15.

Edelmann gehet in die Wetterau und gibt sein Glaubensbekenntniß von sich.

[394] »Nachhero hat er (der Edelmann) sich zu Hachenburg in Neuwied in der Wetterau aufgehalten, und Anno 1745 Mense Septembr. sein Glaubensbekenntniß von sich gegeben.«


§ 8. Es bedient sich hier mein Evangelist einer sehr dunklen und[394] verworrenen Länder -Beschreibung, bey welcher ich mich aber nicht aufhalten will. Man siehet wohl, daß ihm ein h. Geist gefehlet, der Ihm in alle Wahrheit hätte leiten können. Ich werde dessen Stelle vertretten, und den Leser etwas umständlicher von meinen zu Hachenburg und Neuwid erlebten Schicksalen zu unterrichten suchen. Denn es sind von meiner Ankunft in Hachenburg, bis zur ausgabe meines Glaubensbekenntnißes zum wenigsten drey Jahr verflossen, zwischen welcher Zeit noch manches mit mir vorgegangen, das angemerket zu werden verdienet.

Ich werde mich also, so viel möglich bemühen, den Leser so viel davon zu eröfnen als mir in einer Zeit von 10 Jahr, in Gedächtniß geblieben, und daß werde ich treulich, und nach der Wahrheit thun, und lieber etwas vorbey laßen, wovon ich mich der Umstände nicht recht mehr zu besinnen weis, als den Leser mit ungewißer Erzehlung aufhalten.

§ 9. Meines Behalts bin ich in späten Herbst, oder zu Anfang des Winter des 1742sten Jahres nach Hachenburg gekommen, und da ich dieses (versteht sich in Entwurf, nicht aber ins reine) schreibe ist es der Frühling des 1753sten Jahres, damals wie ich Hachenburg und alle folgende Oerter, bis auf Berlin bezog, dacht ich noch an (nichts) weniger, als daß ich mich noch einmal genötiget sehen würde, meinen Lebens-Lauf selber zu beschreiben, ich würde sonsten in Anmerckung mancher Begebenheiten, die mir nun entfallen, viel aufmercksamer gewesen seyn. Ich muß also um Verzeyhung bitten, daß ich nicht mehr davon mittheilen kann, als was mir noch eigentlich, sicher und zuverläßig bewußt ist, wo ich aber anstehe, da werde ich mich der Redensart bedienen: Wo mir recht ist, wo ich mich recht besinne, meines Behalts u. dergl.

Ich fand also in Hachenburg ein gut Quartier beym Loh-Gerber Leitzschbag, nicht weit vom Obern Thore. Er war eben der Mann, den Br. Erhart, mein Vorläufer an der Rothenruhr geheilet hatte. Ich verdingte mich nebst Ihm bey der Frau des Wirths in die Kost, und wir gaben vor Kost, Quartier und Bette, Monathlich, wo mir recht ist 2 Ducaten, und wurden wohl accommodiret.

§ 10. Der dasige, sowohl vornehme, als gemeine Pöbel nennte uns nur die Bart -Männer, und die Juden waren uns, dieses unnöthigen Zierraths wegen sehr gewogen. Jau, sagten sie, wenn sich andere dißfals über uns moquirten, mögten wir ock dahin kommen, wo die Bartmänner einmal hinkommen werden, welcherley Reden zum wenigsten so viel zu verstehen gaben, daß sie uns vor ehrliche[395] Leute ansahen, wie sie uns dann in Wahrheit auch so fanden, wenn wir mit Ihnen zu thun hatten.

Br. Erhart bekam bald weit und breit einen Ruf, wegen seiner glücklichen Curen, welcher Ihm den Neid des dasigen privilegirten Menschen-Würgers, des Docters Schrey zuzogen. Weil er hochgräflich Leib-Medicus hieß, so that er alles zu verhindern, daß Br. Erhart keinen Heyland abgeben mögte. Er kunte aber nichts ausrichten, denn die Herrschaft sagte, sie könnten ihren Unterthanen nicht verwehren Hülfe zu suchen; wo sie welche fanden. Wenn der Hr. Docter die Patienten, die Hr. Erhart curiren könnte, nicht zu curiren vermögte, so erfordere es die Billigkeit und Menschenliebe, ihnen zuzulassen, sich anderwärts um Hülfe vor ihrer Gesundheit umzusehen.

§ 11. Erweckte aber Br. Erhart Neid bei den leiblichen Aerzten, so erweckte ich dessen noch viel mehr bey den sogenannten Seelen-Aerzten. Wir waren nicht lange in Hachenburg, so ließ uns der Graf einmal an einem Abend auf daß Schloß hohlen. Ob es eine pure Curiosité war, dem Grafen von Neuwied und einem gewißen Grafen von Dohna, die eben gegenwärtig waren, diejenigen seltenen Männer zu zeigen, von denen die ganze dasige Gegend schon zu sagen wuste, oder ob der Hofprediger, der Lutherisch war, seinem Herrn, dem Grafen der eben dieser Religion zugethan war, etwas aus meinen Schriften vorgesagt haben mogte, vermag ich nicht zu bestimmen.

Genug wir musten ein klein Examen ausstehen, und unser Glück war, daß es der Graf und die Gräfinn selber anstellten. Denn sie ließen doch ein vernünftig Wort mit (sich) sprechen, da hingegen, wenn der Hofprediger, oder irgend ein ander Pfaff zugegen gewesen wäre, die Vernunft nothwendig würde ins Gedränge gerathen seyn, nach den Worten des Hrn. Hallers in Versuch Schweizerischer Gedichte p.


Umsonst sieht die Vernunft des Glaubens Fehler ein,

Sobald der Priester spricht, muß Irrthum Wahrheit seyn.


§ 12. Es waren aber die Grafen, nach ein und ander Discursen, insonderheit da niemand auf unsern Wandel was zu sagen hatte (welcher Punct aber den ersten Christen die meisten Verfolgungen zugezogen) ganz wohl mit uns zufrieden und die Gräfin, welche die meisten Scrupel machte, ungeachtet sie uns am günstigsten war, gab doch endlich auch nach, und wir wurden ganz gnädig erlassen. In der That war ich damals noch nicht im Stande, der Gräfinn auf alles so zu antworten, wie es billig hätte seyn sollen. Allein sie[396] hatte damahls, ungeachtet sie die Quatorze lettres4 gelesen hatte, auch noch nicht daß Licht, daß ihr hernach aufging wie mein Glaubens-Bekenntniß erschien.

Inzwischen war es genug, daß man uns von Seiten der Pfaffen, nicht überführen konnte, daß wir Jünger machten, und einen Anhang zu erlangen suchten, wie die ersten Christen thaten, die Land und Wasser umzogen, einen Glaubensgenossen zu machen, und wenn ers worden war, ein Kind der Höllen aus Ihm bildeten, zwiefältig mehr, denn sie waren.

Um keinen meiner Leser vorsäzlich, zu ärgern, muß ich diesen Saz beweisen. Alle damals bekannte Religionen, sowohl die Jüdische als die Heidnische, ließen der menschlichen Natur, noch ein Vermögen etwas gutes zu thun, ungeachtet die Juden den tollen Ausdruck des Noachischen Gottes, daß nemlich das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens von Jugend auf, immerdar nur böse, wohl wusten: Aber wie das Christenthum, oder beßer zu reden der Paulinische Glauben aufkam, so muste sich ein jeder, der sich zu diesem unsinnigen Glauben bekennen wollte, als ein Sklaven der Sünden betrachten, und alles Geschwäzes von einer geschehenden seyn sollenden Erlösung ungeachtet, doch mit dem h. Paulo glauben, daß er unter die Sünde erkauf sey.5

§ 13. Dadurch wurde also aller noch übriger Saame der Tugend in dem Menschen ersticket6, zumal da ihnen weiß gemacht wurde, sie könnten ohne Verdienst gerecht werden, wenn sie nur glaubten, daß ein todter Mensch, das an ihrer Statt gethan hätte, was sie von rechts wegen hätten thun sollen. Wurden hier die armen Menschen nicht offenbahr, alles anderweitigen Ermahnens, zur Tugend ungeachtet, von dem Wege der Tugend abgeführet, und durch diesen heillosen Aberglauben, den Tacitus mit Recht exsitiabilem superstitionem7 nennet, zwiefach mehr Kinder der Höllen oder des Verderbens gemacht, als sie zuvor waren?

Doch wer darf daran zweifeln, der da weiß, daß diejenigen, die noch die besten unter diesen armen verblendeten Menschen sein wollen,[397] in öffentlichen Kirchen-Gebeten auf den heutigen Tag noch bekennen, daß die Ruchlosigkeit und daß fleischlich gesinnte Welt-Wesen noch immer zu in ihren Gliedern herrschen und daß sie, nach dem Ausspruch des theuren Dr. Caspar Löschers in Disput. de Perfectione hominis renati p. 23 auch als Wiedergeborene das sündigen nicht lassen können.

§ 14. Wir mochten uns indessen doch so still halten, als wir immer wollten, so war doch nicht zu verhindern, daß nicht der Ruf von uns weiter hätte erschallen sollen, als uns eben lieb war, und daran waren abermahl die geistlichen Herren Knechte Christi, am allermeisten selber Schuld, indem sie uns, und besonders mich, fast alle Sontage von den Canzeln unter die Leute warfen. Dieß geschahe von allen drey Religionen, die in Hachenburg ihre öffentlichen Uebungen hatten, nemlich von der Catholischen, Lutherischen und Reformirten Religion. Die Stadt, nebst den meisten Raths-Gliedern, war der Reformirten Religion zugethan; der Hof gröstentheils Lutherisch, und die Catholiquen hatten eine heilige Tage-Diebs-Gesellschaft von der berüchtigten Bande des heiligen Francisci in der Stadt errichtet, die ihre eigene Spelunck hatte, so nach der Sprache dieser sonderbahren Leute ein Convent oder Closter hieß. Da der Prediger dieser heiligen Müßiggänger das gröste Maul immer wieder mich hatte, und einen rechten Mord-Geist in seine einfältigen Geschöpfe blies, so war es in der That kein geringes Merckmal des Göttlichen Schuzes über uns arme, daß wir nicht einmahl, bey unserm öfteren Ueberfeldgehen Contrebande gemacht um sie eine Stufe höher, in dem Paradies der gläubigen zu setzen, in die andere Welt geschickt wurden. Denn dieser Wächter Zions hatte nicht nur die Catholischen Einwohner der Stadt, sondern auch einen ansehnlichen Theil der benachbarten Dorfschaften, zu seinen Anhange, von denen wir oft ganz allein ganze Heerden ziemlich begeistert begegneten.

§ 15. Wir gingen aber, ohne Furcht aus und ein, und besahen selbst das unweit von Hachenburg gelegene reiche Berhardiner-Closter Marienberg, oder Tahl (der Name ist mir entfallen) etliche mahl, ohne daß man uns das geringste zu leyde gethan hätte. Einen kleinen Spott muste doch der Br. Erhart einmahl wegen seines rothen Bartes anstehen; denn, wie wir von diesem Closter wieder zurück, nach dem Mister-Eisen-Hammer giengen (von welchen ich bald ein meheres sprechen werde), so musten wir durch einen gewissen Catholischen Hof, in welchem sich eine Gesellschaft junger Pursche mit Kegeln ergötzte.

Ich ging wohl hundert Schritt vor den Br. Erhart voraus, und sobald ich in den Hof kam, grüste ich die Gesellschaft freundlich mit[398] Abnehmung meines Huths und sie dankte mir auf gleiche Weise, ohne nur ein Wort gegen mich zu verliehren. Wie aber der Br. Erhart nach kam, der gemeiniglich beym Spazieren-Gehen ein Buch mit nahm, worinn er sowohl sizend, als gehend zu lesen pflegte, so mochte er sich in seinem Lesen vertiefend, etwa vergessen haben, diese junge Leute auf gleichmäßige Art freundlich zu grüßen. Denn ich hörte, als ich kaum etliche Schritte zur andern Pforte des Hofs hinaus war, einen dieser Gesellschaft überlaut Ihm nachrufen: O du verfluchtes Gesicht! Aber dabey blieb es auch, und niemand that Ihm weiter was zu leyde.

Ich merckete, daß Ihm eben nicht gefiel, was der Geist, diesen jungen Menschen auszusprechen gegeben hatte; Allein ich konnte mich doch (kaum) des Lachens enthalten, daß Er mit seiner heil. Tiefsinnigkeit keinen beßern Eindruck in die Gemüther dieser jungen Leute gemacht hatte. Denn mir pflegte Er es, seinem melancholischen Temperamente nach gern vor übel zu halten, wenn ich mich gegen dergleichen Leute etwas freundlicher bezeigte, als Er seiner Ernsthaftigkeit nach glaubte, daß es nöthig wäre. Ich bin aber mit meiner Freundlichkeit immer weiter gekommen, als er mit seiner Sauersichtigkeit.

§ 16. Ich bin wohl mehr als hundert mahl ganz allein, mitten durch die Catholischen Bauren, wenn sie vom Wein und Bier am begeisterten waren, und mich, ohne daß ein Hahn darnach gekrähet hätte leicht ihrem heiligen Eyfer hätten aufopfern können, nicht allein ohne die mindeste Verlezung sondern auch mit allen gewöhnlichen Ehrenbezeugungen herdurch gegangen, da sie mir doch oft auf öfentlicher Landstraße, und nicht selten (wenn ich Erdbeeren suchte) in dicken Wäldern begegneten, und ohne verrathen zu werden, leicht einen Tref hätten versezen können, der mich nach der andern Welt befördert.

So wenig mir aber der Catholische Amts-Eyfer schadete, eben so wenig, und noch weniger schadete mir auch der Lutherische. Es waren z. Ex. in Dathen, einem Flecken, der mit zur Grafschaft Hachenburg gehörte, ein oder ein paar Lutherische Seelen-Hirten. Diesen als im Reiche der Gelehrsamkeit ungleich beßer, als die Chatoliquen bewanderten Leuten mogte nun ungefehr auch die Nachricht von einem Buche bekannt worden seyn, das sich Moses mit aufgedeckten Angesichte nannte. Ihre untergebenen Schaafe würden vielleicht ihr Lebtage nicht erfahren haben, daß ein solch Buch in der Welt sey, viel weniger, wer der Verfasser desselben sey, und wo er sich aufhalte. Allein ihr heiliger Eyser ließ ihnen nicht zu, dieses, denen Bauren, und ihren[399] den Bauren ähnlichen Bürgern gänzlich verborgene und unbekannte Geheimniß zu verhalten.

Es ging fast kein Sonntag hin, wo ich nicht nahmentlich abgekanzelt, und mein Moses, als das gefährlichste Buch, daß man je gesehen, beschrieben wurde. Weil nun der Flecken Dathen, in welchen verschiedene Dorfschaften eingepfarret waren, nicht weiter als drey Stunden von Hachenburg lag, so war es freilich ganz natürlich, es musten sowohl Bürger als Bauren, die nicht allen Verstand versoffen hatten, endlich curios gemacht werden, sich sowohl nach mir, als meinen so erschröcklich beschriebenen Schriften um zu sehen.

§ 17. Es kamen darnach von verschiedenen Orten, welche zusammen, die sich mit einander vereiniget hatten, und besuchten mich in Hachenburg, nach ein und andern gehaltenen Discursen, aus welchen ich eben erfuhr, was sie zu mir getrieben hatte, begehrten sie meine Schriften von mir. Ich gab ihnen, was ich damals hatte, und sie legten zusammen, und bezahlten mir dieselben ehrlich, woraus der Leser unschwer abnehmen kann, daß (sie mit dem was) ihnen von ihren Seelen-Hirten vorgeschüttet worden eben nicht zufrieden gewesen seyn müssen, weil sie sonst nimmermehr nach einer Speise umgesehen haben würden, die ihnen so tödlich beschrieben wurde.

Je mehr sich aber der Zulauf bey uns mehrete, ungeachtet er ganz einzeln und mehr um des Br. Erharts, als um meinet Willen geschahe, je unangenehmer war das sowohl den Leibes- als Seelen-Artzten, welche letzteren wohl leicht voraussehen konnten, daß wenn ich so fort gehen sollte, wie ich in meinen Mose angefangen, sie mit ihrem Pimperleinpump nicht viel mehr bey den Leuten würden anrichten können, zumahl da schon Bauren anfingen munter zu werden, und sich nach den Mann umzusehen, über welchen ein so Zether-Geschrey angestellet wurde.

Sie vereinigten sich also insgesammt mit einander, um mit gesammten Kräften den Grafen meinetwegen Vorstellung zu thun. Die hohen Priester aller drey in Hachenburg gangbahren Religionen, die sonst den Teufel eher als sich unter einander leyden konnten, kamen und traten sämmtlich vor den Grafen und baten, daß Er doch die Bartmänner aus dem Lande fortschaffen mögte. Der eifrigste unter Ihnen war der Pfarrer in der Alt-Stadt Namens Simonis, der sich unter andern gegen den Grafen verlauten ließ, der Edelmann würfe ja die ganze Christliche Religion über'n Haufen.

§ 18. Die Gräfinn war eben zugegen, wie diese jämmerlichen Klagen vorgebracht wurden. Sie nahm also das Wort, und sprach mit einer lächelnden Miene: Was sagt der Herr Simonis? Was[400] thut der Edelmann? die ganze Christliche Religion wirft Er über den Haufen? Sie muß ein schlechtes Fundament haben, wenn sie der über'n Haufen werfen kann.

Der Graf, der durch die Rede gestärcket wurde, sagte hierauf zu den Geistlichen Herren; Ihr kommt immer und klagt über die Bartmänner bey mir, und die Bartmänner sind noch nie bey mir gewesen, und haben sich über Euch bey mir beklagt, ungeachtet mir gar wohl wissend ist, daß Ihr fast alle Sonntage auf der Canzel gegen sie loßziehet, und sie verhaßt zu machen suchet. Die Leute leben still, haben keinen Anhang, suchen auch keinen, und thun nicht nur niemand was zu leyde, sondern vielen Gutes. Hingegen hat man mir gesagt, daß sie schon manchen Unfug von dem Pöbel mit gedult ertragen, man soll Ihnen nach den Fenstern geworfen haben. Aber es ist noch keiner bey mir gewesen, der sich darüber beschweret hätte. Warum soll ich solche Leute verjagen? hat Edelmann was geschrieben, das nicht taugt, widerlegt es, Ihr habt ja auch Federn etc. etc.

