V.
Erlebnisse im österreichischen Kaiserstaat.

[249] Ausgenommen den Lichtpunkt Prag, war meine Reise nach Wien höchst beschwerlich und langweilig. Wen es nach einem Vorschmack der Hölle lüstete, der mußte damals von Sachsen durch Böhmen und Mähren reisen, und das mit schlaffer Börse wie ich. Der Oesterreicher sagte zu der Zeit: »Der Böhme ist ein Schurke und weiß es nicht!« Ich glaube, bei den wenigsten bedarf es des Nachsatzes. Ich halte den Böhmen für geistbegabt und tapfer von Natur; aber unterdrückt ein Volk, quetscht ihm das Mark aus den Knochen, so wird es elend an Leib und Seele!

Wir trafen in Prag das junge Ehepaar von Holtei. Luise von Holtei war eine der liebenswürdigsten Gestalten, die je die Bühne geschmückt. Sie starb früh. Ihr Andenken wird leben.

Professor Gerle ließ es sich angelegen sein, mir Prag zu zeigen. Clemens Brentano hatte mir ein günstiges Urtheil über diese Stadt eingeflößt, er sagte: »Da es kein Wien mehr gibt, ist Prag noch der beste Wohnsitz für unsereinen!«[250]

Ich hätte darin bleiben mögen. Traulichkeit und Größe lebten in den Eindrücken, die ich dort empfing. Professor Gerle gab uns eine ausführliche Erläuterung über den Proceß Wallenstein's, Herzogs von Friedland. Ein deutscher Gelehrter hatte in Prag die Acten durchstudirt, und Auszüge daraus gemacht, aus denen Wallenstein's Unschuld sich klar und unwiderleglich herausstellte. Der Druck dieser Auszüge kam nicht zu Stande. Wenn Schiller sie gekannt hätte, so würde seine Arbeit leichter von statten gegangen sein; doch würden wir ein anziehendes ergreifendes Bild weniger besitzen, und vielleicht würde der unschuldige Wallenstein minder interessiren als der, den Schiller dargestellt hat, der sie Lehre gibt, die zu oft vergessen wird, daß niemand glauben soll, er habe das Böse in Händen, und könne es guten Zwecken dienstbar machen. Lessing's Wort ist das richtige: »Laß dich den Teufel bei einem Haar fassen, und du bist sein auf ewig!«

Wir schieden mit Bedauern von Prag. Der zugemachte Wagen, den wir genommen hatten, schützte uns nicht vor den Fluten eines Wolkenbruchs, der uns und unser ganzes Gepäck durchnäßte. Wir mußten sogleich auf das Zollamt. Der brave Beamte, der beschäftigt war, die Uebersiedelung unsers Gepäcks in eine Kutsche, die uns nach dem Gasthof führen sollte, zu besorgen, und der sich von uns nichts Böses versah, obgleich meine Kinder langes Haar trugen – denn sie hatten ja keine Bärte –, wurde aus seiner humanen Stimmung wie durch einen Zauberschlag entrückt. Auf seine Anrede: »Declariren Sie nur, womit der Wagen so voll gepackt ist! Sie sind ja schon an der Grenze durchsucht worden, da sind wir gleich fertig!« antwortete ich, in der Meinung, meine Sache vortrefflich zu machen: »Gar nichts[251] Mauthbares haben wir bei uns, nichts als Papiere und Bücher!« Bei diesem Wort zuckte der Alte zusammen, wurde todtenblaß, und hemmte mit beiden Armen die Bewegung der Zolldiener, die eben jeder einen Pack zusammengebundener Bücher aus dem Reisewagen einschieben wollten. »Bücher!« rief er aus. Leichenblässe überzog sein Antlitz. Er ließ das ganze Umgepackte des Inhalts meines Reisewagens wieder hineinbringen, schloß ihn zu, und versorgte ihn in einem Schuppen, indem er sagte: »Bemühen sich Ew. Gnaden morgen um 9 Uhr wieder her, da wird der Herr Hofsecretär Ihnen wegnehmen, was nicht nach Wien hinein darf.«

So mußten wir fort und hatten nicht einmal frische Wäsche für die Nacht. Der Kutscher führte uns in die »Drei Rosen« in der Josephstadt. Wir waren noch kaum aus dem Wagen gestiegen, so behändigte man uns eine Pränumerationseinladung auf »Bäuerle's Theaterzeitung«. Ich schickte sie zurück, und erstaunte über die Aufmerksamkeit des Redacteurs, die wir übrigens mit allen neuangekommenen Fremden theilten.

Schnell hatte sich die Nachricht von meiner Ankunft verbreitet, und es kamen noch denselben Abend mehrere werthe Bekannte, die uns schon »draußen« besucht hatten. »Draußen« heißt nämlich alles, was nicht innerhalb des österreichischen Kaiserthums liegt, und Deutschland heißt so ziemlich alles, was nicht in Oesterreich liegt. Ich wäre neugierig zu erfahren, ob das Hidalgowesen aufgehört hat; wer zwei Stengel Petersilie kaufte, erhielt augenblicklich den Adel in Wien. Das war schön und nicht theuer! Diese Gewohnheit schreibt sich noch aus den Zeiten Karl's V. her, wo auch die Hauptstraße Callemayor, der Abendspaziergang der schönen Wienerinnen, sich in den Kohlmarkt umschuf, als die Spanier fortgingen.[252]

Vielleicht haben überhaupt die Wiener die ominösen Namen ihrer Straßen, Plätze und Häuser umgeändert. »Stöß in Himmel« ist einer, »Zum schmeckenden Wurm« ein anderer; daselbst hatte ein Ritter einen geflügelten Lindwurm erlegt, den niemand wagte wegzuschleppen, weil sein Modergeruch die ganze Gegend verpestet hatte. Das französische und österreichische Volk sagt »schmecken« für »riechen«. Ein Haus hieß »Schab den Rüssel«, und neben diesem eines: »Küß den Pfennig«. Es knüpften sich an diese Benennungen Familiensagen, die aber nicht interessant gewesen sein können, ich würde sie sonst behalten haben.

Den angenehmsten Eindruck in Wien machte die Leopoldstadt, besonders die Jägerzeile. Auf der linken Seite standen die Gezelte vor den Häusern gedrängt nebeneinander, die Tische beladen mit Erquickungen und Eßwaaren, die fremden Gäste wie Bienen dicht umher. Sie trugen vielleicht ihr ganzes Vermögen am Kopf und um den Hals herumgereiht mit vier doppelten Dukaten vom feinsten Golde; lange fahle Gesichter, jung, aber ohne Jugend und ohne Blüte, mit nichtssagenden Augen! Das viele Gold auf Hals und Scheitel gab ihnen eine gewisse Freudigkeit, aber nur von außen. Ich habe mich nie erkundigt, was das für Völker waren, die dort mit Golde prunkten; doch der Anblick war heiter. Die Musik, meist aus Böhmen, verdarb nichts. Die Gläser wurden nicht fleißig geleert, das Backwerk selten umher gereicht Man sah es den dürren Gesichtern an, daß sie keine Wiener waren. Der Wiener mag wol auch im Laufe der Zeiten aufgehört haben, ein Genießer zu sein. Leopoldstadt und Prater genossen wenig Wein; ein braunes widerwärtiges Bier wurde aufgetragen, und der gutmüthige Wiener trank es herunter, es brauchte nicht zu[253] schmecken, wenn es nur da war, und Freund Polichinel tapfer dazu quäckte und lustig dazu prügelte. Die Dramen waren von ungenannten Autoren und stereotyp. Grüner, klangdurchschwirrter Prater, mit deinen Rehansiedelungen, mit deinen harmlosen Menschenmassen, die froh sind, weil sie es sein wollen, löse mir das Geheimniß deiner Zauber und das tiefere deiner Umwandelung! Du ernst, du blutdürstig, du abhold deinen alten Neigungen, untreu deinen Gewohnheiten, gedankenloser Menschenfreund, und absichtlicher Gedankenfeind, du warst des Seins müde, und wolltest werden! Warum? du warst ja gut! Das »Bessere ist des Guten Feind!« sagt der Perser. Dies ist ein tiefsinniges Wort!

Wien ist vielmal geprüft worden seit ich es zum ersten male sah. Wassersnoth, Staatsumwälzungsnoth, Papiergeldnoth und wer weiß was sonst noch für Nöthe hat es durchmachen müssen. Es muß herzbeweglich ausgesehen haben, als die damals noch jungen Herzöge Ferdinand und Franz durch die überschwemmten Gassen wateten oder ritten, durch die kleinsten Hausthüren sich bückend schlüpften, und den Aermsten auf durchnäßtem Lager Geld reichten. Die Linke wußte nicht was die Rechte that. Aber das Rechte that sie, »sie half«. Guter Wiener, du konntest dich empören?

Im Park bei Schönbrunn zeigte man uns die wilden Thiere, die man sehr hungern ließ. Der geistvolle Maler der Blumen, Pflanzen und Thiere, Klein in Schönbrunn, bemerkte gegen uns, daß in den Naturgeschichten eine Rubrik fehle, nämlich die der Thiere, welche ihr eigen Bett fressen. Der Elefant fräße alle Morgen sein Bett. Auch habe sich während eines harten Winters der Wolf in den Garten hineingegraben, und als freiwilliger Jäger gestellt.[254]

Freund Castelli führte uns auf die Theaterkanzlei. Wir lernten Graf Moritz von Dietrichstein, Hofrath von Mosel, den Hofsecretär Schreivogel kennen, und verlebten einige schöne Morgenstunden. Diese drei so ausgezeichneten Männer vereinigten die Gewandtheit des Norddeutschen mit der Gemüthlichkeit des Wieners. Castelli war der wahre Theodor Hell von Wien. Wir versäumten auch nicht Duport aufzusuchen, und Barbaja kennen zu lernen, den lebhaften thätigen Italiener, welcher den Preis der Logen im Operntheater auf 80 Fl. gesetzt, was nie zuvor der Fall gewesen, und gleichwol in der Saison drei Millionen Fl. Schaden hatte. Er empfing mich sehr herzlich, und machte den gewöhnlichen Preis einer Oper, welche für das Kärnthnerthortheater geschrieben ist, voll. Weber hatte geglaubt, den Nutzen des Theaters wahrnehmen zu müssen, und mir in allem nur 30 Dukaten gegeben. Als Barbaja dies erfuhr, machte er, wie bemerkt, die 150 Fl. Conventionsmünze voll, und schenkte mir zu jeder Vorstellung eine Loge im dritten Rang, lud mich auch zu den Proben der »Euryanthe« ein. Dort fand ich den feurigen Lablache, den herrlichsten Baß, den ich gehört; Rubini mit seinem ausdrucksvollen Tenor, nebst seiner Gattin mit einer ausgezeichneten Altstimme; den Bariton Forti; den Tenor Haizinger, der an seinen Erfolgen noch zweifelte: er stellte nämlich einen Fuß, ich glaube den rechten, wie er nicht stehen sollte. Zum Unglück waren die Zuhörer auch Zuseher, und ich glaube, Haizinger legte zuletzt diesen Fehler ab, und stand auf seinen Füßen, wie ein großer Tenorsänger stehen soll.

Henriette Sontag hatte ich in der »Donna del Lago« gesehen; aber diese Oper ließ mich kalt, um so mehr, da mein ältester Sohn sich an diesem Abend ganz übel befand und mir große Besorgniß einflößte. Den Italienern ist es[255] wenig um ein Ganzes zu thun, sie wollen nur eine Mosaik von Effecten; dies liegt im Volkscharakter. Sie kommen zerstreut in das Theater, um sich dort noch besser zu zerstreuen; ihre Loge ist ihr Salon. Nicht so der Wiener. Er fühlt für die Kunst, und gibt sich ungetheilt ihren Eindrücken hin.

Ja, diese Theatergenüsse waren nicht ohne eine Marter, denn die Hitze war eine wahrhaft tropische. Wir konnten es im Theater nicht aushalten, die Wiener hielten aus. Freund Castelli gehörte zur deutschen Partei. Er sagte: »Die Rage für die italienische Oper ist eine bloße Einbildung der Wiener. Wenn die Logen nicht so enorm theuer wären, so würden vielleicht keine zehn genommen sein, jetzt aber will sich niemand ausschließen. Wenn die Sorgfalt für deutsche Musik ebenso weit getrieben würde, wie würde sie aufblühen! Was ist Rossini gegen Weber? Was ist ein David gegen Wild? Und gehen wir zu den Sängerinnen über, so drängt sich natürlich die Frage auf: Was ist eine Fodor gegen eine Sontag? Was eine steife Dardanelli gegen die in allen ihren Bewegungen classische Unger? Sie wissen's wol in Italien, denn sie haben die Unger an sich gezogen!« Und Lablache? fragte ich. »Er ist ein Juwel«, antwortete Castelli, »eine Feuerseele, aber ich gestehe es in den Blättern nicht ein, ich will dem Feinde nicht Proviant zutragen.«

Auch Deinhardstein war von der deutschen Partei; diese erkannte die Rückwirkung nicht an, welche die italienische Oper in ihrer Kunstvollendung auf die deutsche ausgeübt hatte. Jeder Vernünftige konnte übrigens voraussehen, daß Barbaja weder zum zweiten mal eine Auswahl von Sängern zusammenbringen konnte, wie die letzte war, noch alle Jahre mehrere Millionen aufopfern, damit die Deutschen bei den Italienern in die[256] Schule gingen. Dresden hatte früher als Wien eine italienische Oper, deren erste Mitglieder nicht unter den glänzenden wienerischen standen. Wer jemals Cantu gehört, wird ihn nie vergessen; aber 1823 mußte die deutsche Oper in Wien der italienischen die Palme reichen. Karl Maria von Weber war mit schönen Hoffnungen aus der Kaiserstadt nach Dresden zurückgekommen, sie blieben unerfüllt. Die drei ersten Aufführungen der »Euryanthe« hatte Weber selbst dirigirt.

Sowie er Wien verließ, wurde diese Oper so zusammengestrichen, daß man sie nicht mehr kannte. Um alle herrlichen Uebergänge war es geschehen, und was Liebe und Inbrunst geschaffen worden, war fort. Dies hatte Konradin Kreuzer gethan.

Castelli hatte geäußert: »Die ›Euryanthe‹ ist funfzig Jahre zu früh erschienen!« Jetzt sind vierzig von diesen fünf Jahrzehnden verschwunden. Castelli's Ausspruch scheint sich zu bewähren.

Ich kann nicht bei allen edeln Erscheinungen in Wien verweilen, um nicht diesem Werke eine zu große Ausdehnung zu geben. Ich weiß nicht, ob die Wiener jetzt sind, was sie damals waren; doch ich glaube, sie sind es noch: denn die Grundelemente ihres Wesens können sich nicht umgestalten, sie sind zu echt und zu reich, zu großartig, zu seelenvoll, zugleich auch zu frisch. Der Wiener ist zu gutmüthig und rein, um auch nur zu ahnen, was im Herzen der andern Völker vorgeht. Er spricht ein eigenthümliches Deutsch, aber es hat Farbe.

Nicht lange nach unserer Ankunft mußte mein ältester Sohn nach Baden bei Wien. Wir stiegen im Haufe des Grafen Odonnell ab, sprachen mit dem Hausverwalter, und wurden schnell einig. Indeß mein Wagen[257] abgeladen wurde, nahm ich Feder und Papier, und schrieb ein kleines Lied auf. Nachher ging ich Besuche machen und brachte mein Lied gleich mit. Dr. Beck, ein Freund Friedrich Schlegel's, fand, daß auch Max das Bad brauchen müßte, und verordnete das Leopoldsbad, welches soviel ich weiß nur 19° Wärme hat. Unser Aufenthalt entzückte uns. Die Gegend von Baden bei Wien trägt einen ganz eigenthümlichen Charakter des Friedens, der Fülle, der Anmuth, der Wehmuth möchte ich sagen. Die hohen Buchenwaldungen, in deren Schos das Thal heiter wie ein schlummerndes Kind ruht, umfangen es wie eine grüne Schutzwehr, die unser ganzes Dasein von Sorge und Gewühl des Lebens abschneidet. Oft gedachte ich der gefühlvollen Zeilen aus Haller's Lied, das nun vergessen ist:


Die grüne Nacht umlaubter Bäume

Umfängt das Herz wie süße Träume,

Darin die Seel' sich selber wiegt!

Sie zieht die schweifenden Gedanken

In angenehm verengte Schranken,

Und lebt mit sich allein vergnügt.


Um den Weg aus der Stadt nach dem Helenenthal zu verkürzen, wurde ein Felsen gesprengt, damit die Equipagen schnell zur Brücke des Helenenthals gelangen konnten. Von der Brücke führt ein lieblicher Weg nach dem Felsenrand des Waldbachs, den große blaue Waldglocken und wilde Rosenhecken bis zur romantischen Krainerhütte bekränzen, wo wir oft ganze Tage zubrachten. Von dort aus gelangt man die Felshöhe hinauf nach dem eisernen Thor, und überblickt einen großen Theil der Steiermark. Dort hat die große Dichterin Natur das Idyll der Gegend beschlossen, und ein Epos begonnen,[258] wo sich herb Anmuth mit süßer Trauer verschmilzt. Vergleichungen sind im Grunde ein undankbares Geschäft, sonst würde ich sagen, daß der Kirnitschgrund in Sachsen mir lieber ist wie das Helenenthal, und daß dieses vor der großartigen Anmuth und Herrlichkeit des Gosathals erblassen muß. Man sollte eben meinen, es seien die Gegenden, die voneinander so verschieden sind, für die mannichfaltigen Stimmungen der Menschen geschaffen, und daß jeder eigentlich der Schöpfer der Welt ist, die er dort findet.

Der schmucklose Odenwald grünt unter einem Himmel voller Reiz, von welchem die Sterne mit namenloser Pracht herniederglänzen. Baden-Baden, der Niederwald am Rhein, und all die grünen Kränze, mit welchen Gott die Stirn der Erde schmückt, athmen Duft und strömen Licht, säuseln und rauschen den Hymnus ewiger Wonne. Suche nur jeder, dessen Seele stürmt oder glüht, seine eigene Aeolsharfe, er wird sie finden, und jedem geistigen Morgenroth wird seine Memmonssäule erklingen.

Der Sommer neigte sich zu seinem Ende, schöne Herbsttage folgten ihm, sie waren auch geistig belebt. Der Kranz der Geselligkeit in Baden war reich gewoben. Auch von Wien aus empfingen wir viele und liebe Besuche. Die Witterung war so mild, daß sich das Scheiden des Sommers, und dann des Herbstes nur durch kürzere Tage bemerkbar machte. Wir blieben solange es möglich war in Baden. Die Freunde waren alle schon voraus nach Wien. Ein junger Freund Namens Kuppelwieser, Bruder des berühmten Malers, bat mich um ein Drama, zu welchem Franz Schubert die Musik schreiben wollte. Ein schönes Mädchen, das er liebte, M. Neumann, Schauspielerin im Theater an der Wien, sollte[259] dies Drama zum Benefiz haben. Wilhelm Vogel, Director des Theaters an der Wien, mein guter Freund, hatte schon ein Stück zu diesem Benefiz geschrieben, doch ich wußte es nicht. Es hieß »Der böse Krollo«, und that seine Wirkung, als es späterhin aufgeführt wurde; eine drastische Wirkung, wie sie die Vorstädter liebten. Graf Ferdinand von Palffy war Inhaber des Theaters an der Wien, mußte aber seinem Director Vogel, der selbst ein beliebter Lustspiel- und Dramadichter war, die Leitung des Theaters unbedingt überlassen, weil Vogel sein Publikum kannte, und genau wußte, was er ihm bieten konnte, um es zu befriedigen. Er lieferte Kassenstücke. Das war genug, sie hielten eine Zeit lang vor, und füllten den Saal. Wenn sie nicht mehr zogen, wurden sie durch frische ersetzt. Ein famoser Bösewicht war obligat, war Salz und Gewürz; eine Hand voll Liebesjammer, ein mächtiger Beschützer und Retter, ein paar Knalleffecte und das Drama zog an und gefiel!

Der Autor empfing 100 Fl. Conventionsmünze, das Stück mochte gefallen haben oder nicht. Wenn das Publikum die Räume nur sparsam füllte, so behalf man sich mit Comparserie. Eines Abends begab es sich, daß Kaiser Franz mit seiner Gemahlin kommen sollte. Wenn ich mich recht erinnere, so wollten die Majestäten das große Kassenstück »Ein Uhr« sehen, dessen Pointe darin bestand, daß die bösen Geister, welche den jungen Helden Askur ins Verderben ziehen wollen, wie die Tölpel zurückweichen, weil ein wohlthätiges Wesen sich über die Wanduhr hergemacht, damit sie vorausging. Die dummen Geister, welche wahrscheinlich kein Pulver erfunden hatten, hörten Ein Uhr schlagen, und flüchteten sich. Der Held war gerettet. Das Stück hatte unzählige mal das Haus gefüllt. Kaiser Franz wollte es sehen. Ein[260] dienstfertiger Freund sprang kurz vor dem Aufrollen des Vorhangs herbei, Vogel zu benachrichtigen, daß die Majestäten unterwegs seien. Da wurde denn mehr Licht angesteckt, und was nur an Menschen aufzutreiben war höflich eingeladen die Räume zu füllen »damit der Kaiser Leute sähe«. Die Schauspieler überboten sich. Es waren talentvolle Subjecte unter ihnen, und die Majestäten bezeigten ihre Zufriedenheit. Bei alledem konnte sich das Theater an der Wien nicht halten. Vogel ließ es verlosen, und der Inhaber Graf Palffy gewann es zurück. Das war das Schlimmste, was ihm geschehen konnte.

Zu jenem Drama, um welches mich Kuppelwieser bat, schrieb Franz Schubert die Musik. Wie schon erwähnt, war bereits ein Stück zum bestimmten Benefiz geschrieben. Schubert's herrliche Musik wurde gewürdigt, und mit rauschendem Beifall gekrönt. Doch die Dichtung war einmal nicht an ihrem Platz, denn das Theater an der Wien hatte sein eigenes Publikum, und für dies hatte ich nichts schreiben können, da ich es gar nicht kannte. Ueberdem hatte sich Karl Maria von Weber mit Franz Schubert entzweit. Seine Partei war aufgebracht gegen den jungen Tondichter, der nichts Schlimmeres begangen hatte, als daß er auf seine treuherzige wienerische Weise seine Ansicht über die »Euryanthe« aussprach.

Diese Ansicht würde richtig gewesen sein, wenn nicht damals Weber seinen Stil verändert hätte. Er mußte es auch zum Theil, denn bereits fing die Musik an, eine andere Bahn einzuschlagen. Sie suchte Wirkungen durch schwere Massen hervorzubringen. »Wozu denn die schweren Massen?« sagte Schubert. »Der ›Freischütz‹ war so zart und innig, er bezauberte durch Lieblichkeit, in der ›Euryanthe‹ ist wenig Gemüthliches!« Diese Worte genügten,[261] alle Weberianer in Harnisch zu bringen. Die meisten blieben weg, und die, welche kamen, schadeten soviel sie konnten durch ihre Anwesenheit. Dies alles focht mich wenig an. Im allgemeinen waren die Wiener so wohlwollend gegen mich, daß ich den geringen Erfolg meines Stückes bald verschmerzte. Die »Rosamunde« war sehr dürftig ausgestattet worden. Madame Vogel als Ara konnte wenig wirken. Das Publikum sieht zwar gern Mütter in den sogenannten besten Jahren, aber sie sollen jung aussehen. Es hört gern Romanzen von Schubert, und hat dies namentlich bei der meinigen allgemein bewiesen; aber sie erfordern eine frische Stimme. Madame Vogel sang sie brav, und die Instrumentalbegleitung mit Blasinstrumenten konnte ihre Wirkung nicht verfehlen. Fulvius hätte nicht glücklicher gewählt sein können, es war Rott. Das Talent der Fräulein Neumann war noch erst im Aufblühen. Die dritte Vorstellung der »Rosamunde« würde dem Stück volle Anerkennung verschafft haben, aber der »böse Krollo« gab es nicht zu, daß sie gegeben wurde.

Ich war so ungeduldig die »Euryanthe« zu hören, daß mich nichts anderes beschäftigte. Der ersehnte 24. October kam bald herbei. Der Saal war voll bis an die Dachfenster, der Beifall unermessen. Weber dirigirte das Orchester. Er wurde in Wien sehr geliebt und verehrt, doch als er Wien verlassen hatte, wurde das allerdings etwas lange dauernde Stück unverständig zerstückelt, wie ich schon weiter oben bemerkt habe.

Auf dem Burgtheater wurde im Lauf des Winters mein kleines Lustspiel »Der Wunderquell« sehr anmuthig aufgeführt. Das Dichten für Musik, mein eigentlichstes Fach, hatte so hinreißenden Reiz für mich, daß ich mich fast ausschließlich damit beschäftigte.[262]

Duport ließ mir zu jeder Vorstellung auf dem Operntheater eine Parterreloge öffnen. Dort brachte ich mit meiner Schreibtafel, wogend in der Fülle der Genüsse, meine Abende zu. Solange die Sontag am Kärnthnerthor beschäftigt war, gingen wir vorzugsweise dorthin. Man konnte nichts Anziehenderes sehen als sie, besonsonders in schalkhaften Rollen, als Zerline, Susanne und andere dieser Art. Die Wiener wußten gar nicht, welchen Schatz sie besaßen, und ließen sie Abschied nehmen.

Die junge siebzehnjährige Künstlerin, die eine so glänzende Zukunft vor sich hatte, wurde bei der damals dort herrschenden Stimmung beinahe ganz unterdrückt; sie war ja keine Welsche. Madame Fodor, das reichhaltigste Talent, das man kannte, sah bald ein, was in der Sontag aufblühte. Sie hatte keinen Sinn für die Bewunderung und Liebe ihrer holden Mitbewerberin. Es war einmal bei Duport die Rede von einer Aufführung des »Figaro« auf Italienisch. Ich hatte die Susanne von der Sontag gesehen. »O«, rief ich aus, »halten Sie diesen glücklichen Gedanken fest; wie wird die Sontag auf Italienisch entzücken!« Ein krauses Gewölk mit zuckenden Blitzen umschattete die Züge der italienischen Primadonna. Duport entging es nicht, er fiel rasch ein: »Ja, wenn Madame Fodor alle Rollen besetzen könnte; wir haben auch keine Gräfin Almaviva, und was die Sontag betrifft – Mit Bitterkeit unterbrach ihn Madame Fodor: Diese kleine Deutsche weiß gar nichts!« Duport brach klüglich das Gespräch ab. Aus der italienischen Vorstellung des »Figaro« wurde nichts. Als aber einige Jahre darauf Madame Fodor in Paris war, »die kleine Deutsche, die gar nichts wußte«, hinkam, und alles ihr huldigte, da – dies ist Thatsache – schloß sich Madame[263] Fodor ein, wollte nicht auftreten, und ließ sich krank melden. Ich erfuhr dies mit Vergnügen.

