Die Verfasserin

an ihre Leser und Leserinnen.

Ich liebe die Jugend von ganzem Herzen, und wenn ich ihr irgend einen Dienst zu leisten vermag, wenn ich ihr irgend worin nützlich sein kann, so ergreife ich die Gelegenheit dazu mit eben so viel Eifer als Vergnügen. Ueberdieß ist die Jugend dankbar, das heißt, die wirkliche, nicht schon vor der Zeit abgenützte Jugend, die in unsern Tagen leider fortwährend häufiger wird.

Mit zwanzig Jahren ist das Herz noch gut, die Seele noch rein, und wenn man jungen Leuten Dienste leistet, verpflichtet man keine Undankbaren.

Täglich sehe ich junge Mädchen, welche aus der Pension treten, junge Männer, welche die Schulen verlassen oder von der Universität kommen. Die Erstern sind sechszehn, siebenzehn Jahr alt, die Letztern zwanzig oder wenig darüber, und ihre Eltern oder Verwandten führen sie in die Welt ein, das heißt, sie stellen sie in den Gesellschaftskreisen ihrer Bekanntschaft vor.

Diese unglücklichen jungen Männer sind mit Griechisch und Latein vollgestopft. Sie können eine Aufgabe der Algebra lösen, verstehen es, allerhand regelmäßige und unregelmäßige Körper ihrem Inhalte nach zu berechnen, und messen noch manches Andere! Die jungen Mädchen sprechen italienisch, englisch, wohl auch deutsch und vielleicht sogar russisch; sie spielen Clavier, singen, tanzen und besitzen mancherlei Fertigkeiten. Aber die Einen wie die Andern wissen sich nicht zu benehmen, wenn sie in einen größern Gesellschaftskreis treten, sind oft sogar unbeholfen, linkisch, und machen sich lächerlich. Und wenn auch das weibliche Geschlecht in Folge der besondern Richtung seiner Erziehung einen großen Vortheil vor dem männlichen besitzt, so fehlt doch auch ihm in der Regel noch sehr viel an gesellschaftlicher Bildung, wenn es den ersten Schritt in die Welt thut, das heißt, in die Gesellschaft, in der zu leben und sich zu bewegen es durch Geburts- oder Familienverhältnisse bestimmt ist.

Indem ich nun diesen Unerfahrenen meinen Rath ertheile, wende ich mich zuerst an mein eigenes Geschlecht und rufe den jungen Mädchen zu:

Seien Sie bescheiden, seien Sie schüchtern; glauben Sie nicht, daß ein schüchternes und ein linkisches Benehmen gleichbedeutend seien. Vielmehr ist die Schüchternheit für ein junges, eben erst in die Welt tretendes Mädchen eine Zierde, das linkische Wesen aber eine Lächerlichkeit. Halten Sie für gewöhnlich die Augen gesenkt und bleiben Sie, so viel als möglich, in der Nähe Ihrer Mutter oder derjenigen Verwandten, durch welche Sie in die Gesellschaft eingeführt werden; denn von dieser haben Sie die besten Lehren zu erwarten; diese wird Ihnen den Schutz gewähren, dessen Sie gegen Neid und Spottsucht bedürfen, bis Sie durch eigene Erfahrung die nöthige Sicherheit erlangt haben.

Fliehen Sie die Gesellschaft der jungen Frauen und halten Sie sich vielmehr zu den ältern Damen, selbst[2] wenn sie unter den Ersteren Jugendfreundinnen oder Pensionsgenossinnen haben sollten.

Vermeiden Sie alles Kindische, wohin natürlich auch die Liebe für Ihre Puppe gehört, welche mit dem Eintritte in die Welt unbedingt für immer bei Seite gelegt werden muß, so unschuldig dieß Spielwerk auch sein mag und so groß, wie ich gern zugeben will, auch der Reiz ist, den es auf wahrhaft unschuldige Gemüther selbst noch in diesem Alter ausübt.

Suchen Sie sich nie mit den kleinen Talenten und Fertigkeiten, die Sie Ihrer Erziehung verdanken, vorzudrängen oder bemerkbar zu machen; halten Sie aber auch ebensowenig damit zurück, wenn sie aufgefordert werden, davon eine Probe zu geben. Eine übertriebene Schüchternheit wäre in einem solchen Falle sehr an der unrechten Stelle, und zu große Zurückhaltung, namentlich aber jede entschiedene Weigerung, ausgesprochene Wünsche älterer Personen, besonders Damen, zu erfüllen, könnte zu einer Beleidigung derselben werden.

Ich bestreite den Reiz nicht, den der Genuß verbotener Früchte ausübt; ist doch schon der Sündenfall im Paradiese durch unsere Stammmutter Eva dafür ein abschreckender Beweis; aber eben wegen der verderblichen Folgen muß ich nur um so dringender, besonders alle jungen Mädchen davor warnen, die Augen auf die Gattung verbotener Früchte zu werfen, welche unter dem Namen von Romanen nur allzu bekannt und allzu verbreitet sind. Mögen sie auch in ihrer Art noch so unschuldig sein, so sind sie doch jedenfalls gefährlich durch den Einfluß, den sie auf eine jugendliche Einbildungskraft üben, welche das Wahre eines solchen Werkes nicht mit Ruhe und kalter Prüfung von dem Falschen oder Trügerischen zu unterscheiden vermag. Nur allzu leicht wird das jugendliche, unbefangene und unerfahrene Herz durch eine lebhafte Einbildungskraft für eingebildete Helden entflammt, für Männer, wie sie in der Wirklichkeit nicht zu finden sind, und wie nur krankhafte Phantasie, oder[3] die Sucht, etwas Neues, Auffallendes hinzustellen, sie schafft, um die Menge zu unterhalten, unbekümmert um den nachtheiligen Einfluß, der dadurch auf die Moralität noch unverdorbener Gemüther geübt wird.