Es ist leicht zu erachten, daß die guten Schwäzer, so groß Maul sie auf ihren halben Tonnen gegen mich hatten, bey dieser ernstlichen Rede des Grafen eben nicht viel Wiederrede in Ihrem Munde gehabt haben werden, und der Cammer-Laquay Schröter, der der ganzen Unterredung in des Grafen Zimmer beygewohnet und mir alles wieder erzehlet, versicherte mich, daß sie endlich alle mit einer langen Nase, und ziemlichen Verweiß hätten abziehen müssen.

Wären sie, alle zusammen keine Stümper gewesen, so hätten sie sich zum wenigsten eine Unterredung in des Grafen Gegenwart, mit uns ausbitten, und zeigen sollen, worin ich Unrecht hätte, und wenn dies geschehen wäre, so würde es eine lustige Heze abgegeben haben. Denn ich würde sie mit ihren besondren Säzen gegen einander selbst aufgebracht, und mir von ihnen ausgebeten haben, welche zu überführen, welche Religion dann, unter den 3 verschiedenen, zu denen sie sich bekannten, eigentlich die wahre christliche Religion sey. Sie mochten aber den Possen wohl mercken, deßwegen ließen sie es nie zu einen öffentlichen Gespräche zwischen uns kommen, sondern waren zufrieden, daß sie den Ueberfluß der heiligen Galle auf der Canzel gegen uns ausschütten konnten.


C'est là que bien ou mal, on a droit de tout dire.


§ 19. Wir waren ungefehr ein Vierteljahr in Hachenburg, so entstund ein Krieg zwischen den Grafen von Wittgenstein und den Grafen von Hachenburg, der meines Behalts, im Anfange des 1743sten Jahres ausbrach. Die Grafen von Wittgenstein, die ehedem auch (welches ich eben so genau nicht weiß) die schöne Grafschaft[401] Sayn ganz oder zum Theil besessen haben, machten ein Anspruch auf den Hachenburgischen Antheil dieser Grafschaft und hatten sich hinter den Churfürsten von der Pfaltz gesteckt.

Die Pfälzischen Truppen rückten würcklich unversehens ins Land, ließen die vornehmsten Kirchen-spiele denen Grafen von Wittgenstein huldigen, und wollten unsere ehrliche Herrschaft aus ihrem Besitz treiben: Sie sezte sich aber, so weit es ihre Kräfte verstatteten, in männliche Gegen-Verfassung, zohe die Neu-Wiedischen und Runckelschen wenigen nebst ihren eigenen Truppen in die Stadt und auf das Schloß, und erwarteten den Angriff zwischen Furcht und Hofnung.

Zu guten Glück hatten die Pfälzer kein grobes Geschüz bey sich, vermutlich weil sie wusten daß wir auch kein hatten, sonst dürfte endlich mit der guten Stadt, die, außer einer ziemlichen Mauer nichts festes hatte, bald Feier-Abend geworden, und unser in diesem Fall, wegen des Haßes der Catholischen Pfaffen eben nicht zum Besten gewartet worden seyn.

§ 20. Es geschahe also zwar kein förmlicher Angrif auf die Stadt; Aber wir musten doch eine weitschichtige Blocade, beynahe sechs Wochen aushalten, und uns, da die eine Hauptwache grade gegen uns über war, des Nachts, bey jeder Magd, die bey dem Rohr-Kasten Wasser zu schöpfen kam, die Ohren mit so vielen unnützen Wer da?-Schreien betäuben laßen, daß wir wünschten, daß dieser unblutige Krieg bald ein Ende haben möchte.

Die Pfälzer versuchten etliche Mahl die Stadt mit List zu überrumpeln, konten aber, wegen guter Anstalten, nichts ausrichten, und musten endlich unverrichteter Sache, weil sich der Graf dieses Handels wegen, an den Kayser gewendet, nicht nur wieder abziehen; sondern der Graf hatte auch das Vergnügen, ein Wittgensteinisches Commando, daß in Dathen würcklich Besiz genommen hatte, durch seine Leute aufheben zu laßen und in Hachenburg in Triumph aufzufüren.

Während dieses kurzweiligen Krieges ließen wir die Vorsicht sorgen, warteten des unsern, und schliefen, wenn uns nicht ein unnöthiges Werda? aufweckte, ganz ruhig. Unsere Wirths-Leutchen hatten ihr Vergnügen an uns, sonderlich wenn sie uns, unser Holz so artig und nuzbar bearbeiten sahen. Denn in Hachenburg und dasiegen Gegenden, wuste man von keinen Sägen des Holzes sondern man steckte wohl drey- bis vier-Elligte Stücken aus halben und ganzen Bäumen, auf gerathe wohl gehauenes Holz, im Ofen, die kaum einer Ellen lang waren und bekümmerte sich wenig darum, wenn gleich die meiste Flamme zum Ofen heraus brannte.[402]

§ 21. Sie musten unsere Haushaltung billigen: Aber sie waren zu faul, sie nach zu machen. Indessen befanden wir uns wohl dabei, und kamen mit einem Karren Holz weiter als sie mit zweyen, ungeachtet wir es vor niemand verschließen konnten, sondern es auf unserm kaum drey Schritte breiten Flurchen stehen laßen musten, welche Gnade mir nach der Zeit, da es hieß, daß ich bey Freunden wohnte, die ungleich weiter sehen wollten, als die armen verdüsterten Wester-Wälder nicht wiederfahren ist.

Ehe noch der Lärm mit den Pfälzern völlig aus und wir wirklich auf eine gewisse Art bloquiret waren, kam meine letzte Fure mit denen in Berlenburg zurückgelassenen Sachen an, und wurde glücklich passiret. Die Sachen gehörten meistens dem Br. Erhart. Aber mein Beutel muste das Fuhrlohn bezahlen, und weil es ihm, auf der Stube, wo wir beisammen wohnten, zu enge werden wollte, so gab ihm der Wirth, oberhalb derselben, noch eine Kammer ein, in welche ich auch vor 8 Gulden einen Windofen schaffen muste.

Er verdiente zwar hier und da etwas mit seinem Docteriren: aber das wollte zu Bestellung unserer Haushaltung wenig sagen. Ich trug also meine Last mit Gedult, und verlies mich auf die göttliche Vorsehung, die, ohne mein Dencken schon Mittel wuste, mir selbige nicht allein tragen zu helfen, sondern mit der Zeit gar abzunehmen.

§ 22. Unter Hachenburg lag unweit dem Dorfe Nister ein Eisen-Hammer, dessen Inspector eine krancke Tochter hatte, die seit etlichen Jahren vieles von vielen Aerzten hatte erleyden müssen. Der ehrliche Mann, ihr Vater, war ehedem ein Reformirter Pfarrer in der Pfalz gewesen, und hatte von Gewissens wegen, sein Amt aufgegeben. Er hies mit Nahmen Hön, und war ein grundehrlicher Mann, und rechter Nathanael, in dem kein Falsch war, wie ich dann in dem nachmaligen Umgange mit ihm sehr vieles Vergnügen gefunden.

Wie derselbe hörete, daß einer von den sogenannten Bartmänner ein Artz sey, so bat er den Br. Erhart, sich seiner Tochter anzunehmen. Er that es, und hat, seit nunmehro mehr als zehen Jahren nichts unversucht gelaßen, was er geglaubet daß zu ihrer Genesung dienen möchte. Allein sie ist nicht nur bis diese Stunde noch nicht curiret, sondern wird auch wohl ihr Lebtage nicht curiret werden, weil daß recht Mittel zu ihrer Genesung selbst aus unbesonnener Heiligkeit recht mit Füßen von sich gestoßen.

Sie war eine schöne, ansehnliche, wohlgewachsene Person, und schien von der Natur recht dazu gemacht zu seyn, das Menschliche Geschlecht mit vermehren helfen. Die gütige Vorsehung hatte ihr[403] auch so vortheilhafte Gelegenheit zu heyrathen angewiesen, daß sie nicht allein vor sich, ihrer eigenen Erzehlung nach, nach allem Vermuthen eine der glücklichsten Personen in der Welt hätte werden, sondern auch ihre armen Eltern glücklich machen können, wenn sie sich hätte entschließen mögen, in den Ehestand zu treten.

§ 23. Allein ein unseeliges und von verschiedenen Schwärmern damals guten Gemüthern beygebrachtes Vorurtheil daß dieser Stand ein unreiner Stand sey, und daß sie beßer thun und ein großes in jenem Leben voraus haben würden, wenn sie mit Beybehaltung ihrer Jungfernschaft eine Braut des Todten Jesu zu werden gedächte, hat gemacht, daß sie alle diese Vortheile mit der heiligsten Hartnäckigkeit ausgeschlagen, und sich und ihre Eltern (denen sie durch ihre Heyrath hätte helfen können) zu den elendesten und armseligsten Creaturen gemacht.

Ich habe einige der vornehmsten Anfälle ihrer Krankheit selbst mit Augen angesehen, indem ich, wie wir erst näher mit einander bekannt wurden und Br. Erhart, bey ihren Umständen einen Beystand brauchte, wenig aus ihrer Stube gekommen. Ihr Zustand war in der That erbärmlich, und kunte nicht ohne Mitleiden mit angesehen werden. Magen-Krampf, darin Gicht, unbeschreibliche Schmerzen in den heimlichen Theilen, eine fast beständige Epilepsie, wobey ihr alle Sinne vergingen, Verlust der Sprache und Lähmung der Zunge mit Endigung der Epilepsie, ein Herzklopfen, das man beynahe hören und sehr starck sehen konnte etc. etc. waren die Foltern, die diese Person zu manchen Zeiten wechselsweise ausstehen muste, wodurch sie dann dergestalt abgemattet wurde, daß sie manchmal in etlichen Monaten nicht aus dem Bette kommen konnte, sondern sich heben und tragen laßen muste.

Hingegen zu einer andern Zeit, wenn man dachte, nun werde es bald mit ihr aus seyn (wie ich dann würcklich schon einmahl auch von ihr Abschied genommen) erholte sich die Natur auf einmahl wieder mit solcher Kraft, daß sie aufstehen, ihr Bette selber mit der grösten Force machen, und wie ein gesund Mensch in der Stube auf und abspazieren konnte. Doch alles dieses hatte keinen Bestand, und geschah nur wie im Traum von ihr, indem sie, wenn der Paroxysmus vorbey war, nichts von allem wuste, was sie gethan hatte, ungeachtet alle ihre Reden und Handlungen ganz verständlich und auf das wohlanständigste eingerichtet waren.

§ 24. In dieser, denen sogenannten Nachwanderern nicht unähnlichen[404] Stellung machte sie bisweilen die artigsten geistlichen Verse, ohne zu wißen, daß sie welche machte, und sang dieselben in den lieblichsten und von ihr selbst componirten Melodien ab, nicht anders, als wenn es Lieder gewesen wären, die sie auswendig gelernet hätte, und wenn sie wieder zu sich selber kam, welches oft nach 24 Stunden und einem vorhergegangenen Schlafe erst geschahe, so erinnerte sie sich nicht das geringste von allem, was man ihr sagte, daß sie gethan hätte.

Wenn bey diesen seltsamen Zufällen etwas zu verdienen gewesen wäre, so hätte man sie alle vor Verstellungen halten können; So aber war überall die bitterste Armuth bey den armen Leuten, und die gute Person an sich, war ihrem ganzen Naturell nach, zu Verstellungen ganz ungeschickt. Es schien also, die Vorsicht habe Ihr und ihren armen Eltern, an dem Br. Erhart mehr einen Erhalter aufs zukünftige, als einen würcklichen Heyland angewiesen. Denn seine natürlichen arbeitsamen Hände haben ihnen und ihrer krancken Tochter ungleich mehr geholfen, als seine Glaubenshände, ungeachtet Er sie, bey ihren gefährlichen Umständen, mehr als hundert Mahl auf sie legen müßen, ohne nach Marc. 16, 188 die mindeste Besserung davon zu erleben.

Genug, er that als ein redlicher Arzt, das seine, würde aber, nach meinem Bedüncken beßer gethan haben, wenn Er sie, wie sie noch ziemlich bey Kräften war, geheyrathet hätte. Er war aber mit eben den Phantasten eingenommen, durch welche sie sich hatte verderben lassen, und ich selber kunte damals noch keinen festen Schluß machen, ob sie zu behalten oder zu verwerfen wären, sonst würde ich gewiß nicht ermangelt haben, ihnen meine Gedancken aufrichtig zu entdecken, wenn mich Br. Erhart gleich aus der Zahl der 144,000 Jungfrauen hätte ausschließen sollen.9

§ 25. Es mogte aber die Heiligkeit so viel an dieser guten Person verdorben haben, als sie immer wolte, so war sie doch nicht vermögend die Natur gänzlich bey ihr auszurotten. Denn wie ich bey meinem Abzuge von Hachenburg, bey Ihr und ihren Eltern und dem Br. Erhart Abschied nehmen wollte, erschien ich Ihr unvermuthet in einer andern Gestalt, als sie mich bisher gesehen hatte. Denn ich hatte nicht allein den Bart abgelegt, und eine wohlgemachte Perruque[405] aufgesezt, sondern mich auch neu kleiden laßen. So bald sie mich in dieser veränderten Gestalt zu Gesicht bekam, merckte ich, daß eine muntere Regung bey Ihr entstund, die sich durch eine angenehme Röthe im Gesichte verrieth, und wie ich würcklich Abschied nahm, kunte sie sich nicht enthalten, mir in Gegenwart ihrer Eltern und des Br. Erharts mit Thränen, um den Hals zu fallen, und mich zu küssen, welches sie vor dem nicht gethan haben würde, wenn ich Ihr gleich zehn Himmelreiche hätte versprechen wollen.

Ich bemercke diese Begebenheit mit Fleiß etwas umständlich, um Theils zu zeigen, was eine heillose Heiligkeit den armen, mit dieser Pest behafteten Menschen, vor Unheil zuziehen könne; theils daß doch die Natur als ein Meisterstück des Schöpfers, allemal noch etwas blicken lasse, das von der Heiligkeit nicht vertuschet werden kann, Ja ich getraue mir zu behaupten, daß, wenn die Jungfer Höninn würcklich nicht so schön und annehmlich gewesen wäre, als sie in der That war, mein heiliger Br. Erhart sich schwerlich entschlossen haben würde, endlich gar den Nister-Hammer zu beziehen, und sich dadurch eine Last aufzubürden, die Er wohl biß an das Ende dieser unglückseligen Famillie wird tragen müssen.

§ 26. Ehe diese Veränderung mit uns vorging, kam der Bruder Langenmeyer von Berlenburg zu uns, und bezeigte Lust, auch in Hachenburg zu wohnen. Wir wurden daher schlüssig zusammen ein Hauß zu miethen, und es gelung uns eines zu finden, dessen Eigenthümer der güldene Löwenwirth, Herr Wilhelm Becker war. Wir gaben 22 Thlr. Miethe vor das ganze Hauß. Br. Erhart bezog den untern Stock, und Br. Langenmeyer nebst der Schwester Schelldorfinn und mir, den Oberen.

Wir lebten ungefehr einen Monat in diesem Hause beysammen, als die Jungfer Höninn, nach obbeschriebener Art die heftigsten Anfälle ihrer Kranckheit bekam, und Br. Erhart dadurch Gelegenheit nahm, etliche Tage und Nächte auf der Hammer zu bleiben. Noch dachte ich an nichts weniger, als daß Er sich gänzlich von mir trennen würde, weil Er mir in Berlenburg von selbst, heilig versprochen hatte, sein Lebtage bey mir zu bleiben. Wie er aber immer einen Theil nach den andern auf den Hammer schaffen ließ und endlich auch den Ofen verlangte, der doch zum wenigsten halb mein gehörte, wenn wir uns als Leute betrachten wollten, die aus einer gemeinschaftlichen Cassa lebten, so merckte ich nach gerade, was Er Willens war, that aber gegen Ihn noch immer dum, und erwartete seine eigene Erklährung.

Er eröfnete mir dieselbe unter dem Vorwande, daß ich wohl sähe, wie Ihn der Herr zum Beystand dieser bedrängten Familie ersehen,[406] und daß Er sich in seinem Gewissen verbunden achtete, derselbigen nach Vermögen beyzustehen. Ich machte gar keine Einwendung wieder diesen göttlichen Beruf, ungeachtet Er sein Versprechen dabey auf eine doppelte Art brach. Ein mal in Ansehung des Miet-Contracts unsers Hauses, den Er auf ein Jahr vor den dritten Theil mit unterschrieben hatte, und zum andern in Ansehung seines ehemaligen freywilligen Erbietens, sein Lebenlang nicht von uns zu ziehen.

§ 27. Ich sahe daraus, wie viel sich auf Menschen zu verlassen war, sobald sie die Verläugnung auszuüben anfangen, und das nüzte mir mehr, als mir diese unvermuthete Trennung Schaden that. Ich danckte Göttlicher Güte, daß sie mir, ohne mein Bitten, eine große Last abgenommen, und mich wieder mein eigener Herr werden lassen, und wünschte dem Br. Erhart viel Glück zu seiner getroffenen Veränderung. Wenn Er die natürliche Höflichkeit nicht bereits gar zu starck verläugnet gehabt hätte, so hätte Er zum wenigsten ein Wort wegen unsers, durch seine eigenhändige Unterschrift bestätigten Hauß-Zins-Contracts mit mir sprechen sollen, weil mir sein Antheil nunmehro zur Last fiel. Allein die Verläugnung dieser Billigkeit war viel zu starck bey Ihm, als daß Er daran hätte dencken sollen, und je mehr Er sich seiner Seits verläugnen ließ, desto mehr wurde ich an meiner Seite genötiget zu Hause zu seyn und mich finden lassen.

