Vorwort.

Die Baronin de Fresne war eine reizende Frau. Jung schon verwittwet, glänzte sie durch ihren Geist und zeichnete sich dabei durch die menschenfreundlichsten Gesinnungen aus. Dabei besaß sie indeß einen kleinen Fehler, wenn man diese Eigenschaft einen Fehler nennen will: Es war bei ihr gewissermaßen zur Manie geworden, die jungen Leute mit den Sitten und Gebräuchen der vornehmen Welt bekannt zu machen, ihnen wahre Lebensart beibringen zu wollen. Wohl verdienten ihre derartigen Bemühungen eigentlich den Dank Derer,[3] welchen die Baronin de Fresne ihre Weisungen und Lehren zukommen ließ, allein nur selten wurde er ihr zu Theil. Diese scheinbare Undankbarkeit rührte vielleicht daher, daß die Baronin zu sehr die Beschützermiene annahm und es sich dabei gewöhnlich in den Kopf setzte, ihre Schützlinge zu verheirathen, nicht wie diese es wünschten, sondern wie sie selbst es für gut fand. Sie hatte deßhalb immer ganz vortreffliche Partieen im Vorrath und bot Alles auf, zahlreiche Ehen zu Stande zu bringen.

In den Pausen der Ruhe, welche ihre eheprocuratorischen Bemühungen ihr ließen, schloß sie sich oft mehre Stunden hintereinander in ihr Cabinet ein, um mit gleichem Eifer wie bei ihren Ehestiftungen an Dem zu arbeiten, was sie ihr großes Werk nannte. Worin dieß bestand, vertraute sie keinem Menschen an, und erst bei ihrem Tode wurde das große Geheimniß entdeckt, indem man ein kleines, sehr zierlich geschriebenes Manuscript fand, in welchem sie die verschiedenen Lehren über Anstand, Ton, Etikette und feine Sitte, welche[4] sie ihr ganzes Leben lang mündlich ertheilte, schriftlich niedergelegt hatte, damit sie auch noch nach ihrem Tode fortwirken möchten.

Diese Blätter sind es, die wir hiermit der Oeffentlichkeit übergeben, indem wir sie unsern deutschen gesellschaftlichen Gebräuchen, besonders der höheren und gebildeteren Stände, anpaßten und durch einige wesentliche Zusätze bereicherten. Dieß gilt namentlich von dem, was wir über die Conversation sagten, die unbestreitbar eines der wichtigsten Gebiete auf dem uns vorliegenden Felde einnimmt und welche gleichwohl von der Baronin de Fresne mit Stillschweigen übergangen war. Ja, die Conversation bildet gewissermaßen die Grundlage aller Lebensart; denn wer sich in dem Gespräche stets den Verhältnissen angemessen zu benehmen weiß, der wird schwerlich jemals in der Gefahr schweben, gegen irgend eine von den andern Regeln und Vorschriften der gebildeten Welt zu verstoßen.

Will man uns etwa den Einwurf machen, Belehrungen wie die vorliegenden wären überflüssig und könnten ihren Zweck nicht erfüllen, weil das,[5] was sie enthalten, den Kindern der höheren und gebildeteren Stände schon in der frühesten Jugend durch die erste Erziehung beigebracht würde, so daß sie die Lehren gewissermaßen mit der Muttermilch einsögen?

Wir können diesen Einwurf keineswegs als begründet gelten lassen, obgleich er auf den ersten Blick allerdings stichhaltig zu sein scheint. Wenigstens finden so viele Ausnahmen von der Regel Statt, daß wir unsere kleine Schrift durchaus nicht für überflüssig betrachten können. Denn viele Kinder der ersten Familien erhalten den größten Theil ihrer wissenschaftlichen Bildung außer dem elterlichen Hause; daß aber mit der wissenschaftlichen Bildung die gesellschaftliche keineswegs immer gleichen Schritt hält, ist eine allbekannte Sache, und nur zu oft findet man in unsern Tagen junge Leute aus den höheren Ständen, die in ihrem Betragen so roh sind, daß man sie für Mitglieder der niedrigsten Stände zu halten geneigt ist, obgleich mancherlei unverkennbare Zeichen verrathen, daß sie dieß nicht sind.[6]

Für solche junge Leute also, die zwar den höhern Ständen angehören, durch Umstände besonderer Art aber verhindert wurden, sich die Sitten und Gebräuche, den ganzen Umgangston derselben, schon in frühester Jugend anzueignen, sind daher dergleichen nachträgliche Unterweisungen unentbehrlich, um sie vor zahlreichen Verstößen zu bewahren.

Noch zahlreicher aber, als die so eben erwähnte Classe ist jedenfalls die derjenigen jungen Leute, die den höheren Ständen zwar nicht durch die Geburt oder von Kindheit an bestehende Verhältnisse angehören, die aber durch die Stellung, welche sie in Folge ihrer eigenen Anstrengungen oder ihres persönlichen Verdienstes einnehmen, auf den Umgang jener in gewisser Beziehung privilegirten Stände angewiesen sind. Diese werden eine Schrift, wie die vorliegende, gewiß nicht als überflüssig betrachten, sondern sie vielmehr mit Dank empfangen und sich ihre Lehren voll Eifer aneignen; denn sie erfahren dadurch oft Dinge, die ihnen gänzlich unbekannt waren, auf die kein Verstand der Verständigen[7] fällt und die für Den, welcher sich durch des Lebens Windungen und Irrwege zu kämpfen hat, unter vielen Umständen von der größten Wichtigkeit sein können, so unwesentlich sie auch Vielen erscheinen mögen und in gewisser Beziehung wirklich sind.[8]

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859.
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