Vernachlässigen Sie nie die religiösen Pflichten, an deren pünctliche Ausübung Ihre bisherige Erziehung Sie gewöhnt hat. Beschäftigen Sie sich fleißig mit Ihrem Innern und befestigen Sie bei Sich die Ueberzeugung, daß wahres Glück dem Menschen nie durch äußere Verhältnisse und Zufälligkeiten zu Theil werden kann, sondern daß er es einzig und allein nur sich selbst verdankt, daß er dessen reinste Quelle nur in seinem eigenen Innern besitzt.

Seien Sie weder in Ihrer Kleidung, noch in Ihren Blicken, noch in ihrem ganzen Wesen und Benehmen kokett. Je anspruchsloser ein junges Mädchen sich zeigt, um so mehr darf sie da auf Beifall rechnen, wo dieser allein für sie Werth haben sollte, das heißt, bei achtungswertheren und älteren Personen.

Stürzen Sie einem Balle nicht entgegen, als sei er das höchste und glänzendste Fest; besonders aber haben Sie nie ein Geheimniß vor Ihrer Mutter, oder vor Der, welche Mutterstelle bei Ihnen vertritt; denn nirgend können Sie aufopferndere Liebe finden, auf keiner Seite dürfen Sie besseren und uneigennützigeren Rath erwarten.

Seien Sie milde, freundlich und nachsichtig gegen Ihre Dienstboten, ohne sich deßhalb durch übertriebene Schwäche Ihr Recht gegen dieselben zu vergeben; zeigen Sie sich ehrerbietig gegen bejahrte Personen, selbst wenn diese von geringerem Stande sein sollten, und beweisen Sie Herzlichkeit, Innigkeit und Vertrauen gegen alle Mitglieder Ihrer engern Familie.

Fliehen Sie den Müßiggang wie ein großes Uebel, noch mehr aber schlechte Rathgeberinnen unter Ihren Freundinnen oder Bekannten. Lassen Sie sich daher nicht durch falsche Scham abhalten, den Umgang mit Denen abzubrechen, von welchen Sie Beispiele sehen, die Ihr[4] eigenes Gefühl oder Ihr eigener Verstand nicht gut heißen kann.

Suchen Sie Ihre Geschicklichkeit in allen weiblichen Arbeiten fortwährend zu vervollkommnen, und vertändeln Sie Ihr Taschengeld nicht zu unnützen Kleinigkeiten, Näschereien oder Putzsachen, sondern halten Sie sich stets einen kleinen Vorrath zu möglichen Ausgaben, die Ihnen nothwendiger sind, oder die Ihnen einen höhern Genuß verschaffen, wie z.B. die Ausübung kleiner Wohlthaten. Häufen Sie aber auch nicht geizig Ihr Geld an, sondern geben Sie es freudig da aus, wo Sie durch dessen Anwendung die eigene Zufriedenheit gewinnen können.

Verwenden Sie Ihre kleinen Ersparnisse zu Handlungen der Wohlthätigkeit mit Umsicht. Das Geschenk einer Sache hat oft in den Augen des Empfängers ungleich höhern Werth, als baares Geld, selbst wenn es von geringerem Betrage ist, als dieses. Durch eigene Arbeiten werden Sie daher den Armen oft eine größere Freude bereiten, als durch ein Almosen. Sie werden einst selbst Mütter werden; möchten Sie dann nie erfahren, wie schmerzlich das Herz einer Mutter blutet, wenn es dem geliebten Kinde an der erforderlichen Kleidung mangelt, – vielleicht sogar, um sich gegen die Kälte zu schützen.

Findet sich ein Bewerber um Ihre Hand, so lassen Sie sich weder durch dessen Schönheit, noch durch seinen Reichthum, oder durch den Luxus, mit dem er sich umgiebt, blenden, sondern achten Sie vielmehr darauf, ob er ein guter Sohn, ein in seinen übrigen Verhältnissen achtungswerther Mensch ist. Besonders aber sollen Sie bei dieser feierlichen Gelegenheit den Ansichten und Rathschlägen Ihrer Eltern jederzeit die schuldige Achtung und Rücksicht beweisen. Sie besitzen eine reifere Erfahrung, können leichter alle nöthigen Erkundigungen einziehen und denken gewiß nur an Ihr Glück.

Das weibliche Geschlecht besitzt im Allgemeinen einen außerordentlich feinen Tact, und kaum haben sie einen[5] Fuß in die Welt gesetzt, so sind sie auch schon so sehr Herrinnen ihrer selbst und der Verhältnisse, daß sie sich sehr gut in alle Verhältnisse zu finden und dieselben sogar schon nach oft unglaublich kurzer Zeit zu beherrschen wissen. Für sie wird das Wenige, was ich bisher sagte, als Anhalt genügen, um sich überall zurechtzufinden und mit Anstand zu bewegen. Was aber die jungen Männer betrifft, die in der Regel so unbesonnen, so eitel, so ehrgeizig und so leichtfertig sind, so will ich ihnen ihre Pflichten ausführlicher auseinandersetzen und dabei jedem einzelnen Gegenstande ein eigenes Capitel widmen, damit sie nicht in ihrem Leichtsinne Mißgriffe begehen und man ihnen nicht wiederholt zuzurufen nöthig hat: Aufgepaßt!

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 2-6.
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