaut, die Thale voll Quellen und Obstbäumen, die mit Gold und Purpur glänzten, und deren überreiche Äste viele Stützen hielten, des Neckars schöngewundner Lauf, der tiefblaue Himmel über den Fluthen, und so viel andre Reize der Gegend, entzückten mich wunderbar; ich begriff[182] nicht, wie so viel Schönheit der armen Erde zu Theil geworden seyn könnte, und zum erstenmal fühlte ich den Schmerz um meine Schicksale in mir milder werden. Ich stieg im badenschen Hof ab, wo ich sogleich erfuhr, daß die Sängerin der Schwestern von Lesbos sich in derselben Stadt befände, und daß Schillers edle Wittwe mit ihren liebenswürdigen Kindern meine Nachbarin sey. Diese liebreiche Frau sagte mir, daß ich wohl gethan, diese Gegend zu wählen, hier könne ein wundes Herz genesen. – Vor allem hatte ihr der Weg gefallen, der nach dem Schloß durch klein Heidelberg führt, und wo der dürftigen Bewohner Gärtchen, hoch thronend über Stadt und Thal, eine unermeßliche und entzückende Aussicht darbieten.

Am Abend nach meiner Ankunft besucht' ich Caroline Rudolphi, meiner Mutter Jugendfreundin, die ich von einer Fußreise in die Schweiz schon ganz ermattet fand, sie hatte von zu großer Anstrengung den Todeskeim davon getragen; sie erkrankte gleich nach meinem Besuch, und ich sah sie nicht wieder. Das Wiederfinden der Brüder Sulpitz und Melchior Boissérée, die ich schon in Paris bei Friedrich Schlegel gesehen,[183] machte mir große Freude, und die neue Kunstansicht, welche der Genuß ihrer herrlichen Sammlung mir aufschloß, war genügend, auf lange Zeit meinem Geist Beschäftigung zu geben. Ich hatte aus den Italienern, und den wenigen Gemälden von der deutschen Schule, die ich bis dahin gekannt, noch kein rechtes Verständniß der Kunst in ihren mannigfaltigen Bestrebungen entnehmen können; hier ging mir ein neuer Sinn dafür auf. Vor allem aber begeisterte mich in Heidelberg der Reichthum einer wundersüßen, so anmuthvollen als im Erhabenen schönen Natur. Kam ich gleich aus dem freundlichen Montmorency, so war es mir doch in dieser Fülle und Herrlichkeit zu Muth, wie einem Vogel seyn mag, der aus dem mit grünen Zweigen umsteckten Käfig in die Freiheit kommt.

Mein erster Ausgang war nach dem Berge, wo die Trümmer des alten Schlosses stehen, die mir, selbst im Spätherbst von Blüthen umwunden, ein wahres Wunder erschienen. Über den Verfall der stolzen Werke von Menschenhand schien die Natur den ewigen Sieg zu feiern, und rieselnde Quellen, die auch im Winter nicht ganz verstummten, sangen mir Trost in's[184] Herz. Mit meinen Kindern ging ich manchen schönen Tag einsam in dem blühenden Gottesgarten, den auch der Herbst so lieblich schmückt, und in der Gegend umher. Ich weidete mich an dem Entzücken der Kleinen, welche auch noch nie die Welt so schön gesehen hatten. Späterhin lernt' ich den Dichter Carl Thorbeke und seinen Freund Leopold von Gerlach kennen; beide ließen es sich angelegen seyn, mir die Reize der Gegend zu zeigen, ihrer anspruchlosen und herzlichen Freundschaft verdanke ich manche schöne Stunde. Ein Gefühl süßen Friedens, köstlicher Beruhigung, füllte mein Daseyn aus, die Fluthen des Neckar waren mir Lethe, in welchen meine Vergangenheit nicht verschwand, sonder als sanft verklärtes Bild mich wehmütig lächelnd grüßte. Ich lebte beinahe ganz einsam, wenn mich gleich mancher Landsmann freundlich zu begrüßen kam: Paul Graf v. Hangwitz, Carl v. Raumer, Hr. v. Lamprecht, Hr. Jakok Berger, Professor Schelver, seine jetzige Gemalin, kamen von Zeit zu Zeit, meinen einsamen Liedern zu lauschen.