Eines Abends, nicht lange vor ihrem Scheiden, ging ich auf das Theater, um ein paar herzliche Worte mit ihr zu sprechen; da rief das gute Kind aus: »Ach Gott, wir gehen jetzt alle von Wien, und wenn ich draußen kein Engagement finde, so müssen wir alle den betteln gehen!« Dies sagte sie mit Thränen in den Augen, mit schmerzdurchzuckten Lippen, süß umglänzt von ihrer siegprangenden Schönheit und Lieblichkeit. Ich tröstete sie kräftig und zärtlich. Sie gab ihr Abschiedsconcert. Zum Glück war es garantirt. Späterhin gingen den Wienern die Augen auf, sie konnten gar nicht begreifen wie sie dieselbe hatten weggehen lassen können. Rahel schrieb, nachdem sie die Fodor gesehen: »Nächstens erfinden die Engländer eine Maschine, die so artig singt!« Es lag Wahrheit in diesem Ausspruch, und dennoch war er ungerecht. Henriette Sontag war keine Milder-Hauptmann, keine Schechner, keine Heinefetter, ihre Kraft war ihre Lieblichkeit. Alles, was sie ahnen ließ und nicht enthüllte, tönte wie aus höhern Sphären. Clara Novello sang wie sie, man konnte sie hörend sich an die Sontag erinnern; doch man dachte nicht an Clara Novello, wenn man die Sontag hörte. Auch die Seidler-Wranitzki erinnerte an sie, die aber dennoch einzig blieb.

Ich fand die Wiener noch immer in Klagen ausbrechend über die verschwundene »gute Zeit«, die fort war wie »die Fremde« in Schiller's Dichtung, und gekommen wie sie, man wußte nicht woher. Zu groß war meine Wehmuth bei solchen Worten, als daß ich hätte fragen mögen, was ich doch so gern gewußt hätte. Mir kam die Zeit, die ich in Wien verlebte, noch immer so anmuthig, so geistdurchbebt vor, daß ich nicht begreifen[264] konnte, was denn die lieben Wiener beklagten. Sie waren so genussesfähig und so reich an Genüssen, so frischherzig, so empfänglich, so treu ihren Günstlingen, so stolz auf ihre Notabilitäten, wie es eine gute Mutter auf ein herrliches Kind ist. Man konnte kein erfreulicheres Volk sehen, und von allem, was sie liebenswürdig machte, wurde wehmuthvoll behauptet, daß es noch ganz anders gewesen sei. Möge Wien nur das geblieben sein, was es damals war, so werden noch immer diejenigen beneidenswerth sein, die es bewohnen. Möchte ihnen nur niemals die herrliche Eigenschaft verloren gehen, den Menschen gelten zu lassen was er ist und wie er es ist! Man hörte wol einzelne Klagen über Zwang; nie habe ich aber eine freiere Gesellschaft gesehen, als die in Wien. Die Wiener sind nicht fertig, so wenig wie der Baum fertig ist, der noch Aeste treibt, noch Wurzeln ansetzt und sich noch Jahr für Jahr mit neuen Blüten schmückt, und wie der Fels, in dessen Innern, er Außenwelt verborgen, noch Metall und Edelsteine sich bilden, welche die Zukunft ausbeuten wird.

Ich habe noch beinahe ganz von meinen Freunden in Wien geschwiegen; es fällt mir schwer ihrer zu erwähnen, denn zu groß war ihre Zahl, zu gehaltreich ihr innerer Werth. Nur von wenigen will ich sprechen.

Mein ältester Sohn hatte sich schnell einen dichterischen Kreis geschaffen, in welchem er heimisch wurde; ihn bildete eine Anzahl von ausgezeichneten jungen Leuten, von denen er mir täglich zu erzählen pflegte. Die Bedingung der Aufnahme in diesen Kreis war, ein Sonett Shakspeare's mitzubringen. Wilhelm's Gedicht gefiel allen, und der aufblühende Dichter wurde als Meister behandelt. Wilhelm befreundete sich dort mit Herrn von Bauernfeld, Ernst von Feuchtersleben, Andreas Schuhmacher,[265] Christian Huber und andern verheißungsvollen Dichtern, deren Knospe sich reich entfaltete. Mehrere von ihnen, z.B. Christian Huber, Andreas Schuhmacher, waren nicht allein Dichter, sondern auch vortreffliche Linguisten. Auch Moritz von Schwind, der geniale Künstler, gefiel sich sehr in ihrem Kreise. Erfreulich sind die Werke von jugendlicher Hand; es ist als strömte Jugend für den Beschauer aus ihnen hervor, und die Wonne des Schaffens geht auch auf sein Gemüth über. Moritz von Schwind arbeitete jenen Sommer an seiner köstlichen Zeichnung »Die Hochzeit des Figaro«. Welche Kraft, welche Gedankenfülle, welch überschwenglicher Humor, welche Heiterkeit! Wer mag das köstliche Kunstwerk besitzen? Nur in den besten Werken der florentinischen Schule habe ich eine so innige Verschmelzung der Romantik mit dem Geist der Antike gefunden. Eine sehr liebe Bekanntschaft war uns die des originellen Malers Ruß. Die Gegenstände seiner zahlreichen Gemälde sind alle von glücklicher sinnreicher Wahl und umfassender historischer Kenntniß. Ruß malte ungefähr so wie Fouqué schrieb. Was ich hier meine, kann nur der verstehen, der die Werke des einen las, die des andern sah. Ueberströmende Fülle schöpferischer Kraft ohne Wahrheit, ein Typus für die Züge, Physiognomien und Gestalten, wie auch nicht minder für das Colorit, ein Streben nach Charakteristik, welches mitunter gelungen ist, lebendige Gruppirung, das Ganze erfreulich durch die Intention, abstoßend durch Mangel an Einklang und Vollendung – das sind die Eigenschaften, durch die sich beide verwandt zeigten.

Es sind mir von seinen Bildern wenig im Gedächtniß geblieben; von diesen nenne ich Kaiser Maximilian, der durch die Gasse geht, mitleidig auf die Negerinnen blickend,[266] die gestäupt werden, weil sie sein Schicksal beklagen, und ein anderes, den unschuldig angeklagten Edelmann Metter darstellend. Der Kaiser ruft aus: »Das that der Metternich!« Und von der Stunde an nannte man den unschuldig Gekränkten »Metternich«. Der Beschauer dieser Bilder freut sich des lebendigen Geistes und der Phantasie, die darin vorherrschen. Es bedarf nur wenig Arbeit mit dem Auge, um sie zu verstehen und vollenden zu helfen; die Gruppirung ist klar, oft gelungen.

Ruß starb jung. Er hatte sich immer sehr warm des Unterrichts seiner Kinder angenommen. Es wurde sogar behauptet, er bediene sich nicht der sanftesten Mittel, um ihnen Geschmack für die Kunst einzuprägen. Sein wackerer Sohn Leander und seine liebenswürdige Tochter Clementine waren noch sehr jung, als ich Wien verließ, und besaßen vielverheißende Talente, Schönheitssinn, Geschmack und Zartheit. Vor meiner Abreise wurde Ruß ein kleiner Sohn geboren. Er führte alle Besucher an das Lager des Knaben, und rief allen frohlockend entgegen: »Sehen Sie, da liegt mein christlicher Bildhauer!« Doch der Knabe starb in den ersten Wochen seines Daseins. Ruß war äußerst belesen, und sehr angenehm im Umgang. Erzherzog Johann bezeigte ihm viel Achtung und Zuneigung, und bat ihn sich mehr als einmal zur Begleitung auf seinen weiten Wanderungen durch die Gebirge aus. Ruß war stolz auf diese Auszeichnung, und mit Recht.

Der Erzherzog führte ein Leben, zu welchem er kein Musterbild genommen hatte, wiewol es so vortrefflich war, daß zu wünschen wäre, daß es sich die Söhne des Thrones zum Muster nehmen. Er vereinigte schon in früher Jugend mit wissenschaftlichen Kenntnissen und geläutertem Geschmack für Poesie, Literatur und Kunst[267] alle Tugenden des Privatstandes. Er hatte sich vom Kaiser erbeten, statt eines theuern Hofhaltes, den Aufwand für einen solchen ersparen zu dürfen und für die Armen zu verwenden. Der Kaiser glaubte durch ein solches Verfahren alle diejenigen zu beeinträchtigen, die ein angeborenes Recht auf Hofstellen hatten, darum schlug er die Bitte ab. Erzherzog Johann beschied sich nach seinem Bedürfniß und Willen zu leben, ohne seinen Bruder, den er innig liebte, zu kränken.

Er wollte keine Prinzessin heirathen. Ein liebliches junges Mädchen aus dem Privatstande wurde die Seinige. Die ganze kaiserliche Familie bezeigte ihr Achtung und Liebe, mit solcher Zartheit und Herzlichkeit, als wäre sie in ihrer Mitte geboren. Diese Verbindung war eine der glücklichsten, die man jemals sah. Nanette Plochel, die Tochter des wackern Postmeister von Aussee, erfüllte ihren neuen Beruf als Gattin des Erzherzogs mit allem Eifer und aller Umsicht, die eine Throngeborene nur hätte anwenden können. Die Geschichte dieser Vermählung ist so oft in die Welt entstellt gekommen, daß ich es mir zur süßen Pflicht mache, sie wahrheitgetreu zu berichten.

Der Erzherzog war oft im Gebirge. Sein Weg führte ihn durch Aussee. Er pflegte beim Postmeister abzusteigen, und unterhielt sich gern mit dem jüngsten Töchterchen, dessen Lebhaftigkeit und Geist ihn so ergötzten, wie sich ein zärtlicher Bruder eines angenehmen Schwesterchens erfreut. Er fragte sie oft scherzweise: »Nanette, willst du mit mir kommen, wenn du groß bist?« Das Kind umschlang ihn mit beiden Aermchen, drückte ihn an sich, verbarg sein kleines Gesicht an seinen Hals, und hob seine thränenschweren Augenlider zu ihm hinauf. Sein Herz war tief gerührt, er schwelgte in[268] seinem Glücke, der Krone seines schönen Lebens. Es war für ihn ein Heiligthum, unberührt von Wünschen und Gedanken, die es hätten entweihen können.

Als Nanette ihr sechzehntes Jahr erreichte, trat eines Morgens der Erzherzog sichtlich bewegt in die alterthümlichen Hallen der Post ein, zog Nanette an sein Herz und betrachtete sie mit strahlenden Blicken voll Innigkeit und Rührung. Ihr Vater und ihre Geschwister erstaunten, und wagten nicht, seinem so veränderten Bezeigen eine Deutung unterzulegen; nur Nanette verstand es, denn sie weinte laut. Der Erzherzog rief dem Vater zu, auf einen großen Bogen verschiedene Namen aufzuschreiben. Der Postmeister gehorchte. Der Erzherzog bat ihn, durch erpresse Boten alle die Personen, die auf der Liste standen, zu seiner Vermählungsfeier mit Nanette Plochel einzuladen. Heftiger weinte Nanette, inniger umschlang sie den Geliebten, dessen Hand sie nie gehofft zu besitzen, und über dessen Empfindungen für sie erst der jetzige Augenblick ihr Klarheit gab.

Ihr Vater aber erblasste und bebte heftig. Er stürzte zu den Füßen des Erzherzog Johann nieder, und flehte ihn bei allem was heilig an, ihn nicht unglücklich zu machen und den Frieden seines Lebensabends nicht zu stören! Der Erzherzog lächelte sanft, und bat den Alten sich zu beruhigen, und ihm zu vertrauen. »Er kenne ganz den Werth des Geschenks, das er von ihm erbitte, und wolle sein Kind glücklich machen«, fügte er hinzu. Nanette hatte keine Worte; sie weinte nur über Johann's Hand, die sie mit Küssen bedeckte. Ihr Vater konnte ihren stummen Bitten und glühenden Thränen nicht widerstehen, er wagte zu äußern, daß dieser Entschluß des Prinzen ihm vielleicht seine Freiheit oder gar sein Leben kosten würde, allein er gäbe nach, um nicht Nanettens Herz zu brechen. So[269] wurden denn die Anstalten zur Vermählung getroffen, die ganz in Stille vor sich ging. Die Stimmung der Neuvermählten und ihrer Familien war ernst und feierlich, aber beseligt.

Es geschah hier was so selten der Fall ist, ein Bündniß an des Thrones Stufen aus innerer Nothwendigkeit geschlossen. Es verletzte keine Pflicht, kein Verhältniß. Zwei freigeborene Menschen schlossen aus freiem Antrieb und wahrer geprüfter Zuneigung den Bund für die Ewigkeit, der ihr Leben heiligen und beseligen sollte.

Als ich nach Aussee kam, um das Stift Admont zu besuchen, eilte ich zu Postmeister Plochel, um ihm den Zweck meiner Reise zu erklären. Ich bat ihn und seine Familie, die junge Gemahlin des Erzherzogs davon in Kenntniß zu setzen. Ich fand sie hierzu ganz geneigt, und werde späterhin auf diesen Zeitpunkt zurückkommen. Für jetzt muß ich noch bei meinen Erinnerungen aus Wien verweilen.

Unser gesellschaftlicher Kreis war dicht geschlossen; er wirkte zwar nur oberflächlich, aber doch erfreulich auf uns. Wilhelm studirte Geschichte und Philologie, Max seine Kunst in Abbildungen nach der Natur; Max aber war durch zu verschiedene Schulen gegangen, um sich einen eigenthümlichen festen Stil zu bilden, er verließ sich zu sehr auf seine angeborene Fähigkeit zur Charakteristik, und that doch auch wiederum zu wenig, um auf dem Naturwege zum Ziel zu gelangen. Dies Schwanken wurde ihn schädlich. Ihm fehlte der Muth, frisch um sich her zu greifen und das Errungene fest zu halten. Seine ersten Studien machte er in Dresden, unter Professor Hartmann's weiser und meisterhafter Leitung. Wir mußten nach Wien, wo er die Akademie fleißig besuchte, und Wahrheit errang, aber nicht Methode. Der in Dresden so zart[270] und kräftig errungene Schönheitssinn ging, wenn nicht verloren, dennoch zu sehr in treuherzige Wirklichkeit über, die zu nichts führen konnte. Unsere Reise nach dem Salzkammergut riß den Jüngling aus allen Studien heraus, und übergab ihn ganz allein der Natur. Dieser Weg war für ihn der rechte, doch er verließ ihn, als er nach Frankreich ging, wo ihn sein Vater zum Maler Hersent brachte, dem wackersten Techniker, den er nur hätte ausfindig machen können. Ein unwiderstehlicher Hang trieb ihn auf den frühern Weg der heitern Anmuth und Innigkeit zurück, den er unter Hartmann und Wach eingeschlagen. Er copirte die berühmte »Brautschau« von Greuze, und in bewunderungswürdiger Weise. Er hatte dem eigenthümlichen Meister seine zartesten und tiefsten Geheimnisse abgelauscht. Die Juliusrevolution hinderte ihn, dies Bild zu vollenden, welches mir leider in meinen alten Tagen gestohlen wurde, als ein schlauer und frecher Dieb, der unter dem erborgten Namen I. Moore in irgendeinem Weltwinkel lebt, Mittel gefunden hatte, mich wahrscheinlich durch Chloroform einzuschläfern und mit Hülfe meiner damaligen Umgebung auszurauben. Meine schönsten und liebsten Bücher in Prachtbänden, meines Max früheste und letzte Werke, seine Skizzen, die Bildnisse unserer liebsten Freunde und Freundinnen wurden mir entwendet, und doch hatte ich diesem Menschen nur Gutes erzeigt. Noch kann ich nicht an diesen Raub denken, ohne den heftigsten Schmerz zu empfinden, und nur schwer fasse ich den Trost, daß es Gott war, der ihn zuließ, in unerforschlicher, aber gewiß heilsamer Absicht.

Der Mangel an Landluft wirkte sehr empfindlich auf uns alle; ich glaubte diesen Uebelstand durch eine Wohnung in der Heugasse beseitigen zu können. Nur drei oder vier Häuser von der Familie Schnorr von Karolsfeld entfernt,[271] dem fürstl. Schwarzenberg'schen Garten gegenüberliegend, frische Luft vom Linienwall empfangend; in nächster Nähe des herrlichen Schlosses Belvedere, schien uns diese Wohnung alle wünschenswerthen Vorzüge zu vereinen, und that es auch an den Tagen, wo kein Zucker in der nahegelegenen Zuckerfabrik gebrannt wurde. Wir waren jetzt in demselben Fall wie in Dresden, wo auch ein solches Etablissement uns aus unserer Wohnung vertrieben hatte, und litten unbeschreiblich durch die Ausdünstungen des Ochsenblutes, die jeden Athemzug vergifteten. Schnorrs litten nicht dadurch, denn die Gassen machten einen Bogen, der die gräßlichsten Dünste nach einer andern Seite hinführte. Einen Theil des Frühlings brachten meine Söhne im Schloß Niederwallsee bei unserm unvergleichlichen Freunde Graf Konstantin Wickenburg zu. Auch mein Max hatte einen Krankheitsstoff aus unserer Wohnung mitgenommen, der ihn dem Grabe nahe brachte, ohne daß ich es wußte; auch wurden die Arbeiten in der Fabrik erst im hohen Sommer lebhaft betrieben. Es war der glühende Sommer 1826, der uns in dieser unheilvollen Wohnung fand. Dr. Jeitteles, ein junger Mann, dessen Gemüth, Geist und Kenntnisse im schönsten Einklang standen, und sein Freund, Dr. Grohmann, bestanden darauf, daß wir auf das Land müßten. Grohmann verschrieb eine Fußreise über Baden und Heiligenkreuz, nach Marienzell in das Salzkammergut, um dort die Soolbäder zu gebrauchen und in der unvergleichlichen Luft der Gebirgswaldungen zu genesen. Wir hatten mehrere vortreffliche Aerzte gehabt, die uns die höchste Achtung für ihre Wissenschaft eingeflößt hatten. Welche Wunder hatte unser Freund Koreff an uns gethan! Hufeland, Osann, Hofrath Althof in Dresden, Hofrath Czihak, dessen bescheidenes[272] Andenken nicht neben dem jener großen Männer glänzt, aber dennoch immer blühen wird, waren uns unaussprechlich theuer, unser Glaube an sie war unerschütterlich.

Was Dr. Grohmann betrifft, so hatte dieser lange in Aegypten bei Mehemed Ali verweilt, und sich dort sehr wohl befunden. Mit der höchsten Achtung nur gedachte er seines ehemaligen Gebieters und der Türkei, aus welcher ihn ein unüberwindliches Heimweh nach Wien zurückgetrieben. Die Fußreise, die er verordnete, war uns allen sehr heilsam; allein mit dem Soolbad war er auf einem Irrwege – es schadete uns allen. Dr. Klinstein, der verdienstvolle Badearzt von Gmunden, machte uns auf die Gefahren desselben aufmerksam, und wir folgten ihm. Von der Wassercur war damals noch keine Rede; doch auch bei dieser bedarf es der höchsten Vorsicht.

Die eigentlichste Cur für alle Geschaffenen ist – ein tugendhaftes Leben, ein strenges Abwenden von allen Lastern der sogenannten Civilisation. »Laßt uns besser werden, gleich wird's besser sein!« Der große Hufeland hat hierüber vieles angedeutet. Es ist zwar die bequemste, und wenn man will die angenehmste Art, sich in leidlichem Zustand zu erhalten, selten zu erkranken, und durch die Behandlung eines geschickten Arztes wenigstens scheinbar zu genesen; allein oft brütet die in den Körper zurückgetriebene Krankheit Verderben. Strenge Tugend ist der einzige rechte Arzt; sie ist nicht so leicht wie Arzneinehmen, aber weder so gefährlich wie dieses, noch wie eine unvorsichtig gebrauchte Wassercur. Der berühmte französische Arzt Tissot kam Hufeland nahe. Die Herren Aerzte sollten seine Werke studiren; denn die Neuheit der eingeschlagenen Wege kann den Nutzen der geprüften Erfahrung nicht ersetzen, die noch immer ihren Werth behält, wenngleich die[273] Lebensweise der jetzigen Welt gegen die Anwendung früherer einfacherer Mittel streitet, und vor allem das oben vorgeschlagene verwirft. O es wird anders werden! Es wird eine Zeit kommen, welche die Menschheit in das Geleis der Vernunft und Ordnung wieder zurückführen wird, aber nicht aus freiem Willen, sondern durch heilsame Notwendigkeit; denn bereits schlürft die Menschheit an den Hefen des Taumelbechers.

Wie ahnungslos betritt der kurzsichtige Mensch seine verhängnißvollsten Lebensbahnen: was ihm Mittel scheint, ist Zweck; er aber weiß es nicht. Mancher müht sich redlich ab, und wenn er am Ziel seiner Kräfte ist, wird er es gewahr, daß er nur einen Maulwurfshaufen aufgeworfen hat!

Unbewußt stand ich im Salzkammergut an dem entscheidendsten Wendepunkt meines irdischen Daseins. Ich zweifle, daß ich Kraft finden werde, das Ueberschwengliche zu schildern, was in mein Leben und Handeln eintrat. Viel Täuschung waltete dabei ob; aber Wahrheit war mein redlicher Wille, den verwüstenden Krebsschaden zu heilen, der an einem guten bravgesinnten Volke nagte und seine schönste Kraft verzehrte.

Manches ist mir von meinem schweren und frommen Werk gelungen. Ich habe mehr geopfert, als meine Ruhe und Gesundheit. Die Lockung war zu groß; ich vertraute zu kühn auf meine eigene Kraft. Mit Recht sagte einmal Erzherzog Johann: »Wenn das Gute zu üben leicht würde, so hätten wir den Himmel auf Erden!« Auch er fühlte sich aus innerer Notwendigkeit gedrungen, mit weiser und zarter Hand an die Aufgabe der Zeit zu gehen. Auch er stieß auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Sein Bruder, der Kaiser Franz, war gut und wohlmeinend; er wollte das Gute, das Rechte.[274] Sein guter Engel, die Kaiserin, kämpfte mit Besonnenheit und Kraft gegen die Einflüsse, die des Kaisers edeln Willen lähmten und den Standpunkt seiner Ansichten verschoben. Er pflegte von ihr zu sagen: »Ich habe drei Kaiserinnen gehabt, jetzt habe ich ein Weib!« Sie äußerte zuweilen: »Ich bin im Staate nichts als des Kaisers Weib!« Ich hörte das nicht gern. Die Ansicht war bescheiden und rein weiblich, aber bei dem Geist, den sie besaß, wäre es ersprießlicher für den Staat gewesen, wenn die Kaiserin sich erinnert hätte, daß sie berufen war, dem Kaiser mehr zu sein als ein Weib. Eine gewisse nothwendige Reform im ganzen Hauswesen der kaiserlichen Burg war ihr gelungen, und hatte der edeln Frau große Mühe gekostet. Der Gegenstand war dringlich, es mußte Ordnung gemacht werden. Die Gebräuche und Misbräuche einer frühern Zeit konnten nicht mehr bestehen, wäre es auch nur der Ordnung wegen gewesen. Man hatte ehemals den Glanz und die Würde eines kaiserlichen Hofes in der Vergeudung gesucht. Nicht ohne Gefahr konnte man diese fortsetzen. Die Kaiserin wollte dem Volke zuwenden, was die feiste betreßte Camarilla verschlang. Dies war kein leichtes Werk, und ich weiß nicht genau, ob es in seinem ganzen Umfang gelungen ist. Ich könnte hier einige Beispiele anführen, um einen Begriff von dem zu geben, was vorgenommen werden mußte und zum Theil auch wurde. Z.B. ein wackerer Mann, der nützlicher verwendet werden konnte, genoß in vollkommenster Ruhe einen ansehnlichen Gehalt als Kammerherrenansager. Seine Functionen bestanden darin, daß er, wenn ein neuer Kammerherr an den Hof kam, in der Stunde seines Empfangs die Flügelthüren öffnete und den neuen Ankömmling meldete, worauf er sich alsbald bescheiden zurückzog.[275] Von mehreren ähnlichen Ausgaben werde ich nur einige nennen, die wahrscheinlich abgeschafft wurden. Ein Mitglied des Burgtheaters wurde mit einer Sinecure ähnlicher Art begnadigt. Er bezog 500 Kaisergulden jährlich, und hieß kaiserl. königl. Ofenheizer. Einen andern Herrn wird man im Hofkalender unter der Bezeichnung: »kaiserlich königlicher Hofschwanzrührer« mit einem ansehnlichen Gehalt bezeichnet finden. Seine Function war eine Oberaufsicht bei den Feuerröhren der Oefen und Kamine. Ich glaube nicht, daß er sie oft untersucht hat. Centnerweise und sackweise wurden Zucker und Kaffee an die Domestiken vertheilt, ebenso Lebensmittel und Speisen. Dies und ähnliches wurde gestrichen. Das kaiserliche Hofgesinde empfing nun Kostgeld. Ich glaube mich zu erinnern, daß ähnliche Misbräuche, die stark in die Kasse griffen, nun auch an den königlich sächsischen und bairischen Höfen abgeschafft wurden.

In ihrer gewöhnlichen Kleidung beobachtete die Kaiserin große Einfachheit. Sie that viel für die Armen in allen Provinzen des Reichs, und suchte immer ihre Wohlthaten auf eine Art einzurichten, daß sie im allgemeinen ersprießlich wurden. Wollene Decken, welche sie verfertigen ließ, wurden an Arme vertheilt, die kein Bett hatten. Die Leinwand, die in Salzkammergut gesponnen und gewebt wurde, war zum Verkauf bestimmt. Das daraus gewonnene Geld wurde Zum Ankauf frischen Flachses und zu neuem Arbeitslohn verwendet u.s.w. Die Kaiserin hatte auch eine Erziehungsanstalt für junge Domestiken errichtet. Den ersten Impuls hatte ein schweizer Canton dazu gegeben, ich weiß nicht welcher. Zwei würdige Fräulein in Strasburg hatten nach diesem Muster eine ähnliche Anstalt errichtet, welche ich 1836 in voller Blüte fand. Es sollte keiner Stadt an ähnlichen[276] Anstalten fehlen, deren Nutzen und Segen unermeßlich ist. Arme Mädchen werden darin von zartester Kindheit aufgenommen, zur Arbeit angeleitet und zur Ordnung, zum Fleiß, zur Religion, zur Reinlichkeit und zu gesittetem Betragen angehalten. Die Arbeiten, welche sie verfertigen, werden zum Theil zum Besten der Anstalt verkauft, zum Theil für die Mädchen selbst verwendet oder zu einer Aussteuer für dieselben aufgehoben, die ihnen mitgegeben wird, wenn sie die Anstalt verlassen. Eine Menge Familien sind aufgemerkt, und werden nach der Reihe versorgt, sobald ein solches Kind 18 Jahre erreicht. Man erzieht sie nicht für den Küchendienst. Es ist erfreulich, diese jungen Mädchen alle so gesund und heiter zu sehen. Ich dachte jedoch mit tiefer Wehmuth daran, wie selten es ist, so glückliche Kinder im Schos der Familien anzutreffen, und welchen traurigen Einfluß die meisten Familienverhältnisse, die Zwistigkeiten der Aeltern, der tägliche Kampf mit der bittersten Noth und alles übrige Weh, das mit der höchsten Dürftigkeit verbunden ist, auf die unschuldigen Kinder ausüben. Schon oft habe ich darüber nachgedacht, daß Menschenfreunde für allgemeine Erziehung der Kinder aus der Volksklasse sammeln und sorgen sollten, damit der arme Mensch doch wenigstens eine glückliche Kindheit hätte, und die Grundlage zur Sittlichkeit und Rechtschaffenheit in das Leben hinübernähme. Für viele Waisenkinder sorgt der Staat; doch das Kind, welches im Elend geboren, zugleich bei lasterhaften Familienmitgliedern lebt, ist schlimmer daran, als ein älternloses Kind. Es gibt soviel bemittelte Menschen, die sicherlich von ihrem Ueberfluß keinen bessern Gebrauch machen könnten, als den, ihn für die Erziehung solcher armen Kinder[277] zu verwenden. Es gibt soviel einzelnstehende Frauen und Mädchen –: welche gottgefälligere Anwendung ihrer Zeit könnten sie ersinnen, als einige Stunden des Tages der Aussicht oder dem Unterricht solcher Kinder zu widmen? Soll man nicht Keime pflegen, ehe die Pflanze emporsproßt? Und wenn auch die vortrefflichsten Bestrebungen durch die Gewalt der Umstände lange Zeit vereinzelt bleiben müssen: darf man nicht erwarten, daß sich das Einzelne nach und nach zum Ganzen gestaltet? Beklage sich doch keine, die einzeln auf der Welt steht; sie suche nur eine Familie, sie wird bald eine finden. Sie unterstütze eine arme Familienmutter, sie unterrichte und bilde ein verwahrlostes Kind, so wird ihr dabei zu Muthe sein, als wäre es ihr eigen.

