4.

Giebt dir aber, junger Freund, dein schöner äußerlicher Anstand noch so vielen Reitz, erwirbst du dir durch ihn das Wohlwollen und den Beyfall andrer Menschen, so wird doch dieser Vorzug bald verschwinden, dieses Wohlwollen, dieser Beyfall sehr flüchtiger Art seyn, wenn eben diese körperlichen Reitze, dieser äußere schöne Anstand nicht von


einem gebildeten Geist


und


von einem menschenfreundlichen,

wohlwollenden, edeln Herzen


begleitet sind.

Der Mann von wahrer feiner Lebensart, und wäre er lieblicher gestaltet als ein Adonis, wüßte er noch so reitzend, mit noch so vieler Gewandheit sich zu zeigen, leistet schlechterdings nicht anders allen Forderungen Genüge, als wenn er nebst seiner herrlichen[86] Gestalt auch oben bestimmte Eigenschaften besitzt, die an wahrem Gehalt die des äußern körperlichen Reitzes unendlich weit übertreffen. – Eine schöne Figur, von trefflichen Geistestalenten belebt, ist zwar schon um ein Vieles mehr werth, als ein bloß schöner Körper, der nichts als Puppe ist; aber er wird nie das schöne Ideal des Mannes von feiner Lebensart erreichen, wenn ihm die Eigenschaft eines edeln, wohlwollenden, von niedern Leidenschaften freyen Herzens fehlt, die seinen Verdiensten die Krone aufsetzt. Wer anders denkt, greift nur nach der Schaale, und verachtet den Kern. Ich wünschte meine jungen Freunde auf diese Bemerkung aufmerksamer zu machen, als sie meistentheils sind. Sich in das Ansehen, in den Ruf des ganz gewöhnlichen artigen Mannes, des gewöhnlichen Mannes von feiner Lebensart zu bringen, ist leicht; aber wenn man diesem Ruf nicht Haltbarkeit, Festigkeit geben kann, so ist er auch der kleinsten Mühe unwerth, die man sich seinethalben gab.[87]

Laßt sehen, meine Jünglinge! wie sich Geist und Herz mit einander unzertrennlich verbunden, in dem Betragen eines artigen, eines Mannes von wahrer feiner Lebensart äußert.

Bescheidenheit ist die Folie unserer Verdienste. Aus der Bescheidenheit stammt das allgemeine Wohlwollen her, das gleichsam eine der Hauptquellen ausmacht, woraus die meisten, wenigstens die vorzüglichsten Eigenschaften des artigen Mannes entsprießen.

Das große Geheimniß der wahren Artigkeit bestehet darinnen, daß man sich denen Personen, mit welchen man in Verbindung ist, Umgang pflegen muß, und will, gleichsam durch eine gewisse Näherung zu ihnen, die beynahe Selbstverleugnung ist, und gewissermaßen eine Verähnlichung ihrer selbst wird, interessant zu machen weiß, und dadurch ihr Zutrauen, Theilnahme, Wohlwollen gewinnt. Das muß aber jedoch nur so geschehen, daß man ihnen seine Freyheit nicht ganz opfert, am[88] allerwenigsten der Sklave ihrer Bisarrerieen wird. Diese Forderung wird aber zur Unmöglichkeit, verstehet man nicht, in ihren Charakter einzudringen. Die besten Menschen haben ihre eigenen Launen. Man bequeme sich nach ihnen. Viel verliert man nicht dabey, denn sie sind, weil sie gute Menschen sind, erkenntlich, und leisten uns dagegen, was wir ihnen leisteten. Wo aber die Launen in Bisarrerieen ausarten, da ist vorzüglich eine feinere Behutsamkeit nöthig, aber diese Behutsamkeit muß doch immer dergleichen Charakteren ganz unbemerkbar seyn. Denn sobald sie so etwas ahnden, finden sie sich beleidiget, und je vornehmer der Mann ist, je mehr er Gewalt hat, desto tiefer wird er sich beleidiget fühlen, und nie, nie vergißt er diese Beleidigung.