Um dieser Kleinigkeiten wegen die Freundschaft nicht zu zerstöhren, erwähnte ich von allen, was ich wohl hätte erinnern können, nicht ein Wort gegen Ihn, sondern war vielmehr heimlich froh, daß es Gott in die Wege mit uns gerichtet hatte, daß wir in gutem Vernehmen auseinander kommen können. Denn in die Länge würden wir doch nicht beysammen gut gethan haben, weil ich immer vorwärts, Br. Erhart aber immer rückwärts arbeitete, und überhaupt in geistlichen Dingen lieber träumte als wachte. So aber hinderte nicht nur in diesen Puncten keiner den andern mehr, sondern wir konten auch in Leiblichen besser mit einander zu Rechte kommen, als wenn wir beysammen geblieben wären.

Um diese Zeit wurde ich mit einen Namens Gerhart bekannt, der in Franckfurth am Mayn wohnte, und sich durch Briefe mit mir bekannt gemacht hatte. Er war Thor-Schreiber am Mayntzer Pförtchen, und that mir eine Zeit lang gute Dienste, war überaus accurat und prompt in den Dingen, die ich Ihm auftrug, und auch nicht ungeneigt mir dann und wann mit Gelde an die Hand zu gehen, wenn ich es nötig hatte, wie Er mir denn würcklich einmal 50 Gulden in den schönsten harten Thalern vorstreckte.

§ 28. Ich wurde dadurch so treuherzig gemacht, Ihm den Verlag[407] meiner Schriften an zu bieten, nicht, als wenn Er mir vor meine Arbeit etwas hätte geben sollen, sondern Er sollte nur die Drucker-Kosten vorschießen, und hernach den gantzen Verlag in seine Hände bekommen, und nach Abzug seines Vorschusses den Profit von den übrigen Exemplaren, nach Maßgebung des Abgangs mit mir theilen.

Er hatte nicht Ursache ein so vortheilhaftes Erbieten auszuschlagen und wir wurden eins, die Göttlichkeit der Vernunft drucken zu lassen und den Drucker also fort zu bezalen, so bald Er die Exemplaria geliefert haben würde. Diese waren so bald nicht fertig, als ich demselben Ordre ertheilete, sie, ohne Verzug an Hr. Gerhardten nach Franckfurt zu spediren, worauf Er unverzüglich sein Geld bekommen sollte.

Ich hatte also an meiner Seite alles erfüllet, was wir einander versprochen hatten, und ich trug gar keinen Zweiffel, Hr. Gerhard würde an seiner Seite eben das thun, und das zu Ihm tragende Vertrauen durch eine genaue Erfüllung seines Versprechens, immer fester bey mir zu gründen suchen: Allein ich betrog mich. Sobald er meinen ganzen Verlag in seinen Händen hatte, schien ein ganz anderer Geist in Ihn gefahren zu seyn. Er that nicht nur nichts weniger, als daß Er versprochener Maßen den Drucker gleich hätte bezalen sollen, sondern Er behielt auch das baare Geld, so ich Ihm vor den Verkauf der ersten 100 Exemplarien (um Ihm zu zeigen, daß ich ehrlich mit Ihm umgehen wollte) aus Leipzig anweisen lassen.

Ich schrieb zu verschiedenen Mahlen die beweglichsten Briefe an Ihn, mich doch bey dem Drucker, der mich wegen der Bezalung mahnete, nicht stecken zu lassen, bekam aber die losesten Antworten, mit dem Bedeuten, daß Er zahlen würde, wenn Er es vor gut fände. Hier sahe ich, wen ich vor mir hatte, muste also, weil es noch Zeit war, auf meiner Hut stehen, damit ich nicht gar um das meinige gebracht werden möchte.

Mit Gewalt war hier nichts anzufangen, ich muste mich also, da Er meinen ganzen Verlag in Händen hatte, der List bedienen, und mit guter Manier so viel davon zu retten suchen, als mir möglich war. Ich verschnupfte also seine letzte naseweise Antwort so gut ich konte, und ließ die verhaßte Materie, wegen Zahlung des Druckers vors erste ganz unberührt, gab Ihm dagegen, wie sonst, eine Commission, mir vor den Br. Langemeyer einige Pfund Seyde und etliche andere Waaren zu schicken, die ungefehr am Wehrte 24 Gulden betragen mochten.

§ 29. Mein Gerhard, der eher des Himmels Einfall vermuthet[408] als daß ich Ihm zu klug seyn sollte, schickte nicht allein die Waaren prompt und Br. Langenmeyer bezahlte mir sie baar, sondern Er, der Hr. Gerhard, dem es gar wohl gefiel, daß die ersten 100 Exemplarien so hurtig waren bezahlt worden, äußerte auch eine Begierde Ihm Oerter anzuweisen, wo die übrigen auch könnten abgesezet werden.

Dieser Begierde bediente ich mich, um mich so viel möglich schadlos zu halten. Ich gab also erst dem Drucker Ordre 100 Exemplar von ihm zu begehren, unter dem Vorwande, daß Er sie anstatt der Bezahlung annehmen wollte, Br. Gerhard ließ sie mit Freuden folgen, und schrieb mir noch darzu, daß der Drucker noch raisonnabler wäre, als ich. Nicht lange hernach muste Br. Rectus in Leipzig, gleichfalls noch 200 Stück von Ihm begehren, die Er ebenfalls in Hofnung baldiger baarer Bezalung, ohne den mindesten Anstand abfolgen ließ und mir die gute Zeitung mit Freuden berichtete.

Von dem 5ten Hundert mochten ungefehr noch etliche und 80 Stück vorhanden seyn, die ich ebenfalls nach obiger Manier hätte retten können. Aber damit Er mir nicht, mit Grunde, möchte nachsagen können, ich hätte Ihn vor seine (im Anfang allerdings) treue Dienste mit Undanck belohnet, so ließ ich Ihm dieselben nicht allein, sondern auch noch 25 fl. an baarem Gelde, die Er mir nach Abzug seiner mir vorgestreckten 50 Gulden, vor dem Verkauf der ersten 100 Exemplarien, noch hätte herausgeben müßen.

§ 30. Wie alles, nach obbeschriebener Art seine Richtigkeit hatte, erklärte ich Ihm das ganze Räthsel, mit dem Bedeuten, daß alle die bisher begehrten Exemplarien auf meine Ordre wären begehret worden, daß Er selber daran schuld sey, und daß Er sich nur seine Rechnung machen möchte, daß ich weiter so einfältig seyn und daß daraus gelöste Geld, wie bey den ersten, an Ihn würde auszahlen lassen: Er hätte sich um das Vertrauen, so ich Anfangs zu Ihm getragen, recht muthwillig selber gebracht, indem Er mir nicht allein sein Versprechen, wegen unverzüglicher Bezahlung des Drucks nicht gehalten, sondern meiner, als den Rappen im Stalle zu haben vermeinend, noch darzu gespottet hätte. Jetzt sähe Er zum wenigsten, daß Er nicht alleine klug sey, und daß es Gott den aufrichtigen doch noch immer gelingen ließe etc. etc.

Mein Gerhard hätte sich eher was anders als diese Tour von mir vermuthet. Denn Er mochte mich, so viel ich aus seinem Betragen gegen mich urtheilen konnte, etwa vor eine heilige Schlaf-Mütze halten, die Er, ohne daß sie es übel nehmen dürfte, werfen könnte, in welchen Winckel Er wollte. Wie Er aber sahe, daß Er[409] die Rechnung ohne den Wirth gemacht hatte; so sing Er an, sich aufs Bitten zu legen, und mir vorzustellen, daß Er doch gleichwohl bißher mein getreuer und accurater Spediteur gewesen wäre, und daß Er hoffte, ich würde Ihn ferner brauchen.

Ich antwortete, daß ich an seiner ehemaligen Treue und Geflissenheit nichts auszusetzen hätte; Weil Er aber beyde, bey der lezten Begebenheit, wo Er sie am meisten hätte gründen und mir zeigen sollen, daß ich mich fest auf sein Wort verlaßen könnte, recht liderlich verwahrloset hätte, so hätte ich auch am Glauben Schifbruch gelitten, und gedächte so viel möglich zu verhüten, daß der letzte Betrug nicht ärger, als der erste werden könnte.

§. 31. In der That verlohr ich Ihn recht sehr ungern. Denn ich habe noch keinen hurtigern und geflissenern Bestellten gehabt, als Ihn. Ich hätte um Ihn weinen mögen. Aber wie Er mich mit dem Drucker im Stich ließ, dem ich mein Wort gegeben hatte, gleich nach Lieferung der Exemplarien sein Geld zu heben; so war mir auch nicht möglich, weiter ein Zutrauen zu Ihm zu tragen, wenn ich gleich gern gewollt hätte, und Er selber sich sehr angelegentlich, solches wieder zu erwerben.

Wenn diese Gemüths-Beschaffenheit ein Fehler an mir ist; so bekenne ich Ihn willig; Ich weiß Ihn aber nicht zu verbeßern, weil ich nicht davor kann, daß mir der Neben-Mensch mein Vertrauen durch seine Treulosigkeit nimmt. Wer mir nichts verspricht, von dem kann ich auch mit Recht nichts fordern; Ich achte mich aber verbunden, Ihn so lange vor ehrlich zu halten, biß ich das Gegentheil erfahre. Wer mir aber bei Treu und Glauben eines ehrlichen Mannes etwas zusaget, daß Er hernach nicht nur nicht erfüllet, da Er wohl könnte; sondern noch darzu sein Gespötte mit mir treibet, wenn ich Ihn mit aller Bescheidenheit an sein gegebenes Wort erinnere, den kan ich auch unmöglich vor einen zuverlässigen Freund halten, wenn Er mir gleich aufs neue noch so viele Versicherungen geben wollte. Es betrügt mich immer nur einmal: das andere Mahl betrüge ich mich selber, wenn ich Ihm wieder trau.

§ 32. Es war mir indessen doch, wegen meiner damaligen Umstände, ein sicherer Freund in Franckfurth am Mayn nöthig, weil meine Schriften alle von da aus in die Welt reisen musten; und da erweckte mir Gott, anstatt des guten Gerhardts den Bruder Rufus, der mir auch, biß zur Verbreitung meines Glaubens-Bekenntnißes treulich gedienet, ungeachtet Er vieles dabey wagen müßen, weil Er mehr als Gerhard in Verdacht war, daß Er es mit mir hielte.

Ich lebte indessen in Hachenburg, nachdem die ersten Anläufe der[410] Pfaffen glücklich abgeschlagen waren, ganz vergnügt. Denn Gott erweckte mir von Zeit zu Zeit, immer mehere wahre Freunde, an auswärtigen Orten, die sich, nach Gelegenheit ihrer eigenen Umstände, der meinigen, eine Zeitlang treulich annahmen, theils aber auch, biß diese Stunde noch nicht aufhören, eben dasselbige zu thun. Unter andern war mein nie genug zu verehrender, und vor meine Wohlfahrt unergründet wachender Br. Benignus, mehr als irgend einer bemühet, mir nicht nur wahre, sondern auch solche Freunde zu wege zu bringen, die mir in der That, im äußeren etwas nutzen möchten.

§ 33. Die Vorsicht mußte es wunderlich fügen, daß Er in B. mit einen bekannt werden mußte, den ich Augustus nennen will, weil Er, in Ansehung meines damaligen, dem Ivetotischen10 noch lange nicht an Herrlichkeit gleich kommenden Reichs, diesen Titul ungleich beßer verdient als der Kaiser. Dieser redliche Mann, dessen liebreichen Umgang ich noch biß diese Stunde, unter beständigen Wohlthaten zu genießen habe, sandte mir damals, zu Bezeugung seiner aufrichtigen Liebe gegen mich, durch den Br. Benignum, 4 Louisd'or, als meine kleine Herrschaft eben nicht in der besten Verfassung stund.

Brief und Geld waren an den Br. Hön addressiret, bey welchen der Br. Erhart nun beständig wohnete. Weil der Brief-Träger wuste, daß ich diese guten Freunde öfters zu besuchen pflegte, so stellte Er mir diese Sachen, ohne Bedencken zu und bat mich, sie bestens zu besorgen. Ich that es noch denselbigen Tag, weil ich wußte, daß das Geld dem guten Bruder eben so nöthig that, als mir selber.

Ich überlieferte Ihm also den Brief selber, als Er eben vor seiner Hauß-Thür stund, und nach den Hammer gehen wolte. Indem ich Ihn beschäftigt sahe, hielt ich mich nicht einmal so lange bey Ihm auf, biß Er den Brief erbrechen kunte, sondern ging, ohne zu wißen, daß der wichtige Innhalt deßelben mich angehen würde, in den nahe gelegenen Wald spaziren, mit Versprechen, daß ich ungefehr nach einer Stunde wieder kommen und sie sämtl. besuchen würde.

§ 34. Ich blieb wohl 2 Stunden aus, und ergözte mich an den mancherley herrlichen Wercken des großen Schöpfers auf eine recht vergnügende Art. Wie ich wieder zurück kam, fragte ich den ehrlichen Alten, was Er vor Zeitung aus der Fremde bekommen hätte? Gute Zeitung vor den lieben Bruder, versezte Er mit seiner gewöhnlichen Leutseeligkeit, die 4 Louisd'or gehören nicht mein, sondern dem[411] lieben Bruder, und hiermit überreichte Er mir, mit tränenden Augen, den Brief von Br. Benigno, der uns dann beyden aus dem Traum half, und uns zu erkennen gab, wem ich diesen neuen Seegen, Troz aller Flüche meiner Feinde zu dancken hatte.

Es ist leicht zu erachten, was vor einen Eindruck ein so großmüthiges, als unvermuthetes Geschencke in einem Gemüthe gemacht haben müße, daß bey den Umständen, in welchen es sich befand, auch der Empfindung fähig war, die mir der Schöpfer verliehen hatte. Ich vereinigte meine Thränen mit den Thränen des ehrlichen Br. Höns, und unser Mund ging über, von dem Lobe Gottes, das aus unserm Herzen quolle. Wir machten dessen Familie und den Br. Erhart unserer Freude theilhaftig und hatten noch verschiedene Betrachtungen über die wunderbahre Göttliche Vorsorge, die nicht ohne allerseitige Rührungen abgingen.

Wie ich wieder nach Hause kam, und dem Br. Langenmeyer und der Schw. Schelldorffin (bey welcher ich, nach dem Br. Erharts Abschiede, wieder in die Kost ging) erzehlte, was mir begegnet war, wurden sie hoch erfreuet, lobeten und preiseten Gott, der so wunderbare und erfreuliche Wege mit mir armen zu gehen beliebete, und weil es eben Zeit zum Abend-Essen war, befahl ich der Schwester ein halb Maaß Rhein-Wein zu holen, so gut man ihn auf dem Wester-Walde haben kunte, damit wir auf unsrer sämtlichen lieben Wohlthäter, und insonderheit dißmahl auf unsers genereusen Augusti Gesundheit, einen Freuden-Trunck thun, beym Genuß dieser herrlichen Gaben, unsern gütigsten Schöpfer preisen, und unsern Wohlthätern langes Leben, Gesundheit und alles Wohlergehen anwünschen möchten.

§ 35. Der Neid hätte barsten mögen, wie er sahe, daß mirs so wohl ging, denn in dem kleinen Neste, das Hachenburg vorstellete, und wo man nicht über die Gasse gehen kunte, ohne beurtheilt zu werden, sahen aller Augen fast allein auf mich. Wenn ich also ungefehr einmal zu unserer Erquickung, einen Schoppen Wein holen ließ, da meine rechtgläubigen Nachbaren, von waserley Art der Religion sie auch seyn mochten, entweder Wasser (wie ich doch ordinair auch that) oder schlecht Bier sauffen mußten, so war des raissonirens kein Ende.

Gerade gegen unserm Hause über wohnte ein Nagel-Schmidt, der einen Catholischen Gesellen hatte, welcher zugleich mit unter den Soldaten des Grafen enrolliret war. Dieser Mensch, der alle Sonntage von seinem Pfaffen neuen Gift bekam, den Er gegen mich ausspeyen kunte, war mir sonderlich aufsäzig, und hätte mich, um dereinst mit[412] unter die Heiligen gerechnet zu werden, gerne massacriret, wenn Ihm sein eigen Leben nicht noch zu lieb gewesen wäre.

Er sahe mich fast täglich ein und aus gehen, und ich ermangelte nicht, Ihn allemal aufs freundlichste zu grüßen, und Ihn dadurch zu nöthigen, daß Er mir, seinem Glauben zu Troz, nach der natürlichen guten Regung, die der Schöpfer in Ihn geleget hatte, dancken mußte. Er war die 6 Tage in der Woche, wenn Er arbeiten, oder auf die Wache ziehen mußte, ganz ruhig: Aber wenn der Sonntag kam, machte Ihn der böse Geist Gottes, der aus seinem Pfaffen in Ihn überging, über die Maaße unruhig, und weil Er sich gemeiniglich an diesem Tage etwas zu gute thun, das ist, sich zu besaufen pflegte, so war die Begeisterung desto stärcker bey Ihm, und Er ließ dieselbe, wenn Er des Abends vom Saufen nach Hause kam, etliche Sonntage nach einander vor meiner Hauß-Thür mit den liderlichsten Schmäh- und Scheltworten aus.

§ 36. Wenn der Mensch kein rechtgläubiger Catholischer Christ gewesen wäre, würde Er sich außer Streit, seiner guten Natur nach, ganz anders und weit vernünftiger betragen haben. Aber sein Schicksahl hatte Ihn zum Christen gemacht, ehe Er noch wuste, ob er ein Mensch oder ein Vieh war, und darum kunte er, in dieser elenden Positur nicht anders, als seinem unvernünftigen Glauben gemäß agiren.

Die Nachbarn, die bey seinem Lermen, allemal in die Fenster fuhren, und wohl höreten, daß Ihm der Geist eben nichts gutes auszusprechen gab, thaten zwar Ihr möglichstes Ihm zuzureden: Allein es half nichts, und Er wurde immer geistreicher. Ich kunte zwar von alle seinen Toben nicht das geringste hören, weil meine Stube hinten hinausging. Allein der Br. Langenmeyer und die Schwester Schelldorfinn, unter deren Fenster Er allemal seine heilige Wuth ausließ kriegten desto mehr zu hören.