Die Kaiserin Witwe von Oesterreich hat beim Lichte des Schmerzes den Weg zum wahren Glücke gefunden. Ihre erste Vermählung war nur eine Verlobung unter diesem Namen. Die Scheinehe, die aus politischen Rücksichten geschlossen worden, wurde getrennt. Kaiser Franz von Oesterreich fühlte sich glücklich in Charlotten Augustens Besitz, und sie suchte und fand Trost für die Leiden der umstürmten Jugend in den frommen Mühen um das Glück ihres Gemahls, um die Linderung der öffentlichen Leiden; denn wer so glücklich war ihr nahe zu stehen, hielt es auch für Pflicht, sie vom wahren Zustand der Dinge in Kenntniß zu setzen. Auch ich that es treulich und herzhaft, ich gab mich in der Nähe einer so hohen Frau voll Geist und Empfindung, voll Poesie und Anmuth, willig dem Zauber hin, der von ihrem Wesen ausströmte, der strengen Pflicht, die Stunden, die ich bei ihr zubrachte, einzig und allein den Leidenden zu widmen, welchen sie helfen konnte. Sie verstand mich, und vielleicht wurde ich ihr dadurch lieber.[278] Sie fühlte, daß weder Absicht noch Zufall mich in ihre Nähe geführt, sondern göttliche Fügung.

So schwer es mir bei meinen jetzigen Leiden wird, meine Gefühle in Worte zu fassen, so muß ich dennoch in diesem Werke, meinem letzten Vermächtniß an die Welt, zu schildern versuchen, was mich damals beseligte, erhob und entzückte.

Es war im Sommer 1826, wo die furchtbare Hitze und die Ausdünstungen der Zuckerfabrik, verbunden mit dem unbeschreiblichen Fleiß meines Sohnes, der über seine Kraft hinausging, diesem eine schwere Krankheit zugezogen. Dr. Grohmann verordnete Blutegel, späterhin, wie schon erwähnt, eine Fußreise bis nach Gmunden und eine Soolcur. Ich habe schon bemerkt, daß ihm diese nicht zuträglich sein konnte. Wir rüsteten uns zu der vorhabenden Reise, und machten theils zu Wagen, theils zu Fuß den vorgeschriebenen Weg.

In Kloster Heiligenkreuz sahen wir die Bildsäulen der frühern Geistlichen; sie sind fleißig gearbeitet, aber ohne allen Geist. Uns fiel eine derselben auf, auf welcher ein Mönch ein Kelchglas in der Hand hält, in welchem eine Spinne schwimmt. Unser Führer erklärte uns, daß vor etwa vierhundert Jahren beim heiligen Abendmahl eine gewaltige Kreuzspinne von der Decke herunter in den Kelch gefallen sei. Der Geistliche hatte das Glas bebend von der Lippe wieder zurückgezogen. Er widerstand dem Befehl, die Spinne zu verschlucken, weil sie schon im geweihten und gesegneten Wein geschwommen hatte. Der Kelch wurde zurückgestellt, verdeckt und eingeschlossen, sonst hätte sich die Spinne vielleicht herausgearbeitet. Ein expresser Bote mußte nun diesen Vorfall nach Rom berichten. Die Antwort kam in circa zwölf Tagen an, mit dem Bescheid, »der Geistliche müsse den Inhalt des[279] Kelches verschlucken«. Er bereitete sich nun zum Tode, und sank, nachdem er getrunken, entseelt auf den Boden. Ich habe diese schaudervolle Ermordungsgeschichte nie vergessen können. Mein ältester Sohn nahm daraus den Stoff zu einer Romanze.

Unsere Fußreise ging so glücklich von statten, daß wir uns nach jeder Stunde Weges frischer und stärker fühlten. Wir gelangten nach Eisenerz, und trafen hier einige elsasser Mineralogen und eine Familie aus Wien, die wir dort schon in Gesellschaft gefunden hatten und mit der wir unsere Bekanntschaft erneuerten. Und da eben das Bergfest einfiel, welches alle Bergleute von Vordernberg und Eisenerz jährlich zum Dank für den Segen des Berges feiern, beschlossen wir, es in Gesellschaft mitzubegehen. Erzherzog Johann, sagte man, würde den Zug eröffnen. Mich hatte die schöne Gebirgsreise, der erquickende Waldweg auf den Höhen, der Anblick des entzückenden Landes, der Gedanke an das Fest, die Hoffnung, den hochverehrten Fürsten, von dem ich schon soviel Gutes wußte, nun von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wunderbar begeistert. Ich dichtete die ganze Nacht. Joseph Dessauer, der vortreffliche Tondichter, hat diese Wanderlieder sehr schön in Musik gesetzt und herausgegeben. Noch in derselben Nacht schrieb ich die Lieder für den Erzherzog Johann ab, um sie ihm zu überreichen.

Frühmorgens machte sich die ganze Gesellschaft auf den Weg zu der Gebirgshöhe, wo der Altar für die Messe aus Laub und Blumen errichtet stand. Die ganze Bevölkerung des Thals war oben. Luftige Feuer flackerten auf der ganzen Fläche der Gebirgshöhe. Die Familien, die herbeigeströmt waren, bereiteten ihre Morgensuppe; auch wir bekamen unsern Kaffee von den Dienstboten unsers Gasthofes,[280] die uns mit allem Notwendigen nachgefolgt waren. Bald verkündeten Musik und Gesang die Ankunft der Bergleute.

Erzherzog Johann ging dem Zuge voraus, in Bergmannstracht. Wehmuthsvoller Ernst leuchtete aus seinen edeln Gesichtszügen. Die Bergleute sahen bleich und abgezehrt aus. Jetzt, wo ich die Dinge der Welt ohne Prisma sehe, erinnere ich mich dieses Umstandes; an jenem Tage fiel er mir blos auf, aber ich glaubte, der Aufenthalt unter der Erde sei schuld daran, daß man an diesen Arbeitern beinahe nur Haut und Knochen sah. Das ist nun das Los der Arbeitsbienen! Der Honig kommt in die Waben, die sie selbst gebaut, und erquickt die Müßigen, indeß die Arbeitsbienen verschmachten müssen.

Während des Gottesdienstes, beim herrlichsten Sonenschein, wob sich ein Regenbogen, wie ein Kranz, dicht um die Sonne her. Viele Tausende sahen dies bedeutungsvolle Zeichen. Als sich der Zug wieder vom Berg herabbewegte, nahte ich mich dem Erzherzog, und überreichte ihm die Rolle meiner Lieder. Sagen konnte ich nichts, ich war zu bewegt. Er nahm sie schweigend, mit freundlicher Geberde, und der Zug ging weiter. Wir ließen uns an den Kaisertisch führen, wo ein erquickendes Mittagsmahl bereitstand. Dann traten wir die Bergfahrt nach der großen Tropfsteinhöhle an, welche unsere Mineralogen aus dem Elsaß untersuchen wollten. Uns entzückte die Pracht und die Mannichfaltigkeit der Bildungen. Das Lied, welches ich den Bergleuten widmete, möge hier eine Stelle finden.


Der Bergmann kennt den Frühling nicht,

Ihm leuchtet nicht der Sonne Licht,

Ihm weh'n nicht Blumendüfte.[281]

Der Eisenblüte weißer Flor

Rankt im aus Tiefen sich empor,

Im perlenden Geklüfte.


Und was in stiller Tiefe blüht,

Erfreut wol auch ein fromm Gemüth

Und wird zur Frucht ihm reifen.

Drum, Mensch, willst du in Kraft gedeihn,

Mußt du dein eigner Bergmann sein,

In deines Herzens Teufen.


Du kennst den ewigen Magnet,

Um den das All im Schwung sich dreht,

An dem sich Sonnen zünden.

O laß ihn aus den Augen nicht,

Die Blüten fördert er zum Licht

In deines Herzens Gründen!


Was lieblich auf der Fläche prangt,

Verglüht, veraltet und erbangt,

Vergebens wirst du's pflegen!

Drum dring' in deines Herzens Schacht,

Und ringe muthig ab der Nacht

Der innern Blüte Segen.


Es war, glaube ich, auf Eisenerz-Höhe, wo ein liebliches Marienbild unsere Blicke anzog; darunter standen vier schlichte Zeilen, die mich innig rührten:


Herzliebes Kind, wo willt du hin?

Weißt nicht, daß ich dein' Mutter bin?

Weil ich dich lieb' herzinniglich,

So komm herbei und grüße mich!


Sollte dieser Nachtigallenlaut der Liebe nicht in irgendein Herz gedrungen sein wie ein Mutterblick,[282] nicht Einen Schwankenden auf den rechten Weg zurückgebracht haben? Gewiß; denn nichts ist Zufall in der Welt!

Nach beschwerlicher Wanderung gelangten wir die Höhe herab nach Aussee, und von da über die Pötschen und Ischl nach Gmunden. Es war ein herrlicher Sonntagmorgen; wir fühlten uns so gestärkt und erquickt, daß wir wünschten, die Wanderung möchte nun erst beginnen. Die schwarzäugigen Mädchen, mit ihren italienischen Gesichtsbildungen und mit großen weißen Filzhüten, kamen uns scharenweis entgegen, um nach der Kirche zu gehen. Sie waren alle in schwarzen Perkal gekleidet. Ihre Gestalt und der Ausdruck ihrer Physiognomie zeigte keine Spur von der herrschenden Noth, von welcher wir später erfuhren. Die frühe Jugend hat unbegreifliche Hülfsmittel dagegen. Man sieht rosenwangige Mädchen, pausbäckige Kinder, wenn auch das Brot im Hause fehlt. Wenn aber erst die reifern Jahre kommen, so stehen Gerippe vor uns. Dies frühe und vollständige Abblühen ist nicht minder räthselhaft als das erste Frühlingsprangen der Kindheit und Jugend bei dieser elenden Lebensweise.

Es war Zeit, daß wir nach Gmunden gelangten, denn unser Reisegeld ging zur Neige. Wir stiegen im Goldenen Schiff bei Bauernfeind ab. Dieser Name stammt noch von den Zeiten des Bauernkriegs her, der in diesen Gegenden seine volle Wuth verübt hatte. Die den Bauern anhänglichen Familien wurden Bauernfreund genannt. Noch zeigt man auf einem großen Grasplatz am Rande des Waldes die Stelle, wo die gefallenen eingescharrt wurden. Der Kampf mit diesen Scharen glich einem Vertilgungskrieg.

Ich habe in den Gegenden, die ich in der Schweiz besucht, ehe meine Sehkraft erlosch, nichts angetroffen,[283] was so reizend wäre wie das Salzkammergut, und so prachtvoll wie der Trauensee, den nur noch der Gardasee übertreffen soll. Was ich von der Schweiz kenne, ist gewaltig, großartig; doch die Anmuth fehlt, mit der jede Stelle im obern Kammergut und Steiermark geschmückt ist, selbst da, wo die Schauer der Natur düstere Wehmuth verbreiten. Das gute treuherzige Volk entspricht dem Charakter der Gegend, es ist einem wohl in der Mitte dieser Gebirgsbewohner.

Mein jüngster Sohn fand es hier so lieblich und traulich wohnen, daß er mir mit seiner hinreißenden Weise der Ueberredung den Entschluß einflößte, den Winter hier zuzubringen. Frau Bauernfeind, eine verständige Gastwirthin, bei der es uns behaglich war, äußerte Bedenklichkeiten über diesen Entschluß. Sie stellte uns vor, daß hier die Fröste scharf und anhaltend wären, dicke Nebel die Gegend einhüllten und der Frühling sehr spät erschiene. Doch es grünte und prangte noch alles so freudig um uns her!

Wir hatten eine wahrhaft göttliche Wohnung. Wir blieben, und gingen unbewußt der verhängnißvollsten Zukunft entgegen. Ich arbeitete damals an einem Roman aus Ludwig's XIV. Zeit, und entwarf eifrige Vorstudien zu diesem Werke, welches ich »Hofgunst und Dichterglück« benannte. Es liegt noch unvollendet unter meinen Papieren. Mein Max hatte ein schönes Gemälde entworfen, was ihn eifrig beschäftigte, Wilhelm eine dramatische Dichtung. Wir schlossen uns ein, um den ganzen Morgen ungestört zu bleiben. Unser Umgang beschränkte sich auf einige Beamtenfamilien, und auf die damaligen Besitzer des Schlosses Ebenzweir, welches späterhin Erzherzog Maximilian von Este gekauft hat. Es liegt unbeschreiblich schön. Der breiteste Spiegel des[284] Trauensees und die ganze Majestät des Trauensteins, dessen Wald und Gebirgsherrlichkeit den Blick einladen, leuchten vor seinem Ufer Mit Büchern versorgte ich mich in der Bibliothek eines hochgeschätzten Salinenbeamten, des Herrn Hörner von Roitberg, dessen ganze Zuneigung und gute Meinung ich der Frage verdankte: »ob er Incunabeln besäße?« Er glaubte nun, ich wäre ein Inbegriff aller Gelehrsamkeit, und ich durfte über seine Schätze gebieten. Wir sahen uns oft. Er hatte zwei liebenswürdige Töchter. Seine verstorbene Schwester war Oberaufseherin des Taubstummeninstituts gewesen. Kaiser Joseph hatte es einigemal besucht und dort seiner harmlos muthwilligen Laune Raum gegeben, denn dieser Kaiser war ein großer Humorist; das Volk wird ihn nie vergessen. »Vergessensein ist ein vollständiger Tod, der wirkliche Tod ist nur ein Scheintod!«

Dieser würdige Mann hatte im Franzosenkriege durch Besonnenheit und Muth die Kasse des Salinenamtes gerettet und genoß der allgemeinen herzlichsten Achtung. Sein funfzigjähriges Dienstjubiläum wurde ehrenvoll begangen. O wie schön muß der Rückblick eines Greises auf solch ein Leben sein!

Dem langen Herbst des Jahres 1826 folgte ein scharfer Winter mit sonnigen Tagen. Unsere Arbeiten beflügelten uns die Stunden. Wir vermißten nicht den lieben Kreis in Wien; noch die reichhaltigen Kunstgenüsse, die uns zur Gewohnheit geworden. Wie schon öfters geschehen, arbeitete ich mich krank. Eine Beamtenfrau kam mir Vorwürfe zu machen, daß ich mich gar nicht mehr sehen ließe, und ich erfuhr bei dieser Gelegenheit von der schaudervollen Noth, die in diesem nackten Gebirgsland herrscht, und welche mir die verständige[285] Frau Registrator Buchgräber mit den lebhaftesten Farben schilderte. Wir hatten bis dahin keine Ahnung davon gehabt. Ich wurde blaß und bebte. Mir war zu Muth, als müsse man zu helfen versuchen. Die Mildthätigkeit des kaiserlichen Hauses war allgemein bekannt; ich glaubte, es käme darauf an, dort Hülfe zu erbitten, und mit einigen huldvollen Spenden, meinte ich, würde dem Lande geholfen sein. Der kaiserliche Hof muß dasselbe geglaubt haben; denn das Obersalzamt empfing 550 Kaisergulden vom Erzherzog Karl, und ähnliche Gaben von den Mitgliedern des kaiserlichen Hofes, die sie dem Pflegamt Orth zuschickten, um sie auszutheilen. Ohne mein Zuthun war es bekannt geworden, daß ich zu diesen Wohlthaten durch meine Briefe Veranlassung gegeben. Nicht allein die Armen wollten mich sehen und mir danken, sondern auch mehrere Pflegebeamte, vor allen der Pfleger von Orth und einige Geistliche. Die paar Federstriche, die mich die ganze Sache gekostet hatte, wurden hoch angeschlagen, wie eine edle That. Ich war es noch von meiner Kindheit gewohnt, ähnliche Handlungen von der Karschin zu sehen, fast ohne mir Rechenschaft abzulegen. Ich hielt uns Dichter für berufen, den Nothschrei zu erheben, da wir es im Liede können. Eigentlich gedachte ich wol nur der göttlichen Worte: »Bittet, so wird euch gegeben!«

Der Pfleger von Orth machte mir nach der Austheilung des Geldes seinen Besuch, und schickte mir dann auf mein Verlangen das Verzeichniß der Beschenkten, dem er noch einen besondern Dankbrief hinzufügte. Ich schrieb mir hastig das Verzeichniß ab. Nach einem halben Jahre, in welchem viele Bittgesuche an mich eingelaufen waren, durchlas ich das Verzeichniß wieder, und bemerkte mir daraus mehrere Namen und Adressen, um den dort angeführten hülfsbedürftigen Armen Gaben zuzuwenden,[286] die mir von der Frau Gräfin von Kollowrat und einigen andern höchsten Wohltäterinnen zugesendet waren.

Ich schickte dem Amtmann Plasser die Namen und Adressen aus der Liste, und ersuchte ihn, diese Leute zu mir zu bescheiden. Dieser Amtmann, der nichts von der Liste wußte, kam mir anzuzeigen, daß er mein Verlangen nicht erfüllen könnte, weil es im ganzen Salzkammergut niemand gäbe, der so hieße, noch Ortschaften, welche die bezeichneten Namen trügen. Somit sah ich ein, daß ich auf das keckste betrogen und auch ein Theil der Hülfsgelder unterschlagen worden, weil die Leute, die sie laut der amtlichen Liste empfangen haben sollten, niemals am Leben gewesen waren. Mich schauderte. Ich machte noch eine schmerzliche Entdeckung. In dem Verzeichniß hieß es von einer Familie, daß das Amt sie mehr als andere habe bedenken müssen, weil dort sechs Kinder, eine alte Auszüglerin und die zwei Aeltern nichts besäßen als ein kleines baufälliges Haus, das ganz mit Schulden belastet sei, und nicht einmal eine Kuh besäßen. Man hätte ihnen also fünf Gulden Conventionsmünze gegeben. Ich fand diese Spende gering für so große Noth; doch ich erfuhr weit mehr von der Sache. Die so entblößte Familie hatte keinen Heller bekommen. Der Pfleger war ihnen, nachdem er ihnen dies Geld gegeben, nachgeeilt, und hatte ihnen diese fünf Gulden schnurstracks wieder abgenommen, unter dem Vorwand einer rückständigen Steuer von diesem Belang. Diese Handlung war ganz geeignet, gerechten Verdacht gegen seine ganze Denkungsart zu erregen.

Die Kaiserin Charlotte Auguste hatte den Armen in der Hallstadt 200 Kaisergulden bestimmt, und Weisung gegeben, dieselben dem Ortspfarrer zu schicken. Dem[287] Salzoberamt war die ganze Sache fatal; denn es hatte nicht ohne Mühe vor kurzem eine große Staatsersparnißmaßregel vorgeschlagen und ermittelt. Nach der Ansicht des Salzoberamtmanns von Schiller beschäftigte und zahlte der Staat überflüssigerweise 3000 Salinenarbeiter, welche erspart werden konnten, indem sie anderweitig Arbeit finden könnten, und im ganzen Bergwerk die Arbeitsaufgaben so gering seien, daß man sie erhöhen müsse. Dies wäre die Ersparniß einer Summe von, 60,000 Kaisergulden. Der gute Kaiser Franz gab seine Bewilligung zu dieser Maßregel, nur unter der Bedingung, daß man keine betagten Männer und Familienväter abdanke. Auf das feierlichste wurde betheuert, man würde nur junge Burschen verabschieden. Kaiser Franz glaubte diesen Betheuerungen, daß alles in Salzkammergut vortrefflich ginge. Ja, er gab dem Salzoberamtmann jährlich 1000 Gulden Zulage. Endlich erfuhr er die Wahrheit, und nun wurde die Sache bedenklich. Das Salzoberamt wollte weitern Nachforschungen vorbeugen und schrieb nach Wien, daß man die 200 Gulden von Ihrer Majestät der Kaiserin nicht zum Austheilen an den Ortspfarrer senden könne, weil er gestorben sei! Hierauf gab mir die Kaiserin Befehl, das Geld selbst in der Hallstadt auszutheilen.

Als ich dort ankam, erfuhr ich, daß Pfarrer Handlos, ein beliebter Redner, einstweilen als Vicar dort angestellt sei. Somit war die Kirche nicht verwaist, und der Befehl der hohen Landesmutter konnte erfüllt werden. Frau Erzherzogin Sophie fügte 200 Gulden hinzu. Die Vorstände der lutherischen Schule luden mich sogleich nach meiner Ankunft ein, dort meine Wohnung aufzuschlagen. Mein Sohn Wilhelm war in Gmunden zurückgeblieben.

Ich beeilte mich, dem Pfarrvicar Handlos die Spende[288] der Kaiserin zu übergeben. Und da ich infolge der Reiseanstrengungen und unnennbarer Gemütsbewegungen krank lag, mußte ich noch in der Hallstadt bleiben, wo ich Tage zubrachte, die ich nicht zu überleben glaubte. Ich lag schwer erkrankt, beinahe sprachlos darnieder. Mein Zimmer wurde am Tage und abends nicht von Menschen leer – wahre Jammergestalten mit eingefallenen Wangen, die mir sanft und bescheiden ihre Noth vortrugen. Ich schrieb ihre Namen auf, und die Zahl ihrer Kinder, und ihre Bitten; diese beschränkten sich darauf, durch Arbeit Brot zu verdienen. Die guten Menschen hielten sich nun für geborgen. Ich gab ihnen Almosen von meinem wenigen Gelde. Meine kleine Kasse war zwar bald erschöpft, doch kümmerte ich mich nicht darum. Das herzerschütternde Elend um mich her verlieh mir einen gewissen Gleichmuth gegen mein eigen Schicksal.

Einige greise Bergleute besuchten mich, um mir genaue Nachrichten über die Zustände der dortigen Gegend zu geben. Gerührt von der Treuherzigkeit und hülflosen Lage der Gebirgsbewohner, ließ Graf Arthur Potocki bei seiner Anwesenheit in Ischl en Aufruf ergehen: Blinde sollten sich bei ihm einfinden, um unentgeltlich operirt zu werden. Dr. Alexander Rasumowski unternahm die Operationen, und führte sie mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit aus. Einer der Greise, der mich in der Hallstadt aufsuchte, gehörte zu diesen glücklich geheilten Blinden; man hieß ihn nur den alten Wesel. Kein treueres Auge hat je zum Himmel emporgeblickt, kein treueres Herz je unter grober Leinwand geschlagen. Er starb 1830. Sein letzter Hauch war ein Segenswunsch für seinen geliebten Wohlthäter. Im Jahre 1827 war er noch sehr rüstig und mir der Wertheste unter diesen guten Bergleuten. Dieser Mann machte mir[289] über den Zustand der lutherischen Kirche folgende Mitheilungen.

Die arme kahle seeumflutete Hallstadt, die arme, vom Lande abgeschnittene Obertraun, wo damals wenige katholische Familien, wol aber mehr als tausend Protestanten wohnten, hatten keinen evangelischen Pastor, und im Bethaus der Hallstadt war nur alle vierzehn Tage Gottesdienst, den entweder Herr Wehrenpfennig, Pastor in Goisern, oder dessen würdiger Bruder Bernhard versah. Beide mußten oft mit Lebensgefahr über den See zur Zeit der Stürme und Eisgänge. Die Protestanten hatten auch keinen Schulmeister in der Hallstadt. Der dies Amt versah, ein Bewohner Obertrauns, bekam von der blutarmen Gemeinde nur 105 Gulden, und hätte Hunger gelitten, wenn er in zweiter Ehe nicht eine Mühle erheirathet hätte. Oft sah man ihn mit einem Sack auf der Schulter, oft mit dem Ruder in der Hand, über den stürmischen See schiffen – eine schwere Arbeit, die er dem zweistündigem rauhen, und in Winter lebensgefährlichen Gehen längs den Felsen und Lawinen vorzuziehen alle Ursache hatte. Derselbe hielt auch an dem Sonntag, wo der Prediger fehlte, eine Andachtsübung in dem Bethause. Er war ein Mann von Bildung und Belesenheit, und sorgte musterhaft für die sittliche Ausbildung der Schuljugend.

Der alte Wesel glaubte, es könne mir gelingen, der Hallstadt eine protestantische Kirche zu schaffen, und bat mich in den rührendsten Ausdrücken, ich möchte mich darum bemühen, Gott würde mit mir sein! Ich war bei dieser treuherzigen Bitte unbeschreiblich bewegt. Ich dachte an meine Großmutter Karschin, die arme Schneidersfrau, die sich frühmorgens im Winter, in dünne Kleidung gehüllt, über drei lange Gassen zur Hökerin[290] schleichen mußte, ein Bündel Reisholz zu borgen, an dessen Glut sie eine Morgensuppe bereitete; an das demüthige Weib aus dem Volke, die den göttlichen Funken im Busen trug und gewürdigt worden war, ihrem heimatlichen Orte Tirschtiegel zum Kirchenbau behülflich zu sein. Mit klopfendem Herzen und nassen Augen reichte ich meinen guten Gebirgsleuten die Hände, und rief: »Ja, ich verspreche euch eine evangelische Kirche!«

Dies war ein großer Augenblick in meinem Leben. Ich fühlte so recht klar und tief, was Geist und Wille auf der Welt vermögen, wenn sie von Gott sind. Zwar wurde mir nicht eine Kirche zu Theil, aber doch ein Pastor und ein regelmäßiger Gottesdienst, und zwar keine zwei Jahre nach jenem unvergeßlichen Abend.

Auf die Einladung des Brauers von der Hallstadt nahmen wir nun dort unsere Wohnung. Sie lag reizend am Seeufer, und zeigte in ihrer Einrichtung von bürgerlichem Wohlstand und strengem Ordnungssinn. Die Gespräche ihrer Besitzer waren unterrichtend und anziehend, so wehmüthig sie mich auch stimmen mußten; denn ihr Gegenstand war die allgemeine Noth der ganzen Gegend, in welche der Wohlhabende mit hineingezogen werden mußte, da jedermann unter vermehrter Arbeitslast, geschmälertem Verdienst, erhöhten Abgaben, Verkürzung der Rechte des Bürgers und Vermehrung seiner Pflichten zu leiden hatte. Die Bräuerin sagte in ihrer Volkssprache: »Wir haben keine Kinder, wir danken dem Himmel dafür! Unser Vermögen ist seit den schlimmen Jahren zugesetzt worden, und neues können wir nicht erhausen! Wir sind froh, wenn wir nur überhaupt mit Ehren bestehen. Den Kunden müssen wir borgen, die Kasse bleibt leer. Der Herr muß einen Knecht machen, und ich eine Magd; wenn Sie in allen Häusern nachsehen, so finden Sie dasselbe. Der Bürger[291] muß arbeiten, und darbt selbst dabei. Wenn wir nicht so klug lebten, und hätten das Haus voll Kinder, wir hätten schon abhausen müssen. Hallstadt ist der schlimmste Ort im ganzen Salzkammergut, es wächst nichts darin. Er hat keinen Handel, kein Gewerbe, das seinen Mann ernährt, keine Fabrik. Nur der Berg erzeugt Salz, aber er hat den vierten Theil, oder auch mehr von seinem Betrieb verloren.«

»Sie haben Mineralien und Fossilien«, unterbrach ich sie. Kopfschüttelnd fiel sie ein: »Wir haben keine Verkaufe zum Absatz, sonst könnten wir wol etwas besser gedeihen. Wir haben auch Marmor und Erz, Alabaster, Kupfer, Zinnober, und ich weiß nicht was noch; aber was hilft es uns, wir sprechen nicht einmal davon. Denn wenn ein Schlaukopf darüber kommt, so beutet er die Berge aus, und schöpft uns das ganze Fett davon weg. Ja, wenn ein rechtschaffener Mann den Arikogl ausbeuten wollte, er könnte reich dabei werden, man könnte an hundert Arbeiter dort beschäftigen, aber die Sache muß einen Haken haben.« Ich kannte den Haken. Gold und Silber, und die gehaltvollsten Erzstufen des Berges lagen in der Tiefe, und konnten nur noch mit Lebensgefahr erbeutet werden. Schon die Römer hatten zu ihrer Zeit diesen Bergbau eingehen lassen. Wahrscheinlich war dies die Ursache, daß das Salzoberamt vorzog, das Volk auszubeuten. Das ging leichter, und es konnte niemand dabei ins Wasser fallen. Wenn dieser Schacht einmal erschöpft war, so konnte man noch immer den Arikogl angreifen. Ich habe nicht erfahren, ob man es nicht endlich gethan hat; denn bei den ungeheuern Fortschritten der Wissenschaft ist es vielleicht möglich geworden, im tiefsten Schos des Berges zu arbeiten, und vielleicht liegt ein Eldorado, oder gar ein[292] Kalifornien im feuchten Schos des armen Landes. Es ist eine Thatsache, daß von Zeit zu Zeit fremde Männer kamen, und in dem undurchdringlichsten der Wälder des Obernkammerguts Steine und Metalle ausbeuteten. Dies geschah schon seit undenklichen Jahren. Niemand hinderte diese Leute. Im Lande wurde versichert: sie fänden Gold – vielleicht nur Steine mit Goldadern; wer weiß aber, ob das nicht Fingerzeige der göttlichen Vorsehung sind, und ob man nicht bei genauem Nachforschen Goldminen fände, die hier im Schos der bittersten Armuth verborgen liegen?

Ich ließ damals solche Vermuthungen nicht laut werden, sondern begnügte mich, den Einwohnern Muth zuzusprechen so gut ich konnte. Mit Worten läßt sich kein Hunger stillen, und ich hatte nichts als Worte. Mein Max sagte einmal in seiner treuherzigen Art: »Meine Mutter ist die ärmste Wohlthäterin!« Gott segne es meinen beiden Söhnen in alle Ewigkeit, wie liebevoll und trostreich sie mir in jenen drangvollen Zeiten zur Seite gestanden; wie sie sich gern bemühten, heldenmüthig entbehrten, wenn irgend guten Menschen Hülfe geleistet wurde. Diese Stimmung in ihren Gemüthern war nicht haften geblieben. Am längsten zeigte mein Max Gesinnungen, die mich entzückten. Wilhelm ließ sich vom Schriftsteller Spindler hinreißen, der alles lächerlich machte, was jener ehemals heilig gehalten, der jeden edeln Keim in ihm erstickte, und ihn von der Poesie durchaus entfernte. Was ich hierbei litt, weiß Gott allein! Es gibt moralischen Meuchelmord, der nicht den Leib tödtet, aber die Seele! Max kam wieder zur Einsicht, er fand Gott wieder. Er schuf mir entzückende Augenblicke für ein Mutterherz. Einst als er nach einem gefährlichen Fieber[293] noch Hoffnung zur Genesung gab, und ich ihm sagte: »Wirst du auch nicht sterben?« antwortete er: »O gewiß, ich werde leben bleiben!« »Wirst du auch ein guter Junge werden?« »Ja, und ein noch besserer Mann!« »Wirst du mir die Augen zudrücken?« »Ja, wie Joseph; wie es in der Bibel steht.« Ich mußte vor Freude weinen. Ein andermal, als er eben in sein fünftes Jahr ging, und noch wenig Deutsch konnte, kam die Rede auf meinen Gesundheitszustand, der damals sehr schwankend war. »Wenn ich nun stürbe?« sagte ich. Er antwortete schnell: »Alors je mourrais aussi! Ich habe dich eben gar zu lieb!«

O mein Max! Gott und die Engel hörten deine süßen Worte, und freuten sich.

Der Tag der Austheilung der kaiserlichen Gaben rückte heran, man wollte mich dabei haben. Ich hatte mich darauf gefaßt gemacht, den Saal, in welchem sie geschehen sollte, mit nothdürftig gekleideten abgemagerten Müttern, oder hinfälligen Greifen anfüllen zu sehen; doch im Gegentheil erblickte ich nur wohlgenährte rüstige Dirnen, und wohlgekleidete Matronen, welche ihr empfangenes Theil rasch in die Tasche steckten, und mit einer schnellen Verbeugung wieder aus dem Saale gingen. Da jedoch die Liste der Beschenkten nur Dürftige und Würdige, nur Cretins und halbsterbende Kranke enthielt, so glaubte ich, die wohlbeleibten geschniegelten Empfängerinnen seien nur im Auftrag der Betheiligten da, und es mag auch zum Theil so gewesen sein.

Es war nun Zeit nach Gmunden zurückzufahren. Die guten Hallstädter beschenkten mich noch beim Abschied mit manchem merkwürdigen Fossil, mancher Versteinerung, einer Kiste voll Salzarten, darunter rosenfarbene und himmelblaue,[294] und mit andern merkwürdigen Kleinigkeiten, welche sie als Augenweide jahrelang aufgehoben hatten. Im Jahre 1854 verschwanden mir diese lieben Andenken in Genf.

Mir fehlen Worte, meine damalige Stimmung zu schildern; sie war überspannt. Von vielen Seiten her war ich bitter getäuscht worden. Ein höllisches Lügengewebe hielt mich umfangen; ich will davon was hier möglich ist enthüllen, denn Wahrheit ist immer nützlich und gut!

Nach den Ansichten des neuen Salzoberamtmanns, Hofrath von Schiller, war sein verstorbener Vorgänger in der Vorsorge für die armen Bergleute zu weit gegangen. Lenoble von Edelsberg hatte ganz entgegengesetzte Grundsätze. Er wollte das Volk beschäftigt und gesättigt wissen. Er meinte: »Die Füße, die den Kopf tragen, müssen kräftig und gesund sein, sonst könne der Körper nicht vorwärts!« Lenoble's Widersacher meinten dagegen, »daß ein Volk noch immer weit mehr für den Staat leisten könne, als je von ihm verlangt worden sei; daß große Nachsicht und ein zu gutes Leben das Volk nur verweichlichen könne, und es widerspenstig mache; nur unter dem Druck befinde es sich wohl! Maria Theresia und ihr Sohn, Kaiser Joseph, hätten schon einen guten Anfang gemacht, den Charakter des oberösterreichischen Unterhauses zu verderben, die Folge davon wäre mit jedem Jahre fühlbarer, man müsse noch bei Zeiten einlenken!« Lenoble starb über diesen Streit. Nach seinem Tode begann die Einführung des neuen Systems. Man entsann sich in Salzkammergut einer alten Prophezeiung, welche seit Menschengedenken im Lande umhergekreist hatte, sie hieß: »Wenn die Füchse in der Sudpfanne nisten werden, und ein schönes Schloß in der Lahn gebaut wird, dann wird das Kammergut[295] ein Jammergut werden!« Kurz nach Lenoble's Tode brannte die Sudpfanne in der Hallstadt ab. Man beschloß, sie nicht wieder aufzubauen. Die alten Leute erinnerten sich der Prophezeiung, von der sich nun schon ein Theil erfüllte. Und das Oberamt ließ ein prächtiges Verwesamt in der Lahn bauen. Nun war auch das Schloß da. Zwei Theile der Prophezeiung waren erfüllt; man fürchtete, der dritte würde nicht ausbleiben, und es geschah so. Im Jahre 1824 wurde zu der Abdankung der dreitausend armen Salinenarbeiter geschritten. Sie hatte Hunger und Mangel zur Folge, und die politischen Behörden, die nur allzu gut wußten, daß nicht die Abdankung allein, sondern ihre Umtriebe und Erpressungen einen großen Antheil am Elende des Landes hatten, setzten alles in Bewegung, um den Glauben zu verbreiten, daß die Brotlosigkeit von dreitausend Individuen ganz allein schuld an den unglücklichen Zuständen des Landes sei. Man sing an die Eisenbahnen zu unternehmen, allein das gute Volk war dieser Arbeit nicht gewohnt, und benahm sich ungeschickt dabei, vermißte auch schmerzlich die Begünstigungen, die noch von bessern alten Zeiten her mit dem Bergbau verknüpft waren. Sie bedachten nicht, die armen Menschen, daß die armen Staatsersparnißmaßregeln, wenn auch nicht human, dennoch zum Theil unerlaßlich waren; sie empfanden die Entziehungen früherer Begünstigungen als eine Strafe, da sie doch nichts begangen hatten. Ihre Väter und Mütter waren gehegt worden wie Kinder des Landes, die Mutterhand Maria Theresia's hatte gewaltet. Jetzt herrschte eine fremde Behörde. Die Söhne des Landes waren verwaist.

Man muß diese Menschen kennen, um sich einen Begriff[296] von ihrem Gemüthszustand zu machen. Der herrschende Nothstand rechtfertigte ihren Schmerz und ihre Besorgnisse für die Zukunft des Landes. Ueberdies war das Salzkammergut mit Grundsteuer bedroht. Zwar war unter den frühern Kaisern beschlossen worden, dies arme Land, wo nichts wuchs als Gras und schlechte Obstbäume, wo alle Bedürfnisse höchst kostspielig aus der Ferne her eingeführt werden mußten, mit einer Grundsteuer zu verschonen. Aber im Widerspruch mit jenem frühern Beschluß war das Salinenamt stark darauf bedacht, sie einzuführen.

Ich kannte nichts von den innern Umtrieben, von den frechen Räubereien, die an den ausgehungerten Einwohnern schamlos verübt wurden, und auf welche das Salinenamt ganz in der Stille ein wachsames Auge hatte. Ich sah nur die Thränen der Verschmachtenden, hörte nur das Wehklagen der Unterdrückten, und folgte nun meiner Ueberzeugung, daß der Staat helfen könne, und müsse, wo ein gutes Volk durch Entziehungen und Erpressungen zu Grunde ging. Ich beschloß, mich um Hülfe zu verwenden, wie viel Mühe es auch kosten sollte. Das Unrecht war gewiß auf allen Seiten, doch am wenigsten auf der meinigen, die durch listige Vorspiegelungen getäuscht war, und nur zu helfen kam. So eilte ich denn, mit geringem Reisegeld versehen, meist zu Fuß nach Aussee, um mich dort mit einigen verständigen Salinenbeamten zu berathen.

Der Oberamtsrath Dickinger war mir als einer der erleuchtetsten und wohlgesinntesten genannt worden. Ich besprach mich mit ihm. Der würdige Mann mochte wol bemerken, wie entbrannt ich von der Vorstellung der Rettung des Landes war, wie selbstvertrauend in meine Kräfte und Kenntnisse, wie durchdrungen von der Ueberzeugung, daß[297] nur die Härte des Salinenamtes alles Elend hervorgebracht; aber im Stillen mochte er mich doch als eine gutmüthige Phantastin bedauern, die man auf alle Gefahr gewähren lassen könne, und die niemandem schaden würde, als allenfalls sich selbst. Er bekämpfte keine meiner Ansichten, widerrieth keinen der vorhabenden Schritte, und ließ mich freundlich ziehen, wohin ich zu gehen gedachte. Mein ältester Sohn, als der stärkste von beiden, hatte alle Documente und Vorstellungen, die mir gebracht worden waren, in ein schönes schwarzes Felleisen gepackt. Wir machten unsere Wallfahrt zu Fuß bei drückender Hitze. Wir gelangten nach dem Stift Admont, wohin wir auf unserer ersten Reise nach Steiermark eingeladen worden. Wir wurden auf das herzlichste empfangen. Diese würdigen Geistlichen, dem Erzherzog Johann treu ergeben, und mit den Zuständen des Salzkammerguts innig vertraut, wußten zwar nichts von der Handlungsweise der politischen Behörden, sondern nur von dem Nothstand, der große Aehnlichkeit mit dem des Landes ob der Enns hatte, und von den einschneidenden Maßregeln des Oberamts. Sie äußerten sich wenig über eine Verfügung desselben hinsichts des Stifts, wonach eine starke natürliche Salzquelle, die dasselbe früherhin versorgte, versiegelt worden war, und das Stift sein Salz kaufen mußte. Doch wurde keine Klage über diese Beeinträchtigung laut. Hier arbeitete ich meine Vorstellung an die Kaiserin Charlotte Auguste aus.

Schon am Morgen früh nach ihrer Vollendung gingen meine Söhne mit der Schrift und ihren Beilagen durch die Ennsschlucht, die das Gesäuse genannt ist, nach Vordernberg zum Erzherzog Johann. Der Postmeister Plochel in Aussee, bei dem ich, wie schon erwähnt, gewohnt hatte, gab ihnen einen Brief an seine Tochter, die[298] Gemahlin des Erzherzogs, mit. Ich wußte nicht, daß der Weg durch das Gesäuse in so früher Jahreszeit lebensgefährlich sei, ich würde sonst schwerlich zugeben heben, daß meine Kinder ihn unternahmen. Sie aber hätten sich durch keine Rücksicht abhalten lassen, denn es war in ihnen dieselbe Begeisterung, dasselbe Gefühl des Unrechts, dasselbe Erbarmen, waches in meiner Brust glühte. Ich weinte die süßesten Freudenthränen, die wol je Mutteraugen genetzt. Jetzt sind die Lichtquellen dieser Augen vertrocknet, selbst ihre Thränen sind versiegt. Ich bin ausgeplündert, besitze nichts mehr als mein knappes Jahrgehalt als Witwe eines der ersten Männer in Frankreich. Ich bin verkannt selbst von ihr, der immer meine ganze Seele offen lag. Doch ich murre nicht; Gott kennt mein Herz und meine Thaten.

Am Abend des dritten Tags nach ihrer Abreise kamen meine Söhne wieder, freudezitternd und mit leuchtenden Blicken. Erzherzog Johann hatte sie huldvoll empfangen ausführlich angehört, und seinen freudigen Beistand für mein Unternehmen verheißen. »Aber Ihre Mutter sticht in ein Wespennest«, hatte er geäußert. Da jubelte Wilhelm, dessen Feuerseele, damals noch vom Hauch der Welt unberührt, so tief und kräftig das Rechte erkannte und das Gute übte: »O kaiserl. Hoheit, mein Mutter hat schon oft in ein Wespennest gestochen, sie fürchtet sich nicht!« Der Erzherzog lächelte, der Muth des Knaben gefiel ihm. Er lud ihn nebst seinem Bruder zu Mittag ein. Da beide in steirischer Jägertracht waren, wollten sie sich entschuldigen; doch der Erzherzog sprach: »In der Landestracht sind Sie hier immer willkommen.« Die Tafel war heiter und durch geistvolle Gespräche belebt. Der Erzherzog nahm die jungen Leute noch mit in sein Nebenzimmer. Der Inhalt des Felleisens lag[299] auf seinem Tisch ausgebreitet. Wehmüthig lächelnd sagte der Erzherzog: »Ich habe alle diese Papiere durchgesehen, längst schon kannte ich sie alle, – was hilft das Recht ohne die Gewalt! Doch Gott wird das Werk Ihrer Frau Mutter segnen, denn es geht aus reinen Beweggründen hervor. Sie selbst denkt nicht an sich, und das soll auch kein Mensch thun, der etwas Gutes ausrichten will. Ich werde heute noch nach Wien schreiben, und morgen eine Depesche an meinen Bruder Ludwig schicken, der wird die Sache besorgen. Ihre Frau Mutter soll mir schreiben, aber nur durch einen Expressen; ich habe meine eigene Post. Wenn der Herr, der Kaiser, meine Briefe läse, so wäre mir's recht; aber die Schurken lesen sie, und das soll nicht sein!«

Wilhelm und Max glaubten, daß ich besorgt um sie sein und sie ungeduldig erwarten würde; sie hatten auch nur etliche Zwanziger bei sich, um ihren Rückweg zu bestreiten. Freude und Liebe beflügelten ihre Schritte, sie wußten, daß ich Eile zur Rückreise hatte.

Die ehrwürdigen Väter hörten die Erzählung meiner beiden Söhne mit dem innigsten Antheil an. Ich besuchte noch den Pfleger Staari, und seine liebenswürdige Schwester Lisette. Wir schieden mit schwerem Herzen. Ich hätte in Admont sterben mögen. Die prachtvolle Gegend, der herrliche Fluß, die gesunde Luft, und die guten Menschen – alles vereinigte sich, um diesen Wohnsitz anziehend zu machen. Er wird in alten Büchern rauh und unwirthbar genannt. Seinen ersten Anbau verdankt er den Benedictinern. Die frommen Väter nahmen selbst die Schaufel in die Hand, lichteten die Waldungen, ebneten das Erdreich und pflanzten es an. Ich habe noch selten einen geistlichen Bau gesehen, der nicht in der reizendsten Lage wäre. Lilienfeld in Obersteiermark[300] ist ein Paradies! Der Prälat, den wir 1826 dort fanden, hat es unter weiser Leitung mit schaffendem Feuergeist aus seiner Asche neu erstehen lassen. Zacharias Werner schrieb dorthin, und bat um Aufnahme für seine letzten Lebensjahre. Der Brief war rührend. Die Bitte wurde abgeschlagen. Ich fand dies grausam; den Grund der Weigerung habe ich nicht erfahren können. Auch der sanfte gefühlvolle Greis Ladislav Pyrker wurde in Lilienfeld nicht verstanden.

Nur allzu oft sind die Menschen gewöhnlichen Schlages demjenigen feind, der aus ihren Kreisen heraustritt. Selbst in bloßen Aeußerlichkeiten beunruhigt es sie, wenn sie eine Verschiedenheit wahrnehmen. Sie wollen das Hergebrachte auch in Kleinigkeiten aufrecht erhalten. Die Ausgelassenheit der Sitten ist ihnen nicht eigentlich verhaßt, wenn nur alles scheinbar im alten Gleis bleibt.

Nicht lange vor unserer Ankunft hatte sich eine erschütternde Begebenheit dort zugetragen. Zwei junge Geistliche knieten am Tage ihrer Einkleidung am Altare. Der Blitz schlug ein und tödtete sie. Einer der fungirenden Geistlichen äußerte: »Man weiß nicht, ob man sie bedauern oder beneiden soll!«

Wir verweilten auf unserm Rückweg noch einige Tage in Aussee. Die liebenswürdige Familie Plochel war uns sehr theuer geworden. Der Hauptgegenstand unserer Gespräche war immer Erzherzog Johann. Plochels erzählten, daß eines Tags, wo er im Begriff war, Postpferde nach Gratz zu nehmen, wohin ihn ein dringendes Geschäft rief, ein alter Bauer, den er sehr wohl kannte, ihn um mehrere hundert Gulden Darlehn bat, um sein Haus und Gut von der Gant zu retten. Der Erzherzog ließ sich alle Gegenstände dieser Sache erläutern, und beschloß dem braven Manne zu helfen. Er[301] fragte Graf Mortschin, seinen Adjutanten, wie viel Geld in der Reisekasse läge. Graf Mortschin nannte ihm die Summe. Der Erzherzog sagte: »Wohlan, geben Sie her, was unser alter Freund verlangt!« »Und die Postpferde?« fragte der Graf. »Die bestellen Sie ab; wir gehen zu Fuß durch das Gebirge nach Gratz!« Das Leben des Erzherzogs umfaßt unzählige solche Züge, ich weiß nicht ob sie aufgezeichnet sind, aber man vergißt sie nicht.

Der Sohn des Bergmeisters Pruckner, Heliodor, war erst vor kurzem von seinen Studien aus Kemnitz zurückgekehrt. Er begleitete mich auf meiner Rückreise. Es ergötzte ihn, daß man ihn nach fünfjähriger Abwesenheit nicht wieder erkannte. Meine Söhne waren auf einem Alpenausflug, wir wollten uns in der Obertraun wieder treffen. Auf dem Wege dahin schlug mir Heliodor vor, eine Niederalpe zu besuchen, welche statt auf einer Spitze in einer tiefen Schlucht liegt, wo herrliche Futterkräuter wachsen. Es war dunkel geworden, Heliodor schlug vor dort die Nacht zuzubringen, der Weg ging fast abschüssig hinunter. Wir gelangten glücklich bei dem Dorfe an, sahen die Feuer zur Abendkost brennen, und athmeten die sanfte Abendluft ein, durchwürzt vom Oden des blumenbedeckten Bodens. Einige Almerinnen bemerkten uns, und fragten uns ziemlich verwegen, wer wir denn seien, und was wir hier wollten? Die Erläuterung war kurz und deutlich. Als die Mädchen hörten, ich sei »die Frau«, denn so hieß mich das ganze Land, erschraken sie heftig, und baten mich um Verzeihung. Es wurde beschlossen, Heliodor sollte zu einer alten Almerin in die Hütte.

Sie konnten sich über seine Wiederkehr nach Aussee gar nicht fassen, und bereiteten uns ein köstliches Nachtmahl. Sie boten mir an, uns von ihren Liedern einige[302] zu singen. Ich ging indessen weit ab von der Hütte, um ungestört zuzuhören. Die Mädchen hatten sich bei der Auswahl von Liedern schnell und eifrig wie zu einem Concert verabredet. Diese Sennerinnen sind wahre Künstlerinnen; herrlich nahmen sich ihre Töne beim Schimmer der flackernden Herde, beim Säuseln der dichtbelaubten Buchenwipfel aus. Das ganze Dorf lief zusammen, um mich zu bewillkommnen. Mehr als hundert Stimmen fügten sich zum vollen Chor, den sie nur mit Hülfe der Natur einstudirt hatten. Einige Solostimmen von der erquickendsten Frische und kecksten Höhe setzten mich in Erstaunen. Ich dachte daran, ob ich nicht Anstalten treffen sollte, diese Natursängerinnen nach Wien zu schaffen; doch ich verwarf diesen Gedanken, die guten Kinder hatten mir ja nichts zu Leide gethan.

Eine angenehme Müdigkeit, wie sie nur nach einem solchen Gang und nach solchem Vergnügen folgen kann, bemächtigte sich meiner, und ich schlummerte ganz beseligt ein. Zn meinen Füßen hatte sich die gute Almerin ein Lager bereitet. Der Waldbach rauschte in meine Träume hinein, und einzelne Klänge von Alpenliedern kamen wie Freunde, die nach unserm Schlummer schauen.

Mit der Morgenröthe erschien Heliodor's Hausfrau mit einem guten Kaffee, und die lieben Mädchen begleiteten uns bis auf die Heerstraße, wo sie uns noch nachsangen, solang sie uns sahen. Sie sprachen nicht mehr von ihrer Ungeschicklichkeit beim Empfang, aber sie küßten mir die Hände, auf welche verstohlen manche Thräne fiel.

Liebes akutes Volk! Obertraun bleibt eine meiner wärmsten Erinnerungen. Ostsüdlich der Hallstadt gegenüber liegt das idyllische Thal hart am See, den es im[303] Halbmond einschließt. Eine schmale Brücke über die Traun, die von hier aus in den See strömt, verbindet es mit dem jenseitigen Felsufer, von welchem aus in zwei Stunden die Hallstadt auf schmalem gefährlichen Fußwege erreicht werden kann. Diesen Weg muß der Schulmeister nehmen, wenn es stürmt. Hier sank seine erste Gattin in das feuchte Wellengrab, dreißig Personen mit ihr. Sie kamen fröhlich von einem Hochzeitsfeste in Hallstadt, der Sturm erhob sich, der leichte Nachen schlug um.

Diese Gegend, nach der wir, ich und meine Söhne, uns oft zurücksehnten, wird von Salzarbeitern bewohnt, unter denen es viel Wildschützen gibt, die ganz im stillen die Gegend weit umher mit dem köstlichsten Wildpret versorgen, welches ihnen nur knapp bezahlt wird. Die politischen Behörden und die Geistlichkeit gehörten zu ihren freigebigsten Kunden. Die Freude des Erlegens, die Gefahr des Fortschaffens bringen eine Art von Poesie ins Leben des Jagdvölkchens, sie meinen dabei treuherziger Weise: »Das Wild sei ihr Eigenthum, es lebe in freier Luft, und koste kein Futter.« Es ist schwer sie über diesen Punkt aufzuklären, da sie der Ansicht sind, daß ihre Behörden es nicht genau mit dem Mein und Dein nehmen. Wie in Böhmen die Contrebande, wird das Wild bei diesen freiwilligen Jägern bestellt. Das grüne Deutschböhmen umschließt ein Dorf, das von sogenannten Paschern bewohnt wird, und wohin die Einwohner der umliegenden Dörfer und Städtchen gehen, um sich mit Kaffee und Zucker zu versorgen. Sie wissen wol, daß dies verboten ist; aber sie sagen, die Waaren, die verzollt werden müssen, seien zu theuer, und halten daher ihr Contrebandiren für eine menschenfreundliche Handlung. Es gibt keine geschicktern Schützen als die[304] Obertrauner, die dabei die ehrlichsten Seelen von der Welt sind. Mord und Todtschlag fiel wenigstens zu jener Zeit in dieser Gegend nicht vor; die Wilddiebe hatten wachsame Auflaurer und sichere geschickte Zeichen; sie freuten sich der Gefahr und des Sieges darüber.

Wir rasteten am Steg bei unserer guten Stadlemann, einer der eifrigsten Beförderinnnen der Angelegenheiten der Armen. In Traunkirchen angelangt, wurde uns ein großer Brief mit fünf Siegeln entgegengereicht. Er war vom Grafen Wurmbrand, Oberhofmeister der Kaiserin, und enthielt in den huldvollsten Ausdrücken die Bezeigungen des Beifalls und Dankes der höchsten Frau, für die Art und Weise, wie ihre Aufträge erfüllt worden, und den Befehl, einige Centner Flachs, welche dieser Geldsammlung und diesem Briefe folgen würden, zur Verarbeitung auszutheilen. Wo fände ich Worte, um mein Entzücken zu schildern! Schon hielt ich das Land für geborgen, die Armen für versorgt, die unglücklichen abgedankten Arbeiter für wieder aufgenommen in den kaiserlichen Dienst, und das durch eine unbedeutende Fremde. Die erfreulichsten Nachrichten aus Gmunden gesellten sich zu dem Inhalt des Schreibens von der Kaiserin, denn es hieß, ihr Gemahl habe dem Salzoberamtmann heftige Vorwürfe über die Abdankungsmaßregel gemacht, und auf das strengste befohlen, alle, in meiner Vorstellung gerügten Ungerechtigkeiten auf der Stelle wieder gut zu machen.

Hofrath von Schiller kannte zu gut seinen kaiserlichen Herrn, um die geringste Besorgniß wegen seiner Aufwallung zu hegen. Er wußte, wo und wie ich getäuscht worden. Er hatte als Beamter seine Pflicht gethan, nur daß, wie Jean Paul sich auszudrücken pflegte, »der Mensch lieber mehr thut als seine Pflicht!« Er[305] lächelte dazu, daß die politischen Behörden schon vermeinten, er würde seinen Abschied nehmen müssen.

Der unglückliche Pfleger von Orth war (um mich des dort üblichen Ausdrucks zu bedienen) »schwarz«, er war auch reif, und mußte fallen. Er hatte gedacht sich durch meine Schritte retten zu können; seine Rechnung war falsch. Der Pfleger hatte geglaubt mich zum Werkzeuge seiner Rettung zu machen; ohne es zu ahnen, hatte er durch seine Schritte nur seinen Untergang beschleunigt. Als ich nach Traunkirchen kam, besuchte mich Schiebel mit einer herzlichen Einladung des Kreishauptmanns von Dornfeld, zu ihm zu kommen und dort Maßregeln für die Aufhülfe zu nehmen. Was hätte mich, die ganz Bethörte, in Verwunderung setzen können? Ich ahnete nicht, daß man glaubte, es sei mir um mich und meinen Vortheil zu thun, und daß man mich in diesem kritischen Zeitpunkt aus dem Salzkammergut weglockte, um mich sicher in Händen zu haben.

Dankbar und vertrauensvoll kam ich nach Steier und bezog das Gastzimmer, das mir dort angewiesen wurde; es war eng und versteckt. Mein Sohn Max erkrankte darin, die liebenswürdige Familie pflegte sein mit Sorgfalt.

Der Kreishauptmann sah wohl ein, daß es nicht in meiner Absicht lag, den österreichischen Staat umzuwälzen, sondern daß ich ganz einfach an einer Verwirrung der Begriffe litt, und Welt und Leben nur aus meinen Büchern kannte. Mein Donquirotismus mag ihn belustigt haben. Er begriff klar aus allem, was um mich her geschah, daß meine Absicht unsträflich, meine Handlungsweise makellos sei. Er versicherte mich mit großem Ernst, ich müsse zu dem Generalgouverneur Grafen von und zu Ugarte! Ich konnte nicht begreifen, was ich da sollte; doch ich[306] fügte mich und reiste nach Linz. Der Kreishauptmann dictirte mir die Worte, die ich dem Präsidenten sagen sollte; ich verstand sie nicht, doch lernte ich sie auswendig.

Es hat lange gedauert, ehe mir nur ahnete, daß ich glühende Kastanien aus der Asche holen sollte, die Absicht, die man mit mir hatte, wurde jedoch durch meine Einfalt vereitelt; denn ich sagte dem Präsidenten nicht ein Wort von denen, die mir in den Mund gelegt worden, und ich glaube, das war gut.

Er hatte mich sehr kalt empfangen, mein guter Wille schien mir das nicht zu verdienen, und ich betrübte mich im stillen darüber, ohne mir die Sache erklären zu können. Wahrscheinlich war es gelungen, dem Präsidenten eine unrichtige Meinung von mir einzuflößen, denn das Pflegamt und Consorten hatten die lügenhaftesten Berichte über mich nach Wien und Linz eingeschickt. Ich nahm Abschied vom Präsidenten, ohne im geringsten über seine Gesinnung für das Salzkammergut und für mich beruhigt zu sein, und ohne zu ahnen, was gegen mich war unternommen worden. Zum zweiten mal in meinem Leben blieb ich unverstanden, und hatte meine Widersacher durch weibliche Einmischung aufgebracht. Sie hatten auch zum Theil recht! Ist es aber nicht bedauernswerth, daß Männer nicht eingreifen, wo sie sollten? In kurzem sah ich mich von lauter Räthseln umgeben, und es bedurfte mehrere Jahre ehe ich klar sah. Die Greuel der bejammernswürdigsten Verwaltung wurden mir offenbar, auch die erbärmlichste Verdächtigung, die man über mich zu bringen versucht, wurde mir enthüllt, und durch eine vortreffliche Verfügung des Kaisers kam die Wahrheit an den Tag.

Es war nach Wien berichtet worden, daß ich Volksversammlungen[307] hielt, daß meine Söhne das Volk aufzuwiegeln strebten. Nachts sei eine Tenne zu den Zusammenkünften bestellt, und Maßregeln zu einer Revolution wären genommen worden. Es sei alles soweit gediehen, daß man genöthigt sein würde, Militär in das Salzkammergut zu schicken. Nur durch meine Entfernung könne die Ruhe wieder hergestellt werden!

Der kaiserliche Hof lächelte zu diesen Beschuldigungen. Es gab dort einen Cavalier, der mich genau kannte, und den das ganze Gewebe mehr belustigte als empörte. Er vertheidigte mich jedoch auf das wärmste, pries mein Gesinnungen, meine Rechtschaffenheit, meinen feurigen Willen für das Gute, welches er nicht allein aus meinem ganzen Betragen entnommen hatte, sondern auch durch Zeitschriften kannte, die bei Anlaß meiner Rechtssache gegen die preußische Invalidenprüfungscommission in den Jahren 1815–17 ihre Stimme erhoben hatten. Auf diese Erläuterungen hin ersuchte Kaiser Franz den Ehrenmann um eine strenge geheime Untersuchung der Anzeigen des Pflegamtes Orth und meines Betragens in den Orten, wo ich mich bisher im Kammergut aufgehalten hatte. Der edle Graf, der bereits dreizehn verschiedene wichtige Stellen im Kaiserthum bekleidete, den der Kaiser mit schwierigen Aufträgen, unter anderm mit einer Untersuchung der Beschwerden einer bedeutenden Provinz und der Schurkereien dortiger Beamten, beehrt hatte, weigerte sich nicht, meine Sache an das Licht zu ziehen; denn er konnte weder an der Reinheit meiner Absichten, noch meiner Handlungen zweifeln. Er begab sich zuerst nach dem untern Kammergut, wo er mich zu finden glaubte, und meine Abwesenheit dazu benutzte, um sich ungestört und unbemerkt nach mir zu erkundigen. In Traunkirchen sagten die Leute, ich würde wahrscheinlich[308] in Ischl sein. Er eilte dorthin, begleitet vom Baron G. seinem Freunde, mit welchem er Gastein besuchen wollte. Auf der Post, wo die Badegäste von Ischl sich abends zuweilen versammelten, hörte er meinen Namen nennen, erfuhr meine Wohnung und kam am andern Morgen mich aufzusuchen. Er traf mich in einem Saal, wo alle meine Papiere auf einem großen Tisch in Ordnung lagen, und zeigte Verlangen, sie sich anzusehen; nachher äußerte er, daß er einige davon sich mitzunehmen wünsche, was ich ihm natürlich freistellte. Er steckte sich alle Taschen voll. Ich sagte ihm, er fände hier nichts als Notaten über die Zustände Einwohner. »Das ist eben was ich will«, rief aus, und pfropfte immer mehr kleine Packetchen in die Tasche hinein, die er mit nach Haufe nahm. Andern Tages war er wieder bei mir. Seine am gestrigen Tage zwar freundliche, aber doch sehr ernste Miene war in Heiterkeit umgewandelt. Er zog meine Papiere hervor, ordnete sie von neuem auf dem Tische, und sagte lachend: »Da haben Sie Ihre hochverrätherischen Plane zurück! Ich hatte Auftrag, über Sie Erkundigungen einzuziehen, und Ihre Papiere zu untersuchen, – dies ist geschehen! Ich weiß nun alles, nur über einen Gegenstand müssen Sie mir selbst Auskunft geben. Sie haben nämlich, laut Bericht, alle Bewohner des Salzkammerguts allnächtlich in einer Tenne vereinigt, wo mag die Tenne sein? Es ist alles ausgeschickt worden, jedes Rattenloch, um sie zu finden. Im ganzen Salzkammergut ist keine Tenne, und kein Bewohner erinnert sich, politische Vorträge von Ihnen gehört zu haben. Jetzt müssen Sie aushelfen! Sollte die Tenne vielleicht im Monde liegen? Aber wie kommt man hin?« Ich mußte lachen, so empört ich war. »Ich bin ganz unschuldig«, rief ich aus, »und beleidigt[309] habe ich niemand; es ist eine Schandthat, mich anzuklagen!« Unwiderstehliches Schmerzgefühl hatte mich hingerissen, und ich konnte mich der Thränen nicht enthalten. Der edle Graf suchte mich zu trösten. »Ich habe mich vom Ungrund der gegen Sie erhobenen Verdächtigungen überzeugt«, sagte er. »Alle Vorbereitungen zu einer Revolution seien getroffen, und man würde sie in Ihren Papieren finden, hatte man versichert. O, was habe ich gefunden? Die Zahl der Kinder einer Familie, die Chiffre der Schulden, die auf dem Besitzthum lasten, die Einnahmen von Salz, von Korn, von Butter u.s.w.; aber keine Spur von politischen Umtrieben, von Umgestaltung des Kaiserreichs. Fahren Sie auf dem angetretenen Wege fort, der Kaiser und seine Gemahlin werden mit Ihnen zufrieden sein; keiner der Schurken kann Ihnen etwas anhaben. Jene haben sich fürchterliche Blößen gegeben, die Folgen sind nicht abzusehen!« Ich verlangte keine weitere Erläuterung, fragte nicht nach den Namen meiner Ankläger, und ließ die ganze Sache auf sich beruhen.

Die Kaiserin war auf einer Reise begriffen; sie ließ mich nach Salzburg bescheiden. Ich eilte dorthin. Diese Zusammenkunft war herzerhebend; sie dauerte lange. Ich fand in der höchsten Frau ein Mutterherz für das arme Land, einen Geist, der diesem Herzen das Gleichgewicht gab, und ein Vertrauen, das mich in meinen eigenen Augen erhob. O fände ich Worte, zu schildern was in mir vorging! Schneidend war der Contrast zwischen meiner Lage, meinem Beginnen und den Erfolgen meiner Bestrebungen! Mir, so unerfahren, so unbekannt mit aller Größe, allem Glanz der Hoheit, allen Verwaltungsverhältnissen; mir, die ein einzig Kleid nach Salzburg mitgenommen, es am Abend vor der Audienz zum Putzen[310] geschickt, noch kurz vor der anberaumten Stunde es nicht zurückempfangen, und schmerzlich ausgerufen hatte: »Das ist wie ein böser Traum, zur Kaiserin zu sollen, und mein Kleid ist nich trocken!« – mir entgegen sprangen die Flügelthüren des Palastes auf, riefen zwei hohe Gestalten entgegen: »Ah, schön, daß Sie da sind!« – »Haben Sie meinen Brief?« rief die Dame. »Haben Sie meine Wolle?« fragte der Graf in demselben Augenblick. Die Dame setzte hinzu: »Ich werde Sie gleich Ihrer Majestät anmelden!« Es waren Graf Wurmbrand und die Gräfin von L., welche vor mir standen. Die Wolle hatte ich noch nicht empfangen. Es war nämlich Flachs, den Ihre Majestät geschickt, um ihn an arme Spinnerinnen auszutheilen. Es erwies sich, daß der Frachtfuhrmann die Ladung aus Versehen nicht an mich bestellt hatte.

Ich wurde zur Majestät der Kaiserin eingeführt. Sie trug ein himmelblauseidenes Kleid und einen großen Hut mit drei prachtvollen Schwungfedern, welche die sanften und majestätischen Bewegungen ihres Hauptes anmuthig begleiteten. Ihre himmelblauen Augen überstrahlten mit überirdischem Glanz ihr rosenfarbenes Wangenpaar. Frühlingsschön leuchtete der Schmelz ihrer Farbe, und in ungekünstelter Zierde umwallten dunkle Locken die weiße erhabene Stirn. Sie sagte mir herzige Worte, und erhöhte den Werth derselben durch Darreichung ihrer feingeaderten Lilienhände. »Ihre Vorstellung an mich ist gut besorgt worden und hat viel Eindruck gemacht«, sagte sie mit Engelstönen. »Während ich sie vorlas, hielt der Kaiser seine Schreibtafel auf den Knien, und schrieb sich die Stellen aus, die ihn am tiefsten bewegten. Beruhigen Sie sich ganz, die Leiden des armen Landes werden sich in Freuden umgestalten!« Nach diesen Worten begann die Kaiserin ein langes Gespräch voll Kraft und[311] Herzlichkeit. Die seligsten Stunden meines Lebens verklangen. Ich hoffte nicht, daß ihnen noch viele andere folgen sollten, die ihnen gleich wären an Schönheit der Empfindung, wenn auch nicht an überschwenglichem Glück.

Ich glaubte mein Ziel erreicht zu haben, doch es war dem nicht so. In Salzkammergut fand ich eine merkwürdige Veränderung gegen mich, als ich zurückkam, die mir unerklärlich war; doch ich hielt noch immer das Oberamt Gmunden für meinen Feind, und schrieb alles nach Wien, was mir gegen dieses gesagt wurde. Es war in der That erbarmungslos gegen die Salzarbeiter. In der Ueberzeugung, die Wunden der Gegenwart würden heilen, wenn erst die Zukunft mit ihrer weisern Einrichtung festgestellt wäre, wurde zuversichtlich in das gesunde Fleisch hineingeschnitten, der Jammer der Gegenwart unbeachtet gelassen. Meine Vorstellungen und Bitten blieben unberücksichtigt. Dennoch wurde ich durch einen Auftrag des edeln Mannes überrascht, der mich ersuchte, mir Steuerbücher bringen zu lassen und sie unverzüglich im stillen an ihn einzusenden. Ich gehorchte. Der Grund dieses Verlangens war nicht von mir ausgegangen, ich habe nie erfahren, woher er gerührt. Die Sache ist zu merkwürdig, um sie hier unerwähnt zu lassen.

Im Jahre 1817 war das arme Land, welches der Hunger zum Theil verheerte und die Seuchen aufrieben, in einen so entsetzlichen Zustand gerathen, daß man die Leichen der Verhungerten auf den Heerstraßen fand. Der gute Kaiser schickte große Summen und Erquickungen aller Art für die Leidenden. Es ist mir unbekannt geblieben, wie diese Hülfsleistungen damals verwendet worden. Im Jahre 1826, als ich in Salzkammergut[312] angelangt war, hörte man wenig mehr von jener entsetzlichen Zeit der Hungersnoth und der Seuchen sprechen, wiewol ihre Folgen noch auf dem Lande lasteten. Seit dem Zeitpunkt, wo ich angefangen hatte Hülfe zu ermitteln, waren von allen Richtungen, besonders aus der Grafschaft Orth, die Einwohner zu mir gekommen, und hatten mich angefleht, doch um Gottes willen nur ihre Steuerbücher anzusehen. Ich that es, aber ich konnte nichts daraus entnehmen, sie waren unleserlich für mich. Ein Schuhmacher in der Viechtau, der gute Arbeit machte, einer von den unliebsamen Männern, welche die dortigen Behörden Grübler zu nennen pflegen – ein Schuster, der nicht bei seinem Leisten blieb –, erläuterte mir unaufgefordert die Bedeutung zweier Buchstaben, die häufig in den Steuerbüchern vorkamen, und neben welchen stets eine beträchtliche Summe verzeichnet stand. Diese Buchstaben hießen »K.K.« Diese große Steuer war abgetragen worden. Die Einwohner der Viechtau hatten berechnet, daß sie auf dem nicht umfangreichen District des Gebirgs über 20,000 Fl. eingetragen hatte. Wahrscheinlich war es diese geraubte Summe, über welche eine Untersuchungsbehörde Licht haben wollte. Es mögen hierzu noch andere Umstände gekommen sein. Nicht lange nach meiner Einsendung wurden die Steuerbücher umgearbeitet, die unleserlichen Bezeichnungen verschwanden, und die wenigen Rubriken, welche beibehalten waren, standen gedruckt im Buche. Der Betrug war mithin sehr erschwert worden. Auch erließ der gute Kaiser den Viechtauern drei Jahre von der schuldigen Grundsteuer. Diese erfreulichen Begebenheiten waren Vorläufer der wichtigen Dinge, die da kommen sollten.

Der Hofrath von Schiller beauftragte den Oberamtsrath[313] von Villeford und einige andere tüchtige Beamte mit der Untersuchung der Amtsführung des Pflegers von Orth; man fand, es würde scharf gegen den Angeklagten verfahren. Welche Schärfe konnte doch gegen einen Mann genügen, der durch eine so lange Reihe von Jahren den Staat betrogen, und die Gegend ausgeraubt hatte! Nicht lange vor dieser Katastrophe war der Kreishauptmann von Dornfeld nach Ischl gekommen und hatte mich zu sich bitten lassen, weil er krank im Bett lag; ein heftiges Fieber schüttelte ihn. Es war mir nicht leicht, in dem nun so unfreundlichen Kranken den jovialen Kreishauptmann wieder zu erkennen, in dessen Hause ich und mein Max so liebevoll aufgenommen worden. Der Gegenstand der Unterredung war mein Aufenthalt in Salzkammergut. Herr von Dornfeld stellte sein Ansinnen so unklar, daß es nicht möglich war daraus zu entnehmen, ob es vom Präsidenten oder von einer freundschaftlichen Ansicht des Kreishauptmanns aus guter Meinung und Fürsorge für mich, oder, weil er vermeine, daß mir eine Gefahr drohe, gar höchsten Orts herrühre. Ich fragte ihn darüber; seine Antworten waren ausweichend und unverständlich, und sein Fieber schien zuzunehmen. Ich klagte Schiebel an, auf eine versteckte und feindselige Weise gegen mich aufgetreten zu sein, indem er sich doch bemüht hätte, mir begreiflich zu machen, daß alle Freunde des Salzkammerguts dahin streben müßten, daß der Kaiser die Grundsteuer abschaffe, denn diese sei unerschwinglich. Das Salzoberamt bestände darauf, und wolle sie nun auch im obern Kammergut einführen, wo Grund und Boden nichts als mageres Gras und saures Obst hervorbrächten. Herr von Dornfeld setzte hinzu, Schiebel sei ein Freund und Vater des armen Landes, habe die kräftigsten Vorstellungen wegen Abschaffung[314] der Grundsteuer höchsten Orts eingereicht, und hoffe auch durchzudringen. Aus diesem allen wollte mir nicht einleuchten, warum ich mich entfernen sollte, und ich erklärte, ich würde fortfahren, meine höchsten Aufträge zu erfüllen, bis ich derselben enthoben würde. Hierauf konnte der Kreishauptmann nichts erwidern, klagte über sein Fieber, und entließ mich mit dem üblichen Landesgruß »Führt Gott«, indem er seinen Kopf in die Ecke des Bettes verbarg. Der ganze Vorfall war eigentlich darauf berechnet, mich tief zu kränken, mir daß ganze Kammergut zu verleiden. Doch ich ließ mich nicht irre machen, ich hatte das Volk zu lieb. Was ich später davon verstehen konnte, gehört nicht hierher. Zarte und gebietende Rücksichten haben im Lauf dieser Erzählung oft meine Feder gehemmt, und noch jetzt walten mehrere derselben vor. Manche meiner Leser werden entziffern können, was zwischen den Zeilen ruht, und werden verstehen, warum ich keinen andern Platz dafür wußte. Niemand wird sich verwundern, zu hören, daß ich für den redlichsten Willen, den treuesten Eifer, die liebevollste Hingebung, die martervollste Aufopferung im Grunde nur Undank erfahren habe, daß mein Vertrauen vielfach getäuscht worden ist.

Eine bedeutende Verfolgung machte sich gegen mich fühlbar; ich ertrug sie standhaft und geduldig, und fuhr ungestört in meinen Beschäftigungen fort. Die Noth war gestiegen, ich that bei dringenden Veranlassungen, was in meinen Kräften stand, und mehr, ich gab mich arm. Und wiewol ich in Rücksicht über meine Befugnisse hinausging, reut mich noch heute nicht, was geschehen, wenn auch der Erfolg nicht im Verhältniß mit der Aufopferung stand. Mein Gewissen und die Liebe des Volks hielten mich über jede Anfechtung empor. Ich hatte das Gute gewollt, und das Rechte gethan. Wer[315] sich in die Flamme stürzt, um Erstickende herauszuziehen, fragt nicht danach, ob er sich das Kleid verbrennt!

Ich mußte häufig Ausflüge in das obere Salzkammergut machen, theils um in den Hütten nach dem Gespinst und den Spinnereien selbst zu sehen, theils um mich zu überzeugen, daß die Angaben verarmter Familien über Bedrückung und Ausraubungen seitens der Beamten nicht übertrieben seien. Sie waren nur allzu begründet; ich hätte Bände darüber schreiben können, wenn ich die Zeit dazu gefunden hätte.

Oefters mußte ich in Goysern verweilen, wo mein Asyl bei der Familie Wehrenpfennig war. Hier verlebte ich selige Stunden. Ich schrieb dort sehr fleißig Fürbitten, Erläuterungen über gekränkte Rechte der Gemeinden, und versäumte über diese Pflichten öfters die Kirche. Der Pastor Wehrenpfennig war ein echter Diener des Herrn, der die Herzen seiner Zuhörer erschütterte, erhob und erquickte. Die Kirche gewährte einen wohlthuenden Anblick. Die ärmsten Bewohner der Gegend erschienen dort reinlich, gewissermaßen geschmückt, so einfach ihre Gewänder waren; ihr Anstand war ernst und gesittet in Mienen und Geberden, die Heiterkeit des Frommen sprach aus ihren Gesichtszügen. Es war wohlthuend, mit dieser Gemeinde den Gottesdienst zu verrichten, und ich gestattete mir mehrere mal diese Gemüthserhebung, so oft ich in der Gegend war.

An einem Sonntag morgens, wo ich dringende Abhaltung hatte, war ich im Pfarrhaus geblieben und schrieb. Während des Läutens zum Gottesdienste vernahm ich ein scheußliches Grunzen, ein wüstes Getümmel vor der Kirche. Es trieb mich unwiderstehlich, auf den Platz zu eilen und nachzusehen. Welch ein Anblick! Eine starke Heerde von jenen Thieren, die Jesus[316] in den See von Genezareth stürzen ließ, lagerte sich unter Hader und Umherbeißen dicht um die Kirche her. Dazwischen tobte und fluchte der Treiber laut knallend mit seiner mächtigen Peitsche, und Gassenbuben mischten sich hetzend hinein, um die Thiere recht erbost zu machen. Die Kirchenthür war zu. Ich, deren Furcht vor dem Vorstenvieh nur meinem Abscheu gleicht, machte mich auf, ergriff eine Gerte, die am Boden lag, und erhob sie, um allenfallsigen Andrang abzuwehren, indem ich dem Treiber drohte, ihn sogleich in das Gefängniß führen zu lassen, wenn er nicht auf der Stelle die Heerde von der Kirche entferne. Verdutzt und verschüchtert gehorchte er; es dauerte keine Minute, so war der Platz frei und alles still um die Kirche her, in die ich hineinging, um im Gebet meine Aufwallung zu stillen; ich war auf das höchste empört und erzürnt. Nach beendigtem Gottesdienst beim Herausgehen umringte mich die Gemeinde dankend und händeschüttelnd, und auch Wehrenpfennig kam und drückte mir die Hand. Ein alter Mann äußerte, der Vorgang müsse von irgendeinem Buben herrühren, welcher der evangelischen Gemeinde Schmach habe anthun wollen. Ich ging noch vormittags zum Pfleger, der ein gesitteter Mann war, und der mir versprach, besondere Acht zu haben, daß nichts Aehnliches mehr vorfallen könne. Der Treiber kam in Verhaft. Noch lange nach diesem Vorgang wurde desselben erwähnt mit gemischten Gefühlen, in gerechter Entrüstung und lebhaftem Frohlocken über den Ausgang. Es ist seitdem noch manches geschehen, was in demselben Geist unternommen wurde, aber, wie ich hoffe, keinen schlimmern Ausgang hatte. Der erbitterte Kampf zwischen zwei Parteien verbreitet sich von Ort zu Ort, und wird schwerlich anders erlöschen, als in Strömen Blutes. Gott wende dieses Unheil gnädig[317] ab, und wehe allen, die mit dem Odem der Hölle die glimmenden Zwietrachtsfunken anfachen!

Der Sommer verging in reger Beschäftigung für mich. Weit besser als mit der ersten Lieferung von Leinwand, die ich besorgt hatte, ging es mit der neuen. Manche der Spinnerinnen waren nicht achtsam genug mit dem Flachs umgegangen, der ihnen anvertraut worden: sie hatten schlecht gesponnen, oder auch gar das Material verkauft. Ich bat daher Ihre Majestät, keinen Flachs mehr zu schicken, und meldete derselben, ich würde mich darauf beschränken, gesponnene Waaren zu kaufen.

Ich gewann nun vortreffliche Leinen. Einige Weber betrogen mich; da sie aber sehr arm waren, mußte man ihnen verzeihen. Die Umstände machten das unglückliche Volk unzurechnungsfähig. Aber klar erkannte es meine Bemühung, meinen redlichen Eifer. Von allen Richtungen her schickten mir die Gemeinden Abgeordnete mit Vorstellungen voll Kraft und Klarheit, und diese Leute baten mich um Beförderung an den Kaiser. Ich versprach es und hielt mein Wort. In weitläufigere Erläuterungen kann ich mich hier nicht einlassen, es genügt zu sagen, daß in jedem Orte offenbare Ungerechtigkeiten begangen wurden, und daß die Beschwerdeführer alle ihre Vorstellungen mit Beweisstücken belegten.

Ich nahm hochgestellte erleuchtete Rechtsgelehrte zu Hülfe, welche aus reinem Eifer für die gute Sache die Actenstücke untersuchten und gediegene Referate darüber aufsetzten. Der eifrigste und befähigtste unter allen war Herr von Buchholz aus Münster, kaiserlich königlicher Hofconcipist, den ein früher Tod seiner gesegneten Wirksamkeit entriß. Ich kann mir nicht versagen, hier dem Baron von Sina einige Worte dankbaren Andenkens zu[318] widmen, weil er in der Sache fünf beeinträchtigter Gemeinden, mit deren Abgeordneten ich zu ihm ging, nach gewissenhafter Durchlesung ihrer Beweisstücke einen gediegenen Rath ertheilte. Jeder Rechtschaffene konnte sich aus den vorliegenden Documenten überzeugen, daß das Land von allen Seiten her bedrückt und ausgesogen wurde, und daß es sich dabei um bedeutende Summen handle, die nicht allein dem Volke, sondern auch dem Staate entzogen worden. Ich will hiervon nur ein Beispiel in möglichster Kürze anführen.

Ein ehemaliger Pflegbeamter, der Gutsbesitzer auf Schloß Almeck, lebte mit der Tochter des Gerichtsdieners Fanny Hofbauer auf seinem Besitzthum, und führte mit Hülfe dieses Mädchens eines der verwegensten Bubenstücke aus, die je begangen worden. Er hatte verschiedene Helfershelfer in sein Interesse zu ziehen gewußt, und ließ auf dem Kirchenplatz eines Sonntags vormittags ausrufen, »daß die Bauern bei ihm den Zehnten der auf ihren Grundstücken hafte, ablösen könnten«. Jeder Grundbesitzer der Gegend erstaunte über die Verkündigung und freute sich. Nun mußten in den folgenden Tagen die Helfershelfer des Ignatz von Auegg in der ganzen Ortschaft unter allerhand Vorwänden von Haus zu Haus gehen, und die Bauern mit ungefähr folgenden Worten berücken: »Leute, wißt ihr's denn schon, der Ignatz Auegg gibt ja dem ganzen Ort den Zehnten billig zum Ablösen; man weiß ja, daß er immer Geld braucht. Es kostet euch eine unbedeutende Summe, und ihr und Kindeskind seid auf ewige Zeiten von der Last frei. Schlagt nur bald ein, der gnädige Herr könnte sich anders besinnen!« Niemand unter der Sonne ist argloser als ein oberösterreichischer Bauer. Nächsten Sonntag nach der Kirche wurde die Ablösung des Zehnten[319] von neuem angeboten. Der Termin zu diesem Geschäft wurde auf kurze Zeit anberaumt. Herr von Auegg hielt Wort. Er ließ die Kaufpreise mäßig stellen, dennoch wurden sie den armen Bauern schwer herbei zu schaffen, und es kam eine ansehnliche Summe zusammen. Die Kaufcontracte wurden mit Hülfe eines Advocaten, namens Joseph Solterer, wenigstens scheinbar in aller Form Rechtens aufgesetzt und den hochvergnügten Bauern zugestellt.

Nicht lange nach dieser Begebenheit, und kurz vor der Erntezeit, verkaufte Ignatz von Auegg der Fanny Hofbauer, die, wie schon bemerkt, mit ihm lebte, das Schloß und die Herrschaft Almeck um einen mäßigen Kaufpreis. Nicht ohne Verwunderung erfuhren die Bauern diesen Kauf; doch ahnten sie nicht, was ihnen bevorstand. Als die Ernte vor sich gegangen, und die Bauern im Begriff waren sie in ihre Scheuern zu führen, erschien die Fanny Hofbauer, nunmehrige Besitzerin der Herrschaft Almeck, auf den Aeckern, und verlangte den Zehnten. Vergebens betheuerten die Bauern, daß sie den Zehnten gekauft, und brachten ihre Kaufcontracte herbei. Die Fanny erklärte: »der Handel sei null und nichtig! Nicht Ignatz von Auegg, sondern sie sei Herrschaft, in ihrem Kaufbrief stehe der Zehnten mitverzeichnet, und sie werde sich ihn nicht entreißen lassen!« Sie ließ nun sogleich Arrest auf die Ernte legen, und kam mit Soldaten, sogar mit großen Hunden auf die Felder, wo sie den Zehnten eigenmächtig von der Ernte abtheilen und in die Scheuern von Schloß Almeck einführen ließ. Vergebens protestirten die Bauern; wahrscheinlich war in den Kaufcontracten absichtlich etwas versehen worden. Soviel ich glaube, zahlen sie diesen Zehnten noch immer an die Herrschaftbesitzerin. Ich kenne genau[320] mehrere solche Vorgänge, beschränke mich aber hier nur auf diesen einen.

Der Kaiser hatte mich nach Wien verlangt, ich ließ ihn nicht warten. Ueberfüllt von Eindrücken kam ich im December 1828 nach Wien, wo ich glaubte die letzte Hand an mein Werk legen zu können. Ich war bedenklich krank, aber frohen Muthes. Noch waren damals meine beiden Söhne in der Stimmung, in welcher sie durch das Gesäuse zum edeln Erzherzog Johann mit Lebensgefahr gewandert waren. Max mit seinem weichen Herzen war noch derselbe geblieben, aber Wilhelm hatte sich von den Einflüsterungen gewissenloser Menschen hinreißen lassen, und sah die Sache in einem schiefen Lichte an. Er schrieb mir aus Wien: »Vom Salzkammergut ist so wenig die Rede, daß ich kaum zwei mal in dem Fall gewesen bin, das Gespräch darüber coupiren zu müssen!« Diese Worte machten mein Mutterherz bluten. Wehe dem, der sie ihm eingeflößt hat; denn mein Sohn hatte immer großartig und edel gefühlt, seine Worte durch Thaten bekundet, seinen Thaten durch Worte Nachdruck gegeben. Er war noch in den Händen eines falschen Freundes, der den bedauerungswürdigsten Einfluß auf ihn geübt hat, als er seine »Wanda Wielopolska« und seinen »Fahrenden Schüler« schrieb, zwei Werke, die seine Feuerseele beurkunden. Erst im Jahre 1845 schrieb er seinen »Frommen Juden«, den man infolge der Namenverwechselung mir beigemessen hat, an welchem ich jedoch nicht den geringsten Antheil habe.

Spindler, der die Gemächlichkeit liebte, und überall sparte, wo er es konnte, ohne sich den geringsten Abbruch zu thun, wohnte und lebte bei Wilhelm unter den knauserigsten Bedingungen und mit großem Aufwand, höchst unzufrieden mit allem, was er bei ihm genoß. Er[321] nahm seinen Freund beim Arm, führte ihn in das leckerste Gasthaus. Beide liefen es sich dort behagen, doch auf Wilhelm's Kosten. Wilhelm's Gattin ließ sich diesen Aufwand gefallen, solange es möglich war ihn zu bestreiten; endlich aber erklärte sie, sie wisse nicht mehr, wofür den andern Tag das Essen hernehmen, und müßte Spindler inständig bitten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, ja sogar ihr Haus zu verlassen. Spindler nahm bereitwillig Abschied. Ich kannte seinen Charakter zu gut, um sie nicht vor den nothwendigen Folgen dieses Schrittes, den ich unbesonnen nannte, zu warnen. Sie sah meine redliche Meinung ein und sagte: »Ich kenne jetzt Spindler ganz, doch es ist zu spät!« »Und ich«, fiel ich ein, »kenne ihn genug, um nicht zu wissen, daß er Sie seinen Ingrimm wird fühlen lassen. Er, der stets betheuert hatte, er würde Wilhelm aus den Krallen seiner Gläubiger ziehen; er, der alle Mittel dazu besaß, hat ihn nun hineingestoßen und ihn rettungslos zu Grunde gerichtet!« Die Schwiegertochter konnte nicht widersprechen; sie vermochte nichts, als unter den herbsten Entbehrungen ihr Leben zu fristen, und auf einen Glücksfall zu hoffen, der nicht eintraf. Spindler, der im Ueberfluß schwamm, nahm von seinem Freunde die Zinsen von den Zinsen der angewachsenen Schuld, zertrat ihn, und lenkte alles dahin, daß die Gant erklärt wurde. Doch meines Sohnes Anhänglichkeit überwog jeden Zweifel, und er blieb ihm ergeben, wie er es jemals gewesen war. Die Kette, welche ihn an den falschen Freund schloß, war in der Hölle geschmiedet, dennoch zerriß sie. In Freiburg trennten sich wenige Jahre nachher, als meines Sohnes Untergang vollendet war, der falsche Freund, und der, der mir das Herz zerriß. Ich schreibe dies alles ohne Mitwissen meines Sohnes, aber mit vollständiger Ueberzeugung der[322] Wahrheit. Vor dem Throne des Allwissenden werden wir unsere Rechnung zu schlichten haben. An mir ist ein Word geschehen, an meinem ältesten Sohne auch. Nicht aus Rache klage ich hier den Mann an, der uns vernichtet hat, nur aus Warnung für liebevolle Aeltern, und für unbesonnene Jünglinge sind diese Worte aufgezeichnet; wer ihren Sinn nicht zu fassen vermag, der lese Spindler's »Boa Constrictor.« Spindler hat sich selbst gerühmt, daß dies Werkchen sein Bild und einen Theil seines Lebens enthalte.

Ich hatte für Pflicht gehalten, Eduard Duller, den ich ganz von ihm eingenommen sah mit Behutsamkeit und Mäßigung gegen Spindler zu warnen. Die einzige Frucht dieser Warnung war, daß Duller mein Haus mied. Doch keine zwei Jahr später entfernte er sich von Spindler.

Der geistreiche, grundgelehrte, talentvolle Philolog Dr. Braun folgte seinem Beispiel nicht. Er verschied in der Blüte der Jugend nach langen entsetzlichen Leiden an den Folgen einer Brustwunde, die Lieutenant Gottraun ihm im Zweikampf geschlagen, zu welchem er ihn gezwungen hatte. Ehe er ihn gefordert, hatte ein sehr hochgeachteter Mann, einer unserer beliebtesten Dichter, ihm gesagt: »Braun, Sie stehen am Rande des Abgrundes, vielleicht ist noch Zeit zur Umkehr. Wer Mittel hat, wie Sie, kann wiederkehren; Sie müssen leiblich und geistig zu Grunde gehen, wenn Sie so fortfahren!« Braun lachte, er rief aus: »Mag ich doch! Die Würfel sind gefallen. Wie ich jetzt lebe, kann ich mich immer noch eine Zeit lang halten! Wenn alles für mich aufhört, so finde ich wol noch einen, der mich zusammenschießt, oder ich ihn, es ist mir dann beides recht!« A .... schauderte, er eilte fort. Wenige Wochen darauf[323] lag Braun auf dem Sterbelager. Möge ihm der Allmächtige jenseits vergeben. Mich drängt es sein Bild auszumalen, so trostlos es ist. Er nannte sich einen eifrigen Katholiken. Dagegen konnte niemand etwas haben. Es war um die Zeit, wo eben der deutschkatholische Priester Ronge gegen den Rock zu Trier auftrat.

Ich sprach mit Braun über diesen Gegenstand; er äußerte mit sanftem Blick: »Die guten Menschen haben da einen poetischen Begriff unwillkürlich und unbewußt in ihr Leben gezogen, und nun werden sie darüber ausgehöhnt!« Ich blickte ihn voll Erstaunen an, ich konnte nicht sprechen. Etwas über ein Jahr später kam Braun mit meinem Sohn nach Heidelberg. Wir aßen sämmtlich im Badenschen Hof. Es hatte sich dort eine geistreiche Gesellschaft vereinigt, das Gespräch wendete sich auf Religionsfragen. Braun äußerte: »Der Kampf wird jetzt ernster als je, und es ist hohe Zeit, daß er es werde! Wir haben den Protestanten große Concessionen gemacht, diese müssen alle aufhören. Bald wird sie schlagen, die große Stunde, wo die neue Bartholomäusnacht gefeiert wird, keine Pariser Bluthochzeit! Keine europäische! O nein! Die Bartholomäusnacht der Welt. Und da will ich zuschlagen solange ich den Arm rühren kann. Vertilgt müssen sie werden bis auf den letzten Mann, Gott wird seine heilige Sache schützen!«

Mir schauderte, ich war keines Wortes fähig. Ich sah auf meinen Sohn Wilhelm hin, ich hoffte ein tröstliches Wort von ihm, er schwieg mit der ruhigsten Miene, ich seufzte tief. Nun wurde eine ganze Wagenburg von Flaschen, gefüllt mit den edelsten Sorten Rheinweins, die Braun um sich her stehen hatte, verschluckt, er schien nur noch Sinn für diese zu haben. Ein Hannoveraner, ein[324] sehr feiner Mann, der mir schrägüber saß, und innerlich aber sichtlich warmen Antheil an dem ganzen Vorgang nahm, brach nun gemäßigt, aber kräftig los in ungefähr folgenden Worten: »Niemand hat jemals der katholischen Religion mehr Ehrfurcht bewiesen als ich; mehrere Mitglieder meiner Familie sind katholisch, alle lieben einander, denn alle fühlen sich Eins als Christen. Unter meinen Freunden sind die geehrtesten und theuersten gerade Katholiken. Es hat sich so gefügt, weil auch diese katholischen Freunde von Ehrfurcht für die Religion durchdrungen sind wie wir. Wenn ich nun aber hinzusetzen muß, der Vorsehung dank, daß ich ein geborener Evangelischer bin, so will ich hiermit keine Schmähung gegen den Katholicismus aussprechen. Ich sehe in der katholischen Religion noch immer, was sie zur Zeit der frühern Christen war, was sie vor dem Concilium von Trident gewesen, und was sie im Grunde noch heute ist und morgen wieder werden kann, ja wieder werden muß, wenn der Frieden erstehen und bestehen soll!« Braun horchte hoch auf, er sah forschend um sich her, er fühlte sich allein mitten unter den Gästen, denn nicht Einer nahm Partei für seine Sache. Der beinahe allgemeine Aufbruch begünstigte einen geschickten Rückzug, auch war es mit dem Wein zu Ende, und der Mitkämpfer in spe der Bartholomäusnacht auf dem Halme, entfernte sich. Ihm folgte mein Sohn. Braun verließ den Gasthof und Heidelberg, ohne seine Rechnung zu tilgen.

Ich bin in meiner Erzählung den Begebenheiten weit vorausgeflogen; doch der innere Zusammenhang ist geblieben, und ihn muß jedermann anerkennen, der dies Werk liest, wenn auch der äußere fehlt. Vorsehung und Geschick gestalten ihre Werke ebenso. Eine ferne Zukunft scheint nur durch Augenblicke von der Gegenwart getrennt, weil die Begebenheiten[325] der Zukunft die unvermeidliche Folge der Gegenwart sind. Gestaltung und Duft der Weinrebe, die eben aufblüht, verheißt uns schon die reife Traube.

Ich hatte erfahren, daß Graf von Wickenburg in Wallsee erwartet wurde, und sehnte mich lebhaft, die Angelegenheiten des lieben Salzkammerguts mit ihm zu besprechen. Er war nicht immer einerlei Meinung mit mir. Ihm lief das Herz mit dem Kopf nicht davon, er wollte helfen und retten, aber vom normalen Weg kein Haar breit abweichen. Ich fand, daß bei außerordentlichen Begebenheiten und Zuständen, wie die des unglücklichen Landes, auch außerordentliche Mittel in Anregung gesetzt werden müssen. In Graf Wickenburg's Ansichten bestärkte ihn der Minister Graf von Baldacci, der mit seinem jungen Freunde nach Niederwallsee gegangen war, um sich mit ihm über verschiedene Angelegenheiten zu besprechen. Wir sahen uns nur bei Tafel. Ich fand am Minister Baldacci einen Gegner, mit welchem ich es muthig aufnahm, weil ein unverkennbares Wohlwollen für mich und meine Absichten ihn beseelte. Bei alledem ging die Sache nicht nach meinem Wunsch, denn er blieb bei seinen Ansichten und beim Hergebrachten stehen, und ich meinte, System und Gewohnheit müßten sich fügen, weil das Volk hungerte und fror, weil beinahe alle Lebensbedürfnisse im Preise gestiegen waren, und bei geschmälertem Verdienst Tausende von müßigen Händen vergebens nach Beschäftigung rangen. Es war dem edeln Grafen Wickenburg, und natürlicherweise auch mir, auf das eifrigste um Abhülfe zu thun. Ich, die bis aufs kleinste mit den Umständen vertraut war, sah die Nothwendigkeit der Aufhülfe am klarsten ein. Der menschenfreundliche Staatsmann kannte minder genau die herrschende allgemein Noth, dagegen aber zum Unglück für[326] die Leidenden die Gesinnungen und Ränke der Hefen des Volks, die ihm in den Gegenden, wo er ähnliche Functionen erfüllt hatte, anschaulich geworden waren. Es bedarf einer rechtschaffenen Obrigkeit, vortrefflicher Geistlichen und Schullehrer, um die Gemeinden auf guten Weg zu lenken und darin zu erhalten, und gewissenlose Obrigkeiten wirken nur allzu eifrig darauf hin, alle Vergehungen der Niedern in ein gehässiges Licht zu stellen. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, in Kürze ein Beispiel hiervon anzuführen.

Einer der Beamten, die es sich vorzüglich angelegen sein ließen, das Volk zu verdächtigen, hatte sich ein Mittel ausgesonnen, es als verschwenderisch hinzustellen. Von Haus zu Haus eines Dorfes ersuchte er die Bewohner um Eierschalen, unter dem Vorwand, Gurkenkörner hineinzulegen. Das gute arglose Volk ist sehr gefällig, es suchte aus der Nachbarschaft Eierschalen zusammen, und brachte sie dem heimtückischen Beamten. Als dieser eine beträchtliche Menge beisammen hatte, zeigte er sie dem Oberbeamten, und sagte: »Sehen Sie nun das genäschige Volk! Ueber Hunger klagen sie, und haben diese Menge Eier in kurzer Zeit zusammen gefressen, statt sie auf dem Markt zu verkaufen!«

Ich verwendete die Zeit meines Aufenthalts in Niederwallsee auf die Zusammenstellung der Klagen und Bedrängnisse der Bewohner des Salzkammerguts. Graf Wickenburg hatte mir großmüthig angeboten, dort zu verweilen, um ungestört bei dieser Arbeit zu bleiben. Meine Söhne waren häufig zum Besuch im Benedictinerkloster von Melck, auf Jagden, und in Linz bei unserm Freunde, dem Syndikus von Sporn. Sie wurden wie Mitglieder der Familie angesehen. Dieser Aufenthalt war um[327] so ersprießlicher, da diese Familie wie ein Musterbild der Bildung, Liebenswürdigkeit, Tugend und Sitte auf diese jungen Gemüther wirkte. Ich lebte ganz einsam auf diesem prächtigen Schlosse, das über dreihundert Fenster hat, und sehr anmuthig liegt. Die Requisiten zu meinem Frühstück wurden abends zuvor aus der Pflege zu mir hingebracht. Erst mittags verließ ich meinen Schreibtisch, um mit dem Pfleger und seiner Gattin zu speisen; dann ging es in den herrlichen Garten, der trotz der vorgerückten Jahreszeit ganz voll köstlicher Blumenbeete prangte; oder ich bestieg den Thurm, der die entzückendste Aussicht darbot. Von da blieb ich mit dem Pfleger zusammen, den ich nach dem Abendtisch wieder verließ, um fortzuarbeiten. Es war mir ein eigenes Gefühl, wenn ich den ellenlangen Schlüssel in der Hand, das gewaltige Schloß auf- und sorgfältig wieder zuschloß. Ich hatte dort keine Langeweile, mit meiner Arbeit war Segen. Im Hintergrunde winkte und glänzte Wien mit seinen geistreichen Männern, seinen anmuthigen Dichtern, mit der geist- und herzerhebenden Beziehung zu den Kreisen des kaiserlichen Hofes. Wir verließen endlich Wallsee, unaussprechlich dankbar für die lange genossene Gastlichkeit des edeln Grafen, der diese That wol zu einer der segensreichsten seines Lebens rechnen kann.

Wir gelangten aus unserm geliebten Salzkammergut nach Wien, und bezogen eine Wohnung in dem Hause, welches noch von früherer Zeit her das »Bürgerhospital« hieß, und wo ich Josephine von Perin, unsere theure Freundin, die es seit vielen Jahren bewohnte, wiederfand. Sie empfing mich liebevoll, und wir genossen der anmuthigen Nachbarschaft mit immer neuer Freude. Josephine von Perin, die Tochter eines berühmten belgischen[328] Generals von Vogelsang, war eine der bedeutendsten Erscheinungen meines Aufenthalts in Wien. Sie besaß eine geniale Schwester, und einen geistvollen Sohn, der die diplomatische Carrière ergriffen hat, und späterhin als Legationssecretär nach Turin ging. Beider Sprachen zum Erstaunen mächtig, schrieb und dichtete Frau von Perin meisterhaft französisch und deutsch, in Versen und in Prosa, wie eine geborene Französin und Deutsche. Man hätte sie fragen können, wie Friedrich Wilhelm IV. Adalbert von Chamisso frug: »Wo haben Sie das herrliche Deutsch her?« Dieses hat durchaus niemand, als wem es von oben herab gegeben ist. Kein Studium verleiht es; Natur gibt es, wie sie der Rose den Duft gibt! Auch Josephinens Prosa athmete denselben Geist, zwanglos, herrlich gegliedert, kraftvoll, lebenssaftig, wie Musik vom größten Meister. Wer enträthselt solch Geheimniß? Wer kann den Augenblick herbeirufen, wo der Genius der Seele den Brautkuß gibt?

Wir brachten mit Josephinen von Perin und gegenseitigen Freunden entzückende Abende zu, aus denen bisweilen Nächte wurden. Wir werden sie jenseits wiederfinden.

Grillparzer, Apollonius von Maltitz, Christian von Zedlitz! Ihr könnt diese Stunden nicht vergessen, die Welt kann sie euch nicht wiedergeben; nur jenseits, jenseits stehen sie uns wieder auf!

Wie gerecht ist der Himmel! Den Reichen, die im Golde wühlen, schenkt er nicht was er uns himmlisch Beglückten gibt, wenn die Stunde der Weihe sich in unsere Herzen senkt; wenn Herz in Herz, Leben in Leben überfließt; wenn alle, die den großen Bund feiern, nur Eins sind. Nicht zerreißen kann ein solches heiliges Band, nur unsere Wahrnehmungskraft verschwindet. Das ewig Schöne, das uns der Ewige zu eigen[329] gegeben, das wir auf ewig besitzen – getrost, wir finden es schöner wieder, als es die Erde uns geben konnte.

Meine Lieder an Seraphina bezeichnen ähnliche Stunden meines Lebens, unter dem schimmernden Dach des kaiserlichen Palastes. Charlotte Auguste war eine Seraphina. Ich habe es viele Jahre verschwiegen, ich wollte nicht der Welt preisgeben, was ich vom Himmel selbst empfangen, was ich mir ruhig und ergeben für diesseits entreißen ließ. »O Gott, wie reich ist doch eine Dichterseele!« hatte sie mir zugerufen, weil sie mich liebte und verstand, die hohe süße Frau! Nicht mir ist sie entrissen worden, sondern ich ihr. Aber sie wird mich wiederfinden, und je schroffer die Trennung war, je süßer wird die Wiedervereinigung sein.

Ich wurde kurze Zeit nach meiner Ankunft in Wien zum Conferenzminister Grafen Kollowrat gerufen, der mich mit der wärmsten Theilnahme empfing. Mit tiefer Wehmuth sagte er mir unter anderm die Worte: »Ah, es geht nicht wie es sollte, ich bin Minister und habe kein Portefeuille. Das Gute wird unbeschreiblich erschwert. Doch man muß den Muth nicht sinken lassen. Der Kaiser hat das menschenfreundlichste Herz und den besten Willen. Erst über seinem Grabe wird die Welt gerecht gegen ihn sein!« Nach einem langen Gespräch, dessen Inhalt ich in meiner Brust verschließen muß, führte mich der Graf zu seiner herrlichen Gemahlin, mit der ich eine schöne Stunde zubrachte. Vor dem Abschied hatte mir Graf Kollowrat noch gesagt, er würde mich zum 12. December beim Kaiser anmelden. Ich hatte mir viel von dieser Audienz versprochen. Ich glaubte dem Kaiser mehr sagen zu können, wenn ich die Letzte wäre, die sich melden ließe, ich hatte Unrecht. Der Kaiser war[330] schon sehr erschöpft, als ich zu ihm eintrat; sein Adjutant machte mich darauf aufmerksam. Ich hielt es für einen Wink, mit dem Kaiser sehr behutsam umzugehen, und ich hatte recht.

Im reinsten Hochdeutsch sprach der Kaiser zuerst zu mir einige Worte des Dankes, daß ich mich seiner Oberösterreicher so herzlich angenommen habe. »Aber«, setzte er hinzu, »die Sache hätte eine schlimme Wendung nehmen können! Wie, wenn ich nun gezwungen gewesen wäre, Militär in das Salzkammergut zu schicken?« Ich erstarrte. Ich sah aus diesen Worten, daß die lügenhaften Berichte des Pflegers von Orth Eindruck beim Kaiser zurückgelassen hatten, und daß er glaubte, es handle sich um eine Empörung. Der Kaiser muß meine Empfindungen in meinen Blicken gelesen haben. Ich sagte ihm mit fast von Schmerz erstickter Stimme: »Ich kann und will mich nicht rechtfertigen bei Ew. Majestät, ich überlasse das Gott und der Zeit!« In den Mienen des Monarchen ging nun eine Veränderung vor, er blickte mich mit seinen schönen blauen Augen freundlich an. »Nun ja«, sagte er sanft, »gewiß haben Sie es gut gemeint!« »Und auch gut gehandelt«, entgegnete ich. Der Kaiser sprach nun: »Ich weiß durch Sie etwas, das ich nie zuvor erfahren hatte. Da legen sie drüben den armen Leuten, die selber nichts zu essen haben und die Steuer nicht zahlen können, Executionssoldaten in das Haus; das ist mein Wille nicht, das darf nicht sein, das soll nie wieder geschehen!« Die Stimme des Kaisers drückte flammende Wuth aus. Ich sagte ihm: »Es sind auch Menschen unter den Exequenten Ew. Majestät! Es geschah voriges Jahr, daß der Executionssoldat, als er zu einem Bauer kam, Kinder erblickte, die vor Hunger weinten, und keinen Bissen Brot in der Hütte an[331] traf; da griff er in seine Tasche, gab der bebenden Hausmutter seine ganze Baarschaft, um Brot zu kaufen, und eilte davon. Ein anderer, ärmer als jener, ging beim Anblick der jammernden Bewohner aus dem Hause, und kam mit Brot beladen wieder. Er hatte eilig sein Gewehr verkauft, und wußte, daß ihn funfzig tüchtige Hiebe dafür strafen würden; doch er folgte der Regung der Menschlichkeit. Ja, Majestät, oft geschieht es, daß die Soldaten auf das Pflegamt zurückkommen und erklären, sie könnten diesen Leuten nichts abnehmen.« »Brave Kerls!« sagte der Kaiser, und wiederholte dann noch feierlich sein Versprechen, welches er freiwillig gegeben, daß keine Executionssoldaten mehr in das Salzkammergut geschickt werden sollten. Mir ist unbekannt, von welchem Orte aus diesem großmüthigen und gerechten Entschluß widerstrebt wurde, und zwar mit Erfolg; denn es kamen nach wie vor Executionssoldaten zu den Bewohnern, rückständige Steuern einzutreiben, nur daß man nicht mehr erzählen hörte, daß welche von ihnen ihr Gewehr verkauft, um den Bewohnern Brot zu bringen. Sie hatten sich damit begnügt, aus den jammervollen Hütten, wo keine Maus eine Brotkrume gefunden hätte, unverrichteter Sache auf das Pflegamt zu gehen, wo man nicht ermangelte, die Kosten für den Executor und für den Widerstand der Einwohner in Rechnung zu bringen. Ich muß zu meiner Beschämung gestehen, daß ich entmuthigt oder, wie der Bauer sich auszudrücken pflegt, »maßleidig« war. Ich weiß kein deutsches Wort für diesen Zustand: es bedeutet eine Erschöpfung der Spannkraft, eine wehmuthsvolle Hoffnungslosigkeit.

Kaiser Franz meinte: »Vom Steinsalz könnte man sich im Lande helfen«, weil Salzmangel in den Vorstellungen[332] der Landleute auf das kläglichste zur Sprache kam. Ich wußte nichts von einem solchen, konnte weder beipflichten noch widersprechen, und glaubte einigen Unwillen hierüber beim Kaiser wahrzunehmen; auch war er sichtlich erschöpft, seine Augen waren roth. Die große Anzahl der Bittstellenden, die er angehört, hatten vier Stunden seines bedrängten Lebens mitgenommen, in diesen hatte der gute Kaiser viel gesprochen, und viel Leid empfunden, zuweilen auch gezürnt, weil er von vielen und frechen Schurkereien erfuhr, die ihn empörten, und die er bestrafen wollte. Er pflegte dann den Hülfesuchenden auf die Schulter zu klopfen, und die Worte auszusprechen: »Geht nur heim, Kinder, euch soll Recht werden!« Doch unter hundert Fällen gab es kaum einen einzigen, wo dies Wort sich bewährte, denn Arglist und Tücke hatten die Netze zu fein gesponnen, in welchen die Unterthanen zappelten, darbten und verschmachteten. »Es ist schaudervoll«, rief einmal die Kaiserin aus, als ich ihr unter andern Reden der Landleute folgende wiederholte: »Ueber die Steuern beschweren wir uns nicht, wenn wir sie geben sollen nach Recht und Gesetz, wie sie uns vorgeschrieben sind; wir wollen die Nächte durch arbeiten, daß uns das Blut aus den Nägeln spritzt; wir wollen hungrig zu Bette gehen, wenn nur der Betrug nicht wäre!«

Ich erzählte Ihrer Majestät auch von einem wackern Landmann, den ich warnte, sich weder durch Leiden, noch durch Aufwiegler hinreißen zu lassen, und keine Empörung zu versuchen, denn der Kaiser werde ihnen gewiß helfen. »Empörung!« rief der Alte, »nein, lieber doch gleich in den See!« Die Kaiserin war tief gerührt. Ich erinnere mich nicht einmal, und fürchte, mich hat eine übertriebene Ehrfurcht[333] abgehalten, der Kaiserin hinterbracht zu haben, was ich von mehr als Tausenden gehört hatte: daß die Angestellten bei den politischen Behörden mit teuflischem Hohn hell aufgelacht hatten, wenn die Bedrängten etwa drohten, sie würden zum Kaiser gehen. Die Herren durften lachen. Sobald sie wußten, daß die Bauern sich so viel Geld zusammengeliehen und abgedarbt hatten, daß sie Wien erreichen konnten, schrieben sie an dortige Freunde, den Bauern den Zugang zu erschweren, oder zu hindern, im schlimmsten Fall aber sich an diejenigen zu wenden, denen der Kaiser das Referat auftragen würde. Meistens gelang das. Der Kläger, das Herz warm von den Tröstungen des guten Kaisers, noch auf der Achsel das trauliche Klopfen der kaiserlichen Segenshand fühlend, hungerte sich heim, wurde von allen Seiten her mishandelt, und bekam eine abschlägige Antwort, und obendrein noch einen derben Verweis von der Behörde. Dabei hatte er noch mehr Schulden als früher; denn nicht selten hatte er den Vorschuß zu seiner Reise aus Wucherers Hand empfangen. Der unsterbliche Kaiser Joseph hatte vorausgesehen, daß bei Suppliken der Landleute Umstände wie die eben bezeichneten eintreten müßten. Ihn jammerten die Beschwerdeführer und Bittenden, die mit großen Mühseligkeiten nach Wien mußten, und um ihnen Mühe und Aufwand zu sparen, beauftragte er den Kreishauptmann jedes Bezirks, die Schrift des Bauern nebst einer Einbegleitung von ihm selbst, an Ihre Majestät abgehen zu lassen, worauf der Kaiser den Bescheid durch den Kreishauptmann an den Bauer schicken würde. Der Kreishauptmann von Wels, den Kaiser Joseph selbst noch eingesetzt hatte hieß Jackobar, der von Steuer Dornfeld; sie waren vorgeschobene Riegel vor der Eingangspforte zum Thron. Der gesetzliche Befehl für Beschwerdeführer[334] und Solicitanten lautete: zuerst zum Pflegamt zu gehen, und wenn dieses abschlägigen Bescheid gab, sich an das Kreisamt zu wenden, welches sodann nach Beschaffenheit der Umstände entweder die Beschwerde oder Bitte verwarf, oder an den Kaiser beförderte. Bei geringen und gewöhnlich individuellen Besuchen pflegte das Kreisamt zu ignoriren, wenn es übergaben wurde; sowie aber der Gegenstand die Rechte einer oder mehrerer Gemeinden und dann gewöhnlich eine große Summe Geldes betraf, wurden Kunstgriffe aller Art aufgeboten, damit die Sache gar nicht vor den Kaiser gelangte. Ich kann hiervon mehrere Beispiele anführen; sie betrafen Gemeindeholz, Korn- und Grundsteuer, und andere hochwichtige Gegenstände, sowie den schon erwähnten Zehnten, den die Gerichtsdienerstochter, Fanny Hofbauer, den Bauern von Almeck gewaltthätig entriß.

Ein Bauerngutsbesitzer Namens Heidinger, der im Namen von fünf Gemeinden an mich abgesendet worden, kam nach Gmunden, mit den Proceßacten versehen, und trug mir klar und begreiflich die Sache der Gemeinde vor, mit inständigster Bitte, sie zur Kenntniß des Kaisers zu bringen, weil man wußte, daß ich nach Wien wollte. Ich willigte gern ein, weil hier eine ungeheure Unterschlagung vorgegangen war. Heidinger hatte als Beweisstücke hochwichtige Documente im Original und mit dem Siegel der höchsten k.k. Hofstelle herbeigebracht. Ich habe vergessen, wer mir anrieth, dem berühmten Baron Sina alle vorhandenen Documente mitzutheilen, wiewol er mir ganz unbekannt war. Als ich nach Wien gelangt, war mir Heidinger nachgereist und suchte mit mir Baron Sina auf, der uns mit der größten Theilnahme anhörte und sorgfältig die Acten durchlas. Er äußerte sich mit folgenden Worten: »Diese Sache ist hochwichtig und[335] sonnenklar! Hier sind drei Aktenstücke, die als schlagende Beweise dienen. Die Gemeinden müssen einen Bericht aufsetzen und unterzeichnen, den Sie, gnädige Frau, zum Kaiser in seine eigene Hand gelangen lassen. Vielleicht kann ich selbst meine Theilnahme an diesem Gegenstand beweisen.« Ich war über die Aufnahme und das Benehmen des edeln Mannes ganz entzückt, jedoch höchst betroffen, am andern Tage meinen guten Heidinger nicht wiederzusehen. Gegen Abend erschien bei mir ein Bauersmann aus jener Gegend, der mir offenbarte, daß die Polizei am Morgen, als er mit Heidinger ausgegangen war, diesen festgenommen habe. Ich erstarrte vor Verwunderung. So klug und gebildet die Einwohner jener Gegend sind, so wenig sind sie im Stande, der obrigkeitlichen Gewalt mannhaft entgegen zu stehen, wo es ihr gutes Recht gilt. Heidinger hatte sich nicht einmal einen gegen ihn ausgefertigten Verhaftsbefehl vorzeigen lassen, und saß nun im Gefängniß. Sein Landsmann, der ihn nach Wien begleitet hatte und von dem Polizeisergeanten unbeachtet geblieben war, hatte sich wahrscheinlich davongeschlichen, und in Ermangelung bessern Raths zu mir begeben.

Ich eilte zum Stadtdirector Hofrath Persa, mit welchem ich einigemal in Gesellschaft gewesen war; statt seiner erschien der allgemein hochgeschätzte Noe, um mit mir zu sprechen; derselbe, dessen Sylvio Pellico so seelenvoll erwähnt. Ich erklärte diesem würdigen Manne, man habe mir meinen Bauern arretirt, und ich müsse ihn wieder haben. Herr von Noe, der überhaupt vom Hofrath Persa nicht erbaut war, und der meine Verhältnisse zum kaiserlichen Hof kannte, versprach mir, ich solle den braven Mann heut noch wieder sehen. Es war mir unaussprechlich lieb, des Zwiegesprächs mit Hofrath[336] Persa überhoben zu sein. Ich verließ getrost das Auge Gottes1, und eilte nach Hause. Wirklich kam mein guter Heidinger dorthin, noch blaß von dem erlittenen Schrecken, und erzählte mir, daß beim Herausgehen aus seiner Wohnung der Polizeisergeant auf ihn zugekommen wäre, und er, Heidinger, vermöge seiner Hasennatur auf der Stelle reißaus genommen habe; jetzt aber komme er, von mir und der Kaiserstadt einen lebenslänglichen Abschied zu nehmen, denn seine persönliche Sicherheit als unbescholtener Unterthan des Kaisers gehe ihm über alles! Nichts konnte ihn bewegen, seinen Entschluß zu ändern; er vermeinte, und wer weiß ob mit Unrecht, man würde ihn im Loche, worin er steckte, haben verfaulen lassen, wenn sein Kamerad mich nicht aufgesucht und mir Nachricht von seinem Schicksal gegeben hätte. Verzeihlich ist die Vermuthung, die ich faßte, daß ihm im Gefängnisse Drohungen gemacht worden seien, denen er nicht zu widerstehen wußte, und daß man ihm vor der Entlassung noch das Versprechen abgenommen habe, sich nicht mehr in diese Sache zu mengen. Ich will sie hier nicht weiter erörtern, denn es wäre zu spät; doch ich werde diese müdgeweinten Augen nicht schließen, ohne die Gewissenspflicht erfüllt zu haben, am rechten Ort damit aufzutreten, um der Zukunft ähnliches Unheil zu ersparen.

Es war Se. Majestät, dem Kaiser Franz, heiliger Ernst um seine Unterthanen. Er hat es bewiesen, und es steht zu hoffen, daß seinem schönen Willen vielfach Folge geleistet worden. Mehrere Jahre vor meiner Ankunft hatte er, auf glaubwürdige und beglaubigte Anzeigen,[337] den Pfleger Muttersgleich in Ketten schließen und in lebenslängliches Gefängniß setzen lassen. Trotz unerhörter Ränke der Behörden im Mühlviertel, wo es zuging wie in Salzkammergut, hatte der Untersuchungscommissär die Uebelthäter in den Kerker gebracht. Der Pfleger von Orth wurde bei der Untersuchungscommission, die Hofrath von Schiller gegen ihn errichtete, überwiesen. Er sah nichts mehr voraus als Schmach und Tod; er hätte sein Schicksal wahrscheinlich mildern können, doch er wollte den Freund retten, der sein Mitschuldiger war, verbrannte die Papiere, die diesen Freund compromittiren konnten, und suchte den Tod in dem See. Gelegenheit und Verführung hatten ihn zum Verbrechen hingerissen, aber Tausende hat er ins Unglück gestürzt, ausgeraubt, nicht mit der Bosheit eines Folterers, sondern mit thierischem Raubthierinstinct. Er gewann nicht viel dabei, der größte Theil der Beute kam zuerst in die Hände seines Genossen, andere Theile kamen den Hehlern und falschen Zeugen zu, deren er bedurfte. Als die Stunde schlug, wo er Rechenschaft geben und ersetzen sollte, war nur der See sein Rettungsmittel. Er compromittirte nicht einen seiner Genossen, und manche von denen, die auf irgendeine Art sein Unglück bereiten halfen, hatten ein Gewissen, beinahe so belastet als das seinige.

Der Kaiser hatte mir befohlen, alle Papiere die das Salzkammergut beträfen, nebst seinem Referat, in die Hand des Grafen Kollowrat zu übergeben. Mein ältester Sohn übernahm dies Geschäft noch immer mit der alten Liebe für die Sache, die ihn mitunter auch ergötzte. Die guten Kammergüter zerbrachen sich täglich den Kopf darüber, wer in aller Welt ich denn eigentlich sein könnte. Einer rief aus: »Das wißt ihr nicht? Das ist doch leicht zu sehen, sie fürchtet ja unsere Herren nicht, es ist[338] die Kaiserin!« »Fehlgeschossen«, rief ein anderer, »ich weiß es besser: es ist Se. kaiserliche Hoheit der Kronprinz!« Mein Sohn brach in ein lautes Lachen aus. »Es ist ja meine Mutter«, rief er. »Oho!« sprach der Bauer, »weit gefehlt, der Kronprinz will sich von allem überzeugen, er ist selbst gekommen, ja in Wahrheit, man kann es ja sehen. Wer sonst hätte denn solche große Füße!« »Ganz richtig!« fiel ein anderer ein, »ich soll ihn doch wol kennen, ich habe ja unter ihm gedient!« Mein Sohn fing an ärgerlich zu werden. »Der Herr Graf wollen uns nicht glauben!« »Ich bin kein Graf«, rief mein Sohn. »Weiß schon, Herr Graf!« antwortete der Bauer. Solche Meinungen kreisten durch das ganze Land. Ein armes Weib schrieb mir: »An Ihre Majestät die Grafing beim Sülzel« (so hieß nämlich unser Gasthof). Als ich zum Besuch bei Pastor Wehrenpfennig war, führte die Pastorin einen alten Mann zu mir in den Garten. Er nahte sich mit unsichern Schritten, und that einen Fußfall. Die Pastorin lächelte. »Hören Sie nur an«, flüsterte sie mir zu, »es ist ergötzlich!« und sie entfernte sich.

Ich bat den Mann so dringend aufzustehen und sich auf die Gartenwand niederzulassen, daß er es endlich that, indem er sagte: »Sie haben sich in unsere Mitte begeben, Sie wollen nicht gekannt sein, wir müssen thun wie Sie befehlen, und es ist schön, daß Sie da sind. Es ist so heimlich hier, und es soll Ihnen schon gefallen, Ew. Majestät sind hier vollkommen sicher!« Mich überfiel keine geringe Angst, ich glaubte einen Wahnsinnigen vor mir zu haben. Ich bat den Mann sich zu entfernen. »Nicht doch«, rief er gutmüthig aus, »ich bin so frei gewesen und gekommen, um Sie zum Essen zu laden; wir werden um den Tisch her stehen und Ew. Majestät[339] bedienen; wir haben eine gute Suppe mit Markklöschen, wenn es anständig ist, einen saftigen Lummelsbraten, Haizelsalat, guten Wein aus meinem Keller; aber keine süße Speise, die kann meine Alte nicht kochen.« Ich erhielt mich bei meinem angenommenen Ernste und bedauerte, die Einladung nicht annehmen zu können weil ich schon beim Pfleger versagt sei. »Ach, Ew. Majestät«, rief er zitternd aus, »nur nicht auf das Pflegamt, da werden Sie verkauft und verrathen! Nein, bleiben Sie bei uns, wir lieben Sie, es ist heimlich hier.« Ich hatte alle Mühe, mir das Lachen zu verbeißen und mich aus dem Garten zu entfernen. Die Pastorin löste mir das Räthsel. Es war dem Manne gesagt worden: in Wien sei Revolution, die kaiserliche Familie habe flüchten müssen, ich, die Kaiserin, sei durch die Wälder hierhergekommen, und suche nun hier Zuflucht, da wolle er der erste sein, der bei Ihrer Majestät eine Ehre aufhebe. Hierauf habe ihm die Pastorin gesagt, er solle nur mit ihr in den Garten kommen, da würde er die höchste Frau finden.

Es war im obern Salzkammergut noch manches Aehnliche vorgefallen. Ich und meine Söhne hatten nie theil daran, aber die guten Menschen ließen sich ihre Einbildungen gar nicht ausreden; sie nährten ihren Wahn daß ich ihnen helfen könne, durch die Idee, daß ich mächtig sei. Denn ihre Angst und Ehrfurcht für ihre Behörden wirkten so mächtig auf sie, daß sie glaubten, ich müßte viel gewaltiger und vornehmer sein, als ihre Herren, weil ich so furchtlos mit denselben sprach.

Mein ältester Sohn übergab die Papiere aus dem Kammergut in des Grafen eigene Hand. Ich begreife nicht, wie es zuging, daß noch einige Jahre später keiner der Betheiligten auch nur eins der Papiere wieder zurück[340] erhielt. Ich hatte ein ausführliches Referat über jedes Stück beigelegt. Auf den Wunsch der Vorsteher der Bruderlade im Salzkammergut hatte ich ein Buch auf Pergament geschrieben und in schwarzen Sammt gebunden. Dies Buch enthielt die Statuten der Mitglieder der Bruderlade und Rechnung über die bis dahin empfangenen Gelder, die von Beiträgen edler Wohlthäter und armer Salzarbeiter herrührten. Die Bruderlade wurde bei Erkrankung der Mitglieder in Anspruch genommen; sie bekamen Zimmer, Lager, Arznei und Kost, bis sie wieder genasen. Das Obersalzamt verlangte die Aufhebung der ganzen Anstalt, ohne die Betheiligten über den Grund aufzuklären. Nach einiger Zeit, während sie auf Bescheid über ihre Vorstellung beim Kaiser gewartet hatten, kamen sie um die Wiedererstattung des Buches ein, erhielten aber keine Antwort.

Das Gosathal hatte mir gleichfalls eine Deputation geschickt, um seine früher empfangenen Privilegien beim Kaiser in Erinnerung zu bringen; doch ich mußte das Original zurückgeben, und durfte nur eine Abschrift nach Wien schicken. Ich glaubte damals nicht, daß die Gosaer recht hatten. Ich glaube nicht, daß eine einzige Gemeinde des ganzen Bezirks zurückgeblieben war; unaufgefordert, mit rührendem Zutrauen waren sie alle gekommen, mich zu bitten, ihre Eingaben in des Kaisers Hand zu befördern, und meinten, dann wäre geholfen. Auch ich stand in diesem Glauben, und irrte mich wie alle übrigen. Die eingerissenen Unordnungen, die Vorspiegelungen gewissenloser Beamten, die geflissentlich die Wahrheit entstellten, würden auch in einem kleinen Wirkungskreise Unheil herbeigezogen haben. Abhülfe mußte geschafft werden; das brennende Verlangen zu helfen, überwog alle Bedenklichkeiten. Ich vergaß, daß ich kein[341] Mann war, daß ich von allen meinen theuern und ausgezeichneten Bekannten und Freunden nie Nutzen zu ziehen versucht, daß ich kein Verständniß von den Dingen des Lebens hatte. Ich meinte, mit der Poesie wäre alles abgethan. Wie sehr war ich auf dem Irrwege! Eine rein poetische Natur wie die Karschin! Ich muß es tadeln, aber auch mein Lob aussprechen. Gibt es denn etwas Beseligenderes, etwas Gottinnigeres, Erquicklicheres als eine poetische Natur? sie dicht nun mit was es sei, mit der Seele, mit der Kehle, mit dem Pinsel, mit dem Meißel, mit der Flöte, mit der Harfe, oder mit Blumen, die sie zu Kränzen windet. Sie sei Adler, Lerche, Nachtigall, Thautropfen, der auf Blumen zittert, Heimchen im Grase, summende Biene, zwitscherndes Vöglein, das nur eines Tones mächtig. Ich grüße sie als Schwester! Das Diesseits hat uns die Brücke geschlagen, über die wir wandeln, um uns im Jenseits wiederzufinden. Der Tod ist die Brücke! Der Tod, der liebevollste Freund des Lebens; der Tod, nach dem jedes inbrünstige Leben bangt! Jede Aufstrebung zum Höchsten hin ist ein Selbstmord, ein Vordringen zum Ziel, ein Lüften des Fittichs, der zu Gott hinschwingt.

Es ist mir unmöglich, in alle Umständlichkeiten, welche diesen Zeitabschnitt bilden, einzugehen; auch hat sich seitdem vieles geändert, manches gebessert. Es war der Lieblingsgedanke Ihrer Majestät, der Kaiserin, eine allgemeine Arbeitsanstalt zu errichten, dies ist geschehen. Ich erfuhr durch die höchste Frau unmittelbar vom Aufblühen und Gedeihen dieses neuen Segenswerkes. Einige Jahre lagen zwischen diesem Zeitpunkt und dem eben berührten. Ich hätte thätiger in der Mitwirkung zu diesem Unternehmen sein sollen, und muß mich bitter[342] tadeln, will auch gar nicht viel zu meiner Entschuldigung sagen: denn ich habe nachlässig gehandelt, ich ließ mich zu sehr von der Ueberzeugung hinreißen, daß die Kenntniß von der wahren und tiefen Wurzel des Uebels ganz allein aus dem Grunde helfen könnte; da ich hingegen mich hätte begnügen sollen, die mir angewiesene Bahn festen Schrittes geradeaus zu betreten und die Radicalcur de Krebsschadens dem höchsten Gott, der alles durchschaut und lenkt, gläubig zu überlassen. Soll ich mein Vergehen eingestehen: der mir anvertraute Zweck reizte meine Phantasie nicht genug, das Leichteste wird manchem zum Schwersten! Während ich auf der einen Seite meine Kraft überschätzte, wo sie nicht ausreichen konnte, schien mir auf der andern meine Aufgabe zu leicht. Was ich wollte, zum Theil auch erlangte, blieb in der Hauptsumme unerreichbar. Es hätten Mittel dazu gehört, die mir nicht gewährt werden konnten, die ich auch nie zu verlangen wagte. Mich zermalmte die Wucht des herrschenden Elends. Viel tausend Menschen, die mir weinend zu Füßen lagen und ungetröstet wieder heim mußten, zerrissen mir das Herz. Hierzu kam, daß meine Söhne meiner bedurften, daß Personen, auf die ich mich verlassen hatte, mein Vertrauen täuschten. Theils hatte ich diese zu lieb, um sie zu compromittiren, theils hoffte ich von der Zukunft Aufklärung und Genugthuung, theils von einem nicht unmöglichen Glücksfall Ersatz für den erlittenen Schaden, und Mittel, mich ganz allein vor den Riß zu stellen. Meine Handlungsweise war rein und treu, mein Wille edel geblieben, mein Zweck in gewisser Hinsicht erreicht. Der Kaiser und die Minister hatten klar dies Gewebe durchschaut, in welchem das gute treue Land wie in einem Netze eingewickelt lag; verbrecherische Umtriebe waren gehemmt und für die Zukunft[343] unmöglich gemacht. Von den Edelsten und Einsichtsvollsten wurde ich anerkannt. Karoline Pichler kam mir bei meiner Wiederkunft nach Wien mit offenen Armen entgegen, und sagte mir unter sanften Thränen: »Seien Sie gesegnet, liebe Freundin! Wie viel Gutes haben Sie gestiftet: drei Jahre Grundsteuernachlaß dem armen Lande, vielen hundert Menschen wieder Brot geschafft! O gewiß, Gott wird Ihnen alles segnen, was Sie für meine guten Landsleute gethan!« So sprach die theure Frau, und ich bin stolz auf ihre Worte. Bis in den Tod blieb sie meine standhafte Freundin; die Beweise ihrer Gesinnung für mich sind mir so kostbar, daß ich mich nicht entschließen konnte, sie zum Druck wegzuschicken, als ich darum von ihrer geliebten Tochter gebeten wurde; vielleicht schmücke ich noch dies Werk mit diesen seelenvollen Denkmalen ihrer Liebe und Treue. Eine österreichische Natur hat noch besondere Eigenthümlichkeiten vor andern voraus; sie gibt Liebe um Liebe mit voller Herzigkeit, mit einem Zauber der Hingebung und Frischheit, der unvergleichlich ist. Auch der unbefangene Dritte, der solche Herzensergüsse liest, empfindet den Werth der Freundin, wie er sich in den Briefen an sie spiegelt, zugleich mit dem der Schreiberin des Briefes; die Wärme und Liebe darin gehen in seine Brust über. Die Unmittelbarkeit der Ausdrücke wirkt auf ihn, und er liebt zwei Wesen, indem er einen Brief lieset; unwillkürlich wird der Brief zum Bilde derjenigen, an welche er gerichtet ist. Ein Theil unserer Correspondenz war ergötzlich für den Dritten, er betraf ganz einfach die Leinwanderzeugung in Salzkammergut. Es war uns so ernst um die Sache, daß man hätte glauben sollen, wir hätten zeitlebens nichts gethan als gesponnen. Es fällt mir hierbei ein, daß uns unser Freund Hammer[344] einmal erzählte, als er uns eine große Soirée gab: einer seiner Freunde, der uns nicht kannte, obschon er lange mit uns gesprochen hatte, habe ihn gefragt: wer die beiden artigen Frauenzimmer wären, die er vergessen habe ihm nennen. »Habe ich das?« fragte Hammer, »ich muß gedacht haben, Sie wüßten es; dies war die Pichler und die Chézy.« »Das machen Sie einem andern weis«, rief der Fremde, »die Pichler und die Chézy, zwei so einfache Frauen!« Hammer fühlte, wie sehr uns dieser Ausspruch schmeichelte, und verließ uns mit selbstzufriedenem Lächeln.

Hammer's Kreis war stets ein auserlesener, er wich nie von seiner Eigenthümlichkeit ab. Einmal wurde er vom Tisch abgerufen; ohne weiteres eilte er die Treppe hinunter, und kam nach einigen Minuten wieder mit dem Ausruf: »Er paßt wie angegossen!« Es ergab sich nun, daß man ihn von der Tafel gerufen hatte, um seinen Sarg zu probiren. Er bezeigte darüber die größte Freude, und belebte alle seine Gäste durch seine Heiterkeit. Hammer war damals sehr jung, und wird, wie ich glaube, es bis zum Tode bleiben. Ich schätze ihn glücklich, den erkorenen Sterblichen, dessen Geist Frühlingsknospen treibt! Sein Glück ist um so mehr zu preisen, als ein orientalisches Studium oft ein ganzes Leben freudlos macht. Hammer hat übrigens niemals Indisch studirt; Türkisch, Arabisch und Persisch sind bekanntlich heitere Studien, dankbarer für das Leben. Das Sanskrit ist eine Leiche, erstarrt in eigener Vollkommenheit und Pracht. Lebendige orientalische Sprachen sind ewige Blüten, die immer wieder Früchte treiben, sich aus sich selbst organisch wieder neu gebären.

Nicht lange war ich in Wien zurück, als ich durch eine Gehirnentzündung an den Rand des Grabes gebracht[345] wurde. Dr. Grohmann, der Arzt und vertraute Freund des Ali Pascha von Janina, behandelte mich mit der größten Sorgfalt, kam täglich zwei mal, zuweilen öfter. Zu derselben Zeit erkrankte Sophie Müller, die liebenswürdigste und begabteste der Töchter Thaliens und Melpomenens. Zu dem Reiz und der Anmuth ihrer Erscheinung, zum gediegensten Talent gesellte sich die Würde ihres Wesens, die Unsträflichkeit ihres Wandels, um sie der Liebe und Achtung ihrer Zeitgenossen in hohem Grade, und für alle Zukunft hin zu sichern. Sie war von hoher unbekannter Abkunft. Purpur und Diadem schmückten nicht ihre letzte Lagerstätte, sie umschwebten sie unsichtbar. Vielleicht waren die Urheber ihrer Tage nicht ganz einverstanden mit der Laufbahn, welche sie aus Beruf und Neigung erwählt hatte, und deren Opfer sie wurde; denn das Leben nimmt Rache an dem, der seine unerlaßlichen Bedingungen besiegen und beherrschen zu können im Wahne steht. Sophie Müller – dies war der einfache Name, den sie trug – kam noch im Sommer 1828 von einer Kunstreise zurück aus der herrlichen Steiermark. Welche Kränze hatte sie errungen, welche Bewunderung und Liebe erregt! Sie wurde mit unbeschreiblicher Ungeduld erwartet. Sie mußte an dem Hochgebirg, dem Grimming vorüber, und reiste nachts, um schneller nach Wien zu gelangen. Es war in der Mitte des Hochsommers wo erdrückende Hitze herrschte, als sie, von ihrem wackern Pflegevater begleitet, nicht winterlich verhüllt, sondern der Jahreszeit gemäß angekleidet, mit Extrapost auf der Straße nach Wien fuhr; da, wo eine Biegung des Berges den schärfsten Nordwind Spielraum läßt, wurde sie durchschaudert von seiner Wuth, halb erstarrt kam sie auf der nächsten Station an. Ihre Ungeduld beseitigte alle Rücksichten. Sie gelangte nach Wien im bedenklichsten[346] Zustande. Sie erklärte gleich bei ihrer Ankunft, nicht auftreten zu können, und bat um Aufschub. Die Direction, die nach der Art so vieler glaubte, daß alles geschehen würde, weil, und wie sie es Wünschte, nahm keine Notiz vom Zustand der jungen Künstlerin, hielt ihre Weigerung für eine Grille, und schickte ihr den Theaterarzt, der entscheiden sollte, ob sie auftreten könne oder nicht. Sophie Müller, die für ihren Beruf glühte, die zu hoch stand, um kleinliche Rücksichten geltend zu machen, ja zu spielen brannte, wenn es ihr möglich gewesen wäre aufzutreten, sie erhielt Befehl von der Direction, nächstfolgenden Tags als Preciosa zu erscheinen, weil der Theaterarzt erklärt hatte, sie würde es im Stande sein. »Was bedarf es eines Befehls«, rief sie in edler Entrüstung, »ich werde auftreten, und sollte ich todt auf das Theater hinfallen.« Sie erschien, entzückte, riß hin, und mußte im Zustand einer Leiche von der mit Kränzen bedeckten Bühne fortgetragen werden, um nie wieder auf der Bühne zu erscheinen; sie brachte die Nacht im gefährlichsten Zustand zu.

Ich war damals schon im Stadium des Genesens, und fuhr gleich andern Tags zu ihr hin. Ich fand sie bedenklich krank, sodaß ihr Zustand mir die lebhafteste Besorgniß einflößte. »Kann ich gesund werden?« fragte sie mich. »Nicht wahr, Sie sind ja im Begriff zu genesen?«, »Jawol, Liebe!« entgegnete ich ihr wehmuthsvoll. »Wenn Sie eine arme Dichterin wären, die sich mit ihrem bescheidenen Arzt begnügt und ihm vertraut, so könnten Sie genesen! Da aber alle Aerzte zu Ihnen müssen und jeden Tag Consultationen vor Ihrem Bette halten, so werden Sie schwerlich genesen.« Sie seufzte, und ich suchte sie zu trösten; doch vergebens. Sie fühlte den nahen Tod. »O«, rief sie, »ich bin hungrig, und darf[347] nur durch die Haut genährt werden; ich verdurste, und darf nicht trinken; ich verschmachte, und darf keinen Athemzug frische Luft schöpfen; so jung muß ich sterben!« Die Aerzte gaben ihr endlich eine Amme, die mit ihr nach Hitzingen fuhr. Nicht lange konnte sie ihr das Leben fristen. Sie erlosch wie ein Licht, sanft ergeben, und schweigend. Nie war eine Trauer allgemeiner und rührender, als die um Sophie Müller. Ich muß darthun, daß mir zarte Rücksichten geboten haben, manches Rührende und Herzerhebende, das auf ihren Tod Bezug hat, zu verschweigen. Von ihr könnte man sagen, wie der französische Dichter von einer entzückenden früh Dahingeschiedenen singt: »Sie starb, und hatte gelebt wie Rosen leben, eine Morgenstunde!« Ich war zu tief von ihrem Tod erschüttert, um etwas anderes zu haben als meine Thränen.

Als ich begann wieder zu Kräften zu kommen, erhielt die Vergnügungslust wieder ihr früheres Recht. Mit meinen Söhnen besuchte ich die Theater, die mir alle offen standen, die Concerte und die Kreise werther Bekannten. Jetzt ist alles anders als es damals war. Sollte es wirklich schöner sein, weil alles kolossal geworden? Sollte nicht die Ausführung der Meisterwerke früherer Jahre, in der frühern Anspruchslosigkeit, echtern Genuß gewährt haben? Wäre es nicht möglich, daß ein hoher Kunstgenuß mehr Anklang, allgemeinere Wirkung gerade durch eine gewisse Beschränkung gewönne? Mir kommen die kolossalen Einrichtungen, zu denen jetzt hundertfach vermehrte Mittel gehören, unerfreulich vor. Nicht durch sinnlichen Aufwand soll die Kunst wirken, sondern durch geistige Gewalt, denn das ist eben ihr höchster Reiz und Zauber! Der Erfolg künstlerischer Bestrebungen hängt noch hauptsächlich von der Stimmung des[348] Hörers ab. Wer Liebe und Andacht in die Räume der Kunst hineinbringt, den wird eine Nachtigall im Walde tiefer rühren und süßer entzücken, als ein Chor von tausend Nachtigallen. Wer eine Rose erblickt im ersten Morgenstrahl, dem wird dieser Anblick und Duft süßere Wonne gewähren, als ein See von Rosenessenz, auf dem er wogen kann. Das Geheimniß des Genusses ruht in den Schranken die es umfrieden; nicht im Aufwand der Mittel, sondern in der weisen Anwendung ist es enthalten. Der Geist ist der eigenste Schöpfer der Geisteswonne. Eins der Lieblingsworte der Franzosen, die ich in meiner Jugend gekannt, wenn von einer genialen Zeichnung oder Skizze die Rede war, wie z.B. von einer rasch hingeworfenen Zeichnung von Claude Lorain, Ruisdael, Rafael, hieß: »C'est fait avec rien.« Was meinte man damit anders, als den Sieg des Geistes über das Irdische, das Nichts der Mittel, und die Allmacht des Genius? Ich danke Karl Maria von Weber einige dieser Ansichten, und ihre Anwendung auf die Theorie des Kunstgeschmacks und der Poesie überhaupt. »Die Ueberbietung der Mittel«, äußerte er eines Abends, »ist der erste Schritt, der zurück in das Chaos führt; hüten wir uns davor, die Klippen sind unübersehbar!« Ich finde, daß Weber im »Freischütz« die Oekonomie der Mittel am glücklichsten angewendet. Freilich waren seine Mittel die siegreichsten, sie werden ewig rühren, denn sie sind aus dem heiligsten und lautersten Born rein geschöpft. Das ergreifende Drama ruht auf den einfachsten und unerschütterlichsten Stützen. Unschuld, Liebe, Gottvertrauen. Das süße Kind Agathe ergreift und fesselt, nicht durch Prunk und Glut, nur indem sie die tiefsten und verborgensten Saiten des Menschengefühls anschlägt Jungfräulich[349] wie sie selbst, ist auch ihr Bild, nie hat ein süßeres die Bühne geschmückt.

Sophie Müller, die junge Künstlerin, starb an der Brust ihrer Amme. Die Aerzte hatten geglaubt, sie retten zu können. Nur um ihren Pflegevater war sie besorgt. Die Mitglieder ihrer eigenen Familie nahmen herzlichen Antheil an ihrem Lose, und kamen ihren Bitten entgegen. Wenige Personen waren in das Geheimniß ihrer Abkunft eingedrungen, sie selbst hatte es nie durch einen Laut verrathen. Sie war eine der wenigen Priesterinnen der Kunst, die allein für die Kunst lebte, wie Agnese Schebest, die noch reicher entwickelt, noch tiefer in die Kunst der Mysterien eingedrungen war. Weder empfand die Welt je was sie in Agnesen besaß, obwol vielleicht keine Künstlerin jemals so zart und innig, so der Reinheit ihres ganzen Wesens würdig gefeiert worden, noch war die Empfindung, welche der Mann ihr widmete, dem sie so unerschwingliche Opfer brachte, ihrer unendlichen Liebe werth, denn wie selten versteht ein Mann wahre Liebe! Wie selten lebt einer, der sie ertragen kann!

Seit Agnese Schebest in Trübsinn versunken, habe ich unmittelbar nichts mehr von ihr gehört. Ihr Schmerz war so groß und tief, daß ich nie daran zu rühren wagte; für ein solches Leid hat Gott allein Trost. Mich empört es, wenn Menschen trösten wollen, die es nicht verstehen; ihre Worte sind vergiftete Dolchstiche. Ein gerechter Schmerz hat einen Frühling, eine Blütezeit, er muß ausblühen. Ich schrieb einmal der Dulderin Fonk:


O klage nicht, brennt deine Wunde heiß!

Schmerz führt dich hin, wo Glück den Weg nicht weiß.
[350]

Ich fand vielfach Anlaß, die Kaiserin zu sehen; diese Stunden waren Entzückungen, nicht wegen ihres Ranges vor der Welt, sondern unter den himmlischen Naturen, die Gott der Welt schenkt, damit sie vom Himmel wieder erfahre, den sie so gern vergißt. Ich wage es nicht, sie zu schildern, ihre Worte zu wiederholen; ich sage nur, daß ich ein Menschenherz im Frühling seiner Blüte gesehen, und vor ihrem Angesicht erkannte, welch ein Himmelsgebild der Schmerz aus dem Menschen macht. Möge dieser süßen Erinnerung ein Lied gewidmet sein, welchem ihre Thränen flossen, als sie es von mir hörte! Es heißt: »Wohl und Weh«. Ich schrieb es an Ernst von der Malsburg in seinem Leid.


Hast du, Herz, kein Leid erfahren,

Kennst du nicht die höchste Lust!

Irdisch Weh' muß in der Brust

Wohl vor ew'gem Weh' bewahren,

Schatten Licht erst offenbaren,

Sonne glühn aus tiefer Nacht,

Daß du wissest: Liebe wacht!

Die aus lichten Sternenräumen

Schmerzlich lächelt unsern Träumen,

Lächelt süß, wenn wir erwacht.


Laß des Glückes Unbestand

Nie den frommen Muth bezwingen!

Unser Hoffen, Streben, Ringen,

Ist's in Gott nicht, ist's nur Tand.

Knüpfe durch des Glaubens Band

Hoffnung, die vom Himmel nieder

Stieg, an ihre Heimat wieder,

Dann schaust du der Liebe Licht,

Und die Hoffnung täuscht dich nicht,

Trägt dich auf dem Glutgefieder.
[351]

Nur die Nacht macht offenbar

Gottes lichte Sternenbahnen;

Was im Wohl wir dunkel ahnen,

Wird im tiefsten Weh' uns klar.

Zeigt der Tag der Blumenschar,

Die im Thau der Wiese funkeln,

Einer Stunde Licht, bald Dunkeln,

So läßt Nacht die Blüten sehn,

Die im Thau der Liebe stehn,

Die im Licht des Glaubens funkeln.


Was dein innres Herz verheißt,

Wird der Vater dir gewähren;

All' dein Weh' in Lust verklären,

So du recht von Liebe weißt.

Muth gefaßt, bewegter Geist!

Blick' zur Heimat! Auserkoren

Ist wer leidet! Unverloren

Ist jedwede Thräne dein.

Jenseits winkt im Sternenschein

Ewig Wohl aus Weh' geboren.


Geschah es in der Absicht, um mein Herz für künftige Schmerzen auszurüsten, daß die hohe Frau jedesmal, wenn ich sie sah, so weich, so hingebend war, ich weiß es nicht; ich fühle nur, wie nachhaltig solche Stunden für das Leben sind, wie sie durch Thränen schimmernd ein zerdrücktes Herz wieder heben, und die Gabe des Liedes als eine göttliche zeigen, der die Welt nichts anhaben kann!

Der vergangene Winter hatte ein Füllhorn süßer Gaben ausgeschüttet; der Sommer gab ihm nichts nach. Mein Max fehlte mir empfindlich; er war zwar bei dem Vater, der es ihm Dank gewußt, daß er kam, der gegen Freunde geäußert hatte, »er feiere ein neues Leben in seiner Gegenwart«; doch ich hatte ein so bestimmtes Vorgefühl[352] der Dinge, die kommen mußten, daß mein angstbeklommenes Herz mir keinen ruhigen Athemzug gönnte.

Als mein Sohn von Paris gesprochen hatte, wo es denn doch seine Pflicht sei, nach dem Vater zu sehen, hatte ich ausgerufen: »Um Gotteswillen, Max, nicht nach Paris, du läufst ja der neuen Revolution geradezu in die Hände!« Max erstaunte. Er war schon mehr als einmal Zeuge eines ähnlichen Auftritts gewesen. »Die neue Revolution!« rief er aus, »liebe Mutter, wo soll denn eine herkommen, und gegen wen?« »Ich weiß nicht«, rief ich aus, »aber die Revolution ist nach meinem Gefühl unvermeidlich, sie wird blutig und entsetzensvoll sein!« Max schüttelte sein Haupt. Es war im November 1829. Ich hatte keinen Brief bekommen, keinen Besuch aus Paris oder Deutschland, las keine Zeitung, bekümmerte mich nicht um die Weltbegebenheiten, verstand auch nichts davon, wußte nicht, welche Rotte Karl X. umgab und ihn misleitete. Dieser war umsponnen; er glaubte, er könne mit der schwachen Greisenhand die Zügel führen, denen die kräftigsten Männerfäuste nicht gewachsen waren. Ludwig Philipp fühlte die Mängel und Misgriffe um ihn her, er hatte Geist und Muth; er wollte jene Mängel abstellen, es gelang ihm nicht. Sein junger Mitbewerber, längst schon bereit mit einem beherzten Griff das funkelnde Diadem an sich zu reißen, verfehlte den rechten Augenblick nicht. Ludwig Philipp brachte ein Opfer; es wäre gut, wenn niemand das vergessen hätte. Er brachte es minder aus persönlichen Rücksichten, als um das Land von Anarchie zu retten. Er wurde Generallieutenant des Königreichs, um nicht die längst verlorene Sache der Republik zu fördern. Er hätte auch unrecht gehabt, wenn er das unternommen hätte; die Franzosen waren der Republik satt. Was hatte sie ihnen gebracht? Früher[353] den jungen Taumel, dann die alten Ketten, die waren mürbe geworden. Das Volk, das noch kürzlich der Erde Gesetze vorschrieb, war von seiner schwindelnden Höhe herniedergedrückt worden; das Volk griff gläubig nach der mächtigen Hand, die es wieder emporschwingen sollte aus der Schmach seines Drucks in die goldenen Regionen der frühern Gewalt. Niemand ahnte, daß das Kaiserthum nur scheintodt sei, daß es aus der Asche wieder hervorsteigen würde, daß es in Blut, in Bein und Mark der ganzen Nation übergegangen, und nur durch ein gänzliches Zermalmen des ganzen Kerns auszurotten sei. Doch an diesem Kern werden sich künftig die mächtigsten Völker die Zähne ausbeißen. Frankreich hat noch eine unabsehbare Zukunft vor sich. Es muß noch der Welt Gesetze geben, oder es wird zertrümmert. Nicht Napoleon machte die Armee, sondern die Armee erkannte in ihm den Stoff, aus welchem er hervorgehen konnte, aus welchem die hervorgegangen waren, die seine Vorgänger gewesen. Der Soldat empfand, daß die Armee bei Napoleon's Führung nicht Maschine sei, sondern ein beseeltes Ganze werden mußte. »Du willst Ruhm, General!« tönte es ihm aus den Reihen zu; »gut, Ruhm soll dir werden!« Sie riefen ein anderes Wort, das gemeinste und höchste aller Wörter der Sprache, das Wort, worüber Sterne so jungfräulich erstaunt und so theilnahmsvoll klagt, das Universalzeitwort, womit der Franzose alles ausspricht, was er sagen will. Das Wort, welches ich nicht schreiben würde, wenn ich auch ein Mann wäre, wiewol es auch hier stehen sollte; denn es ist historischer wie selten ein anderes war. Es war in dem Augenblicke, wo es die Armee ihm zurief, ein Gelöbniß, ein freudiger Verzweiflungsschrei. Es wurde gelöst, mit dem glühendsten Herzblut besiegelt. Dies war[354] die Armee, der Napoleon zugerufen hatte: »Soldaten, bedenkt, daß von den Spitzen dieser Pyramiden vierzig Jahrhunderte auf euch herabsehen!« Der Muth hatte damals seinen Silberblick. Jetzt gibt der Feldherr Königinnen unerhörte Festlichkeiten, und ein tapferes Volk läßt sich hinschlachten, weil es soll und muß, und eben darum auch will. Nie werden sich dieses Volkes Lorbern entfärben. Der Franzose ist um so preiswürdiger, weil er ohne Enthusiasmus nur in Erinnerung früherer Größe das ist, was seine Väter waren. Es gilt nicht mehr die Freiheit, nicht mehr das Vaterland, nicht mehr den Feldherrn, der jeden Augenblick bereit war sein Blut zu verspritzen, es gilt den französischen Ruhm, dieses Palladium, das den Enkeln anvertraut ist, und ewig über ihrem Namen flammt. Die Stunde wird schlagen, wo der Franzose mit wiederbelebter Begeisterung kämpft.

Meine ahnungsvolle Warnung hatte bei Max keinen Eindruck gemacht. Er verließ noch im Januar Gmunden, und ging von innerm unwiderstehlichem Drang getrieben nach Paris. Diese Nachricht war mir ein Donnerschlag. Es wurde ihm schwer mich zu verlassen, darum geschah die Reise heimlich, ohne Rücksprache mit mir. Ich hatte ihm, falls er sich zur Abreise entschloß, so unendlich viel zu sagen für den Vater, der für uns viele Jahre lang stumm gewesen, was nur ein Sohn bestellen konnte, was nicht zu Papier durfte. Max schrieb mir endlich selbst von Paris. Er hatte diejenige, welche die Urheberin unserer Leiden seit so vielen Jahren gewesen, auf dem Sterbelager getroffen. Sie überhäufte ihn mit Liebkosungen, sie pries seinen Entschluß nach Paris zu kommen, sie sagte dem Jüngling unverhohlen: »Gut, daß Sie zum Vater gekommen[355] sind, seien Sie sein guter Engel, er heitern Sie ihn!« Und im Sterben sagte sie noch zu Chézy: »Lassen Sie Madame kommen!« Sie starb am Brustkrebs unter unbeschreiblichen Martern. Ihr Tod wurde mir nicht gemeldet.

Chézy's Charakter ließ keinen Entschluß in ihm reif werden. Niemand von der Familie hatte Mitleid genug mit der Mutter seiner Kinder, um mir von dem Vorgefallenen Nachricht zu geben, sie fürchteten meine Vorwürfe. Gott, wie schlecht kannten sie mich, wie unverstanden war ich von ihnen geblieben!

Chézy ließ seinen Sohn Max dort unter dem berühmten Hersent als Maler ausbilden. Mein ältester Sohn war nach München gegangen, um dort die Rechte zu studiren. So war ich denn im Gebirg allein und unbeschreiblich traurig.

Noth, Arbeitslosigkeit und Betrübniß der Gebirgsbewohner konnten durch die geringe Hülfe, die von Wien aus anlangte, nicht gehoben werden; es war ein Tropfen im Meer. Der Hoffnungsfunke einer bessern Zeit verglomm allmählich.

In Paris brach die Julirevolution aus. Ludwig Philipp gewann das Vertrauen der fremden Mächte. Er ergriff behutsam die Zügel der Regierung, vernichtete die Folgen der Revolution, und wußte seine Franzosen wieder unvermerkt ins alte Gleis zu lenken. Ich war damals zum Besuch auf dem Schlosse Wirting bei der liebenswürdigen Familie des Grafen von Seeau. Seit vielen Jahrhunderten ist diese Familie berühmt. Diese Grafen haben den Traunfall, die Ems und die Traun schiffbar gemacht, den Salzberg bei der Hallstadt entdeckt, und die prächtige Kirche in Lauffen im Obern Kammergut erbaut. Auch findet sich in ihrem Wappen eine bezeichnende[356] Spur von ihrer Wirksamkeit und ihren Thaten im Morgenlande. Im 1830 im Juli fand ich den Abkömmling so ruhmvoller Vorväter auf seinem Schloß zu Grunde gerichtet, durch einen Proceß, von Zeitverhältnissen unschuldig in seinen Rechten gekränkt, und in seinem Wohlstand erschüttert. Seine verehrungswürdige Gemahlin, Mutter zwei schöner Töchter, die noch im ersten Ausblühen waren, gab in diesem entlegenen Waldbezirk ein bewunderungswürdiges Beispiel heldenmütiger Aufopferung und Entsagung. Geboren und erzogen in den großartigsten Verhältnissen, Gemahlin eines der ausgezeichnetsten Adelichen, der in glänzendsten Vermögensumständen war, ausgestattet mit allen Vorzügen der feinsten Bildung, traf die edle Frau und ihren Gemahl der Schlag, der ihren Wohlstand zerschmetterte, und von dem sich ohne ihren standhaften Muth ihre Familie nie wieder erholt. Ich will sie schildern, wie ich sie antraf: freudig ergeben, angestrengt thätig, unermüdet in Ausübung ihrer schweren Pflichten, ihren Gemahl aufrichtend, durch ihre Liebe tröstend, ihren Töchtern die sorgsamste Mutter, die aufgeklärteste Freundin. Vor Tagesanbruch eilte sie hinunter in schwerer grober Kleidung, die Arbeiten des Gesindes überwachend; um 8 Uhr wendete sie eine Stunde an das heitere und belehrende Familiengespräch beim Frühstück. Vorher hatte sie schon ihre bäurische Tracht mit einem bescheidenen Hauskleide verwechselt; ein fast unscheinbares Stückchen Band bezeichnete die Stelle, wo der Sternkreuzorden bei Hoffesten geglänzt hatte. Ein einfaches Häubchen bedeckte der Matrone schönes Haupt, auf welchem früherhin prachtvolles Geschmeide gefunkelt. Sie nahm nun mit ihren Töchtern an einem Tische Platz, der mit Büchern und Zeichnungen beladen war,[357] und begann ihre Lehrstunden, die bis zur Tafel dauerten. Musik, Malerei, Zeichnungen wechselten hier miteinander ab. Für Geschichte und Geographie, Botanik und Sternkunde wurde durch gute Bücher aus der Bibliothek des Grafen gesorgt. Die Nachmittage und Abende gehörten seinen weiblichen Arbeiten und dem Genuß der freien Natur. Die jungen Gräfinnen waren bildsam und heiter; sie beglückten ihre gute Mutter, die zu sagen pflegte: »Ohne unser Unglück würde ich vielleicht nicht glücklich sein!«

Nur einige schöne Tage waren mir hier vergönnt. Die Nachricht von den pariser Begebenheiten, überraschend wie ein Schlag aus heiterer Luft, scheuchte mich fort. Ich mußte nach Gmunden. Ich hoffte dort auf Briefe von meinem Max. Konnte er nicht ein Opfer der drei verhängnißvollen Julitage geworden sein? Alle baten mich, zu bleiben. »Wenn ein Unglück ihren Max betroffen hat«, rief die Gräfin, »so werden Sie sich bei uns leichter trösten!« »Nichts auf der Welt wird mich trösten«, sagte ich ihr, »wenn mein Max mir entrissen worden!« Ich schied, und verhieß wiederzukommen; doch ich konnte nicht.

Ich brachte die Nacht in Gmunden in herzzerreißender Bangigkeit zu. Die Standhaftigkeit, mit der ich mich dem Kreise des Schlosses Wirting entrissen, wurde durch einen lieben Brief belohnt, den ich schon am Morgen empfing. Bereits waren die Unruhen in Frankreich gestillt, mein Sohn war geborgen; doch ich trug in mir die Ahnung der künftigen Geschicke Frankreichs, und ruhte nicht, bis ich meinen Sohn aus diesem Lande zurückhatte. Mein Ahnungsvermögen hatte mich nicht getäuscht. Bei den nächstfolgenden Kämpfen, nach den Julitagen von 1830, fielen drei Mann aus der Compagnie[358] meines Sohnes, welche dicht neben ihm gestanden hatten. Schon seit März 1831 war er wieder wohlbehalten bei mir in München, wohin ich Wilhelm nachgefolgt war, weil er mich in seine Nähe wünschte. Seine Gesundheit war schwankend, er konnte die münchener Luft schlecht vertragen, und bedurfte häuslicher Pflege und Kost.

1

So nennt man das Polizeigebäude.

Quelle:
Chézy, Helmina von: Unvergessenes. Leipzig 1858, Band 2, S. 359.
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