Einer meiner liebsten Spaziergänge, den ich auch öfter mit meinem Freund Horstig machte,[185] führte nach dem schönen Neuenheim, das, reich mit Trauben beladen, an den Fuß des heiligen Bergs angelehnt, sich im Neckar spiegelte. Auf einem leichten Nachen fuhren wir über die klare Fluth, links und rechts nur Lust und Fülle auf grünen Gebirgen, im Hintergrund über den tiefblauen Fluthen die schöngebildete Brücke, gegen das Grün der Waldeshöhen im Abendlicht purpurn hinschwebend, und in Westen die Vogesen, der Donnersberg, einen schönen dustigen Gürtel vom zartesten Blau im Abendgolde des Horizontes bildend. Die Fluthen dufteten und die Ufer glänzten; ein seliger, ungetrübter Frieden umfing mein Herz. Ich hatte damals von Heidelberg nur angenehme Eindrücke empfangen, die Menschen, so ganz verschieden von den Franzosen, erfreuten mich durch Offenheit und Heiterkeit des Wesens. In Gesellschaft kam ich nicht, ich sah nur meine freundliche Wirthin mit ihren Töchtern, die Professorin Fischer, und die obengenannten Landsleute; und der für mich so neue Genuß der herrlichsten Natur wurde dadurch erhöht, daß ich nun mir noch ganz unbekannte Werke durch die Freundlichkeit der Madame Fischer erhielt, welche mich stets nach Gefallen in[186] ihrer Bibliothek wählen ließ, und mir immer das Neueste schickte. Diese vielgeprüfte, höchst interessante Frau ist die bescheidene Verfasserin einiger sehr lieben deutschen Bücher, unter denen mich ein Roman: Margarethe, ganz vorzüglich angezogen hat. Ihr schmerzbewegtes Leben voll trüber Erfahrungen hat in ihr diejenige Stimmung hervorgebracht, vor welcher sich tief und zartfühlende Gemüther nicht immer zu bewahren wissen, – daß sie die Menschen liebt und flieht. Sie war mir, als einer schutzlosen Pilgerin, sehr freundlich, und ich verdanke ihr manche angenehme Stunde.

Eins der ersten Bücher, welche ich aus dieser Bibliothek benutzte, war Fouqué's Sigurd, der mich ganz entzückte. Fouqué war durch gemeinschaftliche Freunde meinem Herzen werth geworden, ohne daß ich noch viel von ihm gelesen hatte, dies Heldengedicht ergrif mich sehr, und regte mich wieder zum Dichten an, welches lange unterblieben war. Außer diesen Büchern erheiterten mich die freundlichsten Briefe meines Mannes, er sich unendlich freute, daß meine Kinder in Deutschland so gesund würden, und daß ich mich im deutschen Leben glücklich fühlte. Ich[187] bewohnte einige Zimmer: am Fuß des Schloßbergs, dem schönen Bleichplatz nahe, an dessen Rand ein starker lebendiger Quell unaufhörlich rieselt, über welchen hin herrliche Obstbäume den Fels hinaus gepflanzt sind. Hier waren die Mondabende mir unaussprechlich süß, wenn ich mit meinen Kindern auf der steinernen Bank, von Ephen umrankt, an der Gartenmauer saß, und die Giebel der Schloßruine aus dem Grün des Waldes auftauchten. Ein schmales Gäßchen windet sich von diesem Hause nach dem Kornmarkt hin; Abends drang ein heller Schein vom wunderlichen, in Stein gehauenen, stets reichlich erleuchteten Marienbilde in dies Gäßchen, und erhellte meine und der Kinder einsame Schritte bis zur Hausthür, indeß rings umher Alles still war. Nie vergeß' ich, mit welchem süßen Gefühl von Zuversicht bleibender Ruhe des Daseyns ich an solchen Spätherbst-Abenden heimging, und an das bunte, bewegliche, traurige Paris dachte, das ich so gern verlassen hatte. Diese angenehme Freudigkeit erfüllte nach Gottes Willen wohl meine Seele nur, um mich zu neuen Kämpfen des Lebens zu stärken; aber ich[188] konnte das nicht ahnen, und genoß sie rein, in ihrer ganzen Fülle.

Noch waren in diesen glücklichen Thälern die letzten Gaben des Herbstes nicht ganz den Ästen entrissen, als die liebe Weihnachtszeit nahte. Ich freute mich innig, den Kindern auf deutsche Weise zu bescheeren. Ein ungeheurer Tannenzweig, auf ein starkes Brett befestigt, wurde mit dem Gold und Purpur der würdigsten Äpfel und Birnen beladen, die liebreichen Töchter meiner Wirthin vergoldeten Mandeln, Nüsse und Weintrauben, und stattlich prangte am Abend mit vielem Lichtern der reichbeladene Weihnachtsbaum, für die kleinen Pariser ein Götterfest, da noch mancherlei Zierliches vom Conditor und die Geschichte des Christkindes in der Wiege, nebst vielen Spielsachen den Reiz des Anschauens erhöhten. Den Kindern war noch nicht bescheert worden. Frankreich's Nation weiß nichts von dem anmuthigen Gedanken, daß das Christkind die guten Kinder liebt; keine Aussicht auf ein so herziges Fest erhellt dort die trüben Wintertage. Nur am Neujahrs Abend regnen die Bonbons nebst ekelhaften Spielsachen in die Häuser, so daß das neue Jahr die Kinder mit[189] verdorbenem Magen und verderbter Fantasie findet; denn was kann der Polichinelle, und seine Frau Muhme die Mère Gigogne (eine scheusliche, rothgekleidete Puppe, aus deren Rockfalten ein Haufen Kinder springt, wenn man einen Drath zieht) dem kindischen Gemüthe sagen? Dies sind jedoch die Stereotypen der parisischen Kinderfreuden!

Meine Kleinen waren, wie gesagt, entzückt, und Mitternacht fand noch den leuchtenden Christbaum, und unsre frohen wachen Blicke. Das Christfest leuchtete noch durch die folgenden Tage bis zum Neujahre 1811 freundlich durch unsre einsamen Stunden hin, und das verhängnißreiche Jahr schloß sich heiter in ungestörtem Frieden des Daseins für mich.

(Die Fortsetzung künftig.)

Fußnoten

1 16 Jahre alt war meine selige Mutter damals.


2 Es war Madame Henisch.


3 Ihrem Gemal.


4 Hier diese Stelle: Archenholz England und Italien 10ter Abschnitt, S. 277. 285.

»Die Ehre, den poetischen Lorbeer auf dem Capitel zu erhalten, führte ehedem etwas erhabenes in sich, daher man auch zu dieser Szene den ehemals so verehrungswürdigen Erdraum erwählt hatte, der jetzt immer mehre und mehr herabgewürdigt wird. Wenn Tasso daselbst gekrönt wurde, so ruft Europa noch jetzt nach zweihundert Jahren, seinen Beifall dazu. Wenn aber eine Corilla, deren ganzes Verdienst im Improvisiren besteht, wodurch sie gewöhnlich bei Alltagsköpfen Bewunderung erregt, diesen Lorbeer erhält, so hört er auf, eine Ehre zu seyn, und diese Ceremonie wird zu einer lächerlichen Form. Diese so unverdient berühmt gewordene Person ist als Dichterin so tief unter unsrer Karschin, daß eine Paralelle zwischen Beiden ziehen, Letztere beschimpfen hieße; dennoch schmachtet die deutsche Dichterin in der größten Dürftigkeit, während der Zeit die Italienerin von alten Seiten Geschenke und Pensionen erhält, die noch kürzlich die große Katharina vermehrt hat. So viel kommt auf das Land an, in welchem man geboren wird!«


Anmerkung der Herausgeberin.


Vermuthlich war es diese Corilla, welche der Frau v. Stael den Gedanken zu ihrer herrlichen Corinna gegeben. Wenn die Italienerin sonst kein Verdienst hätte, als das, der Anlaß zu einem so köstlichen Werke geworden zu seyn, so möchte dies allein ihr Rechte an unsre Dankbarkeit geben. Nur allzutief leuchtet aus der Corinna der Fr. v. Stael, die nie genug zu beherzigende Wahrheit ein, daß der Ruhm eine Frau nicht glücklich macht!


5 Eigentlich ist sie nahe bei Tirschtiegel, in der Meyerei eines Fleckens geboren, der aus sieben Häusern besteht, und der Hammer genannt wird.


6 Der evangelische Prediger Hühl zu Tirschtiegel, einer der erleuchtetsten Diener des Herrn, berichtet in einem Briefe an H. Prediger Carl Wunster, daß die vielen Enkelkinder der verewigten Schwester der Karschin Alle Anlage und Trieb zur Poesie und zum Zeichnen, und eine rühmliche Lernbegierde äußern. Ihre Väter, Gottlob und Daniel Borngräber, Bürger und Schuhmachermeister in Tirschtiegel, rühmt der würdige Geistliche als sehr rechtliche und religiöse Männer.


7 Madame Bocquet, geborne Jordan.


8 Es sind in der Eunomia, Jahrgang 1801, meine: Empfindungen und Erfahrungen einer jungen Deutschen in Paris, abgedruckt.


9 Demoiselle Stephanie war bei der Frau v. Genlis in Pension.


10 Sie heißt das Mißtrauen, und steht in der Flora, Jahrgang 1803.


11 Mein erster Versuch in der Malerei waren Rosen, Medaillons mit Genien, die ich machte, im Wahn, die Mutter würde sie brauchen können, um Gedichte drein zu schreiben.


12 An jenem Tage hatte ich das heilige Abendmahl genommen in der lutherischen schwedischen Gesandtschaftskapelle zu Paris, bei meinem würdigen Freunde, Pastor Gambs.


13 Mein Werk: »Leben und Werke der Tochter der Karschin, ein Denkmal kindlicher Liebe«, hat diesen Zweck zum Theil erfüllt. Der erste Theil desselben: Fragment aus dem Leben meiner Mutter, und ein Roman: August und Julie, ist 1805 bei Willmanns in Frankfurth erschienen. Verschiedene Umstände machten es mir unmöglich, den zweiten Theil herauszugeben.


14 Joseph.


Quelle:
Chézy, Helmina von: Erinnerungen aus meinem Leben, bis 1811. In: Aurikeln. Eine Blumengabe von deutschen Händen. Berlin 1818.
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