Also mache dir, junger Mann, in solchen Fällen die äußerste Delikatesse zum Gesetz. Wer im Rang tief unter dir stehet, den wirst du bald durch sanfte Zurechtweisungen, bald durch ein artiges Nachgeben zu gewinnen wissen.[89] Wer aber vornehmer ist, denn du, den lasse es nicht merken, daß du zu edel dich fühlest, um länger mit der gänzlichen Aufopferung deiner selbst eine Art von Widersinn für Geschmack, u.s.f. zu halten. Meist sind sie, je gebildeter sie sind, auch um so feiner, gewinnen dir den Vorsprung ab, und du bist dann verlohren, wirst nimmermehr das wieder gut machen können, was sie eimnal für schlecht gemacht anerkannt haben.

Es giebt Menschen, die übertrieben finster sind, die eine außerordentliche Strenge auch in den geringfügigsten Sachen sich zur Pflicht machen, diese sind zu entfernt von jenen liebenswürdigen Eigenschaften, die dem feinen, artigen Mann eigenthümlich seyn sollen. Ihnen ganz entgegen gesetzt, giebt es wieder Andere, die gleichsam von nichts als lauter Gefälligkeit zusammengesetzt sind, sich es zur Ehre machen, wenn man es ihnen erlaubt, unsere Schatten seyn zu dürfen. Solche Menschen sind äußert fad, abgeschmackt, und wer sie behäglich findet,[90] muß wenigstens eben das, wo nicht noch abgeschmackter, als diese seyn. Eine übertriebene Gefälligkeit läßt sich der artige Mann nie zu Schulden kommen. Zum Kriechen läßt er sich eben so wenig herabwürdigen, als er sich es erlaubt, stolz, gebietend, rechthaberisch u.s.w. zu seyn. Seine Artigkeit verliert nie, nie jene edle Freyheit, aus welcher für ebenfalls edle Seelen ein Glanz zurückstrahlt, der unendlich wohl thut.

Der artige Mann vergiebt tausenderley Dinge recht gern, die er eigentlich härter zu ahnden, berechtiget seyn könnte; allein er bescheidet sich, daß die Welt und die Menschen einmal dem Loos der Unvollkommenheit unterworfen sind, und daß er auf allen Umgang Verzicht leisten müsse, wenn er nur mit vollkommnen Menschen in Verbindung stehen wolle. So nachsichtig die Menschen auch gegen sich selbst zu seyn pflegen, so muß es ein jeder billig Denkende doch am Ende finden, daß wenn er auch diese Unvollkommenheiten, die[91] ihm so eben an Andern auffielen, nicht an sich trage, er dagegen andere an sich haben könne, die weit größer seyn dürften, als die er so eben an Andern geahndet hatte.

Am leichtesten vergiebt und entschuldiget der artige Mann die Behandlung, wenn ihm von Andern diejenige Achtung versagt wird, auf die er wohl Anspruch machen konnte, wenn Ansprüche zu machen, seine Sache wäre. Er bleibt ganz ruhig, und harrt ganz getrost auf die Zeit, wo sich dergleichen Menschen, ihm gleich, vornehmer oder geringer, näher und besser von ihm überzeugen werden. Ja er ist so bescheiden, daß, wenn eine solche Behandlung von Andern, die ihn näher und besser kennen, bemerkt werden sollte, und sie ihn zur Ahndung derselben aufforderten, daß er sie mit Artigkeit in ihre Schranken zurückweist, und schnell einen andern Gegenstand herbeybringt, um von diesem ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Ich wünsche, daß Jeder so großmüthig seyn könne, wenigstens lohnt es der[92] Mühe, es mit sich dahin zu bringen, dann feyert er gewiß seinen herrlichsten Triumph. Nur dann, wenn ihn eine solche Behandlung einer allgemeinern Herabsetzung, die an das Verächtlichwerden grenzen könnte, Preis geben könnte, nur dann erst fühlt er sich, und äußert sein Befremden darüber.