Einstmahl, da Er des h. Geistes recht voll war, hätte Ihn der Eifer um das Haus seines Gottes schier gefressen. Er hatte von seinem, aus dem gröbsten Ignoranten-Holz zugehauenen Pfaffen, ungefehr gehöret, der Edelmann verwürfe alle Religionen. Diß machte Ihn dergestalt im Geist ergrimmt, daß Er, als seines Pfaffen Worte, vor lauter Gottes Wort annehmend, nicht unterlassen kunte solches öffentlich und mit erhabener Stimme, vor meinem Hause zu verkündigen.

§ 37. Vermuthlich geschah das in keiner andern Absicht, als die ganze Nachbarschaft gegen mich auf zubringen, und mit gesamter Hand mein Hauß zu stürmen. Denn so lauteten die Worte, die Ihm der[413] Geist der Christlichen Sanftmuth damals auszusprechen gab. Der verfluchte Kerl, der Edelmann, verwirft alle Religionen, Er ist wieder die Catholische, wieder die Lutherische und wieder die Reformirte Religion, welche letzteren Worte (vermuthlich weil die Stadt grösten Theils reformirt hieß) Er mit einen besonders begeisterten Tone und gewissen Zuge auszudrücken wuste.

Wie Er aber vernahm, daß diese sonst ziemlich bewegliche Predigt noch gar keine Bewegung bey den Nachbarn erwecken wollte, nahm Er seine Zuflucht zum Teufel, dem allgemeinen Puzemann aller Rechtgläubigen. Ja sagte Er, voller Geist und Kraft, der Teufel bringt Ihm das Geld zum Schornstein herein, und hiermit drang er würcklich in mein Hauß, welches noch nicht verschloßen war, und war im Begrief mit dem Säbel in der Faust, die Stiegen herauf zu daumeln, um vielleicht noch etwas von dem, was mir der Teufel seiner Meinung nach, gebracht haben sollte, zu erschnappen.

Allein, die Nachbarn, die mir grösten Theils gewogen waren, indem sie manches von mir genoßen, ließens Ihm nicht zu, ob ich schon gerne gesehen hätte, daß sie Ihn hätten gewähren laßen. Denn ich war versichert, daß Er mir den Halß nicht brechen würde. Er mußte sich aber, theils mit Gewalt, theils mit Drohungen, daß man bereits nach der Wache geschickt hätte, von den Nachbaren, Troz aller seiner Begeisterung, wieder abführen laßen.

Es ist wohl kein Zweifel, daß die letzteren Vorstellungen, die beste Würckung bey Ihm gethan, denn das war Er, aus öfterer Erfahrung überzeuget, daß weder Jesus, noch Maria, noch Joseph den Corporals-Stock von seinem Buckel abzuhalten vermögend waren, wenn Er Prügel verdienet hatte, und also war das Andencken dieses natürlichen Gefühls das beste Mittel Ihn zu vermögen, das Schwert wieder an seinen Ort zu stellen, indem Er wohl eben nicht versichert seyn mochte, daß Ihm sein Vater auf sein Bitten mehr denn 12 Legionen Engel würde zu Hülfe senden.

§ 38. Indeßen, was geschahe? In eben derselbigen Nacht, in welcher der arme Mensch vor die Ehre seines Gottes alles gethan hatte, was Ihm nach dem Maaß seiner Begeisterung möglich war, bekam Er einen Zufall am Haupte, daß Er sich nicht mehr gleich sahe. Der Kopf war Ihm dergestalt geschwollen, daß Er fast noch einmal so groß schien, als sonst. Das Maul, das Er zu erheben beflißen war, stund Ihm fast bey dem einen Ohre, und Er sahe dergestalt scheuslich aus, daß, wie Ihn, des andern Morgens, einer seiner Cameraden zu sehen kriegte, Er nicht unterlassen kunte, seinen Spott auf eine ziemlich empfindliche Art mit Ihm zu treiben.[414]

Was Teufel! sprach er, hast Du vor einen Hunds-Kopf! Man hat dieser Tage einen gehenckt, der hatte noch einen beßeren Kopf, als Du; man hätte Dich davor hängen sollen. Er stund dabey, wie mir die Nachbaren berichteten, wie ein tauber, der nicht höret, und wie ein Stummer, der keine Wiederrede in seinem Munde hat; und es ist kein Zweifel, daß wenn die Catolische Religion, als die eigentliche Residenz des Christl. Glaubens, an diesem Orte die Oberhand gehabt hätte, sie nicht ermangelt haben würde, mich als die Ursache dieser Verwandelungen anzugeben, und mit mir als einem offenbaren Heren-Meister zum Scheiterhaufen zu wandern. So aber war ihr heiliger Mord-Geist gebunden, ob 1000, oder mehr, oder weniger Jahre, kann ich nicht sagen, genug mein Nagel-Schmidt mußte sich wohl eine Woche lang mit seinem verwechselten Kopfe schleppen.

§ 39. Nicht lange nach dieser Begebenheit bekam der Lieutenant dasiger Soldatesque eine Lust, etwas von meinen Schriften zu sehen, und schickte deswegen den ältesten Sergeanten mit einem Billet an mich. Ich sandte Ihm, was ich damals hatte, und der Sergeant, der bey dieser Gelegenheit etliche Mahl zu mir kommen mußte, gewann, so wild Er auch sonst war, eine Liebe zu mir, und erbot sich mit vielen Soldatischen Betheurungen zu meinen Diensten.

Ich wollte diese Gelegenheit nicht vorbey laßen, sondern erzehlte Ihm, mit kurzen, wie sich mein Hr. Nachbar, der Nagel-Schmidt, bisher gegen mich aufgeführet hätte, bath auch, daß er diesen bösen Geist bedräuen, und Ihn verhindern möchte, daß Er nicht wieder anfinge, wo Er es gelaßen hätte. Der Sergeant versicherte mich, daß Er nichts davon wüste. Er wollte mir aber gut davor seyn, daß es nicht mehr geschehen sollte.

Er hielt sein Wort redlich. Denn, wie Er an einem Sonntag Abends, eben so oder vielleicht noch mehr begeistert, als der Nagelschmidt nach Hause ging, begegnete Ihm eben der Nagelschmidt, der mir, seit der Verwechselung seines Kopfes, nichts mehr zu leyde gethan hatte. Der Sergeant redete Ihn mit seiner gewöhnlichen Furie an: Du, wo willst Du hin? Willst Du wieder vor Hrn. Edelmanns sein Hauß? Versuchs. Ich will Dich schlagen, daß man Dich im Back-Trog soll nach Hause tragen.

§ 40. Der starcke gewapnete, der des Nagelschmidts Pallast besaß, sahe wohl, daß hier ein stärckerer über Ihn kommen, Ihn überwinden, Ihn seinen Harnisch nehmen, und den Raub auf seinen Buckel, auf eine etwas unbequehme Art austheilen würde, deswegen[415] fand er vor gut, sich aufs Bitten zu legen und zu versprechen, daß Er sich nimmermehr wieder an mich machen wollte.

Er hielt es auch, und ich sahe daraus, daß des Sergeanten Prügel einen weit kräftigern Einfluß auf den armen Menschen hatte, als der h. Geist, der Ihm von seinen Pfaffen Sonntäglich mitgetheilet wurde. Es ist auch kein Zweifel, daß wenn diese unruhigen Geister, unter eben so einer Zucht stehen sollten, wie die Soldaten stehen, sie nicht allein viel gediegener werden, sondern, zur grösten Wohlfahrt der Menschen, bald gänzlich verschwinden würden. Bey mir kunten sie wenigstens, von nun an, weiter nichts mehr ausrichten. Die Leute wurden meiner nach und nach immer beßer gewohnt, sie sahen nicht allein nichts böses von mir, sondern hatten auch manchen Nutzen von uns, und die Handwercks-Leute und Tage-Löhner arbeiteten bey niemanden lieber, als bey mir. Denn ich gab Ihnen gemeiniglich mehr, als sie forderten; da sie sich hingegen von ihren rechtgläubigen Religionsverwandten schier das Blut aus den Adern musten drucken, und sichs zur großen Gnade anrechnen laßen, wenn sie nach etlichen vierthel Jahren das wenige erst bekamen, was sie wegen des langen Verzugs doppelt verdienet hatten.

§ 41. So wenig wird die erste Grund-Regel der Menschlichkeit: Alles, was ihr wollet, daß euch die Menschen thun sollen etc. unter den mancherley Gattungen der Rechtgläubigen Christen ausgeübet. Sie dürften sie, als ein altes aus der Mode gekommenes Gesez keck aus ihrer Bibel ausstreichen, weil man es doch nirgend weniger, als bey Ihnen aus übersiehet.

Wüsten diese Unglückseeligen, was vor ein unerschöpflicher Schaz in der Ausübung dieser Regul verborgen läge, sie würden sie gewiß beßer practiciren. Ich habe derselben alle meine Glückseeligkeit zu dancken, die ich mit keinem Königreiche vertauschen wollte. Man siehet und erkennet dieselbe an mir, man beneidet sie: Aber niemand will die Augen aufthun, und sehen aus was vor einer Quelle sie entstehe.

Ich hatte einen Holtzhauer, der dem dasigen Hof-Prediger nicht nur manchen Karrn Holtz hatte umsonst hauen, sondern auch manche schwehre Arbeit um ein Bagatell verrichten müßen. Es fügte sich manchmal daß dieser sein Seelsorger und Ich, zu gleicher Zeit Arbeit hatten. Allein ich hatte allemal den Vorzug und der Arme-Sünder-Macher mußte warten. Warum? Bey mir bekam der Arbeiter nicht allein allemal, gleich nach verrichteter Arbeit seinen bedungenen Lohn, sondern auch noch ein gut Trinckgeld oben drauf.

§ 42. Um dieses wenige hatte ich nicht allein alles, gern und[416] willig zu meinen Diensten, sondern ich wurde auch vor reich angesehen, und hatte Credit, so viel ich wollte, und wo ich wollte, wenn ich mir selbst welchen hätte machen wollen, diß that ich aber niemals. Denn ich ließ mir eher nichts machen, als biß ich wuste, daß ichs bezahlen kunte, und das that ich allemahl gleich nach gelieferte Arbeit, welches diejenigen, die viel reicher waren als ich, nicht thaten, weswegen gar kein Wunder war, daß der mißgünstige Pöbel, der mich wenn Er arbeiten muste, spaziren gehen sahe, auf die Gedancken gerieth, ich müste entweder Gold machen können, oder der Teufel brächte mir das Geld zum Schornstein herein.

Wenn es in der That solche nuzbare Teufelchen gäbe, so ist zum wenigsten gewiß, daß sie niemanden weniger als mir, aufwarten würden, weil ich sie gänzlich aus der Natur der Dinge zu verdringen gesucht, und sie vor weiter nichts ausgegeben, als vor Geschöpfe theils dummer, theils leichtfertiger Pfaffen, denen sie das Geld zwar eben nicht zum Schornstein, aber doch auch allemahl zu Sacristey hereinbringen müßen.

§ 43. Was das Goldmachen anbelangt, so bin ich von dergleichen Geistern vielleicht mehr, als sonst jemand angefochten worden. Unter andern meldete sich damals einer, aus der Schweitz, mit Namen Joh. Friedrich Mumenthaler, der Post-Director in Langenthal war, und einen Versuch an mich that, ob ich in seine Phantasien eingehen wollte; Ich antwortete Ihm das erstemal höflich, daß ich alle Hochachtung vor eine Wissenschaft trüge, die ich wenn sie würcklich Grund hätte, vor die edelste unter allen hielte. Ich glaubte aber nicht, daß ich darzu versehen wäre, hätte auch die Würcklichkeit derselben biß dato noch nicht gesehen etc.

Mein Mumenthaler ließ sich nicht gleich abweisen, sondern schrieb noch ein paar Mahl, und war allemal, sogar auch gleich das erste Mahl, so höflich, mich auf meine Kosten, mit Briefen, an weit entlegene Oerter zu belästigen, ohne ein Wort zu melden, ob und wann ich mein Porto wieder bekommen sollte. Ich konnte hieraus unschwer erkennen, daß er ein schlechter Goldmacher seyn müßte, bestellte doch inzwischen seine Briefe redlich; bat mir aber durch Br. Gerhardten (der damals seine und meine Briefe besorgte) von Ihm aus, daß Er mich mit dergleichen Commissionen verschonen mögte.

Seitdem ist Er von mir weggeblieben, hat aber, wie ich nach der Hand berichtet worden, manchen ehrlichen und braven Mann, der sich durch seine betrüglichen Processe blenden lassen, tüchtig angeführet, und das von Rechtswegen. Denn ich kann mir keine größere Thorheit einbilden, als wenn sich Leute, die sonst Verstand genug[417] besizen wollen, beschwazen lassen, einen der sich vor einen Goldmacher ausgiebet, und in Kraft dieser Kunst, selber keinen Mangel an Gelde haben muß, noch Geld zu geben, daß Er ihnen diese Kunst lernen möge, das ihrige, mit Manier, durch den Schornstein zu jagen.

Es scheinet aber die unglückselige Begierde Gold machen zu wollen, eine Pest unserer Zeiten zu seyn, an welcher die meisten, die damit behaftet sind, zu crepiren pflegen. An mir hat sie niemals haften können, wie oft ich auch Gelegenheit gehabt, davon angegriffen zu werden. Ich kann zwar nicht leugnen, daß so lange der Br. Erhart noch bey mir war, ich manch Buch in dieser Materie gelesen. Denn Er hatte derselben sehr viel. Aber ich habe sie auch nur gelesen, ohne jemals in die Versuchung zu fallen, selber Hand an das Werck zu legen. Ist es in der That möglich, wie ich davor halte, so ist es eben so wenig, als der Christliche Glaube, jedermanns Ding, und man muß es denen lassen, die Gott besonders dazu tüchtig gemacht.

§ 44. Ich vor meine Person hatte andere Sachen zu thun, die mir mehr nutzten, als das Goldmachen, denn sie brachten mir nicht allein wahre Freunde zu wege, da mir hingegen das Goldmachen nur Feinde zugezogen haben würde, sondern sie verschafften mir auch eben durch diese Freunde so viel Gold, als ich zu meinem ehrlichen Unterhalt nöthig hatte.

Anno 1743 gab ich das 15te Stück der Unschuldigen Wahrheiten heraus, mehr, um diese Arbeit nicht unvollkommen liegen zu laßen, als ein hellers Licht darin zu zeigen, denn es hätte von Rechtswegen vor dem Mose noch gedruckt werden sollen; mußte aber wegen verschiedener Verhinderungen, biß auf diese Zeit ausgesezet bleiben, welches ich darum erinnere, damit der Leser, wenn Er in dieser Schrift das Licht nicht antrifft, das ich im Mose gehabt, nicht dencken möge, als wenn ich wieder zurück in die Finsterniß gerathen wäre.

Es suchte der Ursprung des Lichts dasselbe von Tage zu Tage bey mir zu vermehren, indem Er mir ein Hülfs-Mittel nach dem andern anwieß, wodurch ich immer weiter in demselben gehen kunte. Untern andern schickte mir damahls der ehrliche Br. Straube aus Münden eine große Kiste recht brauchbarer Bücher, die ich mir wohl zu Nuze machte, und meine Zeit, nach überstandenen Lermen mit dem Pfaffen und meinem unruhigen Nachbar ganz vergnügt zubrachte.

§ 45. Ich bekam aber bald wieder eine andere Uebung, denn des Bürgermeister Meyers Sohn, aus Münden, ein munterer junger Mensch war mit dem Br. Strauben bekannt worden, der ihm meine Schriften zu lesen gegeben hatte. Er sahe die Betrügerey der Pfaffen daraus ein, fing an sich von der Kirche und dem sogenannten[418] Abendmahle zu enthalten, und gerieth darüber mit seinen Eltern und Anverwandten in große Verdrüßlichkeiten.

Er meldete mir solches, und schüzte sein Gewissen vor, zugleich anfragend, ob ich Ihm nicht erlauben möchte, sich eine Zeitlang bey mir aufzuhalten, biß sich der Widerwillen seiner Eltern gelegt hätte. Ich fragte Br. Strauben dieserwegen um Rath und Er bat, ich möchte den armen Menschen auf eine Zeitlang zu mir nehmen, es solte mir wöchentl. ein halber Thaler Kost-Geld vor Ihn bezalet werden.

Er kam also zu Ausgang des Herbsts dieses 1743sten Jahres würcklich bey mir an, und war zwar ein guter ehrlicher; aber zugleich auch fauler und von Herzen gemächlicher Bruder, der, weil Er ehedem Unter-Officier in Münden gewesen war, mehr von Spazieren-Gehen als von Arbeiten hielt, ungeachtet Er nicht ungeschickt war, indem Er nicht allein hübsch malen konnte, sondern auch allerhand artige Arbeit von Pappe zu verfertigen wußte, wovon Er mir selber ein Kästchen zu Aufbehaltung und Sortirung der dasigen vielen Geld-Sorten verehrete.

§ 46. Seine Ankunft verursachte eine ziemliche Veränderung in meiner bisherigen Lebensart, die eben keine der angenehmsten vor mich war. Die Schw. Schelldorfinn, bey welcher ich bisher in der Kost gewesen war, weigerte sich, den Br. Meyer auch anzunehmen, indem sie sagte, daß es Ihr zu schwehr würde, mithin muste ich, um des neuen Br. willen, meinen guten Tisch abdancken und eine neue Casernen-Wirtschaft anstellen, bey welcher Br. Meyer den Koch zu agiren über sich nahm.

Diese Kocherey, weil sie in der Röhre meines Stu ben-Ofens geschehen mußte, machte mir manchmahl den Kopf so warm, daß ich sie gerne wo andershin versezet hätte, wenn ich gekunt hätte. Denn mein guter Koch that so geschäftig, als wenn Er den Kayser zu tractiren gehabt hätte, wenn Er gleich nur ein Gericht Kraut zu versehen hatte. Was Er aus der Unterstube, allwo Er seine sieben Sachen hatte, auf einmahl hätte herbeytragen können, darnach lief Er immer zehen mahl, die eine Treppe ab, die andere wieder auf, und wenn alle diese unnöthigen und mir höchst unangenehmen Bewegungen, mit vieler Geflissenheit geschehen waren, und es nun ans anrichten ging, so geschahe es bißweilen doch, daß Er sich entweder selber die heisse Brühe in die Schuhe schüttete, oder den Topf mit sammt dem Essen, entweder in die Stube oder auf den Flur warf und hernach Scherbel und Essen, unter heissen Thränen, mit den Händen wieder zusammen klauete, und mich aufs beweglichste um Verzeihung bat. Er und der Br. Erhart hätte, im Punct der Unvorsichtigkeit und[419] Fahrläßigkeit vollkommen ein Ganzes zusammen vorstellen können, nur mit dem Unterschiede, daß Meyer seine Fehler noch erkannte und um Verzeihung bat: Erhart aber, wenn Er gleich eben wie Meyer, bisweilen Schüssel und Tiegel, aus einer puren Nachläßigkeit im Anfassen, mit samt den Speisen zu Boden warf, noch Recht übrig haben wollte, und es angenommen hätte, wenn ich Ihn um Verzeihung gebeten, daß ich seine Geschicklichkeit nicht bewundern können.

§ 47. Daß Beste war endlich, daß ich die Last des Br. Meyers nicht länger, als den Winter durch zu tragen hatte. Denn mit dem Früh-Jahr nahm er eine Reise nach dem Haynchen zum Hrn. von Marsay vor, und kam nicht wieder. Ich wünschte Ihm Glück auf den Weg, und war froh, daß ich wieder in meine alte Kost und Ordnung versezet wurde. Die Stube, die Er bisher bewohnt hatte samt dem ganzen Unterstock, den Br. Erhart, um desto ungemächlicher zu wohnen, verbäugert, und mir auf dem Halse gelassen hatte, überließ ich, auf Ersuchen, an Hrn. Schrödern, den Gräflichen Cammer-Laquay, welches mir nicht allein so viel nuzete, daß ich von nun an, um die Helfte Miethe leichter saß; sondern es konnte auch derselbe ein lebendiger Zeuge von meinem Leben und Wandel seyn, und die Herrschaft eines bessern überzeugen, wenn sich Verläumder bey ihr meldeten, die gemeiniglich von den Pfaffen gestimmet waren.

Die Herrschaft mochte mehr von mir hören, als mir selber zu Ohren kam: Weil ich mir aber in meinem Wandel nichts vorzuwerfen hatte; so bekümmerte ich mich auch nicht, was von mir gesprochen wurde, sondern wartete das meine ungestöhret und mit Lust, ohne daß ich mich so genau an eine gewisse Arbeit band. Genug ich war nie müssig, und that auf die Art mehr, als wenn ich einen Treiber auf den Nacken gehabt hätte.

Vornemlich sammelte ich mir damahls einen ziemlichen Vorrath von allerhand brauchbaren Materialien, die mir in den zukünftigen Zeiten gute Dienste thaten, und unter dieser Arbeit kunte es nicht fehlen, es muste mir bald hier bald da immer ein heller Licht aufgehen und das Gemüth zu denen noch bevorstehenden, und mir damals noch ganz unbekannten Arbeiten, immer besser zubereitet werden.

§ 48. Wie meine vornehmsten Arbeiten allemahl des Nachts vorgingen, weil ich am Tage gar oft durch allerhand Besuche gehindert wurde; so kam es manchen unbegreiflich vor, daß ich würcklich was arbeiten sollte, weil sie mich gemeiniglich so lange schön Wetter war, fast alle Tage spazieren gehen sahen. Ich that das theils, weil ich bey meiner sizenden Lebens-Art, nohtwendig einer ziemlichen Bewegung nöthig hatte, theils manchem unnüzen Besuche aus dem Wege[420] zu gehen, theils, weil ich in einer Stunde in der Nacht mehr verrichten kunte, als in 2 oder 3 Stunden am Tage: Wie ich dann gemeiniglich (so, wie noch jetzt) zu Bette zu gehen pflegte, wenn andere wieder aufstunden.

Bey diesem meinem öfteren Ueber Feld gehen begegnete mir einmal ein kurzweilig Ebentheuer. Nicht weit von Hachenburg lag ein Dorf, Alberode genannt, wohin ich bey angenehmen Sommer-Tagen bißweilen zu gehen pflegte, um bey den dasigen Schulzen, der meines vorigen Wirths Schwager war, eine frische Milch zu verzehren. Es fügte sich ohne mein Wissen, daß, als ich einst dorthin kam, der herrschaftliche Hof-Prediger eben auch da war.

Ich quartierte mich, meiner Gewohnheit nach, bey dem Schulzen, in die untere Stube, und forderte eine frische Milch. Man sagte mir sogleich, daß der Hr. Hof-Prediger in der Ober-Stube auch zugegen wäre. Man kann leicht erachten, daß ich den Mann Gottes lieber auf den Berg Carmel oder Thabor, als in des Schulzens Hauß gewünschet, weil ich voraussahe, daß es ohne einen theologischen Scharmüzel nicht abgehen würde, den ich doch, weil ich nicht frey agiren durfte, auf alle Weise zu vermeiden suchte.

§ 49. Ich wäre gerne wieder umgekehret, wenn ich nicht hätte besorgen müssen, daß man mir solches zur Zaghaftigkeit hätte auslegen mögen. Ich muste also aushalten, und erwarten, was erfolgen würde. Es kann seyn, daß der Hr. Hof-Prediger, seinerseits, mich auch lieber auf den Brockels-Berg gewünscht; Allein, zu unserm Verdruß, kunten wir beyde mit unsern Wünschen nichts ausrichten, sondern es war im Rath der Götter beschlossen, daß wir einander sehen und sprechen sollten, nur war die Frage welcher unter uns beyden hierzu den Anfang machen sollte?

Mir war dißfals nichts befohlen und der Hr. Hof-Prediger hätte meinetwegen ganz ruhig in seinem Ober-Stübchen bleiben können. Allein mit Ihm, waren die Sachen ganz anders beschaffen, denn hätte Er sich nicht vor mich sehen lassen wollen, so hätte Er gewärtig seyn müssen, daß man eben so von Ihm gedacht hätte, als man von mir gedacht haben würde, wenn ich seine Gegenwart hätte fliehen wollen. Er mußte also Ehrenhalber, Er mochte gleich, einen oder keinen Befehl darzu haben, zum Vorschein kommen.

Ich saß eben, und aß meine Milch, als sich der gute Mann meinen Augen mit gewöhnlicher Gravität presentirte. Ich freuete mich seiner glücklichen Ankunft, ungeachtet ich, die Wahrheit zu bekennen, lieber hätte seyn mögen: Gott sey bey uns! Denn ich konnte mir leicht vorstellen, daß es ohne Wortwechsel nicht abgehen würde, und[421] die Zuhörer waren doch nicht so beschaffen, daß ich alles vor ihren Ohren hätte sagen dürfen, was ich dachte, ohne von dem Hrn. Beichtvater des Hrn. Schulzens verkezert, oder gar dem Satan ohne Barmherzigkeit übergeben zu werden.

§ 50. Nach Endigung der Ersten Höflichkeit, sezte Er sich mit den Worten zu mir nieder, daß Er kommen wäre, um mir zu zeigen, daß Er sich nicht vor mir fürchte, wie ich in meinen Schriften wohl geäußert hätte; Ich versezte, daß ich mir dessen nicht bewust wäre, und daß vielleicht ein Mißverstand dißfals obwalten müste. Ich durfte nicht sagen, daß das Sprichwort: Hic niger est etc. mir eher Anlaß geben könte, mich vor ihm zu fürchten: denn das würde Er gleich vor eine Injurie angenommen und die Wolfsklauen bald gezeiget haben.

Ich begegnete Ihm also ganz freundlich, und Er brach selbst den Ersten Discurs bald ab, frug mich wo ich her wäre, wo ich studiret hätte etc. Ich diente Ihm auf alles, nach der Wahrheit, und hätte gerne gesehen, daß Er bey indifferenten oder sonst gelehrten Discursen geblieben wäre: Allein ehe ich michs versahe, fragte Er: Wie ich zu der heftigen Schreibart gekommen wäre? Er überraschte mich mit dieser Frage, sonst hätte ich Ihm leicht antworten können, daß ich sie von unserm seligen Vater Luthero gelernet hätte. Ich bezog mich aber auf das Exempel Christi, von welchen Er nicht leugnen kunte, daß Er auch in sehr heftigen Ausdrücken gegen die damalige Clerisey der Juden loßgezogen.

Wir geriethen hierauf in einen förmlichen theologischen Discurs von der Dreyfaltigkeit, von den Sacramenten und der Wiedergeburth, bey welcher letzteren Materie Ihm der deutliche Spruch Johannis 1. Epist. 3, 9. am meisten zu schaffen machte, weil ich mich bloß an die Worte hielt, wie sie da lagen, und keinen Senf darüber annehmen wollte.

§ 51. Der Schulze war lutherisch, und seine Frau reformirt, hatte aber eine gute Portion mehr Mutterwitz bekommen, als ihr Mann. Sie gab daher weit aufmercksamer auf unsere Discurse Achtung, als Er, und ich ließ manche Rede laufen, die ihr was mehreres hätte sagen können, wenn sie im Stande gewesen wäre, den Bibelgözen zu übersehen. Weil das aber noch nicht in ihrem Vermögen war, und der Hr. Hof-Prediger mit Fleiß diese Materie unberühret ließ, so muste ich mich auch in Schrancken halten, und das Spiegelfechten mit Biblischen Waffen so lange continuiren, als es dem Hrn. Hof-Prediger gefiel.

Alles dieses geschahe bey einer Pfeife Taback, die der Hr. Hof-Prediger[422] aus dem Beutel des Bartmanns nicht verschmähete. Das Ende des Discurses war wie sein Anfang, das ist: die Zuhörer waren eben so klug hernach, als sie vorher gewesen waren, und ich hatte die Ehre mit dem Hrn. Hofprediger nach Hause zu gehen, welches bey den Einwohnern der Stadt kein geringes Aufsehen machte, indem sie nicht wusten, ob der Hr. Hof-Prediger mich oder Ich Ihn bekehret hätte.

Sie kamen aber bald aus dem Wunder, weil sie sowohl Ihn als mich bleiben sahen, wie wir gewesen waren, ehe wir einander gesehen. Indessen muß ich Ihm doch zum Ruhm nachsagen, daß Er sich gar nicht ketzermachermäßig gegen mich aufgeführet, und die ganze Begebenheit konnte zum wenigsten den Nuzen haben, daß die Leute überzeugt werden musten, es sey nicht wahr, was man von mir sagte, daß ich ein Feind von den Personen aller und jeder sogenannter geistlicher Herren sey.

§ 52. Davon musten die Catholiquen selber überzeugt werden, denn wie der Franciscaner Bettel-Mönche zu mir sammlen kommen empfing ich sie nicht allein mit aller möglichen Freundlichkeit, sondern ich gab ihnen auch eine gute Verehrung in ihre Säckel, nicht eben deswegen, damit ich nach der christlichen Sitten-Lehre feurige Kohlen auf ihre geschorne Häupter sammlen möchte, sondern nur, um ihnen zu zeigen, daß ich kein solcher Unhold sey, wie mich ihr Prediger abgemahlet.

Meine Correspondenz, die damals ziemlich weitläufig war, beschäftigte mich um diese Zeit am meisten. Denn es wurden mir bald von diesen, bald von jenen, allerhand Fragen und Zweifels-knoten eingesandt, die ich dann nach dem Maße meines Lichts, manchmal ziemlich weitläuftig beantwortete. Unter andern waren einige Freunde in Quedlinburg, die sich an den Br. Cuhlmann machten, von dem sie meine Schriften bekommen hatten. Sie sandten demselben allerhand Bedencklichkeiten dawider ein, und dieser ließ sie an mich gelangen.

Ich beantwortete sie unter dem Titul: Quedlinburgisches Nachdencken, nach und nach, und kam, wegen anderer darzwischen kommender Arbeiten, erst in Neuwied den 9. Dec. 1744 damit zu Ende. Es ist aber diese Schrift eben so wenig, als verschiedene andere, worzu mir die Privat-Correspondenz Anlaß gegeben durch den Druck gemein gemacht worden.

§ 53. Ehe ich mich aber versahe, muste ich mich wieder öffentlich auf den Schau-Plaz zeigen. Denn eine kleine redlich gesinnte Geselschaft in Sorau (deren Namen und Aufenthalt mir damahls gänzlich verborgen gehalten wurden) sandte einen Brief an mich, der mir[423] Gelegenheit gab, die Begierde nach der vernünftigen lauteren Milch drucken zu laßen, welches noch im Jahre 1744 geschahe.

Der Druck dieser Schrift würde nicht erfolgt seyn, wenn der Verfasser derselben, der (wie ich lange hernach erst erfuhr) ein Leinwand-Drucker, Nahmens Hulde war, nur seinen Namen und Aufenthalt gemeldet hätte. Da dieses nicht geschehen war, und ich den guten Leuten gleichwohl, theils zu wissen thun wollte, daß ich ihren Brief bekommen theils ihrem brünstigen Verlangen nach mehreren Wahrheiten, nach meinem wenigen Vermögen zu statten zu kommen mich schuldig erachtete, wuste ich zu beyden keinen andern Weg, als den öffentlichen Druck.

Wenn sie nun, nach Erscheinung dieses Werckchens, hätten stille seyn, und verschweigen können, daß sie Gelegenheit zu Verfertigung desselben gegeben hätten, so würden sie sich, von Seiten der dortigen Clerisey keinen Verdruß zugezogen haben; So aber verriethen sie sich selbst, und kamen darüber in großes Gedränge, so daß sie (wo ich recht berichtet bin) alle die Stadt und das Land reumen müssen.

Dieser Verfolgung hätten sie können überhoben seyn, wenn Sie die Mäuler hätten halten und das, was ich Ihnen geschrieben hatte in der Stille vor sich behalten können. Worzu war es doch nöthig, daß eben ihre Feinde wissen mußten, daß sie Gelegenheit zu dieser Schrift gegeben hatten, konnten sie dieselben nicht beßer nuzen, wenn sie stille geschwiegen hätten? Doch die Menschen werden selten anders, als durch Schaden klug.

§ 54. Ungefehr um diese Zeit nahm mein ehemaliger guter Freund in Berlenburg der Hr. Docter Ludolff, der nunmehro Professor und Stadt-Physicus in Erffurth war, die Catholische Religion an. Nach meiner damaligen Stellung wollte mir diese Veränderung, die ich vor ganz unnöthig hielt, gar nicht in den Kopf. Ich äußerte mein Mißfallen gegen denselben in einem Briefe, und machte mir ein Gewissen die 50 Thaler, die Er mir jährlich zu meiner Nothdurft zuzuschleßen versprochen hatte, weiter von Ihm anzunehmen, und der heilige Eigensinn ging so weit bey mir, daß ich Ihm dieselben förmlich auf sagte.

Er antwortete mir aber ganz gelassen, daß mich seine Veränderung gar nichts angienge, und daß ich dieselbe nur lediglich seinem eigenen Gewissen überlassen sollte. Ich würde erfahren, daß Er in der Liebe gegen mich unveränderlich seyn würde. Er hätte mir die 50 Thaler einmal zugedacht, und die sollte ich auch haben, und mich übrigens um seinen Handlungen unbekümmert lassen.

Diese unvermuthete und gesezte Antwort erweckte bey mir ein[424] Nachsinnen, und es war, als wenn mich jemand fragte: Wilst Du denn scheel sehen, daß Gott so gütig ist? Oder gehet seiner Wohlthat etwas ab, wenn Er Dir dieselbe eben nicht durch lauter solche Knechte reichen läßet, die just so von Ihm dencken, wie Du denckest? Hast Du Gott wohl vorzuschreiben, durch wen Er Dir Deinen Unterhalt reichen lassen soll? Ist Er es nicht allemahl, von dem die Gaben kommen? Kann es Dir nicht gleich viel gelten, ob Er Dir dieselben durch einen Catholiquen, oder durch einen andern Religionsverwandten zuwerfen lassen will!

§ 55. Durch diese und dergleichen Gedancken wurde meine heilige Unfreundlichkeit nicht wenig beschämet, und der Rest der gehässigen christlichen Gesinnung, kraft welcher mit denen, die nicht in allen unserer Meinung sind, keine Gemeinschaft zu haben, bekam in der That einen Tod-Stoß, an welchen er auch nicht wieder aufkommen konnte. Der ehrliche Br. Ludolff bezeugte in der That, daß sein, mir gethanes Versprechen, nicht in blossen Worten bestund, indem Er mir, die aus freien Herzen zugedachten 50 Thaler, zwey bis drey Jahr redlich übermacht, und mir dadurch in der That, keinen geringen Liebesdienst erwieß.

Nach der Hand, da der gute Bruder unglücklich geheyrathet, mögen sich seine Umstände ziemlich verändert haben, so daß Er nicht mehr im Stande gewesen, mir sein Versprechen zu halten, weswegen Er auch, sich vor mir schämend, die Correspondenz bis auf diese Zeit abgebrochen, da Er, wie ich höre, nicht allein Chur-Mainzischer Hofrath und Leib-Medicus worden, sondern auch sein böses Weib, mit sammt den Kindern, durch den Tod loß worden seyn soll.

Er würde gar nicht nöthig gehabt haben sich vor mir zu verbergen, wenn Er mich recht gekannt hätte, indem ich mich sehr wohl zu bescheiden weiß, daß Er mir erstlich von Rechtswegen nichts schuldig ist, und dann, daß Er seines Versprechens quitt wird, so bald seine Umstände nicht gestatten wollen, selbiges zu halten. Der Allerhöchste Geber aller Güter vergelte indessen, sowohl Ihm, als allen meinen bisherigen treuen und lieben Wohlthätern, in Zeit und Ewigkeit, tausendfältig, was sie mir in diesem Leben Gutes gethan.

§ 56. Ehe die Religionsveränderung mit dem lieben Br. Ludolff noch vor sich ging, wurde ich durch ihn mit dem redlichen Br. Karpus11 bekannt, von dem ich in der Folge meines Lebens, noch sehr[425] vieles werde zu sprechen haben. Er hatte in Erfurth durch den Br. Ludolff meine Schriften auch zu sehen bekommen, und sie hatten das Glück, mir seine Neigung zu erwerben, ungeachtet sein Hr. Vater an einen angesehenen Orte General-Superintendent war und Er selber, ehe Er das Studium Medicum erwehlete, Theologiam studiret hatte.

Er entdeckte mir seine Neigung durch die zärtlichsten Zuschriften, und ließ ein besonder Vertrauen gegen mich blicken, von welchem ich damals noch nicht absehen konnte, was mir die Vorsehung damit sagen wollte. Genug ich drückte mich, in meinen Antworten an Ihn, so aus, daß seine Liebe gegen mich immer mehr und mehr zunahm. Er lebte damals in Erfurth in sehr bedrängten Umständen, die sich der gute Mann durch sein allzu offenherziges Naturell selbst zugezogen hatte.

Ein gemeiner Fehler guter Gemüther, wenn sie anfangen etwas beßres zu erblicken, als sie bisher gesehen. Sie meinen, die ganze Welt müsse gleich davon unterrichtet seyn, daß sie Mäuse-Dreck von Pfeffer haben unterscheiden lernen; sie fangen an, in öffentlichen Discursen wieder dergleichen Betrügereyen loßzuziehen, und damit kriegen sie die ganze hoch angesehene, und bey den Thoren alles noch geltende Krämerzunft auf den Halß, da sie doch billig bedenken sollten, daß sie sich in ganz andern Umständen befänden, als ein öffentlicher Schreiber, den die Vorsicht in die Umstände gesezt, daß Ihm der Wiederwille der Herren Himmel-Verkäufer nicht schaden kann.

Mein lieber Br. Karpus beging eben diesen Fehler in Erfurth, und gerith dadurch in solche Verlegenheit, daß Er Troz aller seiner Erfahrung und glücklichen Curen vor den Verläumdungen der Pfaffen nicht aufkommen konnte. Er war allenthalben vor einen Atheisten ansgeschrien, vor welchen die liebe Einfalt eher 100 Creuze machen, als Ihn zum Heyland annehmen mußte.

§ 57. In diesen bedrängten Umständen wendete Er sich an mich, und begehrte meinen Rath, Ich der ich damals noch an nichts weniger gedencken konnte, als daß Er mit der Zeit noch ein gesegnetes Werckzeug würde abgeben müssen, mich selber zu verbergen, wenn ich vor den bösen Geistern Gottes nicht mehr sicher seyn würde, rieth Ihm nach A zu gehen, und es daselbst auf Gott zu wagen. Er folgte, und es hat ihn nicht gereuet.

Beym Anfange unsrer Bekantschaft hätte wohl keiner unter uns nur muthmaßlich glauben können, daß wir einander noch so nahe kommen, und unter mancherley Schicksalen, doch eine ziemliche Zeit[426] tausenderley Ergötzlichkeiten mit einander theilen würden: Aber daraus siehet man eben, wie weißlich die Vorsicht zu unsern künftigen Schicksahlen vorzuspielen, und alles so zu veranstalten weiß, daß das, was sie mit uns vorhat, ohne Hinderniß von statten gehen muß.

Hätte mich der Br. Karpus nicht um Rath gefragt, was Er in seinen fatalen Umständen in Erfurth thun sollte, so würde ich nimmermehr auf die Gedancken gerathen seyn, Ihm anzurathen, daß Er nach A. gehen sollte. Wäre dieses nicht geschehen, was vor eine große Reihe von höchst merckwürdigen Begebenheiten meines Lebens würde nicht ganz anders haben eingerichtet werden müssen, wenn das hätte herauskommen sollen, was die Vorsehung mit mir vorgehabt. Wir wollen aber den lieben Mann noch eine Zeit lang an seinem Orte vergnügt leben lassen, biß wir Gelegenheit haben werden etwas mehreres von Ihm zu sprechen.

§ 58. Ich lebte nunmehro in Hachenburg recht ruhig unter dem Seegen, den mir Gott durch meine wenigen wahren Freunde zuwandte, ganz erwünscht, absonderlich da die unergründete Sorgfalt meines theuersten Bruders Benigni, je länger je mehr bemühet war, mir immer neue Freunde von seiner Art zu Wege zu bringen. Die Wenigkeit derselben zeuget von der großen Rarität dieser Kleinodien, die aber deßwegen um desto schäzbarer werden, je seltener sie anzutreffen, denn in ganz Berlin konnte er nicht mehr als drey finden, die seine Absicht, mir im Zeitlichen unter die Arme zu greifen, zu befördern Willens waren.

Diese waren nun anfangs außer Ihm der bereits oben gemeldete generöse Augustus, der unverfälschte Polydorus, und der damals mir noch ganz unbekannte, doch eine Zeitlang ganz angenehm wehende Zephyrus. Diese 4 verbunden sich zusammen mir monatlich, ein jeder vor sich, einen Reichs-Thaler zu meinem Unterhalt zu reichen. Die drey ersteren haben auch ihre Verbindung bis auf den Tag, da ich dieses schreibe, welches der 28ste November 1753 ist, redlich und unverbrüchlich gehalten. Der letztere aber blieb mit seinen erquickenden Lüftlein bald aussen, und Gott bescherte mir an dessen Statt, den dienstwilligen Gratiosum.

§ 59. Wie alle diese verehrens- und liebenswürdigen Freunde ganz ohne mein Gesuch mir zu meinem Beystande von Gott zugesandt wurden, also konnte ich sie auch mit weit besseren Rechte vor Engel, oder Boten meines Herren ansehen, als alle die unsichtbaren und meines Wissens mir nichts helfenden Gespenster, die ich in meiner[427] finstern Theologie, unter dem Namen der Engel, hatte glauben und halb und halb verehren müssen.

Wären dergleichen zu unserm Dienst und Aufwartung bestellte Geschöpfe, außer denen uns beistehenden Menschen, in der That, in der Natur der Dinge vorhanden, warum sollte uns doch ihr Schöpfer nicht das Vergnügen gönnen, sie zu seiner Verehrung, und unserer Freude näher kennen zu lernen, als aus dem Fabulhaften Geschwäz der Alten? Warum sollten sie, da sie sich in den alten finstern Zeiten so gemein mit den Menschen gemacht haben sollen, daß sie kein Bedencken getragen, bald wachend, bald im Schlafe mit Ihnen zu reden, mit Ihnen zu Schmausen und weite Reisen mit ihnen zu thun, nunmehro, da ihr würckliches Daseyn von vielen in Zweifel gezogen wird, so schüchtern seyn, daß sie sich nicht eben so wohl, als vor diesen, von den Menschen sehen lassen sollten?

Einen einzigen Menschen, der mir in meinen Nöthen beystehet, bin ich mehr Danck schuldig, als tausend unsichtbaren Engeln, von denen ich nicht weiß, ob sie sind oder nicht sind: Sind sie, warum sollen wir von ihrem Dasein nicht überzeuget werden, da solche Ueberzeugung ein großes zu verherrlichung der Majestät des Schöpfers beytragen könnte. Sind sie nicht, warum glauben wir ohne Grund, daß sie sind? Doch sie mögen seyn oder nicht seyn, so weiß ich zum wenigsten nicht, daß sie mir jemals nur den tausenden Theil so viel gedienet, als meine Freunde. Diese werde ich also so lange vor meine Engel halten, biß ich überzeuget werde, daß außer Ihnen noch andere Geschöpfe vorhanden, die diesen Nahmen mit mehreren Recht verdienen.

§ 60. Ungefehr um diese Zeit, kam der Br. Schneider, dessen ich schon mehr erwähnet, von Darmstadt nach Hachenburg. Wir waren über den ehrlichen Christoph Schütz, den er mir vor einen großen Adeptum anprieß, in Briefen etwas an einander gerathen, und ich will nicht leugnen, daß ich gegen diese Art von Menschen, die ich damals durchgehend vor Betrüger hielt, etwas heftiger loßzog, als ich wohl hätte thun sollen, indem ich weder von Br. Schneider, noch meinem leiblichen Bruder in Darmstadt, der mir auch etwas von diesen guten Mann geschrieben hatte, hinlänglich versichert war, daß sie sich zur Goldmacherey würden verführen laßen.

Genug ich glaubte (weil ich aus der Erfahrung wuste, wie mancher bereits auf diesem schlüpfrigen Wege verunglückt war) es sey meine Schuldigkeit meine Freunde, und insonderheit meinen leiblichen Bruder, nach besten Vermögen, vor einer so gefährlichen Sache zu[428] warnen. Es wurde mir aber von beyden guten Gemüthern sehr übel genommen, die Correspondenz abgebrochen, und der Br. Schneider, wie er nach Hachenburg kam, besuchte mich nicht einmal.

Es fügte sich aber, daß ich Ihn ungefehr einmahl auf dem Nister-Hammer beym Br. Erhart antraf, und daselbst erklärte ich ihm das Mißverständniß, so bisher zwischen uns obgewaltet hatte. Er war damit zufrieden, und wir wurden gute Freunde.

§ 61. Ich dachte nunmehro in Hachenburg als an einem noch ziemlich wohlfeilen, und mich nun nichts mehr hindernden Orte, nach der gnädigsten Vorsorge, die mein Schöpfer vermittelst meiner werthesten Freunde treuen Beystandes, vor mich getroffen hatte, mein Leben in Ruhe allda zu beschliessen. Allein diese Gedancken musten bald wie ein süßer Traum verschwinden, als daß Haus, welches ich bisher mit dem Br. Langenmeyer und der Schw. Schelldorfinn, in Miethe gehabt hatte, verkauft, und ich, nebst diesen meinen lieben Hauß-Genoßen genöthiget wurden uns um andere Quartieren umzusehen.

Sie, meine guten Haußgenossen, fanden endlich ein Loch, wo sie vollends ausgeräuchert werden konten, wann sie es noch nicht waren, denn die dasige Bau-Art schien eigentlich darzu eingerichtet zu seyn, das Fleisch bey lebendigem Leibe zu räuchern: Aber vor mich wollte sich in der ganzen Stadt kein Quartier zeigen, wo ich nur halbwege mit Gemächlichkeit hätte wohnen können. Ich wurde daher genöthigt meinen Stab abermal weiter zu sezen.

In der ganzen Nachbarschaft war kein bequemer Ort für mich, als Neuwied. Br. Langmeyer und die Schw. Schelldorfinn, die mich sehr ungern verlohren, suchten meinen Abschied zu verhindern, so viel sie konnten, und gaben sich alle Mühe, mir nur ein halbwege wohnbares Quartier zu verschaffen: Es war aber nicht möglich, und ich muste mich entschließen, eine Reise nach Neuwied zu thun, um zu vernehmen, ob das, von dort aus mir bereits vorgeschlagene Quartier, mir auch würde zu Theil werden können.

§ 62. Es mochte also ungefehr im Frühling des 1744sten Jahres geschehen, da Br. Langenmeyer und ich, uns zur Reise nach Neuwied fertig machten, und damals bekam mein Bart seinen Abschied. Ich legte mir eine Perruque zu und wurde denen, die mich noch nicht ohne Bart gesehen hatten, in dieser veränderten Gestalt, gantz unkenntlich. Absonderlich wolte die Jungfer Hönin, wie ich sie das erste mahl, nach dieser Veränderung besuchte, kaum glauben, daß ich es sey, wenn mich meine sonst gewöhnlichen Kleider nicht verrathen hätten.

Br. Erhart hatte diese schnelle Veränderung nicht von mir erwartet;[429] doch fand er nichts dagegen einzuwenden: Um aber nicht das Ansehen zu haben, als wenn er mir alles nachthäte, so agirte er noch eine Zeitlang einen Barbarossam, biß daß er endlich auch nach Neuwied zog, und auf einem dasigen Gräfl. Meyer-Hof, die Rhein-Au genannt, zu wohnen kam.

Mich betreffend, so machte die Vorsicht zu meiner nach Neuwied anzustellenden Reise, abermal sehr günstige Vorbereitungen. Es hatte sich nehmlich der Mund-Koch des Grafen von Neuwied, ein rechter feiner Mann, Namens Freund, vor Kurtzen mit mir bekannt gemacht, als er am Hachenburgischen Hofe eine Zeitlang die Stelle des Mundkochs vertreten muste. Wie er gehöret hatte, daß ich nach Neuwied reisen wolte, bat er mich, daß ich meinen Abtritt, daselbst in seinem Hause bey seiner Frau Schwieger-Mutter, der Madame Herbert nehmen möchte, weil sie mich auch gerne kennen lernen möchte.

§ 63. Es war mir diese Adresse um so viel angenehmer, weil ich ohnedem zu Neuwied niemand kannte, und nicht gerne in einem Wirthshause logiren wolte. Es muste sich aber zu meinem desto bequemeren Fortkommen fügen, daß er selber mit seiner Frauen, in einer bequemen Kutsche, nach Neuwied geholet wurde. Weil nun in derselben noch 2 Sitze ledig waren, so both er sie dem Br. Langenmeyer und mir an. Wir nahmen das Erbieten mit allen Freuden an, und fuhren also in dieser guten Gesellschaft bis auf das, zunächst am Hunefelder Wald gelegene Dörfchen, dessen Nahme mir entfallen ist.

Daselbst beurlaubten wir uns, weil wir uns vorgenommen hatten den Br. Kinet, einen Separatisten, mit dem wir durch Hönische Familie und den Br. Erhart waren bekannt worden, in seiner Einsiedeley zu besuchen. Er wohnte mitten in dem Hunefelder Walde auf einer verlaßenen Eisen-Schmeltz-Hütte, mit seiner Magd gantz allein in einer Gegend, wo Haase und Fuchs einander schon längst gute Nacht gegeben haben mochten, und die mitten in Deutschland ein kleines Siberien vorzustellen schien.

Man hätte dencken sollen, Er müste keine Nacht mit seiner Magd des Lebens sicher seyn, zumahl, da bekannt war, daß Er und sie von keinem Kirchen-Gehen und Sacramentiren etwas hielten: Allein die Leute in den dasigen Gegenden, sind zum Stehlen und Morden zwar eben nicht zu fromm, sondern zu faul, und daher geschahe es, daß dieser gute Mann, nebst seiner Magd und 2 Ziegen, in der tiefsten Ruhe und Stille, und in der That recht gemächlich lebte.

§ 64. Er war ein Kunst-Dreher seiner Profession, und machte Sachen, die werth gewesen wären, in großer Herren Kunst-Kammern[430] aufbehalten zu werden, ohngeachtet er kaum halb recht sehen konnte. Er empfing uns mit voller Freundlichkeit, bewirthete uns nach den Umständen seines Einsiedler-Zustandes recht wohl, und ich kan sagen, daß wir ungemein vergnügt zusammen waren.

Einfalt, Redlichkeit, Treuhertzigkeit, Freiheit und unverstelltes Wesen schienen ihre Residenz in dieser Wüsteney aufgeschlagen zu haben. Ruhe und Stille schienen sie zu bedienen, und die gantze umliegende Natur eine Freude an einem so glücksehligen Sterblichen zu haben. Wenn jemals ein Stand der Unschuld in der Welt gewesen ist, so hat Er nicht glücksehliger und unschuldiger seyn können, als der Stand dieses ehrlichen alten Einsiedlers.

Er war gar nicht ein Feind von Menschen oder zuläßiger Fröligkeit und Gemüths-Ergötzung, denn er liebte die Music, spielte eine gute Orgel, hatte aber in seiner Einsiedlerey mehr nicht als eine Zitter, mit welcher er uns des Abends einspielte, wie wir zu Bette gegangen waren. Wie er merckte, daß wir schlieffen, kroch er sachte zu uns, denn wir musten alle drey in einem Bette schlafen. Wir schliefen aber so vergnügt, als vielleicht kein Kaiser noch jemahls geschlafen.

§ 65. Des andern Tages, nach eingenommenen Frühstück geleitete Er uns durch den Wald, und brachte uns auf den rechten Weg nach Neuwied, welches nur noch 2 Meylen von dieser kleinen Barbarey lag, aber bey weiten nicht das Reitzende vor mich hatte, was diese hatte, ungeachtet es sonst einer Paradiesischen Gegend nicht ungleich sahe. So bald wir über die letzten Gebürge, die das Rhein-Thal von dem Wester-Walde scheydeten, herab in die Tiefe kamen, und die sogenannte Ale-Eck passiret hatten, war es, als wenn wir auf einmahl aus den Herbst in den Frühling kamen. Es wehete uns eine so warme Luft entgegen, daß wir bald anfingen zu schwitzen, und die angenehme Landschaft, in welcher wir uns nunmehro, nachdem wir das Dorf Ober-Bieber erreichet hatten, befanden, lud uns ein, nunmehro nicht mehr als Wandersleute fortzutraben, sondern als in einem angenehmen Garten spaziren zu gehen, und uns an der schönen Gegend mit Lob und Danck vor Gott zu ergötzen.

Wir hatten uns in Ober-Biber mit einem guten Trunck Wein erquickt, und dieser erfreuete unsere Herzen um desto mehr, je seltener Er an uns kam, und machte, daß wir den Rest unsers Weges recht vergnügt zurücklegten. Wir kamen ungefehr gegen Mittag zu Neuwied an, welcher Ort, da er ungefehr 70 Jahr erst gestanden hatte, freilich gegen das räucherichte Hachenburg, ein gantz ander und weit reitzender Ansehen hatte, und dem Br. Langenmeyer Appetit machte[431] sich bald nach mir auch dahin zu wenden, wenn Ihm Gott nicht aus dieser in eine andere Welt hätte reisen heißen. Damahls dachten wir beyde, an nichts weniger, als an diese Trennung, sondern suchten das Quartier auf, welches uns von dem Hrn. Freund war angewiesen worden.

§ 66. Deßen Fr. Schwieger-Mutter, die Madame Herbert, eine gebohrne Frantzösinn und Schwester des Sächsischen Obersten de Maffée, empfing uns sehr freundlich. Sie war nebst ihrem Manne (der aber schon eine ziemliche Zeit todt war) schon von langen Jahren her, eine eyfrige Separatistinn gewesen, freuete sich also mit mir bekannt zu werden, und bewirthete uns, nebst ihren beyden Töchtern, wovon die eine des Hrn. Freundes Ehe-Gattin war, recht wohl, ungeachtet sie in Religions-Sachen noch gar nicht so weit sehen konte, als ich, und deswegen manchen angenehmen Streit mit mir anstellete. Im Uebrigen waren wir recht wohl bey Ihr aufgehoben, und ruheten ein paar Tage gantz erwünscht aus.

Des andern Tages, nach meiner Ankunft, ging ich zum Grafen (dem ich schon in Hachenburg meinen Mosen hatte verschaffen müßen) und fragte Ihn, ob Er mir erlauben wolte in Neuwied zu wohnen? Er bewilligte mir solches gleich, doch bat er sich aus, daß ich mich stille halten, und mit den sogenannten Geistlichen keine Händel anfangen möchte. Ich berief mich sogleich auf meinen Hachenburgischen Berlenburgischen Wandel, nach welchem bekannt sey, daß ich keinem dieser Herren, an diesen beyden Oertern das Geringste in den Weg gelegt hätte. Daß ich aber nach meiner Einsicht, von Religions-Sachen schriebe, dies sey ja eine Sache, die mehr zur Befestigung der Religion gereichte, wenn man mich widerlegen könte, als daß mir, oder irgend einem andern Gelehrten, eine solche Freyheit könnte versagt werden.

Er lachte und sprach: Ja, wenn nur nicht zufälliger Weise Zänckereyen und Verbitterungen darauß entständen. Ich antwortete: Ich würde den Herrn Geistlichen keine Gelegenheit darzu geben, wenn sie mich selbst zufrieden laßen würden, welches ich auch redlich gehalten, so lange, bis sie der Kützel stach, ein Glaubensbekenntniß von mir zu sehen, welchen Fürwitz sie nunmehro genug bereuen, und diese Scharte bey ihren Glaubens- und Stiefbrüdern nimmermehr auswetzen werden.

§ 67. So bald ich die Erlaubnis vom Grafen hatte, in Neuwied zu wohnen, ging ich zu dem Mann, in deßen Hauß ich ziehen solte. Es war selbiges eines der nächsten mit am Schloße, und gehörte einem Mennisten, Nahmens Kintzing, der ein Tausend-Künstler[432] in der Mechanic, und sonderlich im Uhrmachen und Orgelbauen war. Man hatte Ihm von mir gesagt, und er mochte auch wohl etwas von mir gelesen haben, daher, als die Hachenburgische Herrschaft kurtz vor meiner Abreise von Hachenburg den Grafen von Neuwied, als dero Schwieger-Sohne besuchte, und ich damahls schon willens war, nach Neuwied zu ziehen, hatte mein Haußgenoße, der Cammer-Laquay Schröter (dem ich Commission gegeben hatte, sich in Neuwied nach einem guten Quartiere vor mich umzusehen) seiner Commission zufolge sich an Hrn. Kinzing gemacht, und das Ja-Wort zu einem bequemen Quartier schon halb und halb von Ihm erhalten.

Wie ich also zu Ihm kam, und meine Anfrage selber thät, freuete er sich, mich kennen zu lernen, und war alsofort willig mir eine recht saubere und wohlgebaute Stube und Kammer, vor 10 Reichsthaler jährlicher Miete und 6 Reichthaler vor Aufwartung zu überlaßen, und könte ich einziehen, wenn ich wolte. Ich fand an diesem Manne ein ehrlich und gut Gemüthe: Aber vor einen so großen Künstler, als er in der That war, hätte ich Ihn nimmermehr angesehen, denn er sahe gantz einfältig aus, und war doch ein Mann, der sowohl in der alten, als neuen Welt seiner Kunst wegen berühmt war.

§ 68. Das Einzige, was mir bey Ihm nicht anstund, war, daß ich sein Hanß allzulebhaft vor mich fand, und mir sehr wenig Stille, vor mich versprechen konte, denn er hatte damahls schon 5 Gesellen, nehmlich einen Uhrmacher und einen Tischler (wozu hernach, wie ich bereits eingezogen war, noch ein Schloßer und ein Orgelmacher kamen). Diese Leute hatten ihre Werckstatt gleich unter mir, und man kann leicht erachten, was sie für ein Getöse gemacht haben müßen, wovon ich doch damals noch den zehenden Theil nicht hören konte. Ich hatte mir also eine sehr unruhige Wohnung zu versprechen, deren ich bisher gar nicht war gewohnt gewesen.

Weil aber der Mann selber eine Liebe zu mir trug, ich auch, was die Wohnung an sich betraf, nicht leicht eine beßere in gantz Neuwied würde gefunden haben, so blieb es bey unserm Accord, und ich versprach, daß ich mit nächsten meine Wohnung mit Sack und Pack beziehen wurde.

Der angenehme und prächtige Rhein-Strohm, den ich längst gerne zu sehen gewünscht, lud den Br. Langenmeyer und mich zu einem Spatziergang an dessen Ufern ein, und wir bewunderten die glücksehlige Landschaft dieser Gegend, wo das Feld an vielen Orten, zugleich mit einen fruchtbaren Obst-Garten vorstellete, mit sonder vielem Vergnügen.[433]

§ 69. Es war bereits durch gantz Neuwied erschollen, daß der so seltsam beschriebene Edelmann angekommen sey: daher, als ich in mein Quartier, zur Madame Herbert kam, fand ich einen alten Kayserlichen Capitain, der sich in Neuwied gesetzt hatte, und auch ein Separatist war. Er hieß der Hr. von Buttelsberg, und ließ sich ohne sonderliche Umstände, gleich in ein Religions-Gespräch mit mir ein, indem er sagte, daß er meine Schriften auch gelesen, aber nichts von der Verloignung darin gefunden hätte.

Ich sahe ihn damahls das erstemal, es wurde mir aber gar nicht schwer zu erkennen, daß Er die Reinlichkeit und Sauberkeit verleugnet hatte, um einen heiligen Sau-Magen zu agiren, und die Frau Herbert hatte mir im Vorbeygehen nur so viel zu verstehen gegeben, daß Er ein Ertz-Geitzhals sey. Ich nahm daher Gelegenheit ihm das Capitel von der Verloignung ein wenig nach meiner Art zu erklären, und Ihm mit Kurtzen nur so viel zu verstehen zu geben, daß meine Schriften niemand aufgedrungen würden, und daß der Herr Capitain, wenn sie ihm nicht anstünden, dieselben nur ungelesen laßen könte.

Wie der Mann diese Gleichgültigkeit an mir sahe, und gar nichts von Ketzermacherischer Rechthaberey an mir gewahr wurde, so gewann Er eine Liebe zu mir, die mir hernach, wie ich völlig nach Neuwied kam, durch seinen öfteren Besuch, bisweilen beschwerlich wurde, und die ich ihm doch, ohne die Menschlichkeit und Leutsehligkeit zu verläugnen, nicht wohl abschlagen konte. Mit Kurtzen, er fand (wie er mir hernach gestund) etwas in meinem Gesichte, daß Ihm, als einem alten seyn wollenden Gesichts-Kenner, gefiel, und mir seine Neigung, die Er sonst nicht leicht jemanden zu schencken pflegte, zu wege brachte.

§ 70. Er hatte drey Kaysern gedient, und in der That mehr in der Welt erfahren, als ich, bildete sich auch ein, vieles in der Medicin und den geheimen Chymischen Wissenschaften zu besiegen. In der That aber bestund alles nur in der Einbildung, und der Geitz, der seine Hauptkrankheit war, machte ihn bey allen Leuten verächtlich. Demungeachtet äußerte er doch gegen mich einige Freygiebigkeit, wie ich nach Neuwied kam, indem er mir aus seinem Garten, nach Erheischung der Jahres-Zeit manch schön Obst schickte, und so lange ich in Neuwied war, mein beständiger guter Freund blieb.

Er hätte wohl gerne gesehen, daß Ihn meine dermalige Frau Wirthinn mit zur Abend-Mahlzeit genöthiget hätte: Allein Er wartete vergebens, und muste endlich Wohlstandes halber, aufbrechen. Die Frau Herbert war zwar nichts weniger als geitzig: aber sie war[434] nicht im Stande, Leute, die mit der Kranckheit des Geitzes behaftet waren, um sich zu leiden. Dahingegen der Hr. Capitain eben keinen Abscheu vor freygebigen Leuten hatte.

Beyde gute Leute waren würcklich nach ihrer Art fromm und man konte keines unter ihnen, grober und gemeiner Christlicher Laster beschuldigen; denn obschon der Hr. Capitain, als mit dem Geitz beseßen, eben nicht die beste Ehe führete und die Fr. Herbert, als gar zu weichmütig, nicht die beste Kinderzucht, so waren sie doch weder Betrüger, noch Schulden-Macher, noch sonst auf andere Weise ihren Mitbürgern beschwehrlich, sondern ein jedes lebte in der Stille vor sich, so gut es konte, und that wißentlich niemand etwas zu leyde.

§ 71. Ich sahe aus diesen allen, daß ein jeder Mensch seine gute und schlimme Seite habe, und daß man um in der Welt fortzukommen, es mit niemanden verderben, sondern einen jeden, so viel möglich, nach seiner Beschaffenheit tragen lernen müße, weil ein jeder zu seiner Zeit nutzen oder schaden kan. Man kan diese Lebens-Regul nicht genug anpreisen: Und ob man wohl sagen möchte, daß ich, zufolge derselben, es auch nicht mit den Pfaffen hätte verderben müssen, so dienet doch zur Antwort, daß keine Regul ohne Ausnahme sey, und daß man, um es mit niemand zu verderben, sich unmöglich entbrechen könne, es mit denen zu verderben, die das ganze Menschliche Geschlecht, blos um ihres Ansehens und Nutzens willen, schon im Mutterleibe zu verderben, und zu Greueln in den Augen Gottes zu machen suchen.

Dergleichen Leute sind auf gewiße Maaße, als Feinde des Menschl. Geschlechts zu betrachten, und man kan es unmöglich Umgang haben, daß man es nicht mit ihnen verderben solte, sobald man sich mercken läst, daß man sie kennet, und sich ihrem Joche zu entreißen sucht. Viele, ja wohl die meisten unter Ihnen, wißen nicht, daß sie so gefährliche Persohnen vorstellen; ja sie bilden sich im rechten Ernste noch ein, daß keine nützlichere Persohnen in der Menschlichen Gesellschaft wären, als sie. Und in Ansehung dieser, bey manchen fast unüberwindlichen Verblendung, muß man freilich, wenn man mit Ihnen zu thun bekommt, die Billigkeit ins Mittel treten laßen, und einen Unterscheyd machen, zwischen ihrem Amte und ihren Persohnen. Diesen, muß man, als Menschen, auch die allgemeine Menschen-Liebe wiederfahren laßen: Aber, weil sie in Kraft ihres heillosen Amtes, gantz andere Menschen vorstellen müssen, als sie von Natur sind, und zufolge deßelben gehalten sind, Gott und Menschen, aufs gröbste zu belügen und zu betrügen; so verbindet uns auch die[435] Pflicht, die wir uns selbst und unsern Neben-Menschen schuldig sind, so viel möglich zu verhindern, daß dieser Betrug nicht allgemein werden könne; und da kan es wohl unmöglich anders seyn, es müßen diejenigen, die etwas dergleichen, zum allgemeinen Nutzen wagen, es nothwendig mit denenjenigen verderben, die mehr auf ihren eigenen Nutzen sehen, als auf die Glücksehligkeit ihrer Neben-Menschen.

§ 72. Es ist aber unstreitig beßer, es, als ein ehrlicher Mann, nur mit einer gewißen Gattung von Menschen verderben, als mit dem gantzen Menschlichen Geschlechte, das einen gegründeten Anspruch auf unsere Treue und Redlichkeit hat, und wenigstens soviel Ehrlichkeit von uns vermuthen muß, daß, wenn wir nicht allemahl im Stande sind, zu verhindern, daß es nicht betrogen werde, wir dennoch uns nicht mit darzu gebrauchen laßen, es mit zu betrügen, welches unfehlbar geschehen würde, wenn wir nicht nur immer stille schweigen wollten, wenn wir sehen, daß es betrogen wird, sondern auch die Sachen der Betrüger noch mit beschönigen hülffen.

Die letztere Aufführung kann mit dem Character eines ehrlichen Mannes unmöglich bestehen: die erstere aber (nehmlich daß einer zu Dingen, die er zwar als Betrug einsiehet, sich aber zu schwach findet, denselben zu entdecken, still schweiget) benimmt Ihm nichts an seiner Ehrlichkeit, weil er nicht kan, wie er gern wolte, von der Ehrlichkeit allein nicht leben kann, und unweißl. handeln würde, wenn er sich durch seine unzeitige Offenhertzigkeit selber mehr Schaden thun wolte, als er andern Menschen Nutzen schaffet.

Ich habe diesen Fehler selber an mir gehabt; deßwegen hat Gott in dem Wachsthum meiner Erkänntniß sehr langsam und stufenweiß mit mir gehen müßen, ich würde sonst, wenn ich gleich anfangs das erkannt hätte, was ich nach und nach zu sehen bekommen, unmöglich unter meinen Neben-Menschen haben fortkommen können. Selbst diejenigen, die nunmehro meine besten Freunde sind, würden mich zur selben Zeit nicht haben tragen können, und ich würde tausendmal mehr geschadet, als genutzet haben.

§ 73. Zwar weiß ich wohl, daß mir meine Herren Gegner durchaus nicht zugestehen, daß ich mit meinem Vortrage, nur das Mindeste, sowohl mir, als meinen Neben-Menschen genutzet. Vielmehr haben sie bis diese Stunde, noch nicht aufgehöret, den Schaden zu beseufzen, den ich durch meine Schriften angerichtet (wovon ich, zu seiner Zeit, dem Leser eine kleine Probe aus des Hrn. Neumeisters Psalmen und Liedern lesen laßen werde). Allein, was das Erste, nehmlich den Nutzen betrift, den theils ich selbst, theils meine Neben-Menschen, durch meine Arbeit erhalten, so wird wohl niemand[436] beßer davon urtheilen können, als wir selbst, die wir wißen, wie weit sich unser Nutz erstreckt, und was das Letzte, nehmlich den Schaden anbelangt, den ich zugleich mit durch meine Schriften gethan, so bin ich denselben gar nicht in Abrede. Denn die Natur der Dinge bringet es nicht anders mit sich. Wenn ich mir mein Eigenthum wieder erwerbe, so muß der, der mir theils mit List, theils mit Gewalt entwendet, nothwendig dadurch Schaden leyden: Es muste aber ein seltsam Recht seyn, das einen solchen Schaden misbilligen solte.

Vernunft, Verstand und Sinne sind Eigenthümer, die mir mein Schöpfer zu Beförderung meiner Glücksehligkeit anvertrauet. Ich bin, ehe ich noch einen rechten Gebrauch von diesen unschätzbaren Gütern zu machen wuste, unter die Mörder gefallen, die mich derselben, so viel an Ihnen war, gäntzlich zu berauben gesucht, und mich nicht etwa nur halb todt liegen laßen, sondern gar einen dreyfachen Tod über mich geschickt, der mir ihren Vermuthen nach, das Aufstehen wohl auf ewig hätte verwehren können. Der Liebhaber des Lebens ermannte mich wieder, und half mir, nach einer hartnäckigten Gegenwehr, endlich die beyden gefährlichsten von diesen Toden glücklich in den Sieg verschlingen, und gesellete mir den dritten, als meinen besten Freund, und endlichen Vertilger aller meiner Verdrüßlichkeiten zu.

§ 74. Kaum war ich auf die Art ein wenig zu mir selber gekommen, so wurde ich gewahr, daß noch unzehlige meiner unschuldigen Neben-Menschen, auf eben die Art, wie ich, waren zugerichtet, und ihrer besten Schätze beraubet worden, die meisten derselben schienen mir würcklich todt zu seyn, wenn ich nicht gesehen hätte, daß sich einige unter den Händen ihrer Mörder, die sie durch dick und dünn schlepten, bisweilen noch ein wenig gereget hätten.

Wie dieser Unglücksehligen ungleich mehr waren, als der Mörder selbst, und diese folglich unmöglich alle mit sich fortschleppen konnten, also geschahe es, daß sich viele, unter denen auch ich mit war, vermittelst der guten Natur, die uns der gütige Schöpfer verliehen hatte, wieder ermunterten, und sich entschloßen, wenn wir nichts mehr thun könnten, doch den Mördern das Unsere wieder abzujagen. Wir überfielen sie also, in ihrer grösten Sicherheit, ja sie gaben uns selbst Gelegenheit darzu, indem sie uns auf die bitterste Art verspotteten, und uns aufstehen hießen, unsere Kräfte an ihnen zu probiren.

Es gelang uns, wir eroberten das Unsere, und ließen sie über den Schaden, den wir ihnen gethan hatten, weheklagen, so lange[437] sie wolten. Diese Weheklagen geben also, unser Wohlverhalten klärlich genug zu erkennen, ja die Anstalten, die wir sie, zu Beybehaltung der elenden, die sie noch unter ihrer Gewalt haben, machen sehen, versichern uns, deutlich genug, daß ihnen bey dem gantzen Handel, eben nicht gar zu wohl zu muthe seyn müße. Wir überlaßen sie aber ihrem weitern Schicksahl, und wenden uns wieder zu unserer Erzehlung.

§ 75. Ich begab mich, nach freundlich genommenen Abschied von meiner gutthätigen Wirthinn endlich mit dem Br. Langenmeyer wieder nach Hachenburg, allwo ich nun ungesäumt meine Sachen zusammenpackte, bey dasiger Herrschaft danckbarlich Abschied nahm, und unter Gottes Geleite glücklich nach Neuwied fuhr.

Ich war sobald nicht allda angelangt, so ging die Sorge wegen meiner Beköstigung an, denn da ich nunmehro gantz allein war, und niemand hatte, der mir zur Hand ging, so wuste ich in der That nicht, wie ich mir in diesen Puncte helfen solte. Endlich erbarmte sich mein Wirth über mich, und nahm mich bis zu weiterer Veranstaltung, auf einen Monath in die Kost, nach dessen Verlauf fügte sichs, daß der Br. Schneider von Hachenburg nach Neuwied zog. Weil dieser nun eine Frau und eine Magd hatte, und im Anfange vor seine Mahler-Profession an diesen kleinen Orte eben nicht viel zu verdienen fand, so dachte ich Ihm einen Gefallen zu erweisen, wenn ich mich bey Ihm in die Kost verdingete.

Er wolte ohnedem Geld von mir lehnen, welches ich vielleicht langsam, oder gar nicht würde wiedergekricht haben, und also bewilligte er halb gern und halb ungern, daß ich es mit der Kost bey ihm versuchen solte: Wir wurden einig, daß ich wöchentlich, wo ich mich recht besinne, 2 Gulden vor meine Kost bezahlen solte, und ich gab ihm dieses Geld, damit er sich in der Wirthschaft helfen möchte, gleich auf 2 Monathe voraus.

§ 76. Im ersten Monathe war ich noch so ziemlich mit meiner Kost zufrieden, nach gerade aber wurde sie immer schlechter. Seine Frau sonderte sich, unter vorgegebenen Unpäßlichkeiten wegen ihrer Schwangerschaft, nach und nach vom Tische. Er selber speisete nur zum Spectacul mit mir, und wenn ich weg war, oder auch wol, ehe ich noch zu Tische kam, thaten sie sich beyde (wie ich von der Magd erfuhr) vor meine Gelderchen was zu gute: Mich aber speiseten sie alle Tage kahler ab.

Ich unterließ zwar nicht, deßwegen mit Freundlichkeit und Ernst Vorstellung zu thun: Allein ich richtete nichts aus, und war endlich roh, daß die 2 Monathe, die ich voraus bezahlet hatte, bald zu[438] Ende liefen, worauf ich anfing, mich selber zu beköstigen. Diß Geschäfte zerstreuete mich ungemein, und hatte doch weder hinten noch vornen ein Geschicke. Denn bald fehlete es an nöthiger Geräthschaft, bald an der Zeit, bald an genugsamer Wissenschaft, die Speisen gehörig zuzubereiten, bald an hinlänglichter Gedult, bald sonst an was, so daß ich in diesem Puncte recht übel daran war. Ich12


Edelmann fand in Neuwied bald wieder Veranlassung mit einer Schrift hervorzutreten. Der Graf wurde durch das Consistorium bewogen ein schriftliches Glaubensbekenntniß von Edelmann zu fordern. Dieser erklärte dies zwar für unnöthig, da seine Ansichten Jedermann in seinen Schriften vor Augen lägen, aber man fand dies zu »weitläuftig« und verlangte ein Glaubensbekenntniß in aller Kürze, das aber nicht durch den Druck veröffentlicht werden sollte. Edelmann überreichte dies, wie er sagt, am 14. Sept. 1745 der hohen Obrigkeit und gelobte, es weder jemand abschriftlich mitzutheilen noch sonst unter die Leute zu verbreiten. Dies Versprechen, behauptet Edelmann, so streng gehalten zu haben, daß auch seine besten Freunde es nicht zu sehen bekamen. Allein die Gegner waren nicht so gewissenhaft und weil die Abschriften alle Tage schlimmer wurden, so glaubte Edelm. es sich selbst schuldig zu seyn, das Glaubensbekenntniß in seiner wahren Gestalt und zwar mit ausführlichen Anmerkungen herauszugeben. Dies geschah 1746. Edelm. sah sich in Folge dessen veranlaßt, Neuwied zu verlassen und sich eine Zeitlang verborgen zu halten, denn es wurden das Glaubensbekenntniß nebst dem Moses mit aufgedecktem Angesicht, wozu später noch die Epistel St. Harenbergs kam, als gottlose Schriften verboten und confiscirt und Edelm. mußte selbst fürchten persönlich vom Kaiserlichen Fiscal belangt zu werden, obgleich das wie alle Reichssachen einen langsamen Gang ging und das Decret erst 1750 zum Vorschein kam. Das Decret ward in Frankfurt a.M. durch öffentliche Verbrennung unter großen Solennitäten vollzogen. Bis zum Ende dieses 1746 Jahres hielt Edelm. sich bei mehreren seiner Freunde in verschiedenen Ländern auf, nahm die Richtung nach Norddeutschland und hat wohl schon gleich sein Auge auf Altona gerichtet.[439] Aus Edelm. Schrift, das Evangelium St. Harenbergs genannt, wissen wir, daß er sich in Liebenburg, einem Hildesheimischen Orte unweit Goslar 2 Nächte und anderthalb Tage aufgehalten hat, und zwar bei der Sand'schen Familie, deren Haupt auch Dippel beherbergt und den Edelm. einen redlichen, nunmehro in Gott ruhenden Bruder nennt. Darauf treffen wir Edelm. im Braunschweigischen an, wo er nach dem von Pratje mitgetheilten Briefe des Past. Wolff vielen Anhang hatte, der sich aber des Hofes wegen heimlich halten mußte. In den Anmerkungen zu Pratje heißt es, daß Edelm. weder dort in Braunschweig, noch überhaupt einen Anhang habe, weil er kein Oberhaupt einer Kirche oder Secte seyn wolle, sondern seinen Freunden, deren er nicht viel über ein Dutzend haben möchte, alle Freiheit im Denken lasse. Dieses Dutzend Freunde bezieht sich offenbar auf die Uebereinstimmung in den Ansichten, da sie der Gemeinschaft der Gläubigen gegenüber gestellt werden; persönliche Freunde wie Br. Langenmeyer hat Edelm. mehere gehabt. Von Braunschweig reiste er durch das Holsteinische nach Glückstadt. Dazu heißt es in den Anmerkungen bei Pratje p. 33. »In Glückstadt ist Er nie gewesen, sondern weil Er sich in der Stadt, in welcher Er sich damahls befand, wie er das Evang. St. Harenb. schrieb, mitten unter seinen Feinden, in glücklichen Umständen befand, so nannte Er diesen Ort Glückstadt.« Hiernach kann unter Glückstadt entweder Altona oder Hamburg verstanden werden. Es möchte sich zwar zwischen beyden nicht ganz bestimmt entscheiden lassen, doch spricht für Altona, daß wir wissen, er habe dort wenigstens um Ostern seine Herberge, wie er es nennt, gehabt, ferner daß der Verfasser der Anmerkungen zu Pratje dessen Angabe, Edelmann sey von Glückstadt nach Altona gekommen, als falsch unterstreicht, endlich daß Edelmann, so oft er auch in seiner Autobiographie Hamburg nennt, doch nie sagt, daß er dortge lebt habe; auch findet sich keine Spur von einem Freunde, bey dem er der Tradition zufolge gewohnt haben sollte. Dagegen scheint er freilich häufig von Altona nach Hamburg gekommen zu seyn. Von seinem Aufenthalt in dieser Gegend sagt der Hamburger Senior Friedr. Wagner in seiner Schrift »die Wahrheit und Göttlichkeit der h. Schrift etc. 1748.«: »Zwar ging hier im vorigen Sommer die Rede, daß er (Edelmann) sich in unserer Nachbarschaft in Altona aufhielte, wobey man endlich leicht vermuthen konnte, daß er sich auch bisweilen in unserer Stadt herumschleichen würde; Jedoch ward man übrigens hier nichts von ihm gewahr, bis er selber nun hinterher in seinem sogenannten Evangelium St. Harenbergs angeführt, daß er unsern großen Brockes nach[440] seinem seligen Ableben mit in seine Gruft begleiten helfen, und also im Anfange vorigen Jahres im Januar mußte hier gewesen seyn, davon vorhin niemand nur etwas gewußt.«

Als Wohnsitz wußte sich Edelmann auch immer einen solchen Ort auszusuchen, wo Sectenfreiheit Statt fand und die Hamburger Orthodoxie mag er wohl von Anfang an gescheuet haben, obgleich auch hier der Geist des Unglaubens sich regte, der dann freilich nicht eben auf liebevolle Weise besiegt ward. So erzählt Edelmann in der noch ungedruckten andern Epist. St. Harenbergs p. 33. indem er sich aufhält über einen Gott in der Wiege, einen jungen Gott, einen wachsenden Gott etc.: »denn Sie dürfen nur des Hrn. Erdmann Neumeisters nöthige und treugemeinte Erinnerung an die werthe Gemeine zu St. Jacob nachschlagen, die Er Anno 1744 zur Vertheidigung seiner, am ersten Sonntage nach Epiphanias in Hamburg gehaltenen Predigt herauszugeben genöthiget worden: Da werden Sie diese schönen Sächelchen alle beysammen antreffen, und zugleich aus des Hrn. Neumeisters eigenem Munde gleich p. 1. vernehmen, daß sich verschiedene nachdenkende Gemüther seiner Gemeinde, die Er zwar von Amtswegen naseweise Richter, verläumderische Mäuler, alberne Stümper, und dergleichen nennet, dergestalt an dieser seiner Predigt geärgert, daß sie sich nicht eben enthalten können, öffentlich zu sagen: Er habe Gotteslästerlich gepredigt und gräuliche Dinge vorgebracht, ja wohl gar Vier Götter gelehret. Er hätte sich nun selbst zum Ketzer gemacht, und möchte andere nur zufrieden laßen.« Dieser antiorthodoxen Richtung, moralischen Bestrebungen nachgehend, fern von jeder entschiedenen christlichen Färbung folgten die Zeitschrift »der Patriot«, ferner die Dichter Brockes, Hagedorn und Richey, doch waren diese so fern von jedem Angriff auf die Orthodoxie, daß die Differenz damals nicht einmal bemerkt ward, so daß, als Edelmann sich auf Brockes berief, dies als eine Entstellung angesehen und bekämpft ward. Von der Obrigkeit in Hamburg wurde schon 1747 am 27. Januar, also in der Zeit als Edelmann sich in dieser Gegend aufhielt, nach dem Protocoll des Ministeriums Edelmanns Glaubensbekenntniß confiscirt und bei 100 Thaler Strafe verboten, ein Exemplar davon zu verkaufen. Noch in demselben Jahre am 13. März wurde den Zeitungsschreibern bei Verlust ihres Privilegii, auch anderen willkürlichen Strafen anbefohlen, sich in Artikeln von gelehrten Sachen der Recensirung ärgerlicher, zumal wider die christliche Religion lautender Bücher gänzlich zu enthalten. Auch die Prediger in Hamburg suchten auf den Kanzeln und in ihren Schriften die Glieder ihrer Gemeinden vor Verführung durch Edelmann zu schützen.[441] Einer der ersten scheint Joh. Heinr. Schubart, Archidiaconus zu St. Michaelis gewesen zu seyn. Unter dessen 3 letzten Predigten, die Neumeister herausgab, handelte die 2te von dem göttlichen Beistande wider die Versuchungen unserer geistlichen Feinde. Neumeister nimmt in der vom 12. Mai 1747 datirten Vorrede Gelegenheit nachdrücklicher gegen Edelmann zu warnen, weil auch er wisse, wie einzelne Gemeindeglieder Anstoß an seinen Schriften genommen, er erwähnt, daß Einer, von Edelmann veranlaßt, ihm seine Zweifel gegen die im Buch Hiob über Gott ausgesprochenen Ansichten mitgetheilt habe, die er zu beseitigen sucht. Hier heißt p. 4. »Ich habe wohl Dippeln aus billigem Eifer den Erstgebohrnen des Satans genannt; Wiewohl im Vergleich mit diesem eingefleischten Teufel konnte er wohl ein Engel heißen;« und p. 6. »da ich dieses schreibe, ist mein Vorsatz gar nicht, den unseligen Edelmann zu widerlegen. Es würde auch vergebliche Arbeit seyn, da er die Göttlichkeit der heil. Schrift schlechterdings läugnet. Denn womit könnte ihm sonst das Maul gestopfet werden? Und ob man ihn gleich überzeugete, welcher Gestalt er ihm selber vielfältig widerspräche, was würde es bey den durchaus verstockten und zur Verlästerung der Göttlichen Wahrheit ganz verkauften Menschen fruchten? Ich überlasse ihn demnach dem gerechten Gerichte des langmüthigen Gottes, weil ihm noch kein Lästerer entronnen ist. Kan er noch bekehret werden, will ichs ihm von Hertzen wünschen«13.

Edelmann stand übrigens mit Neumeister noch in besondern Beziehungen. Schon oben in der Autobiographie ist auf einen Brief Edelmanns an Neumeister hingewiesen; in der so eben angeführten Stelle aus der andern Epistel St. Harenbergs p. 34. heißt es unmittelbar darauf: »Anstatt daß nun der ehrliche Mann (Neumeister), den ich als einen alten Freund meiner seligen Eltern aufrichtig liebe, und in seinem Theil vor redlicher halte, als alle pietistischen Heuchler, ein dergleichen in der That gegebenes Aergerniß hätte erkennen und seiner lieben Gemeine dieserwegen öffentlich Abbitte thun sollen, fällt er durch diese seine sogenannte treu gemeinte, aber in der That schlecht überlegte Erinnerung immer tiefer in den Irrthum etc.«

Zu Edelmanns Freunden in Hamburg gehörte außer jenem in der Autobiographie Theil II. § 206. von ihm sogenannten Br. Fructuosus, auf dessen Brief vom 13. Sept. 1738 Edelmanns Schrift »die Göttlichkeit der Vernunft« vom 25. Septemb. 1738 die Antwort enthält, dessen wahren Namen wir aber nicht wissen, der darmstädtische[442] Hofrath R.J. Fr. Schmidt, Dr. Med., der in seinem Alter in Hamburg gelebt hat und dessen Vermächtniß an die Stadt-Bibliothek Hr. Professor Petersen in seiner Geschichte derselben anführt. Wir haben auch diesen Hofrath Schmidt schon oben kennen gelernt Theil II § 181.

Fußnoten

1 Das Bruchstück vom 3ten Theil der Lebensbeschreibung findet sich zwischen mehreren Aufsätzen Edelmanns und zwar ohne Ueberschrift, nur einige leere Seiten vor dem Anfange steht unten: 3ter Theil.


2 Der Herr Hofrath v. Loen hat ein Urtheil über Edelmanns Glaubensbekenntniß gedruckt. Der Inhalt dieses Urtheils sagt Pratje (193, rectius 209) ist: »Edelmann bringt nichts neues vor, und redet von Christo und seiner Religion so verächtlich, daß er nicht wehrt ist in einer wohlbestalten christlichen Republik geduldet zu werden.« Dazu fügen die handschriftl. Anmerk. hinzu: »Der Hr. von Loen, der sonst in seinen Schriften so viel von der Liebe und Tragsamkeit zu schwatzen weiß, scheint sein Bedencken über Edelmanns Glaubensbekenntniß gantz ohne Bedencken gegeben zu haben, denn Er hat sich am aller unholdesten und unverträglichsten gegen E. aufgeführet, und sein unbedachtsames Urtheil über Ihn, wird durch den öffentlichen vierjährigen Aufenthalt Edelmanns, in einer wohlbestalten christlichen Republick, vor den Augen aller billigen und vernünftigen Menschen dergestalt zu Schanden gemacht, daß Er was großes darum schuldig seyn sollte, wenn Er es wieder zurücknehmen konnte.


3 Die handschriftl. Anmerk. bei Pratje p. 208 sagen: »Das Bedencken der dreyen Politicorum über E. Glaubensbekenntniß hat E. längst beantwortet und würde es dem Druck auch längst übergeben haben, wenn Ihm nicht wäre verboten worden, sich weiter in Schriften gegen seine Herren Gegner zu wehren etc.« Edelmann durfte in Berlin nichts drucken laßen. Einer der 3 Politici ist Herr von Loen.


4 Nach S.I. Baumgarten Nachrichten von merkwürdigen Büchern Bd. I. p. 115. versteht Lilienthal Theolog. Bibliothek Bd. I.p. 342 darunter das Buch: the world unmasked die entlarvte Welt, Andere verstehen darunter das système des anciens etc. und diese letztere Ansicht ist die richtigere. Das Werk wird von Einigen der Maria Huber, von Andern dem Franz Ludw. Muralt zugeschrieben. Diese XIV lettres sind ins Deutsche übersetzt und herausgegeben zu Helmstedt 1748.


5 Soll heißen verkauft sey.


6 Das verschweigt Edelm. daß dem Christen der heilige Geist zu Theil wird, der ihn heiligt, das Verdienst fällt freilich weg.


7 Tacit. Ann. XV. 44.


8 Auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird es beßer mit ihnen werden.


9 Apocal. 7, 4 aus der Epistel aller Heiligen. »Und ich hörte die Zahl derer, die versiegelt wurden: 144,000, die versiegelt waren von den Geschlechtern der Kinder Israel.


10 Regnum Ivetotii war ein kleines freies Ländchen in der Normandie Dep. der untern Seine, aus 17 Kirchspielen bestehend, es gehörte seit 1711 dem Hause Albon Forgeau, die Besitzer nannten sich Prinzen von Ivetot, früher sollen sie Könige gewesen seyn.


11 Es ist der Dr. Kunad, bei dem sich später Edelm. in Altona aufhielt. Der Vater Andreas Kunad war General-Superintendent in Eisleben und starb 72 Jahr alt in Eisleben 1746.


12 Hier bricht die Autobiographie Edelmanns ab. Ich werde die übrigen Begebenheiten seines Lebens, so viel wir davon wissen, dem Leser aus einem Vortrage mittheilen, den Hr. Prof. Petersen hier in Hamburg vor einiger Zeit gehalten und mir gütigst zur Benutzung überlassen hat. Ich habe nur den ersten Abschnitt in Bezug auf die Form verändert, da die verschiedenen Verhältnisse des Aufsatzes zu dieser Biographie auch eine verschiedene Stellung verlangten, das Material aber auch dieser Periode verdanken wir dem Hrn. Prof. Petersen


13 cf. Hamburger Berichte 1747. Nr. 41 p. 321.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 443.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon