Von dem Theater.

[168] Das Theater ist zwar ein öffentlicher Ort und gestattet als solcher manche Freiheiten, indeß hat es doch mehr als irgend ein anderer öffentlicher Ort – vielleicht Concerte allein ausgenommen – seine besondern Anstandsregeln, deren Verletzung leicht den Mangel an Bildung und Lebensart erkennen läßt.

Das Theater kann daher füglich als ein Ort des Studiums für beide und ebenso als ein Prüfstein derselben betrachtet werden.

Eltern führen ihre Kinder in das Theater – was freilich nicht immer mit der gehörigen Rücksicht auf die Auswahl der Stücke geschieht; – junge Leute machen sich[168] in dem Theater mit den Mysterien der großen Welt vertraut, bevor sie selbst in dieselbe eintreten; aber freilich sollten sie dabei auf der Bühne etwas Anderes erblicken, als eine trügerische Darstellung eben dieser Welt, von welcher man ihnen zu viel die gefährlichen und zu wenig die nützlichen Seiten zeigt.

Die wenigsten Schauspieler besitzen einen feinen geselligen Ton. Dieß kömmt daher, daß ihr gewöhnlicher Umgang nicht der der feineren Gesellschaft ist und daß sie sich im Verkehre unter sich zu sehr gehen lassen. Gar oft zeigen daher die Schauspieler, welche einen Mann von Welt und Lebensart darzustellen haben, nur das Zerrbild eines solchen, und junge Leute würden daher oft einen großen Mißgriff begehen, wollten sie ihre Lebensart nach der modeln, welche sie auf der Bühne dargestellt sehen. Die wirklichen Fürsten, Grafen, Minister etc. bewegen und benehmen sich meistentheils ganz anders, als Herr A. oder Herr B. in der Rolle eines Fürsten oder eines Ministers, so ausgezeichnete Künstler die genannten Herren auch in mancher Beziehung sein mögen.

Will man den Kindern das Vergnügen des Theaters gewähren, so wähle man dazu vorzugsweise die sogenannten classischen Stücke, denn in diesen herrscht im Allgemeinen eine gesundere Moral, als in den meisten modernen Machwerken, welche sich der Gunst des großen Publicums erfreuen. Aber freilich ist das große Publicum selten auch das gebildete; vielmehr findet man in ihm naturgemäß die Beimischung mancher unedleren Elemente.

Was nun das Betragen der Theaterbesucher betrifft, so hat gewissermaßen jeder Platz sein eigenes Publicum und folglich auch seine eigenen Anstandsregeln. Anders darf man sich, z.B., im Parterre betragen, als es im ersten Range gestattet sein würde; anders auf seinem einzelnen Platze, wie in einer Loge, deren Inhaber so zu sagen eine Gesellschaft unter sich ausmachen, selbst wenn sie einander fremd sind, wie dieß meistentheils da der[169] Fall ist, wo einzelne Logenplätze verkauft werden, während in andern Theatern die Logen ganz genommen werden müssen, was dann natürlich die Folge hat, daß der Käufer derselben nur die Mitglieder seiner Familie oder wenigstens Freunde und Bekannte um sich hat, die in diesem Falle im eigentlichsten Sinne des Wortes seine Gäste sind, wodurch also das gegenseitige Verhältniß bezeichnet wird.

Haben aber, wie erwähnt, die verschiedenen Plätze eines Theaters verschiedene Vorschriften des Anstandes zu befolgen, so giebt es doch auch mehre Regeln, welche für Alle gelten und für alle Theaterbesucher gleich bindend sind.

Dahin gehört:

daß man nicht durch lautes oder unanständiges Betragen irgend einer Art die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkt oder gar Störung verursacht;

daß man daher weder übermäßig laut lacht, noch während der Vorstellung laut spricht, hustet, sich räuspert, schnaubt, nies't etc. Kann man diese natürlichen Regungen nicht ganz unterdrücken, so muß man doch jedenfalls ihre Anfälle so unhörbar als irgend möglich machen.

Das Publicum der Logen, besonders aber des ersten Ranges, applaudirt nur selten, und wenn es geschieht, mit großer Zurückhaltung; wer gegen diesen Gebrauch durch enthusiastische Beifallsäußerungen bei gewöhnlichen Vorstellungen verstoßen wollte, würde dadurch in den Verdacht kommen, er hätte sich in die gebildetere Gesellschaft dieser Plätze nur eingedrängt, ohne ihr wirklich anzugehören.

In den Logen überläßt man den Damen die Vorderplätze, selbst fremden Damen, und auch in dem Falle, wenn man dadurch der Unannehmlichkeit ausgesetzt werden sollte, weniger gut sehen oder hören zu können. Zwar gilt diese Galanterie bei Vielen für altväterisch und deßhalb für lächerlich; allein manches Alte war besser und achtungswerther, als das Moderne ist, und dieser Art der Lächerlichkeit darf man sich dreist aussetzen. Was man[170] dabei auf der einen Seite vielleicht verliert, wird man auf der andern zehnfach gewinnen.

Der Besuch des Parterres gilt an größern Orten beinahe für unanständig und ist manchen Ständen, z.B. den Officieren, so gut wie verboten, wenn auch freilich nicht durch Parolebefehl. Jedenfalls aber ist als allgemeine Regel anzurathen, im Theater die Plätze zu besuchen, auf denen man sich in der Mitte der Classe der Gesellschaft befindet, der man auch außer dem Theater angehört oder in deren Kreisen man sich vorzugsweise bewegt. Auch bietet das Theater jungen Männern so vielfache Gelegenheit, sich ohne Zwang mit den Damen zu unterhalten, daß sie schon deßhalb nur die Plätze besuchen sollten, wo sie ihre Gesellschaft zu finden gewiß sein dürfen.

An manchen Orten ist es polizeiliche Vorschrift, in den sämmtlichen Zuschauerräumen die Kopfbekleidung abzunehmen, aber selbst da, wo die Polizei nicht auf solche Weise der Lebensart des Publicums zu Hülfe kömmt, wird der wahrhaft Gebildete sich nicht mit dem Hute auf dem Kopfe zeigen, und sollte er sich diese unziemliche Freiheit ja etwa während der Zwischenacte gestatten, doch jedenfalls die Kopfbekleidung abnehmen, sowie der Vorhang in die Höhe geht. Versäumt er dieß dennoch, so setzt er sich der Gefahr aus, an diese Pflicht der Höflichkeit auf eine unhöfliche Art durch die hinter ihm Stehenden erinnert zu werden; und diese dürfen sich dazu berechtigt halten, da ein Hut auf dem Kopfe ihnen die Aussicht auf die Bühne raubt oder wenigstens verkümmert. Deßhalb wird sogar an Damen im Theater sehr oft die Forderung gerichtet, sich ihrer Hüte zu entledigen, und meistens geschieht dieß ohne besondere Aufforderung aus freiem Antriebe, sei es auch nur zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten.

Die Logenschließer sind überall dazu eingerichtet, Garderobegegenstände, wie Hüte, Mäntel, Stöcke, Regenschirme etc. in Verwahrung zu nehmen, und thun dieß[171] sehr gern, da sie dafür eine kleine Vergütung erhalten, welche Jahr ein Jahr aus einen Theil ihrer regelmäßigen Einnahme bildet. Um weder selbst durch das Halten der Kopfbekleidung incommodirt zu werden, – was bei gedrängt vollem Hause sehr lästig werden kann, – noch die Zunächststehenden zu belästigen, – was gar leicht unangenehme Streitigkeiten mit denselben herbeiführt, – ist es das Beste, die kleine Ausgabe nicht zu scheuen, sondern alle überflüssigen Toilettenzuthaten während der Vorstellung der Obhut der Logenschließer anzuvertrauen.

Zu den allgemeinen Anstandsregeln gehören ferner auch noch die folgenden:

Man muß sich nicht auf seinen Platz durchdrängen, wenn das Stück schon angegangen ist, oder überhaupt bei aufgezogenem Vorhange;

man versorge sich mit einem Opernglase, denn es ist unhöflich, die Nachbarn um das ihrige zu bitten;

man frage die Nachbarn nicht nach den Namen der Schauspieler und Schauspielerinnen, sondern besorge sich selbst einen Theaterzettel. Kann man keinen mehr zu kaufen bekommen, so borge man ihn zwar, gebe ihn aber sobald als möglich wider zurück;

man rede während der Vorstellung nicht auf seine Nachbarn ein, denn diese lieben es in der Regel nicht, in ihrer Aufmerksamkeit gestört zu werden;

man richte sein Opernglas nicht auffallend auf die Damen;

man rufe nicht zu Bekannten laut hinüber, nach den Logen hinauf, oder von diesen in das Parterre hinab;

hat man einen Sperrsitz, – und diese verdienen in den meisten Theatern den Namen mit der That, – so verlasse man seinen Platz nicht in jedem Zwischenacte, weil man dadurch eine ganze Reihe von Nachbarn incommodirt, indem man sie nöthigt, aufzustehen und uns durchzulassen;

verläßt man seinen Platz, so sehe man sich wohl vor, Denen, an welchen man sich durchdrängen muß, nicht auf die[172] Füße zu treten oder ihnen mehr lästig zu fallen, als es unumgänglich nöthig und durch die Enge des Raumes bedingt ist;

hat man eine Dame in das Theater geführt, so lasse man diese nicht während der Zwischenacte allein, es sei denn, um ihr Erfrischungen zu besorgen, was man, besonders wenn es sehr heiß ist, thun muß, auch ohne von ihr dazu aufgefordert worden zu sein;

man spreche keinen lauten Tadel über das Stück aus, noch weniger aber gebe man sein etwaiges Mißfallen durch pfeifen zu erkennen;

man werfe nur bei einzelnen, außergewöhnlichen Gelegenheiten Blumen, Kränze oder Gedichte auf die Bühne. Eine vereinzelte Huldigung der Art macht den Künstler oder die Künstlerin, welchen sie dargebracht, weit eher lächerlich, als daß sie ihn ehrt;

man trällere die Melodieen, welche auf der Bühne gesungen werden, nicht zwischen den Zähnen nach;

man hüte sich wohl davor, im Theater einzuschlafen.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 168-173.
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