In diesem Punkte versehen es sehr viele Menschen, die man gewöhnlich für sehr artig und gut hält. Sie wissen über Kleinigkeiten, die sie für ihrer Ehre nachtheilig halten, einen unaussprechlichen Lermen anzuzeddeln, indem sie sich so drehen und wenden, daß in der Gesellschaft am Ende Parthiererey werden muß. Diese Menschen, sie mögen sonst noch so viele gute Seiten haben, beleidigen ganz gewiß durch solche Handlungen die Gesetze der Artigkeit. Meist sind sie Charakterlos. Denn, wenn bey solchen Scenen alsdann die Meisten entgegen eilen, um sie zu besänftigen, wenn man sie wie Kinder so ganz unbedingt behandelt, dann zeigen sie sich auch sogleich so sanft wieder, als[93] Kinder. Wie stimmt ein solches, fast möcht ich sagen läppisches, Betragen, so fürchterlich es auch bisweilen anfangs ausbrechen mag, mit dem Betragen eines artigen Mannes?

Bey dieser Gelegenheit will ich zugleich mit bemerken: Je empfindlicher einer in gewissen Fällen ist, die er für Beleidigung hält, desto stolzer ist er, und der Stolz verträgt sich nie mit dem wahren ächten Charakter der Artigkeit.

Eben das ist der Fall mit der Streitsucht. Ach! warum können doch so viele, so viele Menschen es nicht empfinden, was für eine selige Wollust in dem Gefühle des Nachgebens liegt. Aus Streitsucht entspringt endlich die ewige Rechthaberey, und diese ist der Tod des geselligen Umgangs. Wie unverschämt wird ein Mensch nicht, der Allen Andern widerspricht, um immer nur Recht zu haben. Einen Menschen, der in diesem Gefühl sein Vergnügen, sein einziges Vergnügen erkennt und zu erreichen wünscht, halte ich, so sehr ich ihn bedaure,[94] doch – wenigstens für wahnwitzig. Laßt ihm uns auch nicht anders begegnen, und schenkt ihm, wie jenen Unglücklichen, eure höchste Geduld.

Der artige Mann sucht lieber an seinen Mitmenschen die besten Seiten auf, als daß er ihnen Böses nachredet. Schwachen Seiten ein anderes Ansehen zu geben, macht er sich zur Pflicht – denn er weiß, daß die schlimmen Seiten an seinen Nebenmenschen aufzusuchen, entweder von übertriebenem Stolz, oder Neid, oder ähnlichen Eigenschaften herrührt. Er weiß noch mehr; denn er hat die Erfahrung gemacht, daß das Uebelnachreden schon vielen Menschen, waren sie nur einmal erst von dieser Sucht befallen, wohl gar zur Gewohnheit wurde, so sehr zur Gewohnheit wurde, daß sie auch von den besten Menschen nichts Gutes reden hören konnten, so sehr sie auch einen allgemeinen guten Ruf vor sich hatten. Thörichter Wahn, wenn man glaubt, sich dadurch Wohlwollen und Achtung erwerben zu können,[95] daß man gleichsam der Buchhalter von allen möglichen scandalösen Geschichten sey. Zwar ist es nicht zu läugnen, daß sie bisweilen mit einem kleinen Beyfallslächeln begünstiget werden; aber von wem kömmt ihnen dieser Beyfall entgegen? Entweder von eben so niedrigen Seelen – oder von Menschen, die sich noch zu rechter Zeit besinnen, und diesem Lächeln sehr bald einen heimlichen Zug von Verachtung hinzufügen.

An diese Seite setze ich jene Spione, die Pest der menschlichen Gesellschaft und alle der schönsten Lebensfreuden. Sie sind die Spießgesellen der Calumnianten, Pasquillanten, wenn sie nicht selbst Muth haben, Calumnianten und Pasquillanten zu seyn. Laßt uns diesen Ausdruck aus der Sprache des gemeinen Lebens in die Sprache des sogenannten feinern Tons, des Tons der großen Welt, übersetzen – dann heißt er Medisançe. Nimmst du Manchem aus der großen Welt die Kunst zu medisiren, so nimmst du sein Alles. – Aber[96] kann solch ein Ton einem wohlwollen den, edeln Herzen wohlthun? Nimmermehr! Also kann er nicht auf Artigkeit Anspruch machen, nicht der Ton der wahren feinen Lebensart seyn, und wenn die Menschen, die ihm ergeben wären, sich einbildeten, noch so galant, so fein, so artig zu seyn. –

Behandeln Große ihre Untergebenen mit Geringschätzung, drückender Entwürdigung, so zeigen sie, daß sie zwar alle Talente der feinen Lebensart haben können, daß ihnen aber der Hauptcharakter, der Charakter des wohlwollenden Herzens, und ein ziemlicher Grad von Klugheit fehle. Die Lippen der Untergebenen heucheln ihnen zwar, aber entfernt sind die Herzen von ihnen. Und hat man das Herz eines Menschen nicht gewonnen, so hat man nichts von ihm gewonnen.

Die Artigkeit hat einen höhern Rang als die bloße Erfüllung unserer schuldigen Pflichten. Diese zeigt nur, daß wir nicht ungerecht sind. Steige eine Stufe höher, so wirst du höflich[97] werden, und hast du die höchste Stufe erreicht, so möchte es die der Artigkeit seyn.


Ganz zuwider ist es der feinen Lebensart, wenn zwischen Personen Zwistigkeiten entstehen, die zuvor unter einander einen vertrauten Umgang pflogen, und sich dann berechtigt fühlen, alle ihre Schwachheiten aufzudecken. Man will sich dadurch nur um so weißer färben, damit der Gegentheil um so schwärzer erscheine. Das ist dummer Stolz, Verblendung, Ungerechtigkeit, höchst unedle Eigenliebe, beleidigende Selbstsucht. Alle diese häßlichen Eigenschaften entehren das schöne Gemählde der Artigkeit.


Alles, was man beginnt, um sich ins Licht und Andere in den Schatten zu stellen, entwürdiget die feinere Lebensart, es sey durch Gespräche, durch Handlungen, wie sie nur immer heißen mögen.


Das Gefühl Anderer durch eine allgemeine Unterhaltung zu reitzen, ihnen Freude zu machen,[98] erzeugt bey guten Herzen wieder Freude. Der ewige Alleinsprecher ermüdet, wird lästig.

Der Mann von feiner Lebensart zeichnet sich auch durch Festigkeit in seinen Handlungen, in seinen Worten aus. Nie sind die verschiedenen Verhältnisse über ihn Herr, weil er die höhere Gewalt über sich hat, und sie zu behaupten weiß.

Wider den Charakter der wahren Artigkeit, wenn man Alles in Allem aus einem gleichen Gesichtspunkte ansieht, und am besten zu gefallen hofft, wenn man sich mit Jedem gleich glaubt, wenigstens so scheint, als wenn man es glaube: Das ist, beym Lichte betrachtet, entweder eine sehr große Einfalt, oder eine erniedrigende Heucheley, die nichts mehr werth ist, als jede grobe Betrügerey – oder als jeder beleidigende Verstandesfehler, den man für Witz gehalten wissen möchte. Viele Große besonders affectiren so etwas, um etwann die treuherzig gemachten Geschöpfe hinterher ihrem[99] beißenden Spott Preis geben zu können. Und thun sie es ja aus keiner dieser Absichten, so zeigt das vom Mangel an der gehörigen Urtheilskraft.

Alles zu loben, ist eben so nachtheilig, als alles zu tadeln. Letzteres wird schwerer, ersteres leichter vergeben. Allzlautes Lob verirrt sich leicht, wird leicht verächtlich. Eine gewisse Bezeigung seiner Zufriedenheit in Miene und Blick ist oft wirksamer, als die gesuchtesten Worte.

Es verräth einen kleinlichen Geist, sich nicht von alten Moden, Herkommen, so mancherley Vorurtheilen lossagen zn können; aber es gehört noch ein weit kleinlicher Geist dazu, solche Menschen, die übrigens zehn andere gute Seiten gegen die eine nicht gute aufweisen können, mit der Geißel des Spottes, des Witzes, des Lächerlichmachens verfolgen zu können. Viele gefallen sich in dieser Unart. Was noch schlimmer ist, sie gefallen auch vielen Andern. Diese glauben, ein witziger Mann[100] sey immer auch ein artiger Mann. Aber der Witz auf Kosten des guten Herzens ist – nie artig, er gleicht einem schönblinkenden Dolch. Aber Dolche können ja tödten.

Der Artige kann bisweilen seine Gefälligkeit, seine gute Laune so weit treiben, daß er sich auch den Forderungen des sogenannten Spaßverstehens nicht weigert. Nur macht er den wichtigen Unterschied, wer ihn zum Spaßverstehen bringt, und wie man ihn dazu bringt. Er ist unpartheyisch genug, sich kleine Unvollkommenheiten ganz gelassen anrechnen zu lassen, er lächelt über einen kleinen unschuldigen Scherz – und über manchen gröbern zuckt er nicht einmal die Achseln. Sieht er aus diesem Spaß eine Tücke, die ihn sogern aufreitzen oder beleidigen möchte, so benimmt er sich gerade im Gegentheil. Wagt ein bloßer unberufener Witzling sich an ihn, so läßt er ihm lange Zeit sein Spiel, denn er weiß, solcher Witz gleicht unreifen Aepfeln, die sehr leicht abfallen. Er erwiedert,[101] aber nie mit der Bosheit eines Jägers, der sein Wild um so öfterer laufen läßt, um es desto sicherer blutiger verwunden zu können. Merkt er endlich, daß alles darauf abgesehn sey, ihm Mißvergnügen zu erwecken – so weicht er lieber aus der Gesellschaft, als daß er an einem so unwürdigen Zeitvertreib Theil nehmen mag. Er vermeidet klüglich, daß das Ganze unverschuldet leiden soll, weil es einen Einzigen schlechten Menschen unter ihnen giebt. Will man muthwillig seine Ehre kränken, so sucht er sich an schicklicherer Stelle Genugthuung. Ein unschuldiger drolliger Spaß kann ihn aber nie dahin bringen, daß er sich beleidigt fühlen könnte.

Der artige Mann kennt den Zauber eines unschuldigen und doch lebhaften Witzes. Er weiß aber, daß er einzig Naturtalent ist, durch die Pflege der Urtheilskraft und eines reinen Geschmacks zwar veredelter gemacht werden kann, aber nie durch den bloßen guten Willen und die Kunst erzeugt werden[102] kann. Der Witz hat das mit dem Glück gemein, daß er sich gerade am schwersten finden läßt, wenn man ihn am ängstlichsten sucht. Hat er diese holde Gabe der Natur empfangen, so fühlt er freylich den Vorzug, und erkennt in ihm eine der angenehmeren Eigenschaften eines guten Gesellschafters, und des feinern artigen Mannes; aber er fühlt auch dabey zugleich, daß er eine strengere Aufsicht über sich selbst nöthig hat, weil er weiß, daß er mit diesem Talente eben so leicht Freude, liebliche Empfindungen in den Herzen seiner Mitmenschen, als bittere Kränkungen erregen kann. Eine angemessene Vorsicht wandelt ihm daher immer zur Seite. Und wenn man seinem Geiste, dem Talente seines vorzüglichen Witzes, die feyerlichsten Opfer brächte, so wird er sie verschmähen, wenn er auf Kosten seines Herzens sie annehmen sollte. Der wahre Witz weiß es kaum selbst, daß er witzig ist. Sobald er sich fühlet, was er ist, sobald ist er auch in der Gefahr, über die Grenzen seiner bessern Wirksamkeit[103] hinauszuschreiten. Und gesetzt, er merkte es noch zur rechten Zeit, daß er gekränkt haben könne, daß er zu bitter, oder beleidigend worden sey, so hat er Gewandheit genug, leicht wieder umzukehren, den zugefügten Schaden sehr leicht ersetzen, und das Bittere versüßen zu können. Wahrer Witz beleidiget Niemand, und belustiget Alle. Ist er so beschaffen, so strömt er aus der Ader eines guten Herzens. Wird er bitter, so ist er auf jeden Fall mit gewissen unedlen Empfindungen vermischt, und macht nur denen Vergnügen, die gleicher Empfindungen fähig sind.

Bey dieser Gelegenheit will ich noch anmerken, daß nicht alle Gegenstände den Witz, auch oft einen sehr originellen Witz nicht, vertragen. Wer ihn darauf anwendet, beweist, daß er keinen Geschmack habe, daß ihm das Gefühl des Schicklichen abgehe. Wer aber dieses berichtigte Gefühl, und Geschmack hat, in sich das ahnden zu können, und handelt, dessen ungeachtet wider dieses Gefühl und wider[104] diesen seinen guten Geschmack, der macht seinen Witz zur Bosheit. – So giebt es Menschen, denen man das Talent, witzig zu seyn, nicht absprechen kann; aber sie können nichts sagen, ohne bitter zu seyn, ihr Witz bleibt immer ein Stachel, der bald mehr, bald weniger verwundet, aber immer doch verwundet. Die Quelle davon ist einzig in einem Herzen zu suchen, dem, auf das glimpflichste zu urtheilen, das den artigen Mann so ungemein zierende, ihm unentbehrliche Wohlwollen abgehet.

Man beobachte nur gewisse Menschen, die durch unglückliche Schicksale, ihnen begegnete Ungerechtigkeiten, gleichsam mit Menschenhaß erfüllt sind. Wie bitter sind ihre Bemerkungen; allaugenblicklich bringen sie ihre Seitenbemerkungen an den Mann, und ihr Witz läßt stets nur einen verwundenden Stachel zurück. Aendert sich ihr trauriges Schicksal, haben sie Genugthuung erhalten, sind sie gleichsam mit der Menschheit wieder ausgesöhnt worden, dann[105] weichen diese Bemerkungen, weil sie die Welt in einem rosenfarbnern Lichte wieder erblicken, dann wird ihr Witz jenen trüben Anstrich verlieren. Wie es mit solchen Menschen gehet, gehet es auch mit Jedem, der nichts ohne Bitterkeit sagen kann. Wird sich die Quelle veredeln, woraus dieses alles fließt, so wird sich auch der Witz veredeln.

Es ist also ein ausgemachter Erfahrungssatz: ist das Herz des Menschen unschuldig, rein, von niedrigen Leidenschaften geläutert, so wird auch sein Witz diesen Charakter an sich tragen.

Derartige, feine Mann ist auch klug genug, nicht alle Einfälle der augenblicklichen Laune über seine Zunge schlüpfen zu lassen. Man fordert von ihm Geschmack, und wie leicht entspricht eine solche Ephemere dem nicht, und alsbald wird es heißen, (bey allgemein beliebten und bewunderten Talenten wird von Andern diese Bemerkung weit schneller gemacht, als bey ganz alltäglichen Menschen) er ist bey weitem[106] das nicht, was so viele Menschen aus ihm machen. Denn das hat er gesagt, jenes hat er gesagt; das war ein verunglücktes Bonmot; jener Einfall, jener Ausdruck hält die Probe des gereinigten Geschmacks nicht; und je nachdem der Mann beschaffen ist, der diese Bemerkungen machte, desto wichtiger werden sie. Ich habe Fälle erlebt, daß ein einziges unglückliches Bonmot eines sonst sehr witzigen Mannes ihn um seinen ganzen Ruf brachte.

Viele suchen auch darinnen ein auffallendes Talent des Witzes, wenn sie gar keinen andern witzigen Einfall neben sich aufkommen lassen wollen. Selbst dieser oder jener im Allgemeinen gesagte Einfall, der sie doch im Einzelnen nichts angehet, bleibt von ihnen nicht verschont. Sie maßen sich es freywillig an, die Stellvertreter des Ganzen zu werden. Sie spielen nun den aufgefangenen Ballon, treiben ihn bis zum Eckel hin und her, und selbst, wenn man ihnen zuruft, man fühle, daß sie ermüdet seyen, wenn man sie bittet, sich nicht anzustrengen,[107] so affektiren sie erneuerte Kräfte, und stürzen sodann unversehns ohnmächtig zu Boden darnieder. Schwer erlauben sie irgend einem Andern, das Wort aufzunehmen – sie wollen nur glänzen, sie wollen nur, daß ihre Stimme die allgemeine Stimme seyn, daß jeder seine Fähigkeit gefangen nehmen, und dafür an ihrem Triumph-Wagen ziehen soll. Der artige Mann ist nie zudringlich.

Wenn man jeden witzigen Einfall erwiedern will, so läuft man in Gefahr, entweder sich selbst, oder Andern dadurch zu schaden. Das eine läuft wider unsere eigene Klugheit, und das andere bleibt ein Verstoß gegen die Gesetze der Artigkeit. Nicht selten wird aber auch alsdann, wenn man diese Regel nicht beachtet, aus solchen witzigen Spielereyen, Neckerey – und von der Neckerey bis zum Streit ist nur ein kleiner Sprung noch übrig. Hüpft der witzige Scherz in das Gebiet des Muthwillens, so präge man diesem ja Unschuld und den Blick des nicht darauf Angelegten, um[108] Andern eine Wunde beyzubringen, ein. Dieser kleine Muthwille muß schlechterdings den Stempel des Naiven an sich tragen, sonst fällt er zu derb auf, und beleidiget.

Der artige Mann freut sich über das erhaltene Naturtalent des Witzes. Er ist aber nicht verlegen, wenn er es empfindet, daß er nicht damit beschenkt ward. Oft spielt der witzigste Kopf neben einem Manne, der sich durch die Vortrefflichkeit des Herzens auszeichnet, eine ziemlich erbärmliche Rolle. Der Morgenstern bildet einen schönen Körper, wenn er über die kleinern Sterne hinwegfunkelt – geht aber ihm zur Seite das prächtige Sonnenlicht auf, so wird seine Schönheit kaum bemerkbar seyn. So das Verhältniß zwischen einem edeln Herzen und dem Witz.

Der Mann von feiner Lebensart muß auch ein Mann von Geschmack seyn; nie aber darf er so unbillig werden, Andern seinen Geschmack als Gesetz vorzuschreiben. Wer die würdige Eigenschaft eines wahren soliden, ausgebildeten[109] Geschmacks besitzt, fesselt so den Kenner gewiß, nicht selten auch den Nichtkenner. Aber dieser Geschmack darf sich nicht nur in einzelnen Fächern zeigen und äußern, er muß sich über sein ganzes Thun und Lassen ausbreiten. So macht z.E. der Geschmack in seinen Kleidungsstücken, Meublen eine grelle Wirkung, wenn sich dieser Geschmack nicht auch in seinen Worten äußert und bemerkbar wird. –


Eigensinn gegen sich, der zur größten Strenge sich ausdehnen kann, ist eine heilsame Wache, wenn wir geschmackvoll zu seyn wünschen. Will man dieses Gesetz, das man sich zur Pflicht machte, auch Andern auferlegen, und sich Unwillen, Herabsetzung gegen sie erlauben, dann hat man gefehlt. Indessen wird eine zu große Aengstlichkeit bey den unbedeutendsten Dingen, sobald sie sich zu sichtbar wird, zur Kleinlichkeit. Auffallender wird sie noch, wenn man sie auch gegen Andere ausübt, ihnen nichts verzeiht, keine Ursachen annimmt,[110] und für gut hält, sie mögen noch so sehr von Gehalt scheinen, als sie wollen.

»Ey! ey!« rief jüngst Petron – »einen solchen Degen trüg ich nicht; pfuy, er ist nicht nur wider alle Mode, er ist sogar wider allen Geschmack.«

»Sie sind zu hart,« antwortete ihm sein Freund. »Bey uns zu Lande trägt man sehr wenig den Degen.« Hier ist er Erforderniß. Das wußte ich nicht. Ich hätte den meinigen sonst mitgenommen. In der Verlegenheit, einen Degen heut haben zu müssen, borgte ich mir diesen. Der meinige ist allerdings modischer, reicher, – allein hier muß ich nun schon einmal aus der Noth eine Tugend machen. Beyde giengen zu Hofe. Petron blickte immer auf seinen Degen herab, und lächelte auf den seines Freundes. Unglücklicher Weise waren auch die Hofleute dasmal so gestimmt, diesen unmodischen Degen nicht kritisiren zu wollen. Petrons Freund zeigte aber in Allem, was an ihm war, den feinsten Geschmack,[111] und man vergaß über seinem Betragen nicht nur seinen Degen, sondern auch sogar den einzigen Degen seiner Art – den Degen Petrons dabey.

Sammeln sie nun, meine jungen Freunde, diese vereinzelten Beobachtungen und Züge in ein einziges Bild zusammen, und sie haben alsdann das Gemählde des Mannes von Artigkeit, wahrer feiner Lebensart, wie äußerer Anstand, Geist und Herz sich ihm vereiniget, um ihn als Muster und Beyspiel, aber nicht als Ideal der Phantasie aufstellen zu können.

Quelle:
Claudius, G[eorg] C[arl]: Kurze Anweisung zur wahren feinen Lebensart. Leipzig 1800, S. 86-112.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon