Von dem Anzuge und dem Aeußern.

[111] In der eigenen Wohnung kann man den Schlafrock anbehalten, wenn man keinen Besuch erwartet; indeß ist eine allzu nachlässige, und namentlich eine unsaubere Kleidung jederzeit verwerflich.

Geht man aus, so verschmähe oder vernachlässige man es nicht, einen Blick auf seinen Anzug zu werfen. Kleider machen Leute, sagt das Sprüchwort; man braucht sich indeß durchaus nicht stutzermäßig zu kleiden, sondern nur passend und anständig, besonders aber müssen die verschiedenen Theile der Toilette miteinander harmoniren. Die Bekleidungsgegenstände sind jetzt im Allgemeinen verhältnißmäßig sehr billig zu haben, und man[111] hat daher nicht leicht in der übermäßigen oder unerschwinglichen Ausgabe eine Ausrede für einen vernachlässigten Anzug.

Zu dem gewählten und sorgfältigen Anzuge ist es unerläßlich, daß Haar und Bart gepflegt sind und daß man beständig Handschuhe trägt. Um sich eine Haltung, eine leichtere Tournüre zu geben, ist es sehr vortheilhaft, sich eines Stöckchens zu bedienen, das aber immer nur als Spielwerk, nie als Stütze erscheinen darf. Doch hüte man sich wohl davor, Vorübergehende zu incommodiren, indem man mit dem Stocke in der Luft umhersicht oder die Spitze nach Hinten trägt. Man muß ihn vielmehr stets in der Gewalt und im Auge behalten.

Nichts sieht ungeschickter oder linkischer aus, als die Hände in die Taschen zu stecken, oder sie gekreuzt auf dem Rücken oder der Brust zu tragen.

Die Kleider müssen modern und der Jahreszeit angemessen sein, doch ist jedes Extrem, sowie überhaupt alles Forcirt-Auffallende zu vermeiden.

Der Hut zeige keine gesuchte Originalitat, und eben so wenig sei dieß bei irgend einem andern Theile des Anzuges der Fall.

Grelle oder nicht zueinander passende Farben sind unbedingt zu vermeiden, denn man darf nie danach streben, durch seine Kleidung aufzufallen, weil man dadurch nur einen schlechten Geschmack und folglich Mangel an Lebensart verrathen würde.

Man trage keine Diamantringe, keine schweren goldenen Ketten, keine großen Uhrengehänge. Diese Zierrathen alle lassen einen reichen Emporkömmling oder einen Abenteurer vermuthen, der durch den zur Schau getragenen Reichthum prahlen oder unbegründetes Vertrauen erwerben will. Erlaubt ist eine einfache Lorgnette, und diese kann von Gold sein; indeß darf sie nicht benutzt werden, um keck damit umher zu blicken. Wer wirklich ein schwaches Gesicht hat, so daß er eines Augenglases bedarf, dem ist mehr zu einer Brille zu rathen, weil diese ihm[112] gestattet, die Menschen anzusehen oder zu beobachten, ohne ihnen auffallend oder zudringlich zu erscheinen.

Auf der Straße zeige man ein gesetztes, ruhiges Wesen; man gehe mit gleichmäßigen Schritten und weiche Greisen, Damen und Kindern bereitwillig aus.

Man pfeife oder trällere nicht leise zwischen den Zähnen, spreche nicht laut für sich und gesticulire weder mit dem Stocke, noch mit den Händen, wenn man nicht für einen Wahnsinnigen oder einen Betrunkenen gehalten werden will. Auch darf man die Damen eben so wenig lorgnettiren, als ihnen nachgehen.

Begegnet man einem Freunde, einem Bekannten, so begnüge man sich mit einem einfachen Gruße und erlaube sich keine albernen oder auffallenden Demonstrationen, durch die man bei den Vorübergehenden Aufsehen oder Mißfallen erregen könnte.

Auf der Straße zu lesen, ist pedantisch, laut zu sprechen, übermüthig.

Von dem freundschaftlichen oder vielmehr brüderlichen Du mache man nur selten Gebrauch, denn es klingt zu vertraulich, und wo kein ganz nahes Verhältniß Statt findet, da ist das Sie eben so freundschaftlich, dabei aber passender. Das Du oder die Brüderschaft anzubieten, darf man sich ohne Beleidigung nur gegen Die erlauben, mit Denen man entweder unbedingt gleich ist, oder die eine untergeordnete Stellung einnehmen. Einem Höhern die Brüderschaft anzutragen, würde der gröbste Verstoß gegen gute Lebensart sein.

Auf der Straße vermeide man lange Gespräche mit Begegnenden, denn die Straße ist kein Gesellschaftszimmer und zu einer solchen längern Unterhaltung stehen zu bleiben und dadurch vielleicht Andern den Weg zu vertreten, ist höchst unschicklich.

Im Wagen trete man stets den Ehrenplatz im Fond den Damen ab, den Greisen und seinen Vorgesetzten. Zum Einsteigen biete man den Damen den Arm; nichts ist unpassender, als sie mit der bloßen Hand zu berühren.[113]

Reitet man mit einer Dame, so versteht es sich von selbst, daß man ihr den Vorrang läßt. Erzeigt sie uns die Ehre, ihr bei dem Aufsteigen behülflich sein zu dürfen, so kreuze man die beiden Hände, um sie ihr als Tritt zu bieten. Man reite an ihrer rechten Seite, richte den Schritt des eigenen Pferdes nach dem des ihrigen und lasse dieses dabei um eine Kopfeslänge voraus. Man wache beständig über sie und beobachte dabei vor allen andern Regeln der Etikette, daß man ihr die Sonne, den Koth und den Staub erspart.

Reitet man mit einem Höheren oder einem Vorgesetzten, so muß man an seiner linken Seite bleiben. Bei ganz Vornehmen darf man dies jedoch nur dann, wenn man von ihnen dazu besonders aufgefordert wird; außerdem muß man sich eine Pferdelänge hinter ihnen zurück halten.

Mit dem Händedrücken sei man nicht verschwenderisch. Nur Freunden reiche man die Hand. Wollte man sie einem Höhern bieten, so wäre dieß außerordentlich unschicklich und bewiese gänzlichen Mangel an Lebensart. Man setzt sich dadurch sogar einer beleidigenden Zurückweisung aus und würde diese des ungeziemenden Betragens wegen auch in der That verdienen.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 111-